Berliner Verkehr

Warum sich die neue S-Bahn-Strecke zum Hauptbahnhof weiter verzögert

Eigentlich sollten Ende des Jahres die ersten Züge rollen. Aber daraus wird nichts. Auch andere Teile des Projekts geraten ins Stocken. Schuld ist eine Brücke.

Die Baureihe 483/484 ist das Modernste, was die S-Bahn Berlin derzeit zu bieten hat. Züge dieses Typs sollen auf der neuen Linie S15 zwischen Gesundbrunnen und Hauptbahnhof verkehren.
Die Baureihe 483/484 ist das Modernste, was die S-Bahn Berlin derzeit zu bieten hat. Züge dieses Typs sollen auf der neuen Linie S15 zwischen Gesundbrunnen und Hauptbahnhof verkehren.Benjamin Pritzkuleit

Berlin – Die Stadt bekommt eine neue S-Bahn-Strecke – aber das Bauprojekt verzögert sich erneut. Noch vor Kurzem hieß es, dass von Dezember 2022 an S-Bahnen zwischen Gesundbrunnen, Wedding und dem Hauptbahnhof verkehren werden. Nun wurde jedoch bekannt, dass das erste Teilstück der neuen City-S-Bahn weiter auf sich warten lässt. Wegen Corona, wie ein Bahnsprecher der Berliner Zeitung auf Anfrage mitteilte. Es ist nicht das einzige Problem, mit dem sich das Bundesunternehmen in diesem Bereich herumschlagen muss. Die Bahn bestätigte, dass sich weitere Teile des S-Bahn-Projekts in Mitte ebenfalls verzögern werden. Ein Grund dafür ist dem Vernehmen nach, dass die benachbarte einst preisgekrönte Humboldthafenbrücke neben dem Hauptbahnhof schwere Mängel aufweist. Auf Bahnreisende in Berlin kommen Beeinträchtigungen zu.

Anfangs lautete der Arbeitstitel S21. Dann verschwand der Name, weil er zu sehr an das konfliktreiche Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 erinnerte. Seitdem heißt das Vorhaben offiziell City-S-Bahn. Schließlich gehe es darum, die Erschließung der Innenstadt mithilfe einer zweiten Nord-Süd-Trasse zu verbessern, heißt es bei der Deutschen Bahn (DB). Neue Kapazitäten werden geschaffen, der Bahnhof Friedrichstraße wird entlastet. Später soll die Trasse über den Hauptbahnhof hinaus zum Potsdamer Platz und schließlich bis zu den beiden S-Bahn-Stationen an der Yorckstraße führen. Eine Kurve zum Bahnhof Südkreuz wird ebenfalls dazugehören. Allerdings wird es noch 15 Jahre dauern, bis die neue Strecke komplett ist. Wie berichtet, teilte die Bahn jüngst mit, dass der dritte Bauabschnitt südlich vom Potsdamer Platz erst 2037 in Betrieb gehen wird.

Lieferengpässe und Mangel an Planern

Doch so wichtig das Vorhaben für Berlin auch sein mag – es ist in Berlin kaum bekannt. Das dürfte damit zu tun haben, dass die vor vielen Jahren begonnenen Arbeiten am ersten Bauabschnitt zeitweise nur sehr langsam vorankamen. Immer wieder drang zu viel  Grundwasser in die Baugruben ein. Eine Zeit lang hieß es, dass die Linie S15 zwischen Gesundbrunnen und Hauptbahnhof 2017 den Betrieb aufnehmen könnte. Später war von Sommer 2021, dann von Ende 2021 und schließlich von Ende 2022 die Rede. S-Bahnen des neuesten Typs sollten dafür sorgen, dass der Hauptbahnhof von Norden aus besser erreichbar ist. Doch nun ist klar: Auch in diesem Jahr geht die Strecke nicht in Betrieb.

„Die Pandemie verzögert die Fertigstellung des ersten Teilstücks der City-S-Bahn“, teilte der Bahnsprecher jetzt mit. „Grund sind insbesondere Lieferengpässe, etwa bei Schaltanlagen und speziellen Betonbauteilen wie Kabelschächten und -kanälen. Dazu kommt durch die anhaltende Corona-Situation auch ein Mangel an Fachpersonal, vor allem in der Planung.“ Zwar gebe es einen sichtbaren Baufortschritt: „Die Gleise liegen auf weiten Teilen der Strecke, die Abzweige mittels Weichen nach Gesundbrunnen und Wedding sind fertig.“ Der provisorische Endbahnhof mit seinem 75 Meter langen Behelfsbahnsteig, der sich nördlich der Invalidenstraße im Untergrund verbirgt, werde ausgebaut. Trotzdem: „Der S-Bahn-Pendelverkehr zwischen Hauptbahnhof und Gesundbrunnen wird nicht wie eigentlich geplant im Dezember 2022 aufgenommen.“

„Meilenstein des modernen Eisenbahnbrückenbaus“

Auch der Zeitplan für die übrigen Etappen des ersten Bauabschnitts ist ins Rutschen gekommen. Der geplante Endzustand sieht vor, dass die Züge südlich der Invalidenstraße enden. Zwischen dem Hauptbahnhof und dem Humboldthafen entsteht in 16 Metern Tiefe die endgültige S-Bahn-Station, die das Provisorium auf der anderen Straßenseite ersetzt. Außerdem bekommt die Trasse im Norden einen zweiten Ast, der kurz vor dem S-Bahnhof Westhafen an die Ringbahn anschließen soll. Zusammen mit dem Abschnitt,  der vor dem S-Bahnhof Wedding in den Ring mündet, wird die dann 3,9 Kilometer lange Neubautrasse auf dem Stadtplan wie ein großes Ypsilon aussehen. Die Trasse teilt sich im Nordosten von Moabit, unweit der Perleberger Brücke. Seit Kurzem ist klar, dass dort ein S-Bahnhof entsteht. Auch der Unterwegshalt, der Anschlüsse an wichtige Buslinien herstellt, wird zum Endzustand des ersten Bauabschnitts gehören.

Zuletzt hieß es, dass dieses Pensum bis 2026 abgearbeitet sein wird. Doch die Pandemie habe auch darauf „negative Auswirkungen“, teilte die Bahn jetzt mit. „Schon jetzt zeichnet sich deshalb ab, dass der Inbetriebnahmetermin 2026 nicht gehalten werden kann“, so der Bahnsprecher. „Zusätzlich erfolgen hier im Zuge der laufenden Bauarbeiten Überprüfungen vorhandener Bauwerke und Vorsorgemaßnahmen, woraus sich Umplanungen und zusätzliche Baumaßnahmen ergeben.“ Was damit gemeint ist, erfuhr die Berliner Zeitung in Bahnkreisen.

Zwei Bauleute steigen die Treppe zum provisorischen Endbahnhof nördlich der Invalidenstraße hinab. Im Hintergrund ist der Berliner Hauptbahnhof zu sehen. Ein Archivbild von 2018.
Zwei Bauleute steigen die Treppe zum provisorischen Endbahnhof nördlich der Invalidenstraße hinab. Im Hintergrund ist der Berliner Hauptbahnhof zu sehen. Ein Archivbild von 2018.dpa/Bernd Settnik

„An der Humboldthafenbrücke sind erhebliche Mängel festgestellt worden“, sagte ein Insider. Zwar ist das Bauwerk aus Stahl und Beton, das an der östlichen Einfahrt des  Hauptbahnhofs zwei S-Bahn- sowie vier Fern- und Regionalbahngleise über den Humboldthafen führt, noch ziemlich jung. Die aus vier Überbauten bestehende Brücke wurde erst 1999 fertiggestellt. 2008 wurde sie mit dem Deutschen Brückenbaupreis ausgezeichnet und als „Meilenstein des modernen Eisenbahnbrückenbaus“ gerühmt.

Sperrpausen beeinträchtigen Zugverkehr zum Hauptbahnhof

Trotzdem gebe es bereits Probleme, vor allem Korrosion, hieß es jetzt. Unter dem Beton roste der Bewehrungsstahl. Damit die Brücke stabil bleibt, müssten Fundamente verstärkt werden. Insgesamt sei eine aufwendige Schadensbeseitigung erforderlich, so die Bahn. Einstweilen werde die Brücke mit Hilfskonstruktionen gestützt. Die inzwischen begonnenen und künftig absehbaren Arbeiten betreffen auch den Untergrund – und damit den geplanten Tunnelbahnhof für die City-S-Bahn.

So viel steht nun fest: Die neue S15 zwischen Gesundbrunnen und Hauptbahnhof kann nicht Ende 2022 in Betrieb gehen, und weil die Probleme der Humboldthafenbrücke gelöst werden müssen, kann auch der Termin 2026 für die übrigen Teile des ersten Bauabschnitts nicht gehalten werden. „Neue Inbetriebnahmetermine werden aktuell geprüft und können voraussichtlich Mitte dieses Jahres genannt werden“, so die Bahn.

Klar ist bereits, dass die Arbeiten an der Brücke den Zugverkehr zum Berliner Hauptbahnhof schon bald beeinträchtigen werden. Dem Vernehmen nach wird es zwischen dem 9. April und dem 8. Juni 2022 immer wieder Sperrpausen geben. In dieser Zeit stehen zeitweise nur vier der sechs Gleise zur Verfügung.