Der Aufwärmer bringt das Publikum im „Säälchen“ in der Holzmarktstraße auf Touren – Lachen, Klatschen, Kreischen und Johlen werden trainiert und aufgezeichnet. Die Stimmung ist gut – und doch ist sie eine besondere.
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Denn nicht wenige Gäste der Sendung „Nuhr im Ersten“ werden sich gefragt haben, ob und wie Gastgeber Dieter Nuhr auf die Angriffe von Jan Böhmermann reagiert. Der ZDF-Moderator, gerade erst wieder mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, hatte ihm vorige Woche eine Sondersendung „Nuhr im Zweiten“ gewidmet. Ein Parodist zeigte Nuhr mit absichtlich schlechten und schlichten Gags als reaktionären alten Mann, der die Welt nicht mehr versteht.
Manche Zeitungen feierten die Parodie als Geniestreich, andere bewerteten die Sendung als Eigentor von Böhmermann, die mehr über seine Ressentiments verrate als über die Angegriffenen. Christian Lück, Stammgast bei allen ARD-Satire-Shows seit dem legendären „Scheibenwischer“, ist sich sicher: „Diese Nummer spielt Dieter Nuhr in die Karten – der zeigt nämlich noch Kabarett mit Hirn und Geist!“
Betroffenheit dagegen beim Ehepaar Lüdecke, mit denen ich gesprochen habe – die beiden haben das Kabarett „Die Stachelschweine“ im Europa-Center mit viel Energie wiederbelebt. Carolin Lüdecke findet Böhmermanns Attacke respektlos, Frank Lüdecke, der wenige Minuten später als erster Gast von Dieter Nuhr auf die Bühne kommt, betont, er würde nie Kollegen parodieren: „Wer sind wir denn?“

Zustand der Bundeswehr
Auch Dieter Nuhr selbst zeigt auf der Bühne nicht, ob und wie ihn die Angriffe getroffen haben – und er erwähnt Böhmermann mit keinem einzigen Wort. „Wir beschäftigen uns mit den wirklich wichtigen Dingen der Woche – also nicht mit mir!“. So lautet sein lange bejubelter Einstiegssatz – und damit ist auch wirklich alles gesagt.
Wirklich wichtig ist für Dieter Nuhr nach wie vor der Krieg gegen die Ukraine und der Zustand der Bundeswehr. Er lästert darüber, dass deutsche Soldaten schnelles WLAN und veganes Essen vermissen, als sei die Truppe ein Co-Working-Space. Mit der Frage, ob Panzer ab 2035 noch mit Verbrennern fahren dürfen oder alle paar Kilometer an der Ladesäule halten müssen, ist Dieter Nuhr bei seinen Lieblingsthemen – dem vermeintlichen Wunschdenken der Klimabewegung, den Widersprüchen der Umweltpolitik und dem grünen Verbots-Spießertum.
Lieber etwas zweifeln
Das klare Scheitern des Berliner Volksentscheids gibt Dieter Nuhr gehörigen Rückenwind. Denn schon in vorigen Sendungen hatte er gefordert, doch zur Abwechslung mal der Mehrheit etwas mehr Respekt entgegen zu bringen. Nuhr ist quasi der Mann der 83 Prozent – so viele Berliner haben durch Fernbleiben oder Nein-Stimmen die Forderungen der Klimaaktivisten abgelehnt.
Hart geht Nuhr mit den Abwertungen dieser Mehrheit als „Kritiker und Nörgler“ durch Luisa Neubauer ins Gericht, wirkt nicht wie ein Satiriker, sondern erklärt wie ein Sozialkunde-Lehrer die Grundregeln der Demokratie: „Diese Kritiker und Nörgler (also ihn?) nennt man Wähler!“ Den Spott behält er sich für den abgelehnten Gesetzesentwurf vor: „Zum ersten Mal wäre in Deutschland ein Gesetz beschlossen worden, das rein physikalisch nicht einzuhalten ist. Zum ersten Mal hätten Bürger etwas einklagen können, dass etwas passieren soll, was nicht passieren kann – rechtsphilosophisch hochinteressant!“
Im Gegensatz zu den selbst ernannten Klimarettern fehle ihm aber die Sicherheit der letzten Erkenntnis. Für seinen Satz „Je mehr man weiß, umso mehr weiß man, was man nicht weiß“ bekommt er langen Applaus.
Über den Krieg und kulturelle Aneignung
Die Gäste seiner vorerst letzten ARD-Sendung vor der Frühlingspause spielen in der ersten Kabarett-Liga Deutschlands. Frank Lüdecke bringt gewohnt locker das Berliner Lokalkolorit ein, hat auf einer Fridays-For-Future-Demo das Plakat „Geschwister sind Klimakiller!“ entdeckt und beschreibt die typische Berliner Inklusion: Tausende missgelaunte Menschen sind in der Stadt untergekommen, im Gastgewerbe, bei BVG, in der Verwaltung.
Johann König unterhält mit unterhaltsamen Beobachtungen aus der Nachbarschaft und fragt sich, ob sich Leute in SUVs schon auf den Krieg vorbereiten. Mathias Tretter dagegen fragt sich, ob es nicht auch eine Art „kulturelle Aneignung“ sei, wenn sich neuerdings ältere Damen im Zug darum streiten, ob Panzer oder Kampfjets der Ukraine mehr helfen würden.
Dieter Nuhr wirkt noch schärfer
Krönender Abschluss, schon wegen ihres extravaganten Kleids, war mal wieder Lisa Eckhart. Auch sie war von Jan Böhmermann in der Sendung „Nuhr im Zweiten“ parodiert worden – und zwar als schrille Figur mit einem ungebremsten Hang zu antisemitischen Witzen. Nun ist Lisa Eckhart tatsächlich schrill – aber auch ihr aktueller Auftritt drehte sich eher um die Absurditäten der katholischen Religion, diesmal um die „Fleisch-Weihe“ genannte Speisensegnung. Ihre Story, wie Schinken und Babys gesegnet und auch mal vertauscht werden, war eine typisch Eckhartsche Geschichte – mit der Schlusspointe: „Für einen Krustenbraten habe ich es doch ganz schön weit gebracht.“
Diese Selbstironie zeichnet im Übrigen alle Fünf auf der Bühne aus. Alle können sich auf komische Weise selbst infrage stellen – so etwas ist Jan Böhmermann und anderen völlig fremd. Seine Attacken auf Kollegen werden in der Szene noch weiter diskutiert werden, wenn auch nicht auf offener Bühne. Bei Dieter Nuhr haben die Angriffe offenbar dazu geführt, dass er noch schärfer und härter wirkt.
„Nuhr im Ersten“ kann in der ARD Mediathek gesehen werden.
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