Erst die Radwege, bald auch die Straßenbahnen. Für bislang geplante Neubauprojekte bei der Tram zeichnet sich ebenfalls eine Überprüfung ab. Nach Informationen der Berliner Zeitung lässt die neue Leitung der Senatsverkehrsverwaltung für einige Projekte bereits feststellen, wie viele Autostellplätze betroffen wären. Beobachter befürchten, dass die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner und ihre Staatssekretärin Claudia Elif Stutz (beide CDU) auch die Bemühungen zum Ausbau des Straßenbahnnetzes anhalten.
Von der fachlichen Seite ist alles klar. Wer Schieneninfrastruktur rasch erweitern möchte, sollte auf die Straßenbahn setzen. Tramstrecken sind viel preiswerter als Tunnelanlagen. Für den Bau fallen pro Kilometer maximal zweistellige Millionenbeträge an, bei der U-Bahn sind sie dreistellig. Weil Planungsverfahren für oberirdische Trassen zumindest etwas weniger komplex sind als für unterirdische, lassen sich Straßenbahnprojekte meist auch schneller verwirklichen. Das sind wichtige Pluspunkte.
Doch richtig ist auch, dass die Straßenbahn die Konkurrenz um den ohnehin knappen Straßenraum verschärfen kann. Nicht selten müssten Autostellplätze wegfallen. Nicht nur deshalb sind viele Berliner ganz froh darüber, dass der Ausbau des Berliner Straßenbahnnetzes bislang nur im Schneckentempo vorangekommen ist. Vor allem im Westen der Stadt, wo die letzten „Elektrischen“ unter dem Beifall von Autofahrern und vieler anderer Bürger 1967 auf die Abstellgleise rollten, gibt es große Skepsis.
Bezirksstadtrat: Berliner CDU ist „kein Freund der Straßenbahn“
Diese Skepsis gibt es heute noch – auch bei der CDU, die nun die große Koalition anführt und die Hausleitung der Senatsverkehrsverwaltung neu besetzt hat. So wird berichtet, dass ein CDU-Baustadtrat jüngst darauf hingewiesen hat, kein Freund der Straßenbahn zu sein. Andere Christdemokraten sorgten dafür, dass in der Koalitionsvereinbarung verankert wurde, dass drei Straßenbahnprojekte zu überprüfen sind. Dabei handelt es sich um die Neubaustrecken Alexanderplatz–Potsdamer Platz, Warschauer Straße–Hermannplatz (M10) sowie die Verlängerung nach Blankenburger Süden (M2).

Während sich der SPD-Verkehrspolitiker Tino Schopf bei einer Veranstaltung „irritiert“ darüber zeigte, dass die drei weit gediehenen Vorhaben plötzlich auf einer Prüfliste gelandet seien, verwies ein anderer Sozialdemokrat darauf, dass ein christdemokratisches Mitglied der Facharbeitsgruppe dies ausdrücklich gewünscht habe. Wie dem auch sei: Die drei Vorhaben stehen nun im Fokus – mit potenziell negativen Folgen. Kein Wunder, dass der Berliner Fahrgastverband IGEB Alarm schlägt. Dort will man gehört haben, dass die neue Senatorin beim Tramausbau auf die Bremse tritt.
Intern lautet die Devise: Tempo drosseln, abwarten
Manja Schreiners Verwaltung reagierte prompt. „Alle Meldungen über einen geplanten Stopp von Straßenbahnprojekten sind falsch“, teilte die Pressestelle mit. „Anderslautende Berichte weisen wir mit Nachdruck zurück. Es gilt zu 100 Prozent der Koalitionsvertrag. Der ÖPNV mit Straßenbahn, S-Bahn, U-Bahn und Bussen ist unser Garant für die Mobilitätswende.“ Ein Dementi sei das aber nicht, entgegnete die Grünen-Abgeordnete Antje Kapek. Beobachter pflichten ihr und anderen Skeptikern bei. Schließlich stelle der Koalitionsvertrag die drei genannten Projekte ausdrücklich unter Prüfvorbehalt. Außerdem soll für sieben weitere Vorhaben in der ferneren Zukunft die Realisierbarkeit geprüft werden – was ebenfalls nicht nur Gutes erwarten lässt.
In der Tat wurde offenbar zumindest bisher kein formeller Planungsstopp verhängt. Aber intern sind die Signale unmissverständlich: Tempo drosseln, abwarten. Dem Vernehmen nach lässt die neue Hausleitung seit Ende Juni für einige Straßenbahnprojekte eruieren, wie viele Parkplätze wegfallen müssten, wenn die jeweilige Vorzugsvariante verwirklicht würde. Für das seit Langem diskutierte Vorhaben, die M10 durch Kreuzberg nach Neukölln zu verlängern, gibt es bereits eine Kalkulation: Entlang der 2,9 Kilometer langen Strecke müssten Stellflächen für 256 Autos entfallen.
So schmerzlich dies für einige Autofahrer wäre: Für eine größere Zahl von Berlinern wäre der Nutzen evident, wenn die Straßenbahn zum Hermannplatz wie vorgesehen gebaut würde. Denn eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ergab, dass sich der Nutzen auf das 2,87-Fache des Aufwands summieren würde. Zuletzt hieß es, dass das Planfeststellungsverfahren 2025 beginnen werde. 2030 könnte erstmals eine Straßenbahn durch den Görlitzer Park fahren, so die damals grün geleitete Senatsverwaltung im Januar.
Für Planungen gab das Land schon mehrere Millionen Euro aus – umsonst?
Noch weiter gediehen ist das seit fast drei Jahrzehnten debattierte Vorhaben, eine Straßenbahn durch die Leipziger Straße zu bauen. Das Projekt, den Alexanderplatz mit dem Potsdamer Platz sowie dem Kulturforum zu verbinden, befindet sich bereits in der Entwurfsplanung, und die Vorbereitungen für das Planfeststellungsverfahren haben begonnen. Bis zu vier Meter breite Radwege und 200 Bäume sind ebenfalls vorgesehen. Aber auch dieses Projekt wird den Autoverkehr betreffen, denn auf 15 Prozent der 4,1 Kilometer langen Strecke in Mitte soll sich die M4 mit diesem die Straße teilen. Parkplätze würden entfallen. Zum Teil bliebe nur ein Autofahrstreifen pro Richtung. Besonders eng würde es rund um die Friedrichstraße.
Für die Planung der M4-Verlängerung in Mitte wurden dem Vernehmen nach schon mehrere Millionen Euro Steuergeld ausgegeben. Allerdings will die neue Leitung der Senatsverkehrsverwaltung wohl auch bei den Finanzen einige Gänge zurückschalten. Erste Ideen für den neuen Landeshaushalt sehen offenbar vor, die Ausgaben für die Planung neuer Tramstrecken im Vergleich zu bisher zu kürzen. Seien zuletzt einzelne Trassen aufgezählt worden, könnte es künftig nur noch einen Sammeltitel geben, hieß es. Bei der U-Bahn werden dagegen einzelne Projekte aufgelistet – darunter die Verlängerung der Linie U3 zum Mexikoplatz.

Doch U-Bahn-Projekte kosten viel Geld und brauchen mehr Zeit. Selbst die geplante 800 Meter lange Tunneltrasse zum Mexikoplatz entpuppt sich immer mehr als kompliziertes Vorhaben. Zuletzt hieß es, dass der Baubeginn nicht vor 2026 erfolgt. Die erste U-Bahn könnte erst Anfang der 2030er-Jahre verkehren. Es sieht nicht danach aus, dass sich die Koalition in dieser Wahlperiode mit irgendeinem U-Bahn-Projekt schmücken kann.
Fahrgastverband an Manja Schreiner: „Wir nehmen Sie gerne beim Wort“
Dem Vernehmen nach ist noch nicht klar, welche Abteilung der Senatsverwaltung intern die Federführung übernimmt, wenn nun Straßenbahnprojekte überprüft werden. Doch Berichten zufolge macht sich Unruhe breit. „Zu hören ist, dass sich etliche Mitarbeiter für die ÖPNV-Planung, die in den vergangenen Jahren in der Senatsverwaltung neu hinzugekommen waren, bereits anderweitig umschauen“, berichtete ein Insider.
Im Interview mit der Berliner Zeitung hat sich die neue Senatorin positioniert. „Dass ein Straßenbahnprojekt auf der Prüfliste steht, bedeutet nicht, dass es aufgeschoben oder gestrichen wird“, sagte Schreiner Anfang Juni. „Doch in einigen Fällen sind die Planungen schon recht alt, und wir wollen uns unter den neuen Vorzeichen anschauen, ob und wie sie sich auf den Autoverkehr auswirken würden. Ich bin der Auffassung, dass wir im Berliner Mobilitätsmix auch die Straßenbahn brauchen. Wenn bei einem Projekt Nutzen und Kosten in einem guten Verhältnis stehen, wollen wir es realisieren.“
Der Berliner Fahrgastverband IGEB hofft, dass die Projekte keinen Schaden nehmen. „Wir nehmen Sie gerne beim Wort“, heißt es in einem Tweet, der sich an Senatorin Schreiner richtet. „In der Vergangenheit haben Vertreter Ihrer Partei viel für die Modernisierung und den Ausbau der Tram getan. Tram & Bus müssen unbedingt wieder schneller werden. Und der Ausbau muss kommen.“






