Nach mehr als 30 Jahren des „Tanzes“ zwischen den Ämtern des Ministerpräsidenten und des Präsidenten von Montenegro hat der konservative Sozialist Milo Đukanović in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen verloren. Es ist das offizielle und symbolische Ende der Herrschaft von Đukanović und seiner einst allmächtigen Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS).
Nach den verlorenen Parlamentswahlen am 30. August 2020 war Đukanović als Staatspräsident der letzte Strohhalm für seine Partei und ein Versuch, den Prozess des politischen Wandels zu beeinflussen. Doch so sehr die Leute um Đukanović auch hofften, dass seine jahrzehntelange politische und staatsmännische Erfahrung und vor allem sein „Charisma“ die Wähler dazu bewegen würden, dem müden Führer noch einmal eine Chance zu geben, so sehr haben sie sich verkalkuliert. Der junge Jakov Milatović (1986 geboren), das neue Gesicht der Politik in Montenegro, errang einen überzeugenden Sieg. Nach noch inoffiziellen Schätzungen erhielt Milatović rund 60 Prozent der Stimmen, Đukanović rund 40 Prozent.
Attacken bei einer Fernsehdebatte
Die Präsidentschaftswahlen in Montenegro waren eine Art Auftakt zum Vorwahlkampf für die im Juni dieses Jahres anstehenden Parlamentswahlen. Die Anhänger des Sozialisten Đukanović hofften, dass mit seinem Sieg die DPS gestärkt und auf die politische Bühne zurückkehren könnte. Auf der anderen Seite wussten die Anhänger der prowestlichen Bewegung „Europa jetzt“, deren Vertreter Milatović ist, dass sie mit einem Wahlsieg den ohnehin schon großen Zuwachs an Popularität unter den montenegrinischen Bürgern weiter steigern könnten. Zwei Tage vor der Wahl trafen Đukanović und Milatović in einer Fernsehdebatte in einem nationalen Fernsehsender aufeinander. Die Debatte war nicht übermäßig interessant, aber die Situation und die beiden unterschiedlichen Welten, die die Teilnehmer repräsentierten, waren durchaus interessant zu beobachten und symptomatisch für die Stimmung im Land.

Amtsinhaber Đukanović versuchte, überzeugend zu klingen. Er erinnerte die Bürger an die positiven Schritte seiner Regierungen, die Verhinderung von kriegerischen Konflikten auf dem Gebiet Montenegros, die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Montenegros und die Aufnahme des Landes in die Nato. Seinem Rivalen, dem jungen und unerfahrenen Politiker Milatović, warf er vor, er stehe unter dem Einfluss der serbisch-orthodoxen Kirche und des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und wolle unter dem Deckmantel des Wirtschaftspopulismus in Wirklichkeit die montenegrinische Staatlichkeit infrage stellen und das Land unter den Einfluss Serbiens und über Serbien unter den Einfluss Moskaus bringen.
Đukanovićs deutliche Niederlage
Andererseits erinnerte Milatović während des Wahlkampfs ständig daran, dass die montenegrinische Gesellschaft unter Đukanovićs Regierungen korrupt war, dass die Politik von Vetternwirtschaft beherrscht wurde und dass die „einfachen Bürger“ keinen wirtschaftlichen Fortschritt spürten, während die Elite seit Jahrzehnten immer reicher wird. Um die Sache noch interessanter zu machen, bezeichnete Amtsinhaber Đukanović den jungen Herausforderer Milatovic während der letzten Debatte als „überholten Politiker“ und spielte damit eindeutig auf dieselben Worte an, mit denen Đukanović Slobodan Milošević öffentlich charakterisierte, als er 1997 beschloss, ihm den Rücken zu kehren und damit zum Liebling des Westens zu werden.
Zwei Nächte nach der Debatte, nachdem die ersten Stimmen ausgezählt waren, war klar, dass Đukanović deutlich verlieren würde. Kurz nach 22 Uhr erschien Đukanović selbst auf einer Pressekonferenz und gab seine Niederlage zu, gratulierte Milatović zu seinem Sieg und wünschte ihm, ein guter Präsident aller Bürger Montenegros zu sein.
Đukanović wechselte vielfach seine Haltungen
Đukanovićs Anhänger waren für einen kleinen, primitiven Zwischenfall bei der Pressekonferenz verantwortlich. Als ein Journalist des Fernsehsenders Vijesti versuchte, Đukanović eine Frage zu stellen, brach der Saal in Lärm aus, gefolgt von dem Singen von Liedern zur Unterstützung von Đukanović. Nachdem der Journalist versucht hatte, die Frage ein weiteres Mal zu stellen, wiederholte sich die Situation. Daraufhin bat Đukanović seine Anhänger schüchtern, den Journalisten zu gestatten, Fragen zu stellen. Aber da die Gesänge und Rufe auch nach dem nächsten Versuch nicht aufhörten, beschloss Đukanović, die Bühne zu verlassen, ohne den Medien eine Antwort zu geben.
Das ist ein ziemlich erbärmliches Ende für einen ehemaligen Staatsmann. In seiner politischen Biografie, die länger dauerte als die von Lukaschenko, wechselte Đukanović alle „Farben“: Er begann als junger Kommunist, um sich dann in einen serbischen Nationalisten zu verwandeln, der den Krieg in den frühen 1990er-Jahren unterstützte. Dann wandte er 1997 Milošević den Rücken zu und wandte sich abrupt der Idee eines unabhängigen Montenegro zu, das am Ende in die Nato aufgenommen wurde. Bei allen Veränderungen bewies er politische Überlebens- und Anpassungsfähigkeit, und schließlich beendete er seine politische Karriere, indem er mithilfe seiner grölenden Anhänger von einer Pressekonferenz „weglief“.
Mit hohen Staatsausgaben wird den Bürgern geholfen
In den ersten Tagen nach der Wahl wird in Montenegro viel darüber gesprochen, was den neuen Präsidenten Milatović und seine Partei „Europa jetzt“ erwartet, die sich auf die Parlamentswahlen am 11. Juni vorbereitet. Dieser Wahlkampf wird für sie interessant sein, denn zum Zeitpunkt der Wahlen wird Milatovićs Partei noch nicht einmal ein Jahr alt sein, da sie erst vor neun Monaten gegründet wurde. Außerdem war Milatovićs Partei nicht Teil der Mehrheit, die Đukanovićs DPS bei den vergangenen Wahlen am 30. August 2020 besiegte. Das macht die Situation besonders interessant, denn die Bewegung „Europa jetzt“ hat in den nur sechs Monaten ihres Bestehens eine Mehrheit bei den Kommunalwahlen in der Hauptstadt errungen, den Staatspräsidenten „gestellt“ und ist potenziell die stärkste Partei bei den kommenden Parlamentswahlen.
Der Grund dafür ist in erster Linie die Tatsache, dass Jakov Milatović und Milojko Spajić, die Führer der Bewegung „Europa jetzt“, in der ersten Nach-Đukanović-Regierung im Jahr 2020 als Wirtschaftsminister den Lebensstandard der Bevölkerung durch drastische Gehaltserhöhungen und die Streichung der Beiträge für das Gesundheitswesen erhöht haben. Diese Maßnahmen waren der Grund für viele öffentliche Konflikte, da Milatović und Spajić vorgeworfen wurde, damit die öffentliche Gesundheitsversorgung zu zerstören.
Milo Đukanović gehört der Vergangenheit an
Die plötzliche Lohnerhöhung schien jedoch das Einzige zu sein, was die Bürgerinnen und Bürger hören wollten, denn dank ihr wurden Milatović und Spajić und damit ihre Bewegung „Europa jetzt“ zu den beliebtesten Politikern des Landes. Eine besondere Herausforderung für „Europa jetzt“ wird der Widerstand gegen die proserbischen Parteien sein, die sie im zweiten Wahlgang unterstützt haben, sowie gegen die serbisch-orthodoxe Kirche, mit deren Unterstützung die Regierung von Đukanović bei den Wahlen 2020 gestürzt wurde. Wenn Milatović nicht die Kraft hat, sich dem Einfluss derjenigen zu widersetzen, die für ihre Unterstützung nun etwas zurückhaben wollen, könnte Montenegro in eine weitere politische Krise und interne Konflikte der künftigen Regierungsmehrheit schlittern.

Eines ist sicher: Nach diesen Präsidentschaftswahlen wurden Milo Đukanović und seine Demokratische Partei der Sozialisten zur politischen Vergangenheit des Landes, das sie mehr als 30 Jahre lang regierten und zugleich dabei ein System schufen, das lange unbesiegbar schien.
Montenegros korruptes politisches System
Dieses System bestand hauptsächlich aus Parteianhängern, falschen „Patrioten“, die behaupteten, Đukanović sei der einzige Hüter der montenegrinischen Staatlichkeit, sowie aus vielen, deren Stimmen mit verschiedenen Dienstleistungen, Vorteilen und sogar direkt mit Geld „gekauft“ wurden. Ein solches System kann sich nicht schnell erholen, und es ist nicht überraschend, dass Montenegro nach dem Abgang von Đukanovićs Partei von der Macht im Jahr 2020 eine ganze Reihe katastrophaler Versuche unternahm, eine funktionierende Regierung zu bilden.
Alle diese Versuche sind gescheitert. Nun bleibt es dem neuen Präsidenten Montenegros und seiner Bewegung „Europa jetzt“ überlassen, das Vertrauen der Wähler zu gewinnen und zu beweisen, dass sie Montenegro endlich auf dem Weg in die Europäische Union voranbringen können, und all jene zu stoppen, die andere politische Pläne haben, für die sie nicht die Unterstützung der Bürger haben.
In den Erklärungen des neuen Präsidenten Milatović ist erst einmal die Richtung klar: Mitgliedschaft in der EU, gleiche Rechte für alle, Sozialpolitik, ein besserer Lebensstandard ... Jetzt muss er nur noch umsetzen, was er gesagt hat, ungestört von den politischen Strukturen, die ihr Handeln immer zuerst an nationalen Spannungen und erst dann an der Sozialpolitik ausgerichtet haben. Und ein solcher Kurswechsel wird viel politisches Geschick, Kraft und Mut erfordern, in einem Land, in dem Politik zu machen lange Zeit vor allem bedeutete, von der eigenen Position zu profitieren, egal auf welcher Seite der Herrschaft man war.
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