Mobilität

Manja Schreiner entscheidet: Diese Straßen bekommen Radwege - und diese nicht

Die Senatsverkehrsverwaltung teilt mit, welche 17 Radverkehrsprojekte realisiert werden können. Fünf Vorhaben droht jedoch das Aus. Neuer Streit droht. 

Ein Bauarbeiter sprüht ein Radwegsymbol auf den Asphalt der Frankfurter Allee in Friedrichshain. Sie war eine der ersten Straßen, die 2020 mit einem Pop-up-Radweg versehen wurden.
Ein Bauarbeiter sprüht ein Radwegsymbol auf den Asphalt der Frankfurter Allee in Friedrichshain. Sie war eine der ersten Straßen, die 2020 mit einem Pop-up-Radweg versehen wurden.Andreas Klug/camcop media

Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Am Mittwoch gab es positive Nachrichten für die Radfahrer in Berlin - aber auch negative. Die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat entschieden, dass sechs Radverkehrsprojekte an Hauptstraßen verwirklicht werden können. Eine Sprecherin bestätigte zudem, dass elf Vorhaben an Nebenstraßen stattfinden können. Damit zeichnet sich während des heftigen Streits um die künftige Verkehrspolitik in Berlin zumindest in einigen Bereichen Entspannung ab. Anderswo dürfte der Zoff dagegen größer werden. Denn die Senatorin hat auch entschieden, dass fünf andere Radverkehrsprojekte an Hauptstraßen weiterhin geprüft werden. Damit droht Vorhaben wie den geplanten Radverkehrsstreifen in der Lichtenberger Siegfriedstraße und der Hauptstraße in Schöneberg das Aus, warnen Beteiligte.

Fast täglich demonstrieren Radfahrer in Berlin, und die Grünen, seit Ende April in der Opposition, nehmen die Chance zur Profilierung dankend wahr. Weil die Senatsverkehrsverwaltung auf Geheiß von Manja Schreiner den Großteil der Radverkehrsprojekte angehalten hat, sieht sie sich heftiger Kritik ausgesetzt. Dass nach einem Regierungswechsel der Kurs überprüft wird, sei normal und zu akzeptieren, sagte Clara Herrmann, Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, am Mittwoch. „Dass jedoch in bereits beschlossene, laufende Maßnahmen eingegriffen wird, ist ein einmaliger Vorgang“, erklärte die Grünen-Politikerin.

Wie berichtet, hat die Senatsverwaltung den Bezirksämter mit Datum vom 20. Juni mitgeteilt, dass ein großer Teil der Radverkehrsprojekte überprüft wird. Solange seien alle Finanzierungs- und Mittelzusagen außer Kraft. Dies habe in den Bezirken „heilloses Chaos“ angerichtet, klagte Clara Herrmann. In keinem anderen Politikbereich habe es nach der Wahl einen solchen Eingriff gegeben. Jetzt sei ungewiss, ob Projekte rechtzeitig abgeschlossen werden können, um Fördergelder des Bundes zu erhalten, sagte Almut Neumann, Bezirksstadträtin in Mitte. Der Radfahrstreifen in der Beusselstraße wird zu drei Viertel vom Bund finanziert – aber nur, wenn er bis 15. Dezember fertig wird

Sechs Radverkehrsprojekte auf Hauptstraßen dürfen nun gebaut werden

Am Mittwoch teilte die Senatsverwaltung nun mit, dass die Prüfung für elf Projekte auf Hauptverkehrsstraßen abgeschlossen sei. Sechs Vorhaben dürften verwirklicht werden, hieß es. Dazu zählen die geplanten Radverkehrsanlagen auf der so genannten Opernroute (Charlottenburg-Wilmersdorf) sowie auf der Michaelbrücke und auf der Scharnweberstraße, die sich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg befindet. Grünes Licht gab Schreiner auch für die Umgestaltung des Straßenzugs Schlesische Straße/Köpenicker Straße in Kreuzberg. Dasselbe gilt für die Radverkehrsanlagen in der Scheffelstraße in Lichtenberg sowie für die Gülzower Straße im Bezirk Marzahn-Hellersdorf.

„Nun können wir wie versprochen liefern“, sagte Manja Schreiner. „Nicht verkehrspolitische Ideologie hat zu den Entscheidungen geführt, sondern allein die Verträglichkeit für alle Verkehrsteilnehmer. Über allem und an erster Stelle steht für mich die Verkehrssicherheit. Die Berliner Straßen gehören Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern gleichermaßen. Schon jetzt steht fest, dass wir mehr Fahrradwege bauen werden als die Vorgängerregierung“, so die Senatorin.

Bundesprogramm für Radwege endet in diesem Jahr - Zukunft ungewisss

Die Senatsverwaltung teilte aber auch mit, dass fünf Radverkehrsprojekte auf Hauptstraßen weiterhin bleiben. Dazu zählt das seit Jahren debattierte Projekt, in der Siegfriedstraße in Lichtenberg Radfahrstreifen anzulegen. Auf der Negativliste stehen auch die Sonnenallee sowie die Stubenrauchstraße in Neukölln. In Tempelhof-Schöneberg bleiben die Projekte in der Hauptstraße, in der Berliner und Grunewaldstraße zurückgestellt. Für alle genannten Vorhaben werde vertiefend geprüft, wie sie sich auf andere Verkehrsarten auswirken – etwa auf den Auto- und öffentlichen Verkehr.

Damit droht diesen Vorhaben das Ende. Bezirkspolitikerinnen warnten am Mittwoch erneut davor, dass der Bau bald beginnen müsste. Nur wenn er bis zum 15. Dezember abgeschlossen werden kann, würden die Fördergelder in Höhe von drei Vierteln der Baukosten fließen, die der Bund für einige Vorhaben zugesagt habe, bekräftigte Almut Neumann, Bezirksstadträtin in Mitte. Auch der geplanten Radfahrstreifen in der Beusselstraße soll größtenteils vom Bund finanziert werden, so die Grünen-Politikerin. Wenn er 2023 nicht gebaut wird, dürfte das Projekt gestorben sein. Das Förderprogramm des Bundes endet in diesem Jahr, und es ist ungewiss, ob es einen Nachfolger erhält. 

Die geplanten Radfahrstreifen in der Hauptstraße sollen ebenfalls größtenteils vom Bund finanziert werden - 750.000 Euro sind eingeplant. Saskia Ellenbeck, die zuständige Bezirksstadträtin in Tempelhof-Schöneberg, zeigte sich bestürzt über die Entscheidung der Senatsverwaltung. „Damit werden detaillierte Abstimmungen zwischen allen Beteiligten nach einem langwierigen und umfangreichen Planungsprozess zunichtegemacht“, kritisierte die Grünen-Politikerin. Demokratisch gefasste Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung sowie des Kinder- und Jugendparlaments würden ignoriert. Der Stopp bedeute, dass 1,5 Millionen Euro Fördergeld verloren gehen. Das könne sich Berlin nicht leisten - angesichts knapper Haushalte und der Tatsache, dass die Verkehrssicherheit vielerorts mangelhaft ist.

Auch für Radverkehrsprojekte in Nebenstraßen hat der Senat den Geldhahn zugedreht. Das blockierte auch das Vorhaben, die Stallschreiberstraße in Kreuzberg umzugestalten und als Fahrradstraße auszuschildern. Es geht nicht nur um Radfahrer: Rettungskräfte klagen darüber, dass sie zwischen den geparkten Autos mit ihren Einsatzfahrzeugen nicht durchkommen. Die vorgesehenen Maßnahmen würden dieses Problem lindern.

Doch nun darf der Bezirk dieses Projekt verwirklichen. „Am Dienstagnachmittag traf bei uns eine Mail der Senatsverwaltung ein, mit der die Aussetzung der Mittelzusage für die Stallschreiberstraße aufgehoben wird“, berichtete Bezirksbürgermeisterin Herrmann. „Bei dieser Maßnahme besteht kein weiterer Überprüfungsbedarf“, sie könne weitergeführt werden, so die Haushaltsabteilung der Verwaltung in dem Schreiben. 

Happy End für die Handjerystraße in Friedenau

Für weitere zehn Radverkehrsprojekte im Berliner Nebenstraßennetz gab es ebenfalls  die Zustimmung des Senats. Dazu zählen die geplanten Anlagen in der Neumannstraße und der Behmstraße in Pankow. Auf der am Mittwoch veröffentlichten Liste stehen auch die Projekte in der Weserstraße in Neukölln sowie in der Rönnestraße und in der Prinzregentenstraße im Bezirk  Charlottenburg-Wilmersdorf. Auch die Fahrradstraße in der Handjerystraße in Friedenau, über die seit Langem diskutiert wird, ist dabei. Sie soll wie vorgesehen von der Varziner Straße im Norden bis zur Bundesallee im Süden führen.

Während des Hoffests des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) am Dienstag habe Senatorin Schreiner mit ihr und anderen Bezirkspolitikerinnen gesprochen, berichtete Stadträtin Neumann. „Dabei teilte sie uns mit, dass alle Radverkehrsprojekte in Nebenstraßen freigegeben werden.“ Sie wertete dies als Zeichen dafür, dass sich Schreiner um Entspannung bemühe. In diesem Bereich könnte es auch gar keine andere Lösung des Konflikts geben, so die Juristin. Denn das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz sieht vor, dass die Bezirke für die Nebenstraßen zuständig sind.

Können Bezirke das Land Berlin verklagen?

Rechtlich problematisch sei das bisherige und weitere Vorgehen des Senats auch aus einem anderen Grund, sagte Rolfdieter Bohm, Leiter des Rechtsamts Friedrichshain-Kreuzberg, am Mittwoch. Er hat die temporäre Aufhebung der Finanzierungs- und Mittelzusagen überprüft. „Die Landeshaushaltsordnung kennt verschiedene Instrumente, doch eine solche Maßnahme sieht sie nicht vor“, fasste er zusammen.

Auch diese Maßnahme erbost Radfahrer und ihre Lobby: In der Ollenhauerstraße in Reinickendorf ließ das Bezirksamt einen gerade fertiggestellten Radfahrstreifen, der 280.000 Euro kostete, ungültig machen. 
Auch diese Maßnahme erbost Radfahrer und ihre Lobby: In der Ollenhauerstraße in Reinickendorf ließ das Bezirksamt einen gerade fertiggestellten Radfahrstreifen, der 280.000 Euro kostete, ungültig machen. Kai Bartosch

Die Senatsverwaltung sei wie alle staatliche Gewalt in Deutschland an Recht und Gesetz gebunden, führte Bohm weiter aus. Sie müsse sich an das Haushaltsgesetz halten, mit dem der Landesetat festgestellt wurde, der wiederum exakt beschriebene Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs umfasst. „Die Bereitstellung von Mitteln stellt einen Auftrag dar, diese Mittel auch auszugeben“, so der Amtsleiter. „Die Verwaltung muss sich daran halten.“ Allerdings sei es nicht möglich, dass Bezirke gegen den Senat vor Gericht ziehen. Das Land würde das Land verklagen – das wäre nicht möglich.

Im Juli und August möchte der Rat der Bürgermeister über die Verkehrspolitik sprechen. Die Bezirkspolitiker wünschen sich, dass Senatorin Schreiner an den Sitzungen teilnimmt. Dass sich die CDU-Politikerin darum bemüht, die Debatte zu entspannen, ist bei einigen von ihnen angekommen. Beobachter berichten, dass die Senatorin ursprünglich nur die ab 2024 vorgesehenen Radverkehrsprojekte überprüfen wollte. Die für dieses Jahr geplanten Vorhaben sollten noch wie bisher vorgesehen umgesetzt werden. Doch Schreiner sieht sich Forderungen aus der CDU ausgesetzt, sich deutlich für die Interessen von Autofahrern einzusetzen. Auch für Kai Wegner ist das ein Ziel.

Senat prüft Radverkehrsprojekt in der Tempelhofer Boelckestraße

Unterdessen wurde ein weiteres Berliner Radverkehrsprojekt bekannt, für das offenbar Änderungen erwogen werden. Es geht um die Boelckestraße in Tempelhof, die auf einer Länge von 1,4 Kilometern auf beiden Seiten zwei Meter breite geschützte Radfahrstreifen bekommen soll. Auch Zebrastreifen sind vorgesehen. Doch auch diese Planung der GB Infravelo steht nun infrage. Nach Informationen der Berliner Zeitung soll die neue Mobilitäts-Staatssekretärin Claudia Elif Stutz (CDU) während der jüngsten Sitzung des Fahr-Rats angekündigt haben, dass auch dieses Vorhaben überprüft wird. Hauptgrund sei, weil für die vorgesehenen Radfahrstreifen zahlreiche Autostellplätze wegfallen sollen.

Eine Sprecherin der Senatsverkehrsverwaltung bestätigte die Information. „Das Projekt Boelckestraße wird aktuell überprüft“, sagte sie am Donnerstag der Berliner Zeitung. „Erst im Anschluss können wir hierzu weitere Informationen geben.“

Firma ist beauftragt – noch in diesem Monat soll der Bau beginnen

Bezirksstadträtin Saskia Ellenbeck teilte auf Anfrage mit, dass für den nördlichen Abschnitt das Thema Parken noch einmal geprüft wird. Die Grünen-Politikerin aus Tempelhof-Schöneberg geht aber davon aus, dass das Projekt in der Boelckestraße verwirklicht werden kann. „Der Radfahrstreifen ist bereits beauftragt und fällt damit nicht unter den Stopp“, teilte die Grünen-Politikerin mit. Eine Baufirma sei bereits vertraglich gebunden worden, der Baubeginn sei noch für diesen Juli geplant.

Währenddessen sind weitere Protestaktionen in Sicht. Das Bündnis Changing Cities kündigte für den kommenden Montag eine weitere Fahrrad-Demonstration an – diesmal in Marzahn-Hellersdorf. Start ist um 8.15 Uhr am Eastgate am S-Bahnhof Marzahn. „Auch in den Berliner Außenbezirken leben Menschen, die sicher Rad fahren wollen, die sich wünschen, dass ihre Kinder sicher zur Schule gehen oder radeln können, die den Pendlerverkehr verfluchen, weil er die Luft verschmutzt, die Straßen unsicherer macht und alles verstopft“, sagte Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Man muss schon energisch oder lebensmüde sein, in Marzahn Rad zu fahren

Radfahrende in Marzahn-Hellersdorf leben gefährlich, berichtete Stefan Fruhner vom Netzwerk Fahrradfreundliches Marzahn-Hellersdorf. „Auf vielen der großen Magistralen ist sogar Tempo 60 mehrspurig erlaubt. Für Anwohnende, Kinder und Mobilitätseingeschränkte ist die Querung solcher Straßenschneisen oft mit Lebensgefahr verbunden. Man muss schon sehr energisch oder lebensmüde sein, um mit dem Rad zur Arbeit oder zur Schule zu fahren. Für einen Bezirk wie Marzahn-Hellersdorf bedeutet der Finanzierungsstopp von Radwegen, dass Menschen ins Auto gezwungen werden. Alle anderen Mobilitätsarten sind schlichtweg zu gefährlich.“

Fruhner war einer der Radfahrer, die am 27. Juni nicht in eine CDU-Veranstaltung zur geplanten Tangentialverbindung Ost eingelassen wurde. Ihm und anderen Berlinern wurde der Zutritt verwehrt, weil Störungen befürchtet wurden. „Wir hatten Hinweise, dass der eine oder andere aus der Innenstadt die Veranstaltung kapern wollte“, erklärte der CDU-Abgeordnete Christian Gräff an dem Nachmittag. Die abgewiesenen Radfahrer kamen aber aus Biesdorf, Karlshorst und Treptow-Köpenick – und hatten nach eigenem Bekunden nicht vor, die Veranstaltung mit Manja Schreiner zu stören.