An einigen Stellen ist noch einiges zu tun. Anderswo sieht es schon so aus, als würde es ausreichen, kurz durchzufegen – und dann könnte der Betrieb beginnen. „Die Bauarbeiten an der Straßenbahn-Neubaustrecke zur Turmstraße laufen planmäßig und befinden sich auf der Zielgeraden“, sagt Nils Kremmin, Sprecher der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Nicht mehr lange, dann sollen auf der neuen Ost-West-Trasse vom Hauptbahnhof ins Herz von Moabit die ersten Probefahrten stattfinden. Wann die Verlängerung der M10 in Betrieb geht, möchte die BVG noch nicht mitteilen. Doch intern hat sich das Landesunternehmen ein klares Ziel gesetzt, wie die Berliner Zeitung erfuhr.
Noch versperren rot-weiße Barrieren Autofahrern den Weg. Noch umhüllt weicher Kunststoff die Pfeiler, auf denen bereits die Dächer der Haltestellen ruhen. Er soll den grauen Stahl schützen, während nebenan noch gebuddelt, geflext und gepflastert wird. Doch es ist unverkennbar: Bis zur Streckeneröffnung dauert es nicht mehr lang. In naher Zukunft fährt die M10, die an der Warschauer Straße in Friedrichshain beginnt und in weitem Bogen nach Prenzlauer Berg und zum Hauptbahnhof führt, bis zum U-Bahnhof Turmstraße. Dort haben die Fahrgäste dann Anschluss an die U-Bahn-Linie U9.
Zuletzt war im Oktober 2021 die Trasse zwischen der Wissenschaftsstadt Adlershof und Schöneweide in Betrieb gegangen. Nun wächst das Straßenbahnnetz nach langer Pause wieder in den Westen Berlins. Das sind die Daten der jüngsten Neubautrasse des größten deutschen Straßenbahnsystems: Länge 2210 Meter, fünf barrierefreie Haltestellen. Zwei Gleise und am vorläufigen Ende, jenseits des fünf Meter breiten Bahnsteigs in der Turmstraße, die größte Straßenbahnweiche Berlins, die 77,6 Tonnen schwer ist.

Mehr als 50 Bäume werden gefällt, für sie wurde anderswo Grün gepflanzt. Mehrere Dutzend Parkplätze fielen weg, auch Fahrspuren und der grüne Mittelstreifen in der Turmstraße. Auch dieses Projekt ist teurer geworden: Erst war von 20 Millionen Euro die Rede, vor anderthalb Jahren wurden dann schon 33 Millionen Euro genannt. Die Schlussabrechnung steht aus. Künftig werden pro Tag bis zu 16.000 Nahverkehrsnutzer erwartet, davon 10.000 bei der Straßenbahn. Ohne Tram wären es nur 10.950 pro Tag.
Abnahmefahrten sollen in wenigen Wochen beginnen
Was passiert gerade an der neuen Ost-West-Strecke? „Derzeit werden noch Deckenschlussarbeiten im Gleisbereich und an den Haltestellen durchgeführt. Zudem bekommen die neuen Haltestellen ihre Sitzbänke, Vitrinen und Haltestellenkuben“, berichtete Kremmin. „An den Fahrleitungen erledigen unsere Fachleute noch die letzten Feinarbeiten. So werden zum Beispiel die Fahrdrähte justiert und die Erdkabel für die Bahnstromlieferung gezogen. Im Anschluss bauen wir die Lichtsignalanlagen an den Kreuzungen und Einmündungen und stellen die Straßen und Gehwege fertig.“ Dann können die Straßenbahnen kommen – zunächst ohne reguläre Fahrgäste.
„Die Abnahmefahrten sollen im Juni stattfinden. Anschließend folgt ein Probebetrieb und die Einweisung unserer Fahrpersonale“, so der Sprecher des größten Berliner Landesunternehmens. „Den Tag der Inbetriebnahme werden wir noch bekannt geben.“ Nach Informationen der Berliner Zeitung peilt der Straßenbahnbereich der BVG Anfang Juli 2023 an. Zuletzt war von Juni 2023 die Rede, aber das wird wohl nicht mehr klappen.
Eröffnung doch erst Ende August?
Inzwischen wird nicht ausgeschlossen, dass es noch länger dauert. Im Nahverkehrsforum heißt es mit Bezug auf die Senatsverwaltung: „Auch der Juli wird wohl nichts. Ende August soll es jetzt sein. Sofern SenMVKU (in welchen Buchstabenreihenfolge auch immer) dann mal die Ampelschaltungen auf die Reihe bekommen hat.“
Momentan bedient der Bus 245 den Streckenabschnitt in dichtem Takt – montags bis freitags zum Beispiel tagsüber alle sechs oder sieben Minuten. Laut Fahrplan dauert die Fahrt vom U-Bahnhof Turmstraße zum Hauptbahnhof zehn Minuten, in der Gegenrichtung müssen neun Minuten eingeplant werden. Die Straßenbahn M10 wird während der Hauptverkehrszeiten alle fünf Minuten ins Moabiter Zentrum verkehren, die Fahrzeit auf dem Neubauabschnitt soll in beiden Richtungen acht Minuten betragen.
Im Vergleich zum Bus wird die Straßenbahn ihren Nutzern also kaum Zeit sparen. Zwar wird sie auf einigen Abschnitten getrennt vom Autoverkehr fahren, aber zum Beispiel nicht in der Invalidenstraße.

Ursprünglich war für die Verbindung vom Hauptbahnhof zur Turmstraße die U-Bahn im Gespräch. Sie hätte die Entfernung deutlich schneller überwunden. Ein Teil des Tunnels und ein Teil des Bahnhofs unter der U9 sind bereits im Rohbau vorhanden. Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für die Verlängerung der U5 vom Alexanderplatz nach Moabit ergab, dass der Nutzen das 1,43-Fache der Kosten betragen würde. Das jetzige Straßenbahnprojekt hat es nur auf einen Faktor von 1,2 gebracht. Doch es sei schneller zu verwirklichen, so der Senat. Was aber nicht heißt, dass es zügig ging.
2015 stellte der Senat den Bürgern die möglichen Streckenführungen vor. Nachdem die Variante Alt-Moabit ausgeschieden war, starteten die Planungen für die Turmstraße, und danach begann das Genehmigungsverfahren. Allerdings musste es später zum Teil neu aufgerollt werden, weil das von der BVG in Auftrag gegebene Lärmgutachten noch einmal erstellt wurde. Aus dem Plan, die Verlängerung der M10 vor zwei Jahren zu eröffnen, wurde nichts. Erst im Sommer 2021 wurde der erste Spatenstich gefeiert.
Einst fuhr die „Elektrische“ von Moabit nach Steglitz
Als die Straßenbahn knapp sechs Jahrzehnte zuvor aus diesem Teil West-Berlins verschwinden sollte, war dagegen alles ganz schnell gegangen. Am 1. Mai 1963 machte sich zum letzten Mal eine „Elektrische“ auf, um von der Sandkrugbrücke an der Grenze zu Ost-Berlin über den Westabschnitt der Invalidenstraße und Alt-Moabit nach Steglitz zu fahren. Dann wurden die 44 und vier weitere Linien, die in den Südwesten Berlins führten, stillgelegt. Am 1. Juni 1964 verabschiedete sich auch die Straßenbahnlinie 2, die damals von der Bernauer Straße in Wedding bis zur Gotenstraße in Schöneberg führte.
Nachdem der Ausbau des Straßenbahnnetzes unter SPD-Senatoren wenig Priorität genossen hatte, ging es unter den Grünen in der Senatsverwaltung wieder deutlich schneller voran. Im Sommer 2021 sprach der damalige Verkehrs-Staatssekretär Ingmar Streese davon, dass die Verwaltung nicht weniger als 15 Projekte in Arbeit habe. Bis 2028 sollten mehrere Strecken fertig werden. Insgesamt soll Berlins Straßenbahnnetz um 85 Kilometer wachsen – auf fast 280 Kilometer, hieß es.
Große Koalition will mehrere Straßenbahnprojekte auf den Prüfstand stellen
Doch wer nun den neuen Koalitionsvertrag liest, den sich CDU und SPD als Leitlinie ihrer Regierungspolitik bis 2026 gegeben haben, befürchtet Stillstand und Rückstand. Zwar strebt die große Koalition an, für mehrere Neubauprojekte Planfeststellungsverfahren einzuleiten. Genannt werden die neue Streckenführung in Mahlsdorf (Linie 62), Turmstraße–Jungfernheide (M5, M8, M10), Weißensee–Heinersdorf–Bahnhof Pankow (12) sowie von Jungfernheide zur Urban Tech Republic und zum Schumacher-Quartier auf dem ehemaligen Flughafen Tegel. Doch noch mehr Vorhaben sollen auf den Prüfstand gestellt werden.
Zitat: „Folgende Straßenbahnplanungen wollen wir überprüfen: Alexanderplatz–Potsdamer Platz, Warschauer Straße–Hermannplatz (M10) sowie die Verlängerung nach Blankenburger Süden (M2)“. Es handelt sich um Vorhaben, die immer wieder zu Streit führen. So würde die Strecke zum Potsdamer Platz nach den bisherigen Planungen zur Folge haben, dass der Autoverkehr in der Leipziger Straße eingeschränkt wird. In Blankenburg protestieren Anwohner. Dabei wurde in die Projekte zum Potsdamer und zum Hermannplatz schon viel Arbeit gesteckt – die nun für die Katz wäre.
Senat will neue U-Bahn-Projekte in Angriff nehmen
Bei weiteren Tram-Neubauvorhaben will die Koalition die Realisierbarkeit untersuchen lassen – auch das könnte das Aus bedeuten. Im Koalitionsvertrag genannt werden Spittelmarkt–Mehringdamm, Warschauer Straße–Ostbahnhof, Potsdamer Platz–Zoologischer Garten, Rathaus Pankow–Wollankstraße–Prinzenallee–Osloer Straße, zwei Strecken in Spandau sowie die länderübergreifende Tramtrasse Potsdam–Krampnitz–Heerstraße. Damit ist die Zukunft des Straßenbahnausbaus nach Westen ungewiss. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass neue U-Bahn-Projekte in Angriff genommen werden. Doch U-Bahn-Bau braucht viel Zeit – und viel Geld.








