Meinung

Neue Verkehrspolitik: Schwarz-Rot wird Berlin und vielen Menschen schaden

Die Signale, die CDU und SPD in die ausgelaugten Verwaltungen senden, sind fatal. Keine Behörde wird so dumm sein, neue Projekte in Angriff zu nehmen. Ein Kommentar.

Mit Pop-up-Radwegen wie dem provisorischen Radfahrstreifen auf dem Kottbusser Damm in Kreuzberg machten grüne Verkehrspolitiker Furore. Was ist von der neuen Koalition zu erwarten?
Mit Pop-up-Radwegen wie dem provisorischen Radfahrstreifen auf dem Kottbusser Damm in Kreuzberg machten grüne Verkehrspolitiker Furore. Was ist von der neuen Koalition zu erwarten?Volkmar Otto

Um es gleich vorweg zu sagen: Die neue Verkehrspolitik für Berlin wird der Stadt und vielen ihrer Menschen nicht guttun. Zarte Pflänzchen einer anderen Mobilität, die kurz vor der Blüte standen, werden gekappt. Fußgänger, Radfahrer und Nutzer des öffentlichen Verkehrs haben vom neuen Senat fast keine Fortschritte mehr zu erwarten. Zugleich wird kein einziger Autofahrer glücklicher. Berlin wird im Vergleich zu anderen großen Städten weiter zurückfallen. Ein Mehltau legt sich auf die Stadt.

Viele Berliner werden das natürlich anders sehen. Schließlich hat die CDU bei der Wahl auch deshalb so stark zugelegt, weil die Mobilitätspolitik der Grünen zunehmend auf Antipathie stieß. Die maßlosen Übertreibungen mancher Kritiker fielen auf fruchtbaren Boden. Obwohl das Auto unverändert die Berliner Straßen dominiert, lösen selbst kurze neue Busspuren und Radfahrstreifen Beißreflexe aus. Obwohl die Sperrung der Friedrichstraße gerade mal einen 500 Meter langen Abschnitt betrifft, fantasieren Beobachter die Verelendung des gesamten historischen Stadtzentrums herbei. Wie über die Mobilität und ihre Zukunft diskutiert wird, ist zuweilen unterirdisch.

Aber auch Verfechter einer Mobilitätswende haben nicht immer glücklich agiert. Einige von ihnen entwarfen mit jakobinischem Furor eine autofreie Innenstadt, in der in steinzeitkommunistischer Manier nur wenige private Pkw-Fahrten pro Jahr erlaubt wären. Mit loderndem Strafgestus forderten andere die Halbierung des Parkraums und die Vervielfachung der Parkgebühren. Sicher lässt sich manche Maßnahme wissenschaftlich begründen. Doch angesichts dessen, wie langsam die Wende in der Praxis vorangeht, wirkten die Theorien unangebracht. Und sie haben viele verschreckt.

Platter Kulturkampf gegen das Auto führt zu nichts Gutem

Dabei müsste bekannt sein, dass platter Kulturkampf gegen das Auto zu nichts führt – außer zu Ablehnung und Verhärtung. In Deutschland ist es nun mal so, dass er von vielen als persönlicher Angriff gewertet wird. Nicht jeder hat Lust auf volle Busse und Bahnen mit Menschen anderer sozialer Schichten, nicht jeder fühlt sich zum Radritter berufen. Mit den Boomern spürt eine große Gruppe, dass sie langsam alt wird. Wenn gestählte drahtige Radler fordern, das Auto abzuschaffen, sind Reaktionen unausweichlich. 

Trotzdem ist der Schwenk in der Mobilitätspolitik, auf den sich CDU und SPD geeinigt haben, bedenklich. So will die Koalition den ohnehin überlasteten Planern fast ein Dutzend weitere U-Bahn-Neubauvorhaben auf den Tisch legen, die, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnten baureif sein werden. Weit gediehene Straßenbahnprojekte könnten dagegen gestoppt werden, jahrelange Planerarbeit könnte im Papierkorb landen. Außer beim Auto sollen anstelle von übergeordneten Belangen lokale Partikularinteressen regieren. Wenn Anwohner Radfahrstreifen ablehnen, wird der Radweg schmaler, oder er wird gar nicht erst angelegt. Weil Anwohner in Blankenburg keine Straßenbahn wollen, droht das dort geplante Neubaugebiet ohne Schienenanbindung zu bleiben.

Die Signale, die CDU und SPD in die ausgelaugten, falsch besetzten, überalterten Verwaltungen senden, sind jedenfalls fatal: Kein Berliner Behördenmitarbeiter wird künftig so dumm sein, neue Projekte in Angriff zu nehmen. Auch wenn die Koalition ankündigt, dass es pragmatisch und unideologisch zugehen soll, sind gerechte Neuaufteilungen des Straßenraums kaum noch zu erwarten. Die Bezirke, in denen CDU-Stadträte für die Straßen zuständig waren, weisen die Richtung: Für Radfahrer und Fußgänger ist dort so gut wie nichts passiert. So könnte es bald in ganz Berlin sein.