Lehrkräfte streiken

Berliner Lehrer im Warnstreik: Was ist mit dem Wahlversprechen der CDU passiert?

Zum 14. Mal streiken die Berliner Lehrkräfte für die immer gleiche Forderung: Sie fordern kleinere Klassen und weniger Stress. Schaut die Politik weiter nur zu?

Lehrerstreik in Berlin: Tausende Demonstranten fordern kleinere Klassen und bessere Arbeitsbedingungen.
Lehrerstreik in Berlin: Tausende Demonstranten fordern kleinere Klassen und bessere Arbeitsbedingungen.Bernd Friedel/imago

Ryan Plocher unterrichtet seit neun Jahren Englisch und Gesellschaftswissenschaften an der Fritz-Karsen-Schule in Neukölln. Er nennt die Bildungspolitik in dieser Stadt „nicht relevant“. Relevanter sei, ob Autos in der Friedrichstraße fahren dürfen, sagt der 38-Jährige. „Ich sehe die Entscheidung zwischen meiner Gesundheit und der Qualität meines Unterrichts, und ich möchte in den nächsten 30 Jahren weiterhin Lehrer sein können“, sagt Plocher. „Das bedeutet, dass ich schlechter unterrichte, um meine Gesundheit zu schützen, weil ich gerne Lehrer bin und es weiterhin bleiben möchte.“ 

Je wärmer es in Berlin wird, umso näher rücken die Sommerferien. Bis dahin sind es noch sechs Wochen. In dieser Woche gibt es für viele Schüler trotzdem schon drei schulfreie Tage: Vom 6. bis zum 8. Juni findet nämlich ein dreitägiger Warnstreik der Berliner Lehrkräfte statt. Es ist bereits der 14. Warnstreik dieser Art mit dem Ziel, entweder das Tarifgehalt zu erhöhen oder für kleinere Klassen zu sorgen. Die Forderungen sind nicht neu und werden mittlerweile seit zwei Jahren von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) an Berlins Senat gestellt.

Die GEW will das zahlenmäßige Verhältnis von Schülern zu Lehrkräften verbindlich regeln und die Klassengröße in einem „Tarifvertrag Gesundheitsschutz“ festlegen. Im Juni 2021 stellte die Gewerkschaft die Forderung erstmals auf und ruft seitdem immer wieder zu Warnstreiks auf, um ihr Anliegen zu bekräftigen. 

„Der Senat lehnt Verhandlungen ab“

Dem GEW-Pressesprecher Markus Hanisch ist bewusst, dass ein Warnstreik nicht „von heute auf morgen die Klassen verkleinern“ wird. „Aber wir wollen es verbindlich mit dem Senat vereinbaren“, sagt er der Berliner Zeitung. Er hoffe auf einen Ausbruch aus der Abwärtsspirale in den nächsten Jahren: „Nur ein Tarifvertrag gibt uns ein Instrument in die Hand, mit dem wir den Senat dazu zwingen können, Verbesserungen endlich verbindlich anzugehen.“ Er sei zu Verhandlungen mit dem Finanzsenator bereit, die dieser jedoch kategorisch ablehne. „Daher rufen wir zum Warnstreik auf, um unseren berechtigten Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen.“

Am 31. Mai traf sich die GEW mit Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) und Finanzsenator Stefan Evers (CDU). Fortschritte in den Verhandlungen gab es jedoch keine und somit bestätigten die Lehrkräfte den Warnstreik. Wie sein Vorgänger Daniel Wesener (Grüne) vertritt auch Evers die Ansicht, dass Berlins Senat nicht über den Tarifvertrag Gesundheitsschutz verhandeln kann, ohne dass die Hauptstadt aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ausgeschlossen würde. Zudem sagte Günther-Wünsch, dass die Forderung nach kleineren Klassen momentan wegen des bundesweiten Lehrermangels so nicht zu realisieren sei.

Der Vorsitzende der GEW, Tom Erdmann, ist der Meinung, dass Arbeiterrechte erkämpft werden müssen. „Fünf-Tage-Woche, Lohnvorzahlung im Krankheitsfalle und Mutterschutz wurden alle erkämpft“, sagt er, „auch wenn es die Arbeitgeber ursprünglich nie wollten.“ Wenn das Land Berlin einen Tarifvertrag für kleinere Klassen haben wolle, müsse es um Zustimmung im Arbeitgeberverband werben. Als Beispiel nennt er das Bundesland Hessen. „Sie haben ihren eigenen Tarifvertrag, weil sie nicht in der Tarifgemeinschaft sind.“ So konnten sie bessere Regelungen für Angestellte im öffentlichen Dienst verhandeln.

CDU verfolgt ihre Ziele nicht mehr

Berlinweit werden derzeit die Klassen immer größer, zum Teil wegen steigender Schülerzahl oder wegen des Lehrkräftemangels. Die Lehrer werden für diese Mehrarbeit nicht entlastet. In manchen Berliner Schulen sitzen bis zu 36 Schüler in einer Klasse, obwohl in einer Grundschulklasse offiziell nicht mehr als 24 Schüler erlaubt sind. Im Wahlprogramm der CDU war eines der Versprechen, die Klassengröße auf maximal 20 Kinder zu begrenzen.

Der GEW-Vorsitzende Erdmann ist ernüchtert: „Dieses Ziel wird scheinbar nicht mehr verfolgt.“ Er habe im Koalitionsvertrag keine Zahl dazu finden können. „Kein Schulgesetz, keine Klassengröße, nichts.“ Da habe es auch nicht geholfen, dass die Lehrer während der Koalitionsverhandlungen gestreikt hätten.

Unterstützung erhält die GEW von der Berliner Schülervertretung, die aber gleichzeitig auch Kritik übt. „Wir finden es problematisch, dass der Warnstreik an Prüfungstagen stattfindet“, sagt der Sprecher des Landesschülerausschusses, Paul Seidel. Er nennt das unsolidarisch. Wenn mündliche Abiturprüfungen verschoben werden, sei das für betroffene Schüler schwierig. Die GEW erklärte, sie habe versucht, möglichst wenige Prüfungstermine zu beeinträchtigen. Der Streik sei langfristig angekündigt gewesen.

Lehrer im Burnout und schlechte Schüler mit positivem Abschluss

Ein Lehrer aus Prenzlauer Berg, der anonym bleiben möchte, sagte der Berliner Zeitung: „Das Bild von Sardinen in einer Dose beschreibt die Situation ganz gut, und es ist logisch, dass die Lernatmosphäre und vor allem die Förderung einzelner Schüler dann auf der Strecke bleibt.“ Lehrermangel und zu große Klassen passen seiner Meinung nach nicht gut zusammen. „Wir sollen andere Fächer unterrichten, für die wir nicht qualifiziert sind“, sagt der Berufsschullehrer, „oder wir sollen zwei Klassen gleichzeitig vertreten.“ Das habe auch schwere Folgen wie Burnout, die sich wiederum auf die Schüler auswirken.

Auch der Warnstreik hat Folgen für den Schulbetrieb: Wie heftig sie sind, hängt nicht zuletzt von der Streikbeteiligung ab. In Berlin gibt es rund 34.000 Lehrerinnen und Lehrer. Viele davon sind Angestellte und dürfen – anders als Beamte – streiken. An den bisherigen Warnstreiks beteiligten sich laut GEW zuletzt jeweils zwischen 2500 und 4000 Lehrkräfte.

„Tatsächlich kommt es immer wieder vor“, sagt der Lehrer aus Prenzlauer Berg, „dass aufgrund von Dienstanweisungen Schüler trotz mangelhafter Leistungen ihre Ausbildung bestehen.“ Und das nur, weil die Schulaufsicht das so wolle, weil sonst herauskäme, dass die Qualität des Unterrichts so stark gesunken sei. „Dann werden neue Gutachten für eigentlich schlechte Abschlussarbeiten erstellt, um am Ende des Jahres möglichst viele positive Abschlüsse für die Statistik zu bekommen.“