Mobilität

Fünfmal zum Mond und zurück – so viele Kilometer fielen bei der BVG aus

Neue Zahlen des Senats zeigen, wie es um die Qualität des öffentlichen Verkehrs in Berlin bestellt ist. Längst nicht immer liegen die Gründe bei der BVG. 

Eine Straßenbahn der Linie M10 unterwegs am U-Bahnhof Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg. Mit einer Pünktlichkeitsquote von 94,6 Prozent gehört sie zu den zuverlässigeren Tramstrecken. 
Eine Straßenbahn der Linie M10 unterwegs am U-Bahnhof Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg. Mit einer Pünktlichkeitsquote von 94,6 Prozent gehört sie zu den zuverlässigeren Tramstrecken. Sabine Gudath/Berliner Zeitung

Für die Fahrgäste der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) war 2022 kein gutes Jahr. Busse und Straßenbahnen sind erneut langsamer geworden. Zudem nahm dort und bei der U-Bahn die Zahl der Verspätungen zu. Bei den Ausfällen ist der Trend besonders besorgniserregend. Das geht aus Antworten des Senats auf Anfragen der SPD hervor. Darin werden auch die Gründe benannt – an denen zum Teil auch Verkehrspolitik und Verwaltung Aktien haben: Der Wagenpark der U-Bahn ist überaltert, Ampeln bremsen Straßenbahnen und Busse aus. Ein weiteres Problem: Personalmangel.

Corona ist vorbei – zumindest für die BVG. Busse und Bahnen in Berlin sind spürbar voller geworden, immer mehr Menschen nutzen den öffentlichen Verkehr. An der Qualität kann der Fahrgastzuwachs aber nicht liegen, denn bei zentralen Kategorien ist der Trend negativ. Das Zahlenmaterial liefert die neue Verkehrs-Staatssekretärin Claudia Elif Stutz (CDU), die jetzt zwei Anfragen von Tino Schopf (SPD) beantwortet hat.

Danach ist bei der Berliner Straßenbahn der Anteil der Fahrten, die als pünktlich gewertet wurden, im vergangenen Jahr auf 88,3 Prozent gesunken. Im Jahr davor betrug die Quote 90,8 Prozent. Im Busverkehr sank sie von 91,3 auf 90,3 Prozent, bei der U-Bahn von 99 auf 98,6 Prozent. Wichtig zu wissen: Auch Fahrten, die bis zu 90 Sekunden vor und bis zu 210 Sekunden nach der geplanten Zeit beginnen, gelten als pünktlich.

Auf welchen Linien gab es die meisten Verspätungen? Auch dazu gibt die immerhin 32 Seiten umfassende Drucksache des Abgeordnetenhauses aktuellen Aufschluss. Bei der Straßenbahn gebührt die Palme der Linie 12, die Weißensee mit Mitte verbindet. Dort wurden im vergangenen Jahr nur 73,7 Prozent der Fahrten als pünktlich gewertet.

Diese Linien sind die Schlusslichter bei Bus und U-Bahn

Bei der U-Bahn ist es die Linie U1, deren Züge zwischen der Warschauer Straße in Friedrichshain und der Uhlandstraße in Charlottenburg unterwegs sind. Auf der stark genutzten Ost-West-Strecke galten 96,1 Prozent der Fahrten als pünktlich. Und beim Bus? Hier bildet die Linie 140 das Schlusslicht. Für die Route zwischen dem Ostbahnhof und Tempelhof wurde eine Pünktlichkeitsquote von 74,7 Prozent errechnet. Auf der Umlandlinie 893 von Hohenschönhausen nach Zepernick, die gemeinsam mit der Barnimer Busgesellschaft betrieben wird, war es eine Quote von 76,9 Prozent.

Zu den Ausfällen legte die Staatssekretärin ebenfalls Zahlen vor. Danach hat die BVG im vergangenen Jahr 3,921 Millionen Nutzkilometer nicht erbracht. Das bedeutet: So lang waren die geplanten Fahrten, die ausfallen mussten. Das entspricht einem Wert von 16,61 Millionen Euro. Er geht in die Schlussabrechnung des Senats ein. Zum Vergleich: 2021 wurden 1,074 Millionen Kilometer nicht gefahren, im Jahr davor 3,266 Millionen.

BVG hat lange nicht in neue U-Bahnen investiert

Woran liegt es? Bei den Ausfällen der U-Bahn „dominieren Fahrzeugschäden infolge des in Teilen überalterten Fahrzeugparks und infolge von Vandalismus, vor allem durch Graffiti“, teilte die Staatssekretärin mit. Hintergrund: Jahrelang wurden keine neuen U-Bahnen angeschafft. Der Senat hatte Sparen verordnet, und das Unternehmen hielt es für möglich, ältere Züge noch lange zu betreiben. „Damals ging die U-Bahn-Mannschaft noch davon aus, dass das bei allen älteren Fahrzeugen möglich ist. Später stellte sich aber heraus, dass das viel anspruchsvoller war als erwartet – und bei vielen Wagen nicht möglich“, sagte die frühere BVG-Chefin Sigrid Nikutta vor ihrem Weggang zu DB Cargo. Inzwischen wird kräftig in neue Fahrzeuge investiert, aber der Rückstand bleibt spürbar.

Ein Zug der U-Bahn-Linie U1 überquert auf der Oberbaumbrücke die Spree. Im vergangenen Jahr wurden 96,1 Prozent der Fahrten als pünktlich gewertet – 2020 waren es noch 98,6 Prozent.
Ein Zug der U-Bahn-Linie U1 überquert auf der Oberbaumbrücke die Spree. Im vergangenen Jahr wurden 96,1 Prozent der Fahrten als pünktlich gewertet – 2020 waren es noch 98,6 Prozent.Volker Hohlfeld/imago

Was Verspätungen bei der U-Bahn anbelangt, sind „verlängerte Fahrgastwechselzeiten“ nach Ausfällen ein Faktor. Wenn eine Zeit lang keine U-Bahn kommt, sind die Züge danach umso voller, das Ein- und Aussteigen dauert länger als sonst. Baustellen sowie Einsätze von Notärzten, Polizei und Feuerwehr seien weitere Ursachen, sagt Stutz.

Beschleunigung des Nahverkehrs ist in Berlin ins Stocken geraten

Was führt bei Bussen und Straßenbahnen zu Verspätungen und Ausfällen? Die Aufzählung ist lang: „Störungen durch Bauarbeiten, Demonstrationen, Veranstaltungen und Einsätze von Notarzt, Polizei und Feuerwehr im Straßenland sowie nicht optimierte Lichtsignalanlagen und eine unzureichende Qualitätssicherung der ÖPNV-Priorisierung“, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Drucksache.

Bei den beiden letzten Punkten geht es um die Beschleunigung des Nahverkehrs, die ins Stocken geraten ist. Zwar seien 1030 Ampelanlagen mit einer Schaltung ausgestattet, die es erlaubt, BVG-Fahrzeugen den Vorrang zu geben, erklärt die neue Verkehrs-Staatssekretärin in einer anderen Parlaments-Drucksache. Doch der Senat könne nicht sagen, wie viele Vorrangschaltungen wegen Baustellen, Technikproblemen oder aus anderen Gründen nicht aktiv sind. Wie berichtet, beklagen sich BVG-Busfahrer, dass manche Schaltungen seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nicht mehr funktionieren.

Auch die Markierung neuer Busspuren ist ins Stocken geraten. Seit 2020 seien in Berlin insgesamt 21,1 Kilometer Bussonderfahrstreifen angelegt worden, sagt Claudia Elif Stutz. Dadurch sei das Netz dieser Fahrspuren auf 123 Kilometer gewachsen. Rund zehn Kilometer neue Busspuren wurden angeordnet, aber bisher noch nicht umgesetzt. Hintergrund hier: Ende August 2022 gab das Verwaltungsgericht in einer Eilentscheidung Anwohnern der Clayallee Recht, die sich gegen die Busspur vor ihren Häusern gewandt hatte. Seitdem wurden in Berlin keine neuen Projekte dieser Art realisiert. Stattdessen ist es möglich, dass das Netz wieder schrumpft: Gegen bestehende Busspuren liegen Widersprüche vor.

Hauptgrund für Ausfälle im Busverkehr: Mangel an Fahrpersonal

Beim Bus kommt noch ein Faktor hinzu, der sogar als „Hauptgrund“ für Ausfälle angegeben wird: der Mangel an Fahrpersonal. „Im laufenden Jahr sind mehr als die Hälfte aller Ausfälle auf diese Ursache zurückzuführen“, stellt die Staatssekretärin Stutz fest. Interne Daten zeigen, dass sich das Problem weiter verschärft. Danach müsste der Busbereich der BVG in diesem Jahr rund 650 Fahrerinnen und Fahrer einstellen. „Vielleicht schaffen wir 600“, so ein Insider. Zwar bemühe sich das Unternehmen, im Ausland Fahrpersonal zu gewinnen. Doch die Erfolge seien bislang mäßig gewesen, sagt er.

Unterm Strich sei die durchschnittliche Geschwindigkeit der BVG weiter rückläufig – leicht, aber immerhin. Das zeigen weitere Daten für die Jahre 2021 und 2022. Danach sank das Durchschnittstempo bei der Straßenbahn von 17,57 auf 17,49 Kilometer pro Stunde, beim Bus von 17,94 auf 17,9 Kilometer. Zum Vergleich: 2017 waren zum Beispiel die Busse der BVG noch mit 19,5 Kilometern in der Stunde unterwegs.

Wie berichtet hat die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) angekündigt, dass die Verwaltung zahlreiche Projekte in ihrem Bereich überprüfen werde. Zu erwarten ist, dass Vorhaben, die den Autoverkehr beeinträchtigen könnten, gestoppt werden. Eine Sprecherin teilte der Berliner Zeitung mit, dass Busspurprojekte aber nicht einbezogen werden. „Die Überprüfung betrifft Rad- und Fußverkehrsprojekte, keine Bussonderstreifen“, teilte sie mit.