Mobilität

In Mitte keimt neue Hoffnung: So soll es mit der Friedrichstraße weitergehen

Der Fußgängerbereich ist weg. Die Weinhändlerin Anja Schröder hat dazu beigetragen. Nach Jubeln ist ihr nicht zumute. Doch sie hat einige Ideen für den  Neuanfang.

„Ein hart erkämpfter Erfolg“: Weinhändlerin Anja Schröder aus der Charlottenstraße in Mitte.
„Ein hart erkämpfter Erfolg“: Weinhändlerin Anja Schröder aus der Charlottenstraße in Mitte.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung

Anja Schröder wirkt so, als wären die letzten Wochen anstrengend für sie gewesen. „Nein, nach Jubeln ist mir nicht zumute“, sagt sie. „Und es ist nicht so, dass hier alles gleich wieder besser wird.“ Eigentlich könnte sich die Weinhändlerin aus Mitte über ihren Erfolg freuen. Schließlich hat sie entscheidend dazu beigetragen, dass der provisorische Fußgängerbereich in der Friedrichstraße abgeräumt wurde und ein Masterplanverfahren für die historische Mitte beginnt. Doch nun steht weitere Arbeit an. Schröder hat Ideen für ihr Viertel. „Es wird nur klappen, wenn alle mitmachen“, sagt sie.

Die Bänke und Pflanzkübel sind weggeräumt. In der Nacht zu Sonnabend ließ der Senat auch die Sperren, die seit Ende Januar Kraftfahrzeuge draußen hielten, abbauen. Ein Verkehrsexperiment, das mit vagen Ideen des ADAC begann, anfangs von der SPD unterstützt und zuletzt mehr als zweieinhalb Jahre von den Grünen am Leben gehalten wurde, ist Vergangenheit. Nun gehört die Fahrbahn der Friedrichstraße auch zwischen der Leipziger und der Französischen Straße wieder den Autos. Berlins neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hatte die Wiedereröffnung angeordnet.

„Das ist ein hart erkämpfter Erfolg.“ Einen Block von dem einstigen autofreien Bereich entfernt steht Anja Schröder in ihrem Geschäft. Die Weinhändlerin aus der Charlottenstraße könnte jetzt einen guten Sekt aufmachen oder etwas von dem dänischen Lakritz mit Zitronenschokolade genießen, das neuerdings zu ihrem Sortiment gehört. Doch das steht jetzt nicht auf dem Programm. In der Vergangenheit musste es allerdings einmal ein Schnaps sein. Dazu später.

Sitzbänke, Vitrinen, 65 Bäume in Kübeln – die Flaniermeile

Diesmal ist es stilles Wasser. Anja Schröder nimmt einen Schluck und fängt an zu erzählen. „Als ich 2005 hierher kam, fand ich ein gutes, funktionierendes Stadtquartier vor.“ Sie könne sich nicht daran erinnern, dass in dem Viertel, das sich rund um den Gendarmenmarkt und die Friedrichstraße erstreckt, auch nur ein Geschäft lange leer gestanden habe. Mit dem Vau gab es damals noch ein weiteres Sterne-Restaurant. Anja Schröder denkt gern an die Zeit zurück. „Es war ein hoffnungsvoller Anfang“, sagt sie.

Wie früher: Seit der Nacht zum 1. Juli ist auch der Abschnitt zwischen der Leipziger und der Französischen Straße wieder für Kraftfahrzeuge befahrbar. Er war Ende Januar für Fußgänger geöffnet worden.
Wie früher: Seit der Nacht zum 1. Juli ist auch der Abschnitt zwischen der Leipziger und der Französischen Straße wieder für Kraftfahrzeuge befahrbar. Er war Ende Januar für Fußgänger geöffnet worden.Sabine Gudath/Berliner Zeitung

Doch der Eindruck von großer Kaufkraft, edlen Läden und Restaurants bekam Risse. Als ab 2010 Unter den Linden die Baustelle für die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5  heranwuchs, entstand im Viertel das Gefühl, abgeriegelt zu sein. 2011 kam mit dem Quartier 206 ein stadtbildbestimmendes Gebäude jahrelang unter Zwangsverwaltung. Langfristige Mietverträge wurden nicht mehr vergeben. Der Leerstand nahm zu – auch in anderen Gebäuden. Die Krise dieses Teils der Friedrichstraße wurde immer sichtbarer.

Die Folgen der Corona-Pandemie hatten die Lage bereits verschärft, als am 29. August 2020 die „Flaniermeile“ hinzukam. Die damalige Verkehrssenatorin Regine Günther und Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (beide Grüne) ließen den 500 Meter langen Abschnitt rund um das Warenhaus Galeries Lafayette für Fußgänger öffnen – und für Kraftfahrzeuge sperren. Sitzbänke, Vitrinen und 65 Bäume in Kübeln wurden aufgestellt. In der Mitte markierte man mit gelber Folie einen Radweg, ebenfalls provisorisch. 

An Demokratie und Rechtsstaat gezweifelt

Nicht nur sie, auch andere Anrainer seien „total geschockt“ gewesen, erinnert sich Anja Schröder. Die Planung, die der Senat und der Bezirk angeblich ergebnisoffen mit ihnen diskutieren wollten, war wenige Stunden zuvor in einer Zeitung erschienen – als längst beschlossenes Konzept. Vor ihrem Geschäft wurde es voll, weil die Charlottenstraße Ausweichverkehr aufnehmen musste. Abgase umnebelten ihre Gäste und die Besucher der Restaurants. Dabei war in dieser Phase der Pandemie Gastronomie nur draußen möglich.

Es begann eine Zeit der Auseinandersetzungen, in der sie sich nach und nach verändert habe, erzählt Anja Schröder. „Es gab Zeiten, in denen ich an unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat gezweifelt habe.“ Als Senatorin Günther Ende 2021 während eines Treffens den Verkehrsversuch als Erfolg verkaufte, sei sie so wütend gewesen, dass sie erst mal einen Schnaps gebraucht habe. „Da kam in mir der Pommer hoch“, sagt die Frau, die in Rostock geboren und weiter östlich an der Ostseeküste aufgewachsen ist. Doch sie habe in dieser Zeit auch eine Menge gelernt: „Dass man manchmal laut werden muss, um gehört zu werden.“ Und dass es wichtig ist, Mitstreiter zu gewinnen.

So sah sie aus, die Flaniermeile zwischen der Leipziger und der Französischen Straße.
So sah sie aus, die Flaniermeile zwischen der Leipziger und der Französischen Straße.Dirk Sattler/imago

Das „Störgefühl“, dass in ihrem Viertel etwas falsch lief, wurde immer größer. Anfang 2022 rief sie mit anderen das Aktionsbündnis Rettet die Friedrichstraße ins Leben. Und sie zog dagegen vor Gericht, dass der Senat den Fußgängerbereich nach dem Ende des Verkehrsversuchs nicht abbaute. Das Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht hatte im vergangenen Herbst Erfolg, die Autos durften wieder fahren. Zwar ließ Bezirksstadträtin Almut Neumann (Grüne) den Abschnitt Januar 2023 wieder sperren, doch die neue Verkehrssenatorin hob im Mai die Vollziehung der Anordnung auf.

Berlins Piazza: Straßen am Gendarmenmarkt künftig für Autos tabu?

Das Masterplanverfahren, das Schreiner angekündigt hat, soll diesem Teil des östlichen Stadtzentrums das seit Langem geforderte Gesamtkonzept bescheren. Im Herbst soll es losgehen. Dem Vernehmen nach soll Norman Niehoff, einst Chefverkehrsplaner der Stadtverwaltung Potsdam, das Verfahren leiten. Ende Juni fand in der CSR-Galerie ein erstes Gespräch mit Staatssekretärin Claudia Elif Stutz (CDU) statt. Sie sei mit einem guten Gefühl nach Hause nach Charlottenburg gefahren, sagt Anja Schröder.

Sie sei froh, dass jetzt vernünftig und mit einer breiten Beteiligung diskutiert werden soll, so die Geschäftsfrau. Auch sie habe einige Ideen. „Ich könnte mir vorstellen, dass der Gendarmenmarkt komplett verkehrsberuhigt wird.“ Damit meint sie den Platz, der derzeit saniert wird, und die angrenzenden Straßenabschnitte, erklärt Schröder. „Er ist einer der schönsten Plätze Berlins und könnte die Piazza werden, die sich die frühere Verkehrssenatorin Bettina Jarasch auf der Friedrichstraße gewünscht hat.“ Allerdings müssten Hotels und Geschäfte erreichbar bleiben – etwa für Lieferungen.

Ganz wichtig für sie sei: „Auch die Immobilieneigentümer müssen mitmachen“, fordert Anja Schröder. Sie hätten sich für ihr Gefühl zu sehr zurückgehalten. Die  Gewerbetreibenden und ihre Verbände seien ebenso aufgerufen, aktiv zu werden.

Blumenkübel am Fahrbahnrand

Für die Friedrichstraße sollte der Werkzeugkasten der Planer mit mehr Alternativen gefüllt werden als bisher, wünscht sich die Weinhändlerin aus der Charlottenstraße. „Die Blumenkübel hätte man stehen lassen können“ – am Rand. Parkplätze seien dort ihrer Meinung nach nicht nötig, sagt Anja Schröder. Wenn der Abschnitt an einigen Abenden oder manchen Wochenenden für Veranstaltungen und Fußgänger geöffnet wird – warum nicht? Auch dies könnte man prüfen. Am 12. Juli ab 18 Uhr gebe es einen Testlauf.„Verkehrsberuhigung heißt für mich nicht, eine Straße gleich für Autos zu sperren.“

Dass die Verkehrssenatorin nicht ausschließen will, dass am Ende wieder ein Fußgängerbereich in der Friedrichstraße entsteht, mache ihr keine grundsätzlichen Sorgen. „Wenn es einen guten Plan gibt, können wir damit leben“, meint Anja Schröder. Und wirkt dann doch wieder hoffnungsvoll. So wie damals, wie 2005.


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