Weil ich einen neuen Koffer mit dem Fahrrad nach Hause transportiere, bewege ich mich defensiv. Ich reihe mich in eine Kohorte von radelnden Feierabendverkehrsteilnehmern ein, warte brav mit der Mehrheit auf Grün und schmiege mich ins Peloton, als es sich langsam in Bewegung setzt. Eine kleine Aufwallung der Ungeduld angesichts der lahmen Enten vor mir unterdrücke ich huldvoll. Denn auch ich kann nicht auf meine übliche Reisegeschwindigkeit beschleunigen, weil ich nur eine Hand am Lenker habe, in der anderen halte ich den Koffer.
Mit dem leeren Gepäckstück verdoppelt sich die Breite, die ich als Verkehrsteilnehmer einnehme. Die Radwege sind in Berlin nicht überall großzügig genug, um andere gefahrlos zu überholen. Schon gar nicht mit einem Koffer an der Seite. Ich lasse es also und konzentriere mich auf meine linke Hand, die langsam zu verkrampfen beginnt, denn der leere Koffer schlenkert im Wind. Was mir nicht gleich bewusst wird, auch weil es so von meiner flotten Fahrstilroutine abweicht: Dass ich meinerseits von hinter mir Fahrenden als Verkehrshindernis betrachtet werde.
Eine Frau schiebt ihr Vorderrad in Koffernähe, bremst erst ab, zieht dann aber vorbei und wirft verächtlich eine rhetorische Frage bei mir ab: „Muss das sein?“ Flott entfernt sie sich, ich kann nur noch ein kraftvolles „Ja“ hinterherrufen. Ja, es muss sein. Oder hätte es nicht sein müssen?
Wozu, Mutter, hast du mich geboren?
Ich hätte das Fahrrad natürlich stehenlassen können, auch auf die Gefahr hin, dass es geklaut wird. Ich hätte mich mit dem Koffer in die öffentlichen Verkehrsmittel quetschen oder ihn mit einem Share-Auto nach Hause transportieren können. Wozu gibt es Lieferdienste, die müssen ja ohnehin durch den Stau. Oder soll ich ein Lastenrad anschaffen, bevor ich einen Koffer kaufe? Das wäre ja auch überbreit. Vielleicht meinte die Überholerin es grundsätzlicher.


