Ulrich Seidler ist Kulturjournalist und Theaterkritiker. Er ist seit 2006 Redakteur bei der Berliner Zeitung.

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Rechter Protest gegen Stück über Anschlag auf Weihnachtsmarkt: So reagiert das Theater Magdeburg

Warum ein Stück, das es noch nicht gibt, rechte Proteste auslöst

Was sagt, laut einem guten Witz, ein routinierter Theaterkritiker, wenn sich der Vorhang öffnet? „Schon Scheiße!“ Demonstranten und Mahnwachtmeister in <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/magdeburg">Magdeburg</a> wollten nicht so lange mit dem Urteil warten und kämpfen gegen ein Stück, das es noch gar nicht gibt, dessen Autor noch mit der Recherche befasst ist. Die Premiere ist für den so schmerzlich fernen Frühling im nächsten Jahr geplant. Doch man wolle es noch „kriechend verhindern“, wie laut dem Theater einer der Protestierenden formulierte.

Nicht nur die Proteste gegen ein Stück selbst, sondern auch die Reaktionen von Politik und Medien darauf sind Gegenstand eines Appells des Magdeburger Theaters. Es gehe nicht um Pietät, es geht um Kunstfreiheit.

16:9

Politik

Kultur

Alle Jahre Wieder

Beispiel eins: Mehr als 30 Jahre forschte der Musikwissenschaftler Peter Wollny an zwei Solowerken, einer „Ciacona in d-Moll“ und einer „Ciacona g-Moll“, bevor er sich sicher war und die Nachricht feststand: Sie sind von <a target="_blank" rel="nofollow" href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/johann-sebastian-bach">Johann Sebastian Bach</a>&nbsp;(1685–1750). Am Montag wurden sie zum ersten Mal nach 320 Jahren in der Leipziger Thomaskirche aufgeführt.

Die Verantwortung im Umgang mit KI-Produkten tragen nicht allein diejenigen, die mit diesen Tools arbeiten, sondern auch jene, die die Hervorbringungen rezipieren. Finde den Unterschied!

Neue Stücke von Bach und Molière: Wer trägt die Verantwortung für KI-Kunst?

B+ plus

Kurz vor der Premiere von „Eine Nebensache“ hat das Gorki die Produktion abgesagt. Auf der <a target="_blank" rel="nofollow" href="https://www.gorki.de/de/eine-nebensache/2025-11-20-1900-0">Homepage des Theaters</a> begründet die Künstlerische Leitung, zu der neben der Intendantin <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/shermin-langhoff">Shermin Langhoff</a>&nbsp;auch der Dramaturg Johannes Kirsten gehört, die Maßnahme mit „Dynamiken und Differenzen“ innerhalb des Casts und des Teams der Produktion. „Der&nbsp;künstlerisch verantwortliche Hausregisseur Oliver Frljić – dem Adania Shibli ihren Roman zur Adaption am Gorki anvertraut hatte – sieht sich nicht in der Lage, die Arbeit an der Produktion weiter fortzusetzen.“

Der Roman der palästinensischen Autorin erzählt von einem israelischen Kriegsverbrechen und stand im Oktober 2023 im Zentrum einer Debatte. Das Wagnis, es nun im Gorki auf die Bühne zu bringen, ist gescheitert.

Ohnmacht der Kunst: Warum das Gorki die Uraufführung von Adania Shiblis „Eine Nebensache“ absagt

Facebook

Vor einem Vierteljahrhundert hat ein junger ostdeutscher Kunststudent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig seine Arbeit in einer öffentlichen Performance präsentiert und auf Video festgehalten. Darauf tritt der damals 23-jährige blonde, von der Insel <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/ruegen">Rügen</a> stammende Jüngling splitternackt in einen mit weißer Folie ausgeschlagenen Raum. Er windet sich in seiner Scham, wischt sich noch einmal übers Genital und durch die Achselhöhlen und weiß dann nicht mehr, wohin mit den Händen. Dabei war die Idee für die Abteilung Fotografie zwar etwas ungewöhnlich, aber doch ziemlich einfach: Hinstellen, sich mit dem Hochdruckreiniger bearbeiten lassen und schauen, wie lange sich Kälte und Schmerzen aushalten lassen.

In der Debatte um Kriegstüchtigkeit sucht der Künstler Sven Johne die Begegnung mit seinem jüngeren Ich. „Hochdruckversuch – Tiefenbohrung“ in der Galerie Klemm’s.

Der Künstler Sven Johne und die Wehrpflicht: Er gibt der Angst ihr Recht zurück

Kunst

Ukraine

Wie sich bei dem Gespräch mit der Berliner Zeitung herausstellt, kann sie Lothar Trolle auch wunderbar nachmachen, seinen leisen südanhaltischen, thüringisch eingefärbten Singsang und vor allem sein Lachen, von dem noch die Rede sein wird. Die in Suhl geborene und bei Dresden aufgewachsene Schauspielerin <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/corinna-harfouch">Corinna Harfouch</a> – sie ist eine der größten, die wir auf unseren Bühnen haben, aber bekannt ist sie den meisten als „Tatort“-Kommissarin – kennt Trolle seit den 80ern. Sie wohnten im selben Haus in Pankow – eine weise Fügung des Schicksals, denn Harfouch ist genau die richtige Schauspielerin für das Trolle-Werk, für seine ausgefriemelten, realitätssatten, denkstarken und listigen Sätze über Zeitgenossen aus allen Schichten und mit allen Schäden. Mit einer illustren Truppe wird sie Trolles Werk nach dessen Tod unter dem Titel „Träumen lernen“ zum Leuchten bringen, dort, wo es hingehört: auf der großen Bühne des Deutschen Theaters.

Die Schauspielerin Corinna Harfouch feiert die Freiheit des im Frühling gestorbenen, eng verbundenen Dichters Lothar Trolle. Jetzt bringt sie ihn ans Deutsche Theater.

Corinna Harfouch: „Ich verstehe nicht, warum diese Gesellschaft so dumm bleiben will“

Theater

Pankow

Bezirke

Kaum drosselt der flotte Stadtradler mal das Tempo, wird er von den anderen Verkehrsteilnehmern als Gefahr wahrgenommen. Wir hatten kürzlich <a href="https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/mit-dem-koffer-durch-berlin-was-habe-ich-verkehrshindernis-ueberhaupt-auf-der-welt-zu-suchen-li.2360943">die Geschichte über den mitgeführten Koffer</a>, der den Autor zwang, etwas langsamer zu fahren, wegen der Einhändigkeit und der Überbreite. Eine Überholerin hatte ihn mit der Frage, ob das sein müsse, und den damit ausgelösten existenziellen Grundsatzzweifeln zurückgelassen: Ja, wozu Koffer? Wozu reisen? Ferien? Wozu überhaupt Dasein? Muss das?

Die Straßenverkehrsordnung legt fest, wie ein Fahrrad sicherheitstechnisch auszustatten ist. Eine Sense wird in den Vorschriften nicht genannt, kann aber im Konfliktfall gute Dienste leisten.

Blut wird fließen: Mit der Sense durch den Berliner Radverkehr

Dass Julischka Eichel eines Tages im Max-Reinhardt-Zimmer des <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/deutsches-theater-berlin">Deutschen Theaters</a>&nbsp;Interviews geben würde, hätten die schwäbischen Dorfnachbarn in ihrer Kindheit nicht gedacht. Anlass ist die bevorstehende Premiere „Die drei Leben der Hannah Arendt“, deren Haltung und Denkmut Julischka Eichel bewundert. Welche Ehre! Zwölfmal hat sich Julischka Eichel, Tochter einer Sozialpädagogin und eines Schreiners, aufgewachsen kurz vor der Schwäbischen Alb in einem 700-Seelen-Nest bei <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/tuebingen#">Tübingen</a>, bei Schauspielschulen beworben. „Alle im Dorf haben gedacht, ich bin plemplem, aber meine Eltern hielten zu mir und unterstützten mich.“ Sie fuhren ihre Tochter mit dem Auto zum Bahnhof und holten sie wieder ab. Gaben ihr Hoffnung und Zuversicht mit auf den Weg und nahmen sie mitsamt ihren Enttäuschungen wieder in Empfang.

Wenn man eingeschüchtert und untergebuttert wird, liegt es nicht immer am Machtgefälle, sondern auch an einem Mangel an Mut und Solidarität. Für Julischka Eichel ist das künstlerische Praxis.

Schauspielerin Julischka Eichel drückt auf die Tube: ein Porträt

Berlin

Auto

Weil ich einen neuen Koffer mit dem <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/fahrrad">Fahrrad</a> nach Hause transportiere, bewege ich mich defensiv. Ich reihe mich in eine Kohorte von radelnden Feierabendverkehrsteilnehmern ein, warte brav mit der Mehrheit auf Grün und schmiege mich ins Peloton, als es sich langsam in Bewegung setzt. Eine kleine Aufwallung der Ungeduld angesichts der lahmen Enten vor mir unterdrücke ich huldvoll. Denn auch ich kann nicht auf meine übliche Reisegeschwindigkeit beschleunigen, weil ich nur eine Hand am Lenker habe, in der anderen halte ich den Koffer.

Das Fahrrad ist zum Transport von Koffern, auch wenn sie leer sind, nicht sehr geeignet. Schnell wird man so zum Verkehrshindernis und zieht Wut auf sich. Muss das sein?

Berlin: Was habe ich Verkehrshindernis überhaupt auf der Welt zu suchen?

Es war ein kleiner diplomatischer Erfolg im Jahr 1986 und ein großer Vertrauensbeweis, dass der originale Wikingerschatz von Hiddensee bei einer Ausstellung erstmals im Ausland, auch noch im nichtsozialistischen, nämlich in Stockholm gezeigt werden konnte. Gut hundert Jahre zuvor waren die unschätzbar wertvollen Artefakte bei einer Sturmflut freigespült worden. Die Nazis haben die Schmuckstücke als Beleg für die germanische Vorherrschaft im baltischen Raum umgedeutet, aber auch die Partei- und Staatsführung der DDR knüpfte eine Legende an das Gold: 1975 wurde der Schatz in Stralsund zum 30. Jahrestag der Befreiung ausgestellt und auf seine heldenhafte Rettung durch die Rote Armee hingewiesen. Die sowjetische Kommandantur hatte den kurz vor Kriegsende in Stettin vergrabenen Schatz 1947 gehoben, konfisziert und später der Stadt Stralsund zurückgegeben.

Was hat der ehemalige Staats- und Parteichef der DDR, Erich Honecker, mit der Replik des Hiddenseer Wikingerschatzes angestellt? Die Berliner Zeitung hat eine These.

Der heimliche Oberwikinger der DDR: Museum offenbart Leidenschaft von Erich Honecker

Tanz würde man es nicht direkt nennen, was die Teufelstrolle am Sonntagabend nach acht Stunden Theater aufführen und sich dabei alle Zeit der Welt zu nehmen scheinen. Machen Vegard Vinge und Ida Müller mit diesem Gestampfe und Gedonner tatsächlich einfach Schluss mit ihrer Peer-Gynt-Staffel? Wird gleich alles eingepackt und weggeschafft, bis im nächsten Frühling eine weitere Aufführungsreihe kommt? Fünf jeweils ziemlich genau achtstündige Vorstellungen hat es in der <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/volksbuehne">Volksbühne</a> seit der Premiere vor zwei Wochen gegeben, es bliebe noch so viel zu erzählen über diesen norwegischen Nationalhelden. Und weil wir schon seit Sonntagmittag im Theater sitzen und gerade angefangen haben, uns in Peer zu verwandeln und uns selbst zu vergessen, könnte es doch einfach weitergehen. Warum überhaupt aufhören? Warum zurück in den Alltag, zu Familie, zum Job, zurück in den Herbst, in diese schale, dumme, grausame, langweilige Welt? Wozu schlafen? Wozu essen? Wozu Zähneputzen? Wozu Sauerstoff? „Acht Stunden sind kein Theater“ steht da an der Wand. Gott sei’s geklagt.

Nach sechs Vorstellungen verschwindet das Totaltheater von Vegard Vinge und Ida Müller wieder in der Versenkung. Was soll denn nun mit dem Publikum werden?

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Sterben lernen in der Volksbühne: „Peer Gynt“ von Vegard Vinge und Ida Müller verabschiedet sich mit Donnerschlägen

Zwei Masten tragen das angerostete, aus schiefen Buchstaben zusammengesetzte Wort „Europe“. Aus dem Zuschauerraum sieht man dessen Rückseite und dahinter – nicht die Brandung, sondern den Theaterhorizont, angemalt mit einem bombastischen, seestück-naturalistischen Wolkengebirge, das sich bis in den Zugturm aufbauscht.

Das Schauspielhaus wird zur Arena eines heldenhaften Kampfes der Kunst gegen den Zynismus der Vernunft. Es dauert sechs Stunden und endet, wie es enden muss. Die Kritik

Im Schrumpfkopf von Heiner Müller: Frank Castorf inszeniert „Hamlet“ im Schauspielhaus Hamburg

Europa

Gesundheit & Wohlbefinden

Hamburg

Köln

Nach seiner Lesung in Erfurt sei eine Leserin auf ihn zugekommen und habe sich bedankt, erzählt Kaleb Erdmann, der mit seinem zweiten Roman „Die Ausweichschule“&nbsp;auf der Shortlist für den <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/deutscher-buchpreis">Deutschen Buchpreis</a> gelandet ist. Der 34-Jährige hat ein nachdenkliches, luzides, manchmal sogar heiteres Buch geschrieben, dessen Gravitationspunkt eine Verletzung ist, die ganz Erfurt in Mitleidenschaft gezogen hat: der erste Schulamoklauf in Deutschland am 26. April 2002. 17 Menschen starben, darunter der Täter, ein ehemaliger Schüler, der sich am Ende selbst erschoss. Das Leid und seine Nachwehen, die Katastrophe und die sich anschließenden Fehlleistungen lassen sich kaum fassen und sind bis heute nicht verarbeitet.

Der 34-jährige Schriftsteller Kaleb Erdmann hat als Kind den Amoklauf von Erfurt erlebt, sein Roman „Ausweichschule“ hat es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Ein Porträt

Kaleb Erdmann hat ein Buch darüber geschrieben, wie er kein Buch über den Amoklauf von Erfurt schreibt

Der frühere Kulturstaatssekretär André Schmitz scheint aus einer längst vergangenen Zeit wieder aufzutauchen. Er spricht am Vorabend des Einheitstags zur Eröffnung der letzten Spielzeit unter <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/shermin-langhoff">Shermin Langhoff</a> am Gorki-Theater. Steht da mit voller Tolle und Einstecktuch auf der Freitreppe, wo eben noch um die hundert Künstlerinnen und Künstler für ein Gruppenbild posierten. Erst schickt er good vibrations zu seiner Amtsnachfolgerin, der Kultursenatorin <a href="https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/sarah-wedl-wilson-zum-sparhaushalt-in-einer-fuehrungsposition-kann-man-sehr-einsam-sein-li.2346196">Sarah Wedl-Wilson</a>, die in Haushaltsberatungen stecken geblieben ist und, anders als angekündigt, sich nicht selbst die Ehre geben konnte.

Von Schicksal zusammengewürfelt, von Lebenserzählungen gehalten. Das Gorki zeigt zur Eröffnung mit Ersan Mondtag, was es kann. Ob auf der Bühne oder mit der Kunstbiennale.

Das Gorki eröffnet mit „Das Rote Haus“ und dem Herbstsalon die letzte Langhoff-Spielzeit

Der im oberbayrischen Schrobenhausen geborene Kunsthistoriker Martin Eberle (57) ist jetzt seit einem Monat Burghauptmann in <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/eisenach">Eisenach</a> und hat am Mittwoch seine Pläne <a target="_blank" rel="nofollow" href="https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/west-thueringen/eisenach/martin-eberle-wartburg-burghauptmann-kultur-news-100.html">dem MDR mitgeteilt</a>: Er wolle die Wartburg zu einem Ort der Debatte machen. Die Demokratie sei das zentrale und sehr aktuelle Thema, das in der Burg sein historisch verbürgtes Symbol finde. Damit sendet er schon mal ein Signal an die thüringische <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/landesregierung">Landesregierung</a>, dass hier auch weiterhin Fördermittel fließen müssen, selbst wenn das seit Jahren stillgelegte Hotel, das früher die Kosten der Burg allein trug, dereinst wieder in Betrieb kommen wird. So weit, so üblich. Mit Demokratieprojekten kann man eigentlich nichts falsch machen. Und gegen eine gepflegte Debatte an einem geschichtsträchtigen Ort ist auch nichts zu sagen.

Der Kulturhistoriker hat einen Politiker rassistisch beleidigt und seinen Posten verloren. In Thüringen geht’s für ihn nun weiter. Warum das ein gutes Zeichen für die Demokratie ist.

Neuer Leiter der Wartburg: Für den Westen zu rassistisch, für Thüringen gut genug

Debatte

Hat er sich überlegt, was er da tut, wenn er wieder nach einem Donut greift? Natürlich nicht. Denn es handelt sich um Homer Simpson, einen amerikanischen Helden, dessen Synapsen stillgelegt sind, sobald man ihm etwas zu essen vor die Nase hält. Homer Simpson hat vor 20 Jahren wegen eines solchen Schmalzgebäckteils eine Katastrophe in Springfield verursacht und fast den Weltuntergang herbeigeführt.

Nachdem der erste Simpsons-Film 2007 über 500 Millionen Dollar eingespielt hat, wurde erst jetzt ein zweiter angekündigt. Schon jetzt ist klar, wer die Katastrophe auslöst.

Nach 20 Jahren greift Homer wieder zum Donut: Die Simpsons bekommen einen zweiten Film

Kino & Streaming

Anders als die KI bräuchten Menschen nicht auf Klischees zurückgreifen, schließlich erleben sie selbst Dinge. Und was passiert am <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/deutsches-theater-berlin">Deutschen Theater</a> bei der Premiere von „Der Fall McNeal“? Wie zum Hohn kippt sich der frisch gekürte Literaturnobelpreisträger Jacob McNeal (<a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/ulrich-matthes">Ulrich Matthes</a>), ein alter weißer Mann, einen Bourbon nach dem anderen in die Kaffeetasse beim Interview mit der NY-Times-Reporterin Natascha (Mercy Dorcas Otieno). Und dann kommt er ins Schwadronieren und findet seine kleinen Triumphe darin, zum Beispiel <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/harvey-weinstein">Harvey Weinstein</a> nicht nur persönlich zu kennen, sondern ihn auch noch zu bewundern. „Warum erzählen Sie mir das alles? Ich bin Reporterin.“ – „Weil ich mich noch an eine Zeit erinnere, in der man keine Probleme bekam, wenn man die Wahrheit sagte.“

Der Broadway-Hit von Ayad Akhtar spielt mit Klischees und den technischen Möglichkeiten KI-unterstützten Schreibens. Was machen die Menschendarsteller am DT daraus?

Literaturnobelpreis für die KI: Ulrich Matthes in „Der Fall McNeal“ von Ayad Akhtar am Deutschen Theater

Stil

Acht Jahre ist es her, dass der Norweger Vegard Vinge das <a href="https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/berliner-festspiele-totaltheater-mit-vegard-vinge-im-nationaltheater-reinickendorf-li.74152">„Zwölfsparten-Nationaltheater Reinickendorf“</a> schloss und den von seiner deutschen Partnerin Ida Müller ausgemalten Bühnenraum zerlegte. Aber als sich am Donnerstagabend um Punkt 18 Uhr die Türen der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz öffnen, ist alles sofort wieder da, als läge keine Sekunde dazwischen – oder, na gut, höchstens eine Mütze Schlaf.

Anderthalb Ibsen-Akte in acht Stunden voller Lärm, Körpersaft, Schmerz, Kunst und Humor. Was für ein wildes und reiches und nervenzerfetzendes Theater! Die Kritik.

„Peer Gynt“ von Vegard Vinge und Ida Müller in der Volksbühne

Reinickendorf

Von wegen Deutschland bröselt: Nur zwei Wochen nach <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/albanien">Albanien</a> führt die hiesige Regierung einen digitalen Amtsträger mit KI-gestützten Funktionen ein. Und so wie die weibliche Avatarin Diella, die als „Ministerin für öffentliche Aufträge“ mit einem spitzenbesetzten und bestickten Kopftuch amtiert, trägt auch der deutsche „Weimatar“, der aus dem Kanzleramt sendet, Amtstracht: Das blaugraue Sakko und der karierte Schlips erscheinen ähnlich gedeckt und wasserabweisend wie das Lächeln des Kulturstaatsministerdoppelgängers.

Den Kulturstaatsminister gibt es jetzt als KI-gestützten Avatar, der sein Wort in allen Sprachen der Welt erheben kann. Damit sind wir fast so gut wie Albanien. Eine Glosse.

„Weimatar“: Wolfram Weimer denkt noch nach, während sein KI-Avatar schon das Wort ergreift

Da steht man sich die Beine in den Bauch und bekommt immer noch mehr Empörung aufgeladen: Der Schweizer Theatermacher, Aktivist und Künstlerische Leiter der Wiener Festwochen, Milo Rau, hatte in der vergangenen Woche zur Pressekonferenz eingeladen. Den Termin wurde aus praktischen Erwägungen kurz vor die Berliner <a href="https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/theater/die-gewalt-des-blicks-die-seherin-von-milo-rau-in-der-schaubuehne-li.2357765">Premiere seines Stückes „Die Seherin“&nbsp;in der Schaubühne</a> gelegt. Da geht es um eine neurotische Kriegsreporterin auf der Jagd nach dem brutalsten Bild, gespielt von Ursina Lardi – per Video wird als dokumentarischer Kontrapunkt der irakische Lehrer Azad Hassan zugeschaltet, der von seinem Schicksal als Opfer des Islamischen Staats berichtet: Nach einem Streit um Schulden wurde er von einem Scharia-Gericht verurteilt, das ihm auf einer Straßenkreuzung vor Publikum und laufender Kamera die Hand abhackte. Gnädigerweise friert das Bild bei der Inszenierung im letzten Moment ein.

Zu erleben ist ein ideologisch durchsafteter Rechtsstreit um Ehre, Einschüchterung, Populismus und Wahrheit. Dass Milo Rau dabei im Mittelpunkt steht, nimmt er in Kauf für die Sache.

Milo Rau vs. HC Strache: Warum sich der Theatermacher als Märtyrer inszeniert

Es ist Rückkehr und Debüt zugleich: Sebastian Hartmann erlebte seine Grundschulzeit in Cottbus, schwierige Jahre für ihn. Der Vater war Dramaturg und die Mutter Schauspielerin am Staatstheater, sie hatten wenig Zeit – und dann trennten sie sich auch noch. Als der Regisseur hörte, dass Hasko Weber eben dieses Haus für eine Spielzeit übernimmt, bot Hartmann sich an und ergriff die Gelegenheit, „als Erwachsener dem Kind, das hier so verloren durch die Straßen gegangen ist, den Arm zu bieten“, wie er in einem Vorabinterview erzählte. Er ging als verlorenes Kind und kommt als gestandener Regisseur.

Sebastian Hartmann erzählt in Cottbus Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ als eine tragikomische Revue über Theater und landet damit beim Kern. Die Kritik.

Hochstapler in Cottbus: Sebastian Hartmann inszeniert „Der Hauptmann von Köpenick“

So weit sind wir schon gekommen: Am Donnerstag, bei der ersten Premiere dieser Spielzeit am <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/deutsches-theater-berlin">Deutschen Theater</a>, dem einst heiligen Hort der Sprache unserer Nation, wird das Publikum aufgefordert mitzudeklamieren. Es handelt sich um ein Stück von Nele Stuhler mit dem sehr schönen und beziehungsreichen – auf die barrieresenkende Leichte Sprache rekurrierenden&nbsp; Titel „Leichter Gesang“. Und siehe da, der Text ist auch wirklich nicht schwer: „Stock im Po, Stock im Po, Stock im Po, Balsamico!“ Und jetzt alle!

Nele Stuhlers „Leichter Gesang“, angestimmt von Rambazamba- und DT-Schauspielern, zergliedert die Sprache und klebt die Bedeutungen neu zusammen. Macht Spaß, wenn man mitsingt. Die Kritik

Wer Po sagt, muss auch Balsamico sagen: Die Spielzeit im Deutschen Theater ist eröffnet: Leichter Gesang von Nele Stuhler

Wer kein Auto hat und immer mal auf einen Mietwagen zurückgreifen muss, kommt in den Genuss von Neuwagenduft, Innovationen und staatlicher Pädagogik. Seit Sommer 2024 müssen neu zugelassene Autos mit intelligenten Fahrerassistenzsystemen (ISA) ausgestattet sein. Die halten Spur und Abstand und piepen los, wenn man ein Nickerchen am Steuer macht. Beim letzten Mal hat die intelligente Anzeige sogar mit dem Piktogramm einer roten Ampel darüber informiert, dass ich an einer roten Ampel stehe. Ich fühlte mich gesehen.

Neu zugelassene Autos müssen Warnsignale geben, wenn sie zu schnell gefahren werden. Die EU-Gesetzgebung will es so. Sind wir 1989 dafür auf die Straße gegangen?

Geschwindigkeitswarnung bei Neuzulassungen:  Warum sie zur Gefahr werden

Verkehr

Mit dem Kainsmal von Peymann: Die Berliner Schauspielerin Antonia Bill im Film „Leibniz“

Antonia Bill: „Wir waren auswechselbar oder unersetzlich – wie es gerade passte“

Antonia Bill strahlt einen an, als hätte sie ihr Herz direkt hinterm Auge und darin einen Scheinwerfer. Sie leuchtet beim Fotografieren die ganze Dieffenbachstraße runter. Die Zäune vor den <a href="https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/debatte/fuer-eine-artgerechte-haltung-von-fetthirnigen-zweibeinern-ansichten-einer-berliner-ratte-li.2334475">Rattenfallen</a> bekommen einen seltsamen Glanz, ein eben noch verzweifelter Obdachloser beginnt zu lächeln, und die Wolken verziehen sich vor der anderen Strahlefrau an diesem Spätsommertag in <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/neukoelln">Kreuzberg</a>: der Sonne. Die Schauspielerin ist in dem am Donnerstag startenden Edgar-Reitz-Film „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ die <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/sophie-charlotte">preußische Königin Sophie Charlotte</a>.

Die Schauspielerin Antonia Bill ist reich begabt, aber kein Star. Unter ihren Regisseuren waren viele alte Männer. Die preußische Königin, die sie in dem Leibniz-Film von Edgar Reitz spielt, kennt das. Ein Porträt.

Berliner Ensemble

München

Im Sommer 1864 schrieb Henrik Ibsen einen Brief, in dem er seinem Verleger zwei gute Nachrichten mitteilte: Erstens hatte er das Konzept seines neuen Schauspiels vollendet, und zweitens: „Dieses Stück behandelt keine politischen oder sozialen oder überhaupt öffentlichen Angelegenheiten. Es bewegt sich ausschließlich im Bereich des Familienlebens. Diskussion kann es schon wecken, doch es wird bei niemandem Anstoß erregen.“

So unpolitisch wie Ibsen vorgab, ist sein Stück nicht. Aber es kann einem in der Schaubühne schon die Lust auf Veränderung nehmen. Die Kritik.

Vorsicht mit Narzissmus und Wahrheit: Thomas Ostermeier inszeniert „Wildente“ von Ibsen an der Schaubühne

Da steht Coriolanus, römischer Kriegsheld und Konsulanwärter, im Übergang zwischen Monarchie und Demokratie, und nimmt die Huldigungen des Volkes entgegen. Verkörpert wird er samt herrlich hängender Fresse von Peter René Lüdicke, der eine Adidas-Hose trägt und eine goldene Bomberjacke. Er ist angewidert von den Gesängen und den Fähnchen und von den braunen Trainingsanzügen des Armeesportvereins der <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/nva">NVA</a>. Jedes Mal zuckt er zusammen, wenn die Konfettikanone pufft. Jubel von dieser blassgesichtigen Gurkentruppe mit Besenstielen – eine einzige Kränkung für seine monströse Eitelkeit. Aber wehe! Wehe, die Plebejer hören von selbst auf und warten nicht auf sein Zeichen.

Das Lausitzfestival stand in der Kritik, teuer und abgehoben zu sein. Jetzt hat es mit Jürgen Kuttners Coriolanus-Revue einen authentischen Ansatz gefunden.

Ulrich Seidler

Warum ein Stück, das es noch nicht gibt, rechte Proteste auslöst

Neue Stücke von Bach und Molière: Wer trägt die Verantwortung für KI-Kunst?

Ohnmacht der Kunst: Warum das Gorki die Uraufführung von Adania Shiblis „Eine Nebensache“ absagt

Der Künstler Sven Johne und die Wehrpflicht: Er gibt der Angst ihr Recht zurück

Corinna Harfouch: „Ich verstehe nicht, warum diese Gesellschaft so dumm bleiben will“

Blut wird fließen: Mit der Sense durch den Berliner Radverkehr

Wer zu früh bremst, lernt nichts dazu: Die Schauspielerin Julischka Eichel drückt auf die Tube

Was habe ich Verkehrshindernis überhaupt auf der Welt zu suchen?

Der heimliche Oberwikinger der DDR: Museum offenbart Leidenschaft von Erich Honecker

Sterben lernen in der Volksbühne: „Peer Gynt“ verabschiedet sich mit Donnerschlägen

Im Schrumpfkopf von Heiner Müller: Frank Castorf inszeniert „Hamlet“ in Hamburg

Kaleb Erdmann hat ein Buch darüber geschrieben, wie er kein Buch über den Amoklauf von Erfurt schreibt

Das Gorki eröffnet mit „Das Rote Haus“ und dem Herbstsalon die letzte Langhoff-Spielzeit

Neuer Leiter der Wartburg: Für den Westen zu rassistisch, für Thüringen gut genug

Nach 20 Jahren greift Homer wieder zum Donut: Die Simpsons bekommen einen zweiten Film

Literaturnobelpreis für die KI: Ulrich Matthes in „Der Fall McNeal“ am Deutschen Theater

Zu wild für diese Welt: „Peer Gynt“ von Vegard Vinge und Ida Müller in der Volksbühne

„Weimatar“: Wolfram Weimer denkt noch nach, während sein KI-Avatar schon das Wort ergreift

Milo Rau vs. HC Strache: Warum sich der Theatermacher als Märtyrer inszeniert

Hochstapler in Cottbus: Sebastian Hartmann inszeniert „Der Hauptmann von Köpenick“

Wer Po sagt, muss auch Balsamico sagen: Die Spielzeit im Deutschen Theater ist eröffnet

Noch ein Piep – und es knallt: Wie ich durch ein EU-Gesetz zur Gefahr für alle werde

Mit dem Kainsmal von Peymann: Die Berliner Schauspielerin Antonia Bill im Film „Leibniz“

Vorsicht mit Narzissmus und Wahrheit: Thomas Ostermeier inszeniert „Die Wildente“

„Du brauchst meine Liebe nicht“: Jürgen Kuttner und Forster Wutbürger proben den Tyrannensturz