Mobilität

Radwegprojekte in Gefahr: Das sagen Berlins Radfahrer der neuen Senatorin

Im Interview mit der Berliner Zeitung kündigt Manja Schreiner an, dass sie Vorhaben auf den Prüfstand stellt. Kommt die Mobilitätswende zum Stillstand?

Mehr Platz für Fahrräder: Das war bislang die Devise auch im Senat. Das ändert sich jetzt.
Mehr Platz für Fahrräder: Das war bislang die Devise auch im Senat. Das ändert sich jetzt.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Eine Stunde lang hat Manja Schreiner (CDU) die Fragen der Berliner Zeitung beantwortet. Wie zu erwarten, stößt nun manches, was die neue Senatorin für Mobilität, Verkehr, Umwelt und Klimaschutz sagte, auf Kritik – zum Beispiel beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Berlin. Dessen Sprecher Karl Grünberg weist darauf hin, dass die Verwaltung ohnehin überlastet sei: „Wenn wir jetzt damit anfangen, jeden Parkplatz individuell zu prüfen, manövriert sich Berlin in einen Verkehrswende-Stillstand.“ Das Bündnis Changing Cities fordert den Koalitionspartner SPD auf, das Berliner Mobilitätsgesetz zu verteidigen.

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Streit, wenn Grünen-Bezirkspolitiker zulasten des Autoverkehrs Radfahrstreifen anlegten. Im Interview plädierte Manja Schreiner dafür, „nicht mit der Schablone, sondern am Bedarf orientiert vorzugehen“. Für den Berufs- und Wirtschaftsverkehr brauche Berlin leistungsfähige Magistralen.

Schreiner hält es nicht immer für sinnvoll, Kraftfahrzeugen Fahrstreifen zu entziehen, um sie auf ganzer Breite zu Radverkehrsanlagen umzugestalten. „In jedem Fall muss analysiert werden, wie dies den Verkehrsfluss beeinflusst“, sagte sie der Berliner Zeitung und kündigte an: „Ich werde einige Radwegprojekte infrage stellen.“ Geprüft werde, ob Radverkehrsprojekte dem entsprächen, was im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Dazu gehört der geplante Umbau der Kantstraße.

Senatorin: „Der Straßenring um die Innenstadt muss geschlossen werden“

Doch der ADFC warnt die Senatsverwaltung davor, sich zu verzetteln. „Damit sie handlungsfähig bleibt, darf ihr jetzt nicht Klein-Klein verordnet werden“, so Karl Grünberg. „Im Gegenteil, wir brauchen Tempo, um das Mobilitätsgesetz, den Radverkehrs- und Nahverkehrsplan endlich umzusetzen.“ Dazu müssten Prozesse beschleunigt und vereinfacht – und nicht gebremst und komplizierter gemacht werden. Radwege wieder auf Gehwege zu verlagern, wie Schreiner ebenfalls vorgeschlagen hat, schaffe neue Konflikte, die keiner möchte, hieß es weiter.

„Verkehrsfluss darf nicht an oberster Stelle stehen“, so der Sprecher der Berliner Fahrradlobby. „Vielmehr muss die Sicherheit von Menschenleben Priorität haben, und damit sind auch sichere Radverkehrsanlagen gemeint.“

Der ADFC ist sich nicht sicher, wie er die Ankündigung der Senatorin, langfristig den Autoverkehr zu verringern, einschätzen soll. „Wir haben bisher viel darüber gehört, wo der Radverkehr wieder eingeschränkt werden soll“, sagt Karl Grünberg. „Wir haben noch gar nichts darüber gehört, wo und wie sich jetzt die Rahmenbedingungen für Autos ändern werden, um dem Ziel näher zu kommen, den Autoverkehr einzudämmen.“

Stattdessen sprach sich Manja Schreiner dafür aus, dass die Straßenumfahrung der Berliner Innenstadt in der Zukunft komplettiert werden soll. „Langfristig ist für mich klar: Der Straßenring um die Innenstadt muss geschlossen werden“, sagte die Senatorin im Interview mit der Berliner Zeitung. Die 45-jährige Juristin hat ihr Amt im Senat Ende April übernommen. Eine solche Magistrale entlaste Wohngebiete und halte Gütertransporte aus den Kiezen heraus. „Ende des nächsten Jahres möchte der Bund den 16. Bauabschnitt der A100, der von Neukölln nach Treptow führt, fertigstellen.“ Ohne diese Autobahn, da ist sie sich sicher, müssten die angrenzenden Kieze dauerhaft mit Belastungen rechnen.

Berliner Fahrradlobby: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“

Berlins ADFC-Sprecher Karl Grünberg entgegnet: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ Weltweit zeige sich, dass der Ausbau von Straßen zu mehr Verkehr führe. „Der möglicherweise zunächst erreichte Entlastungseffekt verpufft innerhalb kurzer Zeit.“ Damit Menschen im wachsenden Berlin auch in Zukunft weiter mobil sein können, bräuchte es ein Ineinandergreifen von ÖPNV, Radverkehr und Sharing-Angeboten. Grünberg wörtlich: „Was es nicht braucht, sind mehr Straßen, mehr Verkehr und mehr Stau.“

„In den vergangenen Jahren wurde stark polarisiert über Verkehr diskutiert, und die Außenbezirke ließ man außer Acht“, so wiederum die neue Berliner Verkehrssenatorin zuvor im Interview. „Der Koalition und mir geht es nicht darum, Verkehrsarten gegeneinander auszuspielen – zum Beispiel Radfahrer gegen Autofahrer.“ Sie erkenne an, dass jeder individuelle Mobilitätsbedürfnisse habe. „Das gilt auch für die Menschen, die sich dafür entscheiden, in Berlin Auto zu fahren.“

Eine Politik für Verbesserungen des öffentlichen und Radverkehrs sei aber nicht zwingend eine Politik gegen das Auto, entgegnete Grünberg. „Dass Menschen auf ihr Auto angewiesen sind, ist das Ergebnis von Jahrzehnten verfehlter Verkehrspolitik. Es ist die Aufgabe von Politik diese Abhängigkeit von einzelnen Verkehrsmitteln zu beenden, in dem es gut funktionierende Alternativen schafft. Erst dann können sich die Bürger:innen wirklich frei für das Verkehrsmittel ihrer Wahl entscheiden.“

Die neue große Koalition möchte das „Miteinander“ auf den Berliner Straßen stärken. „Doch das bedeutet de facto eine fantasielose Verteidigung der autogerechten Stadt“, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities. Auch in einem anderen Interview habe die Senatorin kein einziges Mal das Wort „Mobilitätsgesetz“ erwähnt. Stattdessen plädiere sie für getrennte Verkehre – und zwar so, dass die Radfahrenden in die Nebenstraßen gedrängt werden, wie Sørensen erklärt.

Changing Cities: Der Koalitionspartner SPD ist in Berlin nun gefragt

Das Berliner Mobilitätsgesetz sehe vor, dass in etwa 15 Prozent der Fälle pragmatischer Weise von den Standards abgewichen werden kann, so Changing Cities. Die Senatorin aber sehe im Mobilitätsgesetz offenbar „nur eine Hürde für den motorisierten Individualverkehr und nicht die Chance für einen sicheren Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr mit dem notwendigen Vorrang, damit wir die Klimaziele einhalten und in einer gesünderen, ruhigeren und sicheren Stadt leben können“.

„Ein sicheres und zielführendes Berliner Radnetz wird so nicht entstehen – es sei denn, die SPD zeigt Rückgrat und verteidigt das Mobilitätsgesetz, das sie mit beschlossen hat – als Teil einer sozial gerechteren Politik“, sagt Sørensen.