Neue Besen kehren gut, verheißt der Volksmund, und wer derzeit zufällig ein Kind im schulpflichtigen Alter hat oder eines, dem die Schule noch bevorsteht, der drückt der neuen Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch bestimmt die Daumen für ihr Vorhaben, das Berliner Schulwesen umzukrempeln. Wer Lehrer ist, drückt zaghaft mit, ohne recht daran zu glauben.
Zum einen, weil die neuen Besen in der Vergangenheit eben nicht immer so gut kehrten, sondern bestenfalls Staub aufwirbelten. Und zum anderen, weil er ahnt, was von mancher vollmundigen Ankündigung am Ende übrig bleiben wird.
Pläne nicht umsetzbar
So fand sich im „Berlin-Plan“ der CDU eine Reihe guter Ideen, von denen im Koalitionsvertrag nun nicht mehr die Rede ist. Sicher nicht, weil die SPD ihr Veto eingelegt hätte, sondern schlicht, weil sie auf lange Zeit unmöglich umzusetzen sind: Gymnasien sollte es freigestellt werden, bei Bedarf wieder zum 13-jährigen Abitur zurückzukehren, und Unterrichtsausfall durch eine 110-prozentige Personalausstattung vermieden werden.
Maximal 20 Schüler sollten zukünftig an der Grundschule, 25 an der weiterführenden Schule unterrichtet werden, und diese Zahlen sogar im Schulgesetz festgeschrieben werden.
Als die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor den Sommerferien bei ihren Streiks unter anderem den letzten Punkt ins Zentrum ihrer Forderungen stellte, äußerte Günther-Wünsch Verständnis, winkte aber unter Verweis auf den Personalmangel ab. Das mochte ein wenig dreist wirken, war aber richtig und alternativlos.
Solange an vielen Schulen teils massiv Unterricht ausfällt oder nur fachfremd vertreten wird und Förderunterricht schon nicht mehr entfällt, sondern von vornherein zusammengestrichen wird, solange bleiben kleinere Klassen utopisch.

Unterrichtsversorgung ausbaufähig
Gleichfalls drängt sich die Frage auf, wie die imposanten Vorhaben des Koalitionsvertrags – mehr Werken und Technik, Weltanschauungen/Religion als neue Wahlpflichtfächer, das elfte Pflichtschuljahr für Schüler ohne Abschluss – bei allem Reiz wirklich sinnvoll angegangen werden können, ehe es nicht gelungen ist, die allgemeine Unterrichtsversorgung zumindest wieder auf das Niveau der 2010er-Jahre zu bringen; als man trotzdem meilenweit davon entfernt war, alle Kinder adäquat zu fördern, und in den relevanten Bildungsvergleichen unter den Bundesländern recht verlässlich gleich nach Bremen am Ende rangierte.
Dass im Koalitionspapier die „Lehrkräfteausstattung“ als „eine zentrale Aufgabe“ erkannt wird, ist da wenig tröstlich, weil hier der bestimmte Artikel vor dem Substantiv zu stehen hätte.
Und dass man unter anderem die Einführung des Quereinstiegs von Ein-Fach-Lehrern „prüft“, statt die schnelle Umsetzung zum Ziel zu erklären, lässt befürchten, dass die Dringlichkeit zum Handeln immer noch nicht in Gänze begriffen wurde und die alte Tradition des Vertrödelns und Fortwurstelns gepflegt werden soll.
Lehrermangel an Grundschulen: Handeln wird dringlicher
Seit Jahren laufen die Senatsverwaltungen dem anwachsenden Personalmangel hinterher. Löcher in der Personaldecke der Grundschulen werden durch Gymnasiallehrer gestopft, Fachunterricht wird dauerhaft fachfremd erteilt, langzeiterkrankte Kollegen werden wie selbstverständlich monatelang durch (oft sehr gute) Studenten mit Zeitverträgen vertreten. Was als Warnsignal hätte wahrgenommen werden müssen, glaubte man, aussitzen zu können.
Als schließlich Stellen nicht mehr besetzt werden konnten, öffnete man selektiv die Ausbildung für Quereinsteiger in Mangelfächern, heute nimmt man jeden, der sich bewirbt, und zur Kenntnis, dass zum neuen Schuljahr trotzdem weit über 1000 Lehrerstellen unbesetzt bleiben werden. Wann, wenn nicht jetzt wäre der Zeitpunkt zu handeln, statt zu prüfen, zu überlegen, zu erwägen?
Den Quereinstieg für Ein-Fach-Lehrer zu öffnen, mag keine gordischen Knoten durchschlagen, es wäre aber eine offensichtliche Stellschraube für die schnelle Verbesserung der Unterrichtsversorgung. Anstatt einen diplomierten Sportwissenschaftler möglichst zügig zu einem motivierten und fachlich über jeden Zweifel erhabenen Kollegen auszubilden, lässt man ihn oder sie im Falle der Grundschule derzeit zunächst ein Probejahr ableisten, dann zwei Fächer nachstudieren, was abermals je ein Jahr verschlingt, um das Ganze dann mit einem 18-monatigen Referendariat abzurunden.

Am Ende steht somit oft eine viereinhalbjährige Ausbildung, von der man viel Zeit in Universität und Lehrerseminar hockt, statt in seiner Schule Unterricht zu erteilen. Eine langjährige Ausbildung vor allem, die nicht selten von Vätern und Müttern junger Kinder in der Mitte ihres Lebens gewagt wird und diese nötigt, weitere Fächer nachzustudieren, denen sie auf ihrem ersten Bildungsweg vielleicht aus gutem Grund aus dem Weg gegangen sind.
Muss das System reformiert werden?
Statt also eine Mathematikerin oder einen Musiker der Einfachheit halber zu Mathe- und Musiklehrern zu machen, bildet man beide zusätzlich in Fächern aus, für die nicht selten authentisches Interesse, Leidenschaft und vielleicht sogar die Eignung fehlen.
Wie viele der Quereinsteiger deshalb das Handtuch werfen, ist nicht bekannt, sehr wohl aber liest man offene Briefe oder hört im Lehrerzimmer ihr Murren über realitätsferne Studieninhalte, die für berufstätige Eltern eben schwerer zu stemmen sind, als für Studenten in ihren Zwanzigern.
Warum aber, wie gefordert, Ansprüche absenken, wenn diese Menschen doch auch einsetzbar wären, wo Talent und Neigung liegen – und dazu noch sofort oder zeitnah? Warum, vor allem, den Kreis potenzieller Bewerber auf diese Weise unnötig einengen?
Wie wäre des Lehrermangels ansonsten Herr zu werden? Die erleichterte Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse, zu der sich die Koalition ebenfalls bekennt, könnte in der Tat ein wenig helfen. Oder man müsste das halbherzige Bemühen der letzten Jahre intensivieren, die vielen Lehrer in Teilzeit zur Mehrarbeit zu motivieren.
Hohe Unzufriedenheit
Die Arbeitszeit einfach zwangsweise zu erhöhen, wie in einigen Bundesländern bereits erfolgt oder ernsthaft erwogen, wird der Senat freilich nicht wagen können. Auch wenn Berlin seine ausgebildeten Referendare seit einem Jahr wieder verbeamtet, ist der Großteil der Lehrerschaft weiterhin angestellt und damit streikberechtigt.
Viele von ihnen sind ohnehin höchst unzufrieden mit den Zuständen an Berlins Schulen und nun zusätzlich gefrustet, weil sich ihre eigene Verbeamtung auf unbestimmte Zeit verzögert.

Gefrustet, weil der Senat sie unter Hinweis auf die Schwierigkeiten gelassen um Geduld bittet, als würden sie nicht ohnehin seit Jahren im Vergleich zu ihren Kollegen auf Lohn, Zulagen und Pensionsansprüche verzichten. Irritiert, dass der noch unter dem alten Senat beschlossene finanzielle Nachteilsausgleich für die angestellten Lehrer auch nach Monaten noch nicht den Weg auf das Konto findet, obwohl der Koalitionsvertrag versprach, dies „schnellstmöglich“ umzusetzen.
Empört, weil alles darauf hindeutet, dass der Senat die Ankündigung der Vorgängerregierung aufgreift, derzeitigen Quereinsteigern, die nicht verbeamtbar sind, nach ihrer Prüfung plötzlich 1600 Euro weniger zahlen zu wollen, als zu Beginn ihrer Ausbildung explizit in Aussicht gestellt. Weil sonst der endgültige Rauswurf aus der Tarifunion der Länder droht, die es nicht länger dulden will, dass Berlin Angestellte besser bezahlt als sie. Obwohl sie kein Problem damit hat, dass jedes Land seine Beamten unterschiedlich bezahlt.
Dass womöglich 2025 aus gleichem Grund die Hauptstadtzulage von 150 Euro für alle Bediensteten auslaufen könnte, wird die Streikbereitschaft im Vorfeld der anstehenden Tarifverhandlungen sicher ohnehin auf ein neues Niveau heben. Man möchte sich nicht vorstellen, die Berliner Politik würde in dieser aufgeheizten Stimmung auf den Gedanken verfallen, den Lehrern noch Mehrarbeit vorzuschreiben.
Auf der anderen Seite hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz diesen Punkt vor einigen Monaten als die Maßnahme mit dem größten Potenzial hervorgehoben, um Lücken in der Unterrichtsversorgung zu schließen. Zwar liegt die Teilzeitquote im vergangenen Schuljahr bundesweit mit 40,6 Prozent angesichts des hohen Frauenanteils unter den Lehrern keinesfalls nennenswert höher als erwartbar, aber das Ausmaß, in dem vom Vollzeitdeputat abgewichen wird, eben schon.
Also doch die Stundenzahl der Teilzeitkräfte anheben, den Widerstand der Gewerkschaften und die Streiks, die es so oder so geben wird, einfach aussitzen?
Attraktivität des Lehrerberufs sinkt
Man möchte eher raten, sich auf die Worte der ehemaligen Bildungssenatorin Busse zu besinnen. Die hatte im Rahmen der Vorstellung der SWK-Vorschläge gefordert, bei der Wahl der Maßnahmen im Blick zu behalten, wie sie sich auf die derzeitigen Lehrer und die „künftige Attraktivität pädagogischer Berufe“ auswirken.
Wie steht es dahingehend um die Anregung der SWK, die Unterrichtsverpflichtung aller Lehrer hochzusetzen, wie seit Ostern in Sachsen-Anhalt praktiziert? Oder die Klassenstärke an den weiterführenden Schulen zu erhöhen? Oder die Abordnung von Kollegen an Schulen mit besonders großem Bedarf, vulgo: Brennpunktschulen, zu erleichtern?
In NRW ist das demnächst wohl im Umkreis von bis zu 50 Kilometern vom Wohnort entfernt möglich. Ob es Mütter verleiten wird, nach der Geburt eines Kindes früher wieder voll in den Beruf einzusteigen? Einen Kollegen Mitte 60, noch zwei, drei Jahre dranzuhängen? Oder alle anderen, weiter mit vollem Einsatz zu unterrichten anstatt mürrisch Dienst nach Vorschrift zu schieben? Wohl kaum. Weil Lehrer auch keine besseren Menschen sind. Werden vor allem aber die Schüler den Beruf noch als attraktive Karriereoption wahrnehmen? Fragen Sie mal Ihr Kind.

Mehrbelastung sollte verhindert werden
Vielleicht würde es sich eher lohnen, versuchsweise endlich jenen Absichtserklärungen Taten folgen zu lassen, den beruflichen Alltag der Lehrer wieder etwas zu entlasten. Nicht zu versuchen, Überforderung durch Achtsamkeits-Coachings wegzuhexen, wie es die SWK vorschlägt, sondern durch Rückbesinnung auf die eigentlichen Aufgaben eines Lehrers viel von dem wegzustreichen, was in den letzten Jahren an Bürokratie und Konzeptarbeit hinzugekommen ist.
Dazu die Elternarbeit begrenzen und, vor allem am Gymnasium, den Korrekturaufwand verringern, wo das möglich ist. Gerne auch für Inklusion und Integration studentische Assistenzen im Unterricht etablieren – oder zur Sicherstellung der Hausaufgabenbetreuung im Hort. Vielleicht noch Lerntherapeuten an den Schulen installieren? Warum nicht! Nur eben bitte dauerhaft integriert und nicht als temporärer Ersatz auf unbesetzten Lehrerstellen.
Wer weiß, ob nicht so mancher Lehrer plötzlich doch wieder mehr vor der Klasse stehen wollte. Von sich aus. Weil der Beruf in der Tat nicht nur gut bezahlt, sondern auch erfüllend sein kann. Das alles wäre zwar nur ein erster Schritt auf dem langen Weg zu einem international konkurrenzfähigen Bildungswesen. Aber der fällt bekanntlich am schwersten.
In einem Interview offenbarte Günther-Wünsch kurz nach ihrem Amtsantritt, ihren Oberarm ziere die Tätowierung eines Zitats: „Gebt mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde.“ Ein Ausspruch des Archimedes und sehr geeignet, als reformwilliger Politiker den in Tinte gegossenen Anspruch zu bekunden, etwas in der Welt zu verändern.
Statt zu mäkeln und schwarzzumalen, sollten wir – Eltern, Schüler und Lehrer – trotz aller Ungeduld vielleicht wirklich erst einmal vertrauensvoll beiseite treten und ihr ein wenig Zeit zugestehen – egal, wie viel bereits verplempert wurde. Und ihr, wenn das nicht zu plump klingt, für den nächsten Besuch im Tattoo-Salon den berühmten Aphorismus Kästners ans Herz legen: „Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es.“
Wer weiß, am Ende gelingt es ihr, zumindest einige der hehren Ziele umzusetzen, die sie sich gesetzt hat. Die Auswirkungen des Personalmangels doch irgendwie abzufedern. Die frühkindliche Erziehung zu stärken. Die alljährliche Farce rund um die Schulplatzvergabe an den Gymnasien und Sekundarschulen zu beenden. Warten wir geduldig ab.
Ob wir dann am Ende der Legislaturperiode ausnahmsweise einmal Besserung konstatieren können? Dum spiro, spero. Solange ich atme, hoffe ich.
Thomas Arnold ist Lehrer an einer Berliner Grundschule. Der Autor verwendet ein Pseudonym, sein Name ist der Redaktion bekannt.
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