Martin Schüler wird 1997 in den Süden Thüringens hineingeboren. Zwanzig Jahre darauf lässt ein Praktikum beim Dresdner Kulturmagazin den Berufswunsch Journalist aufkeimen. Dem Blatt hält er bis zu seinem Umzug nach Berlin die Treue. In der Hauptstadt volontiert er von 2021 bis 2023 an der Axel Springer Akademie. Das Handwerk lehren ihn die Redaktionen des Musikexpress und Rolling Stone. Dort entwickelt er eine Vorliebe für das Textgenre Porträt – besonders verschlungene Biografien faszinieren ihn. Nebenher interviewt er für sein eigenes Online-Magazin „Gusto - Ablass für Massenkultur“ Persönlichkeiten aus verschiedenen Feldern der Popkultur. Seit seinem Abschluss schreibt er als freier Autor für das Feuilleton der Berliner Zeitung. Im Herzen trägt er mancherlei Erzählung seiner Großeltern und die Lieder des Peter Doherty.

Ein Mittwochnachmittag im <a href="https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/schillerkiez-kippt-die-lage-im-hipsterviertel-li.2351926">Schillerkiez</a>: Seiner Chansonnierszunft gemäß, hat sich Tristan Brusch in pechschwarze Kleider gehüllt. Schon für Jacques Brel war das Leben ein Vulkan, in dessen Abgrund man kopfüber stürzen musste, um nach dem Lavakessel irgendwann den Himmel zu sehen. Feuergluten loderten auch im Brustkorb seines in Tübingen aufgewachsenen Berliner Nachfahren: Tristan Brusch. Zumindest zeugt davon seine gerade vollendete Plattentrilogie: „Am Rest“ (2021) erzählte den Abschlussbogen einer Beziehung, „Am Wahn“ (2023) berichtete von ihren Bergeshöhen sowie Talgründen, „Am Anfang“ (2025) nähert sich nun den Quellen und Wurzeln von derlei Odysseen: Warum in Gottes Namen setzen wir unsere Füße ein ums andere Mal auf dieselben Dornenpfade?

Auf seinem neuen Album zeichnet er die Irrwege der Zerrissenen oder Zerreißenden – und doch geraten seine Lieder zu Gnadenakten der Liebe. Eine Porträtgeschichte über Tristan Brusch.

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Berliner Liedermacher Tristan Brusch: „Vor ein paar Jahren habe ich gemerkt, ich möchte glücklich sein“

B+ plus

Kultur

Musik

Berlin

Als wäre eine Königin gestorben, deren Antlitz auch in der Ewigkeit um keinen Preis vergessen werden darf, leuchten die Konturen von AnNa R. auf der Leinwand. Ihren Blick darauf zeichnet eine beinahe statuenhafte und vor allem posenlose Würde aus. Ein halbes Jahr nach ihrem gänzlich unerwarteten Tod sind an diesem Sonntagabend in der Berliner Columbiahalle Tausende zusammengeströmt, um sowohl dem Wesen als auch dem Werk der Sängerin zu gedenken. Zu Lebzeiten bezeichnete AnNa R. die Columbiahalle als zweites Wohnzimmer – etliche Tourneen fanden auf der Bühne zwischen Tempelhof und Kreuzberg einen Anfang oder ihr Ende.

Mit Silly, Santiano und Katja Ebstein feiern Tausende die Romantik der verstorbenen Musikerin. Es entsteht das Bild einer Punkdiva und Universalliebenden zwischen Hingabe und Schmerz.

Gedenken an Rosenstolz-Sängerin AnNa R.: Wir beten an die Macht der Liebe

Bezirke

Auf dem Wasser mit der größten Band dieses Landes: Zwischen Moscow Mule und Kartoffelsalat enthüllen Klaus Meine, Rudolf Schenker und Matthias Jabs das Geheimnis ihres Bestehens.

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Wind of Change: So war es mit den Scorpions auf dem Spree-Schiff

Naturgemäß schmeckt die Luft in größeren Mehrzweckhallen recht rasch schweißig bis stickig. An diesem Montagabend aber ist das anders. Bevor der größte aller weiblichen Popstars des Landes die Bühne betritt, schwebt ein synthetischer Parfümcocktail aus Himbeeren, Jasminblüten und Kokosnüssen durch die <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/uber-arena">Uber-Arena</a>&nbsp;in <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/friedrichshain-kreuzberg">Friedrichshain</a>. Keine Erscheinung ohne Ursache: Beinahe ausschließlich Mädchen haben sich hierorts versammelt. Nur einzelne Grundschulkinder sitzen auf den Schultern ihrer Väter und einige Teenager halten die Hände ihrer Freunde. Manche der jungen Frauen verhüllen ihre Haare mit Tüchern, allerlei verzieren sie mit Schleifen. Durch die Farbgebung der Gewänder würdigen sie ihre jeweilige Ayliva-Lieblingsplatte „Weisses Herz“ (2022), „Schwarzes Herz“ (2023) oder „In Liebe“ (2025) – so wünschte es sich Ayliva vor ihrer Tournee in einem Kurzvideo.

Keine Rose ohne Dornen: Für eine sehr junge Generation besingt der größte weibliche Popstar Deutschlands die mitunter zerstörerische Macht der Liebe. Am Ende aber steht Katharsis.

Ayliva in der Berliner Uber-Arena: Die Schmerzenslehre einer Prinzessin

Uber Arena

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Roland Kaiser in Berlin: Der große Schlagerstar findet deutliche Worte – nicht nur in seinen Songs

Roland Kaiser in Berlin: Ein Schlagerstar und Sozialdemokrat

Vor den Toren der Murellenschlucht streifen Charlottenburger Grandes Dames mit Golddrahtbrillen eine passioniert rotkäppchenschlürfende Fantraube aus Dresden. Am Gästelistenschalter verweist ein dem Kleidungsstil nach zu urteilen rappender Kunststudent auf sein fehlendes Adelsprädikat. Viele Häupter zieren neonpinke Dreizackkronen, einzelne Männer im mittleren Alter bauen auch im Ausgang auf ihre funktionale Handwerkermontur von Engelbert Strauss. Ost und West, Hauptstadt und Hinterland, Bürgertum und Arbeiterschaft, Großeltern und Enkelkinder, Konservative und Progressive: Der Sozialdemokrat Roland Kaiser vollbringt bereits vor Beginn seines Konzerts, wovon die allermeisten seiner Parteigenossen nur heißblütig träumen können. Er vermag dieses Land zu einen – so weit es einem Schlagersänger eben möglich ist.

Roland Kaiser hat eine Idee davon, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält: Wir, die Menschen, sollen uns verbinden. Mindestens an diesem Sonnabend zeigen sich Tausende Besucher unterschiedlichster Milieus fasziniert.

Manche Tage verändern den Fluss des Lebens derart brachial, dass selbst die Kinder noch in jener Strömung treiben. Auch in seiner Vergangenheit gebe es eine Geschichte, die ihn seit Jahren nicht mehr loslasse – so offenbarte es der Berliner Musiker Betterov vor einer Woche. Dabei sei er zum Zeitpunkt ihres Geschehens noch nicht einmal auf der Welt gewesen. <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/thueringen">Thüringen</a> im Juli 1989, Abendröte lag über der <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/ddr">DDR</a>: Gelegentlich schien die Zeit im Sommer einzufrieren – eine trügerische Empfindung wie die Ruhe zwischen Blitz und Donner. Zwar waren Abschied und Neubeginn aus heutiger Sicht längst angelegt, doch noch säumten keine Hunderttausenden die Straßen von Leipzig oder Berlin. Immer mehr aber nahmen Reißaus vor der untergehenden Republik. So auch Betterovs Vater. Genau 36 Jahre nach den Ereignissen verhandelt sein Sohn diese Fluchterzählung nun in zwei musikalischen Akten.

In zwei Akten erzählt der Berliner Musiker Betterov die Fluchtgeschichte seines Vaters aus der DDR. Sie hat ihn zu dem gemacht, der er heute ist.

Thüringen im Juli 1989: Von einem Vater, der die DDR und seine Familie zurückließ

Ostdeutschland

Ein amerikanischer Diner nahe des Monbijouparks: An einem blitzblauen Junimorgen nimmt Max Gruber Platz auf einer knallroten Kunstlederbank. Im Lautsprecher singt Skeeter Davis eine wunderschöne Country-Elegie vom Ende der Welt. „Kann man nur zufrieden sein, bevor einem die Schuppen von den Augen fallen? Kann man nur in der Verblendung glückselig sein?“, fragt Gruber. Seit Anbeginn seiner Karriere liebt er die Extreme wie der Kaiserpinguin das Packeis. Schon als Dreizehnjähriger musterte er in seinem Pfälzer Keller die Tabubruchmanöver von Marilyn Manson, Morrissey oder Hubert Kah. Im Zusammenspiel mit mancherlei Komplexen erschufen jene Internetstudien die Krawallkunstfigur <a href="https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/im-berliner-zoo-mit-drangsal-eine-exit-strategy-braucht-es-nicht-li.177760">Drangsal</a>. Zu Anfangstagen küsste er Jenny Elvers und schmähte Jennifer Rostock – jede dritte Geste ein Paukenschlag. „In der Beurteilung meiner Persona war der Graben zwischen Liebe und Hass schon immer sehr breit. Auch ich selbst befinde mehrschichtige Sachen für extrem kompliziert. Daran stoße ich mich wirklich ab“, sagt er heute.

Der Berliner Musiker Max Gruber alias Drangsal hat mit seiner Band eine Platte in einem Gehöft an der polnischen Grenze aufgenommen. Samt DDR-Drum-Machine. Ein Treffen.

Drangsal: „Für mich wurde der Bauernhof in Vorpommern zu einem Hort der Gesundung“

Je weiter sich die S-Bahn ihren Weg in den Westen bahnt, desto breiter strahlen die Menschen darin: Schlagerfans aus allen erdenklichen Winkeln des Landes erheben diesen Samstag zu einem in der Hauptstadt abgehaltenen Großfeiertag. Die Kennzeichen ihrer Passion: mit Pailletten besetzte Neonhüte als funkelnde Stilbilder ihrer heutigen Vergemeinschaftung – und nicht zuletzt ihrer Ekstase. Spätestens an der Zielstation Pichelsberg wird aus dem Ich ein Wir.

Kerstin Ott, Matthias Reim, Vicky Leandros: Die größten Schlagerstars des Landes lassen Tausende vor Freude taumeln – nur die Sonne entzieht manchen Gästen den Boden unter den Füßen.

Schlagernacht des Jahres in der Berliner Waldbühne: Tausend Tonnen Glück

„Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“ – Victor Hugo

Malakoff Kowalski hat eines der großen Alben dieses Frühlings gemacht: „Songs With Words“. Wir haben einen Abend mit ihm im Westin Grand, im Borchardt und auf der Torstraße verbracht.

Der Berliner Malakoff Kowalski haucht Ginsberg-Gedichte auf Klavier-Miniaturen: Wie ein Vampirkuss

Europa

Hamburg

Als Türsteher wurde Frank Künster zur Eminenz Berliner Nächte. Ein kolosshafter Mann, der die taumelnden Schönen und Schwärmer wie ein Lotse in einen Laden lenkte. Nun aber steht Künster der Kummer in den Augen – am Dienstagmorgen (6. Mai) ist seine Ende 2022 erst eröffnete Georgia Bar in Flammen aufgegangen, an einem Ruhetag.

Anfang der Woche stand die Bar der Szenegröße Frank Künster in Flammen. Polizei und Mitarbeiter schließen einen Brandanschlag nicht aus. Was denkt Künster selbst?

Ausgebrannte Georgia Bar in Mitte: Wurde der Szeneladen vorsätzlich angezündet?

Mittwochabend, Wilmersdorf: Wer den <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/fasanenstrasse">Fasanenplatz</a> passiert, der erblickt eine Zeitkapsel. Schwarz schimmernde Fensterscheiben und ein golden-abgerundeter Türrahmen, über der Eingangspforte verlaufen geschwungene Lüftungsrohre – der Rum Trader gleicht einem Raumschiff im Orbit der West-Berliner Nacht. Ein Klingeln an der Tür, Herr Gattinger öffnet. Antlitz und Anzug nach zu urteilen, könnte er vor hundert Jahren als Gesandter im Auswärtigen Dienst walten. Auch sein Wesen vereint Diplomatengeschicke, so sachlich, wohlmeinend und couragiert begegnet er den Gästen. Im Inneren spielt man Swing, Duke Ellington vielleicht.

Die älteste Rum-Bar Berlins ist eine charmante Zeitkapsel, so exklusiv wie wundersam. Zu Besuch auf einen oder zwei Drinks im Rum Trader am feinen Fasanenplatz in Wilmersdorf.

Die Bar „Rum Trader“ in Wilmersdorf: Ein Raumschiff im Orbit der West-Berliner Nacht

Zu Beginn eine Reise durch die Zeit, grob zwei Dekaden in die Vergangenheit: Auf die Leinwand werden George W. Bush und die einstürzenden Zwillingstürme projiziert. Der Kopfstoß des Zinédine Zidane gegen Marco Materazzi im WM-Finale von Berlin. Mitte der Nullerjahre veröffentlichte James Blunt sein viel geliebtes und heiß gehasstes Debütalbum – daher rührt auch jene „Back to Bedlam“-Geburtstagstournee, die Blunt am Donnerstagabend, dem 27. Februar 2025, nach Berlin führt: Es schlägt die Stunde des zwanzigsten Wiegenfestes für dieses softrockige Reizgeschöpf.

Seit zwanzig Jahren mimt James Blunt den Schnulzensänger – wäre er doch nur Kriegsheld geblieben. Verriss eines Konzertabends.

James Blunt in der Berliner Uber Arena: Das Entenküken von Ibiza

Berlin-<a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/friedrichshain-kreuzberg">Kreuzberg</a>, ein Büro nicht weit entfernt vom Schlesischen Tor: Wir treffen uns für ein Gespräch über die nunmehr 14.&nbsp;<a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/tocotronic">Tocotronic</a>-Platte „Golden Years“. Den Schlagzeuger Arne Zank umgibt etwas wundersam Spleeniges. Der Sänger Dirk von Lowtzow trägt einen schwarzen Wollpullover. Die Löcher darin und auch die Zartheit seiner Aura verleihen seinem Wesen eine kindliche Verspieltheit. Der Bassist Jan Müller hat sich in schönen Worten wegen Vaterverpflichtungen entschuldigt. Nach einer kleinen Plauderei über zerschellte und geklebte Brillen geht es ans Eingemachte.

Die Protagonisten der neuen Tocotronic-Platte zieht es aus Berlin raus in die Transitzonen zwischen Leben und Tod. Was hat sie dorthin geführt? Und können Faschisten an Küssen sterben?

Berliner Band Tocotronic im Interview: „Diese Stadt schafft sich ein Stück weit ab“

Politik

Aus größeren Stoffen kann die Geschichte einer Band nicht gestrickt werden als die Saga der Libertines: Anfang der Nullerjahre zählten <a href="https://www.berliner-zeitung.de/wochenende/ist-pete-doherty-wirklich-zu-dick-und-was-ist-mit-bidens-hund-eigentlich-los-li.150248">Pete Doherty</a> und Carl Barât zu den anmutigsten und nicht zuletzt glühendsten Verheißungen des Indie-Rocks. Dann kosteten ihnen ihre Träume beinahe das Leben. Über allem schwebte ein Bruderstreit biblischen Ausmaßes. Doch da stehen sie im Jahr 2025, am Mittwoch, dem 5. Februar: leibhaftig und vereint, an einem Winterabend in der Berliner Columbiahalle. Doherty trägt einen Hut auf dem Haupt, Barât eine Schiebermütze über der Stirn. Bassist John Hassall hat sich eine Krawatte um den Kragen gebunden – lammfromm wirkt er und scheu. Die britischen Lads stecken in ihren Vierzigern, ihre äußere Schale formen schwarzgraue Anzüge. Nur der funkenstiebende Gary Powell greift auf einen dem Schlagzeugspiel gemäßen Trainingsanzug zurück.

Es kommt einem Wunder gleich, dass Pete Doherty und Carl Barât sich im Diesseits der Gegenwart eine Bühne teilen. Sie scheinen gebändigt, aber endlich angekommen. So war ihr Konzert in Berlin.

The Libertines um Pete Doherty in der Columbiahalle: So war das Berlin-Konzert

Wohnen

Sollte sie ihr Wort tatsächlich halten, betritt <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/vicky-leandros">Vicky Leandros</a> an diesem Dienstagabend zum allerletzten Mal einen Berliner Konzertboden. Bereits drei Minuten vorher hat sich die Band auf der Bühne breitgemacht und als Apéritif-Ouvertüre ganz kurz ihre größten Stücke anklingen lassen. Danach schreitet Leandros selbst ins Rampenlicht: die Garderobe glänzt, ein Lächeln. Noch bevor auch nur ein einziger Ton ihren Mund verlassen hat, erhebt sich das Publikum von seinen Sitzen. Es erweist Ehre, wem Ehre gebührt.

Unter Tränen blickt Vicky Leandros auf das Leben und ihre Lieder zurück. Zwischen Schlager und Chanson, zwischen Geliebtsein und Freiheit funkelt sie ein letztes Mal in Berlin.

Vicky Leandros’ letztes Berlin-Konzert: Tränen und Abschiedszauber im Tempodrom

Die Gitarrenband des Jahres betritt ihre Spielfläche hinter einem Vorhang. In grünen Umrissen werden die Schatten der Leiber auf das Weiß der Gardine projiziert, als ein orakelhafter Basslauf einsetzt. Pathos, Romantik und Opulenz lauten fortan die Blümlein auf dem Bühnenboden – sobald sie gedeihen, werden sie wieder zertrampelt und frisch gesät. Wüchsen hier tatsächlich Pflanzen, leuchteten ihre Blätter neongrün und die Blüten in panischen Pinktönen. „Maybe romance is a place for me and you“, lässt Grian Chatten <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/uber-arena">die Arena</a> in der Ouvertüre hoffen.

Die Rockband der Stunde hortet eine im innersten Kern zerbrochene Schönheit. Ihr Sänger gleicht einem schmachtenden Parkpöbler. Über einen hochromantischen Abend in Friedrichshain.

Fontaines D.C. in der Berliner Uber Eats Music Hall: Romantik und Panikattacken im Irish Pub

Helge Schneider im Berliner Tempodrom: Er hält nichts von linken Diskursen um kulturelle Aneignung

Helge Schneider im Berliner Tempodrom: Menschenfressende Piranhas und Anakondas

<a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/helge-schneider">Helge Schneider</a> hat kürzlich eine Geschichte erzählt: An der Seite seiner damaligen Lehrerin habe er vor Hunderten Menschen ein vierhändiges Klavierstück von Mozart dargeboten. Wegen musikalischer Differenzen in Sachen Tempi hörte der siebenjährige Junge mittendrin einfach auf und zog von dannen. Jenen Abbruch feiert er als ersten Erfolg seiner Laufbahn. Bis heute taugt ihm die Kunst zur Emanzipation – und seine Freiheit als Identitätsanker. Am Freitagabend betritt Helge Schneider das Berliner&nbsp;<a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/tempodrom">Tempodrom</a>, wie es sich für einen Schelm gehört: Mit gestelztem Buckel und im Watschelgang. Während noch einige Gäste nach ihren Plätzen spähen, dirigiert der Protagonist seine Band im gemächlichen Loungetakt. Das humorbegierige Publikum begrüßt er mit den grottendoofen und gleichwohl urkomischen Worten: „Guten Abend. Das war’s für heute. Tschüss.“ Schon nimmt die zweieinhalbstündige Jazzburleske ihren Lauf. Es ist der erste von zwei „Katzeklo auf Rädern“-Abenden in Folge im Berliner Tempodrom.

„Katzeklo auf Rädern“: Im Konzert würdigt und verballhornt Schneider den Jazz zu gleichen Teilen. Seine Bravourstücke aus Schmarrn erfüllen das Publikum mit freiheitlicher Freude.

Manchmal, wenn man nicht mehr weiter weiß, kann es helfen, sich in Menschenmeeren zu ertränken. Auf einigen dieser Tauchgänge findet man Klarheit und an den freundlichsten Tagen sogar ein Lächeln. Häufig trägt man eine Geschichte im Gepäck nach Hause. So geht es auch Tobias Bamborschke. Gleich einem Flaneur lässt sich der Sänger auf ziellosen Streifzügen stundenlang durch Berlin treiben. Ihn entlastet das Gefühl, inmitten einer anonymen Masse unsichtbar zu werden. Am Tisch eines <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/friedrichshain-kreuzberg">Kreuzberger</a> Asiaten sagt er: „Dem setze ich mich immer wieder bewusst aus: Du kannst wie ein Engel durch die Stadt schlüpfen und keiner sieht dich. Super erdrückend finde ich das, aber gleichzeitig total berauschend und befreiend – allein in diesem Wust an Fischen. Dann kann ich atmen.“ Nach ebenjenem Gemütszustand hat er seine Band benannt: Isolation Berlin. Bis dahin war es ein langer Weg. Als Tobias Bamborschke zu Beginn des Jahrtausends samt seinen Eltern von <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/koeln">Köln</a> in die Hauptstadt übersiedelt, kennt er einige Orte bereits. In den Erinnerungen trägt er die dunklen Zehlendorfer Wälder sowie von Efeu berankten Häuser. Einen geschlängelten <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/kurfuerstendamm">Kurfürstendamm</a>. Der Junge begegnet Berlin mit vorfreudigen Augen und offenen Armen. Zu greifen bekommt er kalte Schultern. Sein Gymnasium in <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/reinickendorf">Reinickendorf</a> wird ihm binnen kürzester Zeit zum Hort der Torturen. Schon in der ersten Schulwoche zwingen Klassenkameraden den Neuling bekleidet unter die Dusche der Turnhalle.

Schon der Name dieser Band spricht vom Stolz zweier Ausgeschlossener: Isolation Berlin. Ihre neue Platte heißt  „Electronic Babies“.

Die Band Isolation Berlin besingt Berlin: Wie es weint und wie es lacht

Reinickendorf

Köln

Dieser Freitagnachmittag scheint einem Bilderbuch entsprungen: Der blaue Himmel wird von kleinen Wolkenstreifen verziert und die Hitze durch fortwährende Windstöße erträglich gemacht. Unter den 45.000 Gästen auf dem <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/tempelhofer-feld">Tempelhofer Feld</a> sind verschiedenste Klientelen auszumachen: Einige von ihnen bewältigen ihre Hausaufgaben womöglich noch in Druckbuchstaben und erwarten an den Händen der Eltern das erste Konzert ihres Lebens. So mancher Altpunk hingegen hat sich die Haare nach klassischer Kämmart zu einem Irokesenschnitt geformt – Tartanhose, Tätowierungen und Trinkfreude sind seit jeher die Kennzeichen ihres Revoluzzertums. Insgesamt drei Vorhänge fallen, bevor der Grund dieser kunterbunten und herzerwärmenden Zusammenkünfte sichtbar wird: Bela, Farin, Rod.

Seit jeher tragen Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo González einen Schalk in ihren Nacken. Vor allem aber ist ihr Konzert auf dem Tempelhofer Feld ein Brandgesang gegen den Faschismus.

Die Ärzte gegen AfD bei Konzert auf Tempelhofer Feld: „Es gibt dunkle Mächte in diesem Land“

Ostdeutsche Bürgermeister

Manche sehen in ihm einen Softpornografen. Als am Freitagabend der goldene Vorhang vor der Berliner <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/waldbuehne">Waldbühne</a> aber fällt, blickt dort ein Staatsmann drein: Des Kaisers Körper verhüllt ein grauer Dreiteiler, wie ihn auch sein Freund Frank-Walter Steinmeier gerne über der Haut trägt. Manschettenknöpfe zieren das Hemd – und ein Glanz die Oxfordschuhe. Wahrscheinlich finden seine im Großteil weiblichen Anhängerinnen gerade in dieser Kluft den Charme: Da singt jemand völlig unverblümt von der Fleischeslust und wirkt dabei nicht einmal im Geringsten vulgär. Mit ungläubigen wie dankbaren Worten begrüßt <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/roland-kaiser">Roland Kaiser</a> seine Gemeinde. Fünfzig Lieder aus einem halben Jahrhundert füllen die nächsten drei Stunden; die Fans beseelen dabei alte Aufnahmen der „ZDF-Hitparade“ mit Erinnerungen an gemeinsame Tage. „Ich glaub es geht schon wieder los“ lautet der erste Gassenhauer des Abends. Kaiser selbst hält wenig von Tänzeleien, Körperlichkeit versprühen vor allem die Bläser: Ihre Oberarme scheinen dem Platzen nahe, die Hüften kreisen in unzüchtigen Bewegungen.

Seit einem halben Jahrhundert beschwört Roland Kaiser den Eros – so auch an diesem Abend in der Berliner Waldbühne. Die Konzert-Kritik.

Roland Kaiser in der Berliner Waldbühne: Spiel mir das Lied von der Liebe zu dritt

Frank Walter Steinmeier

Seit einer Dekade prägen Drangsal und Stella Sommer die Berliner Indie-Szene. Als Mausis purzeln sie nun in Duett-Gefilde. Ein Gespräch über Romantik in Berlin.

Berliner Band Die Mausis im Interview: In Berlin wird einem so viel auf dem Silbertablett serviert

Neukölln

Kino & Streaming

Wedding

Gesundheit & Wohlbefinden

Clueso in der Berliner Waldbühne: Lass mich dein Lächeln sehen

Clueso-Konzert in der Berliner Waldbühne: Der erfolgreichste ostdeutsche Popsänger der Gegenwart

Als Kind konnte Thomas Hübner einfach nicht still sitzen. Wegen einer nie enden wollenden Unruhe schickte man den zwölfjährigen Jungen in eine Nervenklinik. Einige Wochen lang inspizierten <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/ddr">DDR</a>-Ärzte seinen Körper und Geist.

Ohne Rücksicht auf Verluste besäuft sich dieser Konzertabend in der Waldbühne am Glück. Schlussendlich bedankt sich Clueso für lebensverlängernde Momente.

Clueso-Konzert in der Berliner Waldbühne: Lass mich dein Lächeln sehen

Posen seien ein guter Schutz, hat <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/peter-maffay">Peter Maffay</a> einmal gesagt. Seit seinen Kindertagen in Rumänien trägt er stets ein Klappmesser bei sich. Weil Raben in bestimmten indianischen Mythologien Grenzgänger symbolisieren, hat er sich in den Neunzigern einen schwarzen Vogel auf den Oberarm stechen lassen. Jegliche Scheu vor dem breitbeinigen Klischee ist Maffay offenkundig fremd: Auf einer Harley-Davidson fährt der Musiker an diesem Donnerstagabend um 19 Uhr durch die Berliner <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/waldbuehne">Waldbühne</a>. Es ist das erste von zwei Berlin-Konzerten auf dieser Abschiedstournee: Am Dienstag, dem 9. Juli, steht ein weiteres an.

Seine letzte Tour zeigt: Peter Maffay möchte als Rocker, nicht als Schlagersänger in den Köpfen bleiben. Zu viele Gaststars überführen seinen Abschied stellenweise in eine zerfledderte Revue.

Peter Maffay in der Berliner Waldbühne: Ich möcht’ so gern ein Rocker sein

Samstagabend um 19.30 Uhr im Café Keese, Bismarckstraße 108, <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/charlottenburg-wilmersdorf">Charlottenburg</a>. Unter dem Firmensignet prangt am Schaufenster der altfranzösische Sinnspruch „Honi soit qui mal y pense“, zu deutsch: „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“. Links des Foyers verkauft Udo wie so oft Eintrittskarten für fünf Euro und Garderobenobhut für zwei Euro. Er trinkt Wasser aus einem mit der Aufschrift „0%“ versehenen Weizenbierglas.

Das Café Keese ist das letzte Tanzlokal seiner Art: Seit sechs Jahrzehnten wird hier geschwoft. Doch nun sieht sich die letzte Discofox-Bastion Berlins in ihrer Existenz bedroht.

Café Keese in Berlin-Charlottenburg: Partnerbörse, Lasterhöhle, Flirttelefone – alles bald zu Ende?

Stil

Marius Müller-Westernhagen singt seine Hits über Alkohol und Freiheit. Im Regen streift der Grandseigneur durch fünf Jahrzehnte seines Schaffens. Ein Konzert, das bleiben wird.

Martin Schüler