Die Züge fahren zweimal stündlich, und fast immer sind sie gut ausgelastet. Kein Wunder, denn mit dem Intercity-Express (ICE) dauert die Reise von Berlin nach Hamburg laut Plan nur etwas mehr als hundert Minuten. Die Bahnstrecke zwischen den größten deutschen Städten Berlin und Hamburg gehört zu den wichtigsten Bahnverbindungen im Land. Doch sie wird immer wieder wegen Bauarbeiten unterbrochen. In den kommenden Jahren soll es nun ganz dicke kommen. Für 2024 kündigt die Deutsche Bahn (DB) eine viermonatige Sperrung an, und 2025 müssen Reisende sogar sechs Monate lang Umwege und längere Reisezeiten in Kauf nehmen. Doch nun wird die Kritik immer lauter.
Normalerweise hat Hans Leister, ehemaliger Konzernbevollmächtigter der DB in Potsdam, Verständnis für die DB Netz – jenes Bahnunternehmen, das für die Anlagen verantwortlich ist. „Aber diesmal bin ich echt sprachlos“, sagte er der Berliner Zeitung. „In zwei Jahren hintereinander eine Strecke komplett zu sperren, die vor nicht allzu langer Zeit schon mal monatelang gesperrt war, dazu fällt mir nichts mehr ein.“
Kritik kommt auch vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), dem Verband der Güterbahnen. Geschäftsführer Peter Westenberger bemängelte, dass die Hamburger Bahn schon wieder unterbrochen werde. Das beträfe nicht nur zahlreiche Reisende, sondern auch eine wichtige Verbindung im internationalen Güterverkehr. „Es geht um die Hauptstrecke zwischen den beiden größten deutschen Städten und Hauptmagistrale für den Schienengüterverkehr zwischen den Nordseehäfen und Berlin, Tschechien, der Slowakei und Ungarn“, teilte Westernberger der Berliner Zeitung mit.
1846 war die knapp 290 Kilometer lange Direktverbindung zwischen Berlin und Hamburg komplett. Die auf langen Abschnitten schnurgerade Bahnlinie etablierte sich rasch als stark genutzte Fernbahnstrecke. Immer wieder war sie Schauplatz von Rekorden. 1931 raste der Schienenzeppelin, ein Triebzug mit Propeller, in 98 Minuten nach Hamburg-Bergedorf. Zwei Jahre später nahm der Fliegende Hamburger den Betrieb auf. Er brauchte vom Lehrter Bahnhof in Berlin nach Hamburg 138 Minuten.

Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung begann in den 1990er-Jahren die Sanierung und der Ausbau der Hamburger Bahn. Dabei wurde der bisherige Oberbau aus Schotter und Schwellen zum Teil durch Betonplatten ersetzt – die sogenannte feste Fahrbahn. Ende 2004 war der Ausbau für Tempo 230 abgeschlossen. Bis 2019 stieg die Fahrgastzahl auf durchschnittlich rund 17.000 pro Tag. Inzwischen spricht man bei der Bahn von 230 ICE-, Regional- und Güterzügen sowie bis zu 30.000 Reisenden pro Tag.
DB baut Strecke zum Hochleistungskorridor aus
Doch schon in den vergangenen Jahren mussten Reisende Sperrungen einkalkulieren. Weil 260.000 Schwellen wegen Betonschäden ausgebessert werden mussten, war die Hamburger Bahn 2009 mehr als drei Monate unterbrochen. Zuletzt war die Trasse im Herbst 2021 mehr als drei Monate nicht auf voller Länge nutzbar. Unter anderem wurden 200 Kilometer neue Schienen und 24 neue Weichen eingebaut, rund 15.000 Schwellen und etwa 30.000 Tonnen Schotter wurden getauscht.
Jetzt hat die Bahn für den Zeitraum vom 16. August bis zum 14. Dezember 2024 eine weitere Sperrung angekündigt. Die Arbeiten finden vor allem zwischen Wittenberge und Ludwigslust statt, so das Bundesunternehmen. Es geht um hundert Weichen, drei Durchlässe und insgesamt rund 74 Kilometer Gleise. So soll der Betrieb pünktlicher werden, teilte die DB mit. Zwei zusätzliche Weichen beseitigen in Hagenow Land in Mecklenburg-Vorpommern eine Engstelle.

Im übernächsten Jahr kommt es für die Fahrgäste sogar noch schlimmer, wie es in der offiziellen Mitteilung heißt. Dann steht ein halbes Jahr Sperrung auf dem Plan. Vom 6. Juni bis 13. Dezember 2025 wird die DB die Strecke Berlin–Hamburg zum Hochleistungskorridor ausbauen. Zahlreiche langfristige Baumaßnahmen werden dafür gebündelt, so die DB. Somit würde eine Vielzahl von Sperrungen in den folgenden Jahren vermieden. Das sei der neue Kurs bei der Instandhaltung der Infrastruktur, heißt es.
„Seit Jahr und Tag wiederkehrender belastender Alltag“
Doch der Sprecher der Güterbahnen widersprach. „Entgegen den Behauptungen von DB und Verkehrsministerium, die DB würde erstmals mit Vollsperrungen im Rahmen des Konzepts einer ‚Generalsanierung‘ arbeiten, sind auf vielen Strecken genau diese Vollsperrungen seit Jahr und Tag wiederkehrender belastender Alltag“, gab NEE-Geschäftsführer Westenberger zu bedenken. Dazu zähle auch die Hamburger Bahn.
Wie bei früheren Sperrungen wird ein Teil der Fernzüge ausfallen, andere werden über Stendal und Uelzen umgeleitet. Dadurch verlängert sich nicht nur die Fahrzeit zwischen Berlin und Hamburg um mehr als eine Dreiviertelstunde pro Weg. Weil dieser Teil der einstigen Amerika-Linie, auf der früherer Auswanderer zu den Nordseehäfen reisten, weiterhin nur ein Gleis hat, müssen andere Zugangebote eingeschränkt werden.
Umleiterstrecke Uelzen–Stendal ist immer noch eingleisig
„Wir kritisieren, dass die Maßnahmen durchgeführt werden, bevor relevante Umleiterstrecken ausgebaut werden“, gab Westenberger zu bedenken. Dabei geht es vor allem um darum, dass die Strecke zwischen Uelzen und Stendal ein zweites Gleis bekommt und das dritte Gleis zwischen Stendal und dem Berliner Außenring endlich elektrifiziert wird – was die Bahn 2025 in Angriff nimmt. „Wir meinen auch, dass ein Teil der Arbeiten durchaus auch mit eingleisiger Sperrung durchgeführt werden könnte.“
Auch Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn mahnt den zweigleisigen Ausbau der Strecke Stendal–Uelzen an. „Das würde den Umleiterverkehr schneller machen und auch mehr Schienenpersonennahverkehr ermöglichen“, sagte Naumann am Dienstag der Berliner Zeitung.
„Uns Fahrgäste freut die Sperrung nicht“, so der Ehrenvorsitzende von Pro Bahn. Eine Komplettunterbrechung sei zwar „extrem ärgerlich“. Doch die Alternative, unter dem „rollendem Rad“ zu bauen, nehme deutlich mehr Zeit in Anspruch und erfordere mehrere Fahrplanänderungen. Zudem seien die anstehenden Arbeiten an der Hamburger Bahn technisch notwendig. „Unter anderem muss die feste Fahrbahn erneuert werden, was aufwendiger ist als beim konventionellen Schotteroberbau“, sagte Naumann.
Trotzdem hätte die Bahn die Arbeiten besser koordinieren können, hieß es im Umfeld des Unternehmens. „Peinlich, dass die DB es nicht hinbekommen hat.“ 2021 sei man mit einigen Arbeiten offenbar nicht fertig geworden. „Es ist nun einmal sehr aufwendig, die feste Fahrbahn abzubrechen“, sagte er. Dass in Hagenow Land zusätzliche Weichen eingebaut werden müssen, sei seit Jahren bekannt. Mit provisorischen Bauweichen könnten Züge um die Baustellen herumgeführt werden und Vollsperrungen vermieden werden, so ein weiteres Argument. Doch für DB Netz bedeuten sie zusätzliche Kosten – auch weil sie an die elektronische Stellwerktechnik anzuschließen wären.
Was passiert mit dem DB-Werk Wittenberge?
Die DB müsste selbst ein Interesse haben, dass das Projekt gut vorbereitet wird. Denn offensichtlich drohe ein wichtiger Betrieb abgehängt zu werden, sagte Hans Leister. „Aus der Prignitz habe ich gehört, dass auch das DB Werk Wittenberge nicht angebunden sein wird, oder nur äußerst umständlich“, berichtete der Unternehmensberater.
„Die Doppelsperrung zeigt eigentlich die Probleme des bisherigen Wartungsansatzes auf. Im einen Jahr sind im einen Abschnitt die Gleise zur Erneuerung fällig, im nächsten Jahr im nächsten Abschnitt die Oberleitung, dann wieder woanders der Schotter und dann die Weichen im ersten Abschnitt. Man macht immer nur das, was gerade notwendig ist“, erklärte Lukas Iffländer, stellvertretender Bundesvorsitzender von Pro Bahn. „Daher ist die Erneuerung in 2024 leider auch nicht auf 2025 verschiebbar. Aufgrund des hohen Aufwands und des Planungsvorlaufs kann man auch die Generalsanierung nicht einfach auf 2024 vorziehen. Es ist aus unserer Sicht zu hoffen, dass die DB es mit der Generalsanierung hinbekommt, viele Jahre im Anschluss baufrei zu halten.“
2027 soll die Schnellstrecke in Richtung Wolfsburg gesperrt werden
„Wir erwarten, dass nun alles Notwendige gemacht wird, damit dann mindestens zehn Jahre lang keine großen Bauarbeiten notwendig werden“, sagte Karl-Peter Naumann.
Auf anderen wichtigen Bahnstrecken sind bereits langfristige Sperrungen geplant. So wird die Trasse zwischen Oberhausen und Emmerich, eine wichtige Verbindung in den Niederlanden, in diesem und den beiden kommenden Jahren erneut lange unterbrochen, berichtete Peter Westenberger vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen. 2025 soll die Vollsperrung sogar 261 Tage dauern, berichtete er. 104 Tage lang wird dort nur ein eingleisiger Zugbetrieb möglich sein. Ein weiteres Beispiel war in DB-Kreisen zu erfahren: 2028 soll Hamburg–Lübeck zwecks Sanierung voll gesperrt werden.
Auch die Hochgeschwindigkeitsstrecke von Berlin in Richtung Wolfsburg und Hannover, an der jetzt schon gearbeitet wird, könnte in den kommenden Jahren zur Großbaustelle werden. Von einer fünfmonatigen Sperrung 2027 ist die Rede. Bis dahin soll die Lehrter Stammbahn, das bislang nicht elektrifizierte dritte Gleis, elektrifiziert werden.










