Berliner Tempo sieht anders aus. Die Busse der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sind immer langsamer geworden. Lag die mittlere Beförderungsgeschwindigkeit 2017 noch bei 19,5 Kilometern pro Stunde, so betrug sie im vergangenen Jahr nur noch 17,9 Kilometer pro Stunde. Wenn das so weitergeht, müssten viele neue Busfahrer eingestellt werden, teilte das Landesunternehmen jetzt auf Anfrage mit. „Ein Hilferuf“, sagte Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB. Der Senat müsste endlich reagieren, forderte er. Doch Beobachter bezweifeln, dass sich die Lage rasch genug wesentlich verbessert.
„Richtig ist, dass wir perspektivisch rund 100 zusätzliche Fahrer:innen benötigen, sollte sich aufgrund weiter wachsenden Verkehrs die Reisegeschwindigkeit unserer Busse verlangsamen“, bestätigte BVG-Sprecher Nils Kremmin. Fachleute wissen: Je langsamer der Busverkehr ist, je öfter und länger Busse an Ampeln oder im Stau gebremst werden, desto mehr Fahrzeuge und Fahrer werden gebraucht. Schleichgang geht ins Geld – das Landesunternehmen und seine Fahrgäste müssen es ausbaden. Dass die Busse nicht zügiger vorankommen, bezahlen viele Berliner mit Lebenszeit. Allein im vergangenen Jahr wurde der Busverkehr der BVG für mehr als 300 Millionen Fahrten genutzt.
„Das Thema Beschleunigung ist eine einzige Katastrophe“
Nach Corona nimmt der Verkehr auf den Berliner Straßen wieder zu. Außerdem wird viel gebaut, Fahrbahnen sind verengt, zusätzlicher Stau entsteht. Das betrifft auch die Linienbusse des größten kommunalen Nahverkehrsbetriebs in Deutschland. Trotzdem könnte der Verkehr schneller vorangehen, sagt nicht nur Jens Wieseke. Die Beschleunigung des öffentlichen Verkehrs habe in der Verwaltung offensichtlich keine hohe Priorität. Das widerspräche dem Berliner Mobilitätsgesetz, das nicht nur das Fahrrad, sondern auch Bahn und Bus fördern will. Schließlich dienen alle dem Umweltverbund, der Mobilität klimafreundlich ermöglicht.
Beobachter weisen darauf hin, dass das Busspurnetz in Berlin in den vergangenen Jahren nicht so stark gewachsen ist, wie es eigentlich nötig wäre. Als Regine Günther Ende 2016 Verkehrssenatorin wurde, gab es in Berlin auf 165 Abschnitten genau 102.375 Meter Busspuren – wobei pro Straßenseite jeder Bus-Sonderfahrstreifen einzeln gerechnet wird. Anfang März dieses Jahres war das Netz rund 114 Kilometer lang, inzwischen sind weitere Kilometer dazu gekommen. „Trotzdem ist das Thema Beschleunigung eine einzige Katastrophe“, sagt jemand, der Einblick in die Abläufe in der Verwaltung hat.
Kriterien für die Einrichtung von Busspuren wurden verschärft
Das gehe schon damit los, dass sich die Zuständigkeiten auf mehrere Akteure verteilen und geradezu dazu einladen, „Verantwortungspingpong“ zu spielen – mit dem Ergebnis, dass der Ausbau des Netzes der Sonderfahrstreifen nur gemächlich vorangehe. So sehe es in der Senatsverwaltung niemand als seine originäre Aufgabe an, die Beschleunigung des Busverkehrs strategisch zu planen und dann konzentriert umzusetzen. Anstatt selbst festzustellen, wo es hake, werden von der BVG Anträge mit umfangreichen Begründungen und Analysen gefordert, berichtete der Insider. Währenddessen werde der Verkehr immer langsamer. Auf einigen Buslinien habe sich die durchschnittliche Fahrzeit pro Weg um bis zu zehn Minuten erhöht, wird berichtet.
Hinzu komme, dass die Erweiterung der Fahrrad-Infrastruktur Vorrang im Senat habe – auch wenn dies dazu führe, dass der Busverkehr auf Raum verzichten müsse oder anders ausgebremst werde, hieß es. Es wurden sogar Busspuren aufgehoben und wieder für Autos freigegeben. Der Darstellung zufolge ist zudem die Vorgabe, ab wann eine Busspur eingerichtet werden soll, verschärft worden. Reichte es früher in der Regel aus, wenn eine Straße tagsüber pro Richtung und Stunde von sechs Bussen befahren wurde, müssten es laut Fahrplan im Normalfall inzwischen mindestens neun Fahrten sein.
Würden Anträge der BVG tatsächlich von der Straßenverkehrsbehörde des Senats genehmigt, lasse die Umsetzung oft auf sich warten, berichtete der Gesprächspartner der Berliner Zeitung. Für den Bau seien die Bezirksämter zuständig, die diese oft mit kostspieligen Umbauten, Markierungen und Ausschilderungen verbundenen Projekte aus ihrem allgemeinen Tiefbau-Etat bezahlen müssten. Nicht selten sähen sich die Bezirke außerstande, die zum Teil sechsstelligen Eurobeträge abzuzweigen, sagte er.
Senatorin hält das Thema für wichtig
Kurz nach ihrem Amtsantritt hat die Berliner Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch betont, dass sie sich um die Beschleunigung des Nahverkehrs kümmern möchte. „Die BVG ist darauf angewiesen, dass ihre Busse pünktlicher und zuverlässiger fahren können, dies wird vielen Berlinern den Alltag erleichtern. Deshalb ist mir das Thema so wichtig“, sagte die Grünen-Landespolitikerin der Berliner Zeitung im Januar. „Die Bezirke bekommen es aus vielerlei Gründen nicht hin, alle neuen Sonderfahrstreifen zu markieren. Diesen Bezirken werden wir eine Kooperation anbieten, die neuen Busspuren werden dann in unserer Regie angelegt.“ Dem Vernehmen nach ist dies nun in Arbeit. Beim Senat heißt es auch, dass sich weiterhin eine Taskforce um das Thema kümmere.
Bei der BVG wird dies ausdrücklich begrüßt. „Die Beschleunigung von Bussen und Bahnen ist uns bekanntlich eine Herzensangelegenheit“, sagte BVG-Sprecher Kremmin. „Nicht nur kann der Nahverkehr dadurch noch attraktiver für die Fahrgäste werden, sondern eine höhere Reisegeschwindigkeit bedeutet auch einen effektiveren Einsatz von Fahrzeugen und Personal.“



