Katharina Günther-Wünsch wusste früh, was auf sie zukommen könnte. Sie gehörte zu den ganz wenigen Personen, die der damalige CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner in sein Schattenkabinett holte.
Dann gewann die CDU tatsächlich die Abgeordnetenhauswahl im Februar, und Günther-Wünsch wurde, wie abgemacht, Wegners Bildungssenatorin. Als erste CDU-Frau nach 27 Jahren SPD-Führung. Ein Gespräch über das Wörtchen „anders“, Schulfrieden ohne Experimente und einen guten Rotwein anstatt einer weiteren Tätowierung.
Frau Günther-Wünsch, als allererstes: Wie geht es den beiden Mädchen, die vorige Woche an einer Schule in Neukölln niedergestochen wurden?
Es geht ihnen zum Glück derzeit schon etwas besser. Ich habe am Wochenende noch einmal mit dem Geschäftsführer der Evangelischen Schulstiftung gesprochen.
Ist absehbar, wie lange das Mädchen, das lebensgefährlich verletzt war, im Krankenhaus bleiben wird?
Nein, und das sollte auch Privatsphäre sein. Dabei soll es bleiben.
Nun ist da jemand auf den Schulhof gekommen und hat auf die Mädchen eingestochen, ohne dass es jemand verhindert hat. Wie kann so was passieren?
Wir alle wünschen uns – und das sage ich jetzt als Pädagogin und Mutter von vier Kindern –, dass unsere Kinder, wenn sie nicht bei uns sind, hundertprozentig sicher sind. Und Schule muss ein geschützter Raum sein. Das gesamte pädagogische Personal hat regelmäßig Weiterbildungen, wie man eine Aufsicht macht und wie ein Schulhof gesichert sein muss. Dennoch bleibt ein Restrisiko. Aber keiner von uns will Schulhöfe, wo an jedem Eingang Wachpersonal steht, sondern wir wollen einen geschützten Schulhof. Aber es stimmt: Gerade in den Ankommens- und Abgehzeiten ist viel los. Die Eltern kommen, machen den Riegel hoch, das Tor geht auf, sie holen ihr Kind ab … Da kann es nicht immer eine 100-prozentige Sicherheit geben.
Das heißt, Sie sehen keinen Handlungsbedarf, etwa mit Tür-Code und Gegensprechanlage zu arbeiten?
So etwas haben wir häufiger in Kitas, auch, um zu verhindern, dass Kinder hinausgehen. Sicherlich kann man das im Einzelfall prüfen. Jede Schule kann einen Bedarf anmelden, etwa weil sie vermehrt schulfremde Personen auf dem Schulhof hat. Dann kann man so eine Maßnahme auch treffen.
Und dann wären Sie dabei?
Ich würde das unterstützen, wenn die Schule es will und es zum individuellen Sicherheitsbedürfnis beiträgt. Ich mag bloß keine Pauschallösungen.
Nun wird an manchen Schulen in Neukölln auch mit Wachschutz gearbeitet …
… meine ehemalige Schule hat Wachschutz. Auch in Neukölln.
Okay! Haben Sie einen Überblick, wie viele Berliner Schulen im Moment Wachschutz beschäftigen?
Nicht viele, vor allem aber in Neukölln. Es obliegt den Bezirken als Schulträger, sie bezahlen es auch. Wir tragen die Zahlen gerade zusammen.
Sie haben an der Walter-Gropius-Schule in Gropiusstadt gearbeitet, waren dort stellvertretende Schulleiterin. Warum gibt es dort einen Wachschutz?
Es gab innerhalb der Schulgemeinschaft Konflikte, die wollten wir befrieden. Da sollte niemand von außen noch unbefugt hinzukommen.
Aber Wachschutz schützt auch vor der Außenwelt. Brauchen wir mehr davon?
Es liegt in der Hand der einzelnen Schulen. Dann wird individuell geprüft.

2013 trat sie eine Stelle als Studienrätin in Neukölln an, wo sie schließlich stellvertretende Schulleiterin wurde. Zu diesem Zeitpunkt gehörte sie schon dem CDU-Kreisverband Wuhletal an. 2021 wurde sie ins Abgeordnetenhaus gewählt. Im April wurde sie als Berliner Bildungssenatorin vereidigt.
Gibt es Meldungen, dass vermehrt Schulfremde auf die Gelände kommen?
Nein, gar nicht. Wir haben auch nach dem Vorfall nichts von anderen Schulen gehört, auch nicht von den Verbänden der Schulleitungen, mit denen ich danach Kontakt hatte. Im Gegenteil: Alle haben gesagt, dass die Reaktion richtig ist und sie kein flächendeckendes Sicherheitspersonal wollen. Der Landeselternausschuss hat es ähnlich kommentiert. Aber unsere Zusage steht: Wenn es das individuelle Bedürfnis gibt, unterstützen wir das.
Was kommt dazu von der betroffenen Schule, der Evangelischen Schule Neukölln?
Die Schulgemeinschaft muss erst mal zur Ruhe kommen. Wenn es dann etwas geben sollte, wird man auf uns zukommen. Wir stehen bereit. Aber die schreckliche Tat ist jetzt gerade fünf Tage her …
Frau Günther-Wünsch, kaum im Amt, müssen Sie sich mit diesem fürchterlichen Vorfall auseinandersetzen. Dabei haben Sie sicher so viel vor als Senatorin, als erste CDU-Frau nach 27 Jahren SPD in der Bildungsverwaltung. Also: Was ist zu erwarten? Was wird anders?
Ich bin vorsichtig mit dem Begriff „anders“. Wir alle haben hier drei große Themen: Wir brauchen Schulplätze. Wir brauchen Personal. Und wir müssen endlich über die Bildungsergebnisse und damit die Bildungsqualität an unseren Schulen sprechen. Es geht nicht um SPD- oder CDU-Bildungspolitik. Sondern es geht darum, den Pädagogen, Schülern und Eltern endlich ein System zu bieten, das für jeden einen Platz bietet und das qualifizierten Unterricht vermittelt. Wir wollen ein Bildungssystem, das unseren Kids gute Übergänge sowohl in die Grundschule als auch in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Und daran arbeiten wir.

Diese Themen waren auch die Themen Ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger. Was wollen Sie anders machen?
Das Einzige, was ich auch in den Koalitionsverhandlungen immer deutlich gemacht habe: Es wird weder eine Schulstrukturreform geben noch werden irgendwelche großartigen neuen Modelle und Projekte starten. Wir wollen keine Bildungspolitik mit einem großen ideologischen Überbau machen, sondern wir wollen gemeinsam mit den Schulen diese drei großen Baustellen angehen – und das über die nächsten dreieinhalb Jahre.
Das ist also Ihr Credo: Schulfrieden, keine Experimente?
Wir wollen die Schulen zur Ruhe kommen lassen, ihnen gerade auch nach den Jahren der Pandemie Sicherheit und Stabilität geben.
Und was tun Sie, zum Beispiel, um zu verhindern, dass weiterhin viele eine Berliner Schule ohne Abschluss verlassen?
Schulabbrecher wird es weiter geben. Aber derzeit wissen wir nicht einmal, was aus ihnen wird. Die landen dann oft in den Sozialsystemen, aber wir haben sie nicht mehr in unserer Statistik. Wir haben uns deshalb darauf verständigt, ein elftes verpflichtendes Schuljahr einzuführen. Das ist natürlich kein reines Schuljahr, sondern es soll zum Beispiel innerbetriebliche und überbetriebliche Ausbildungen geben, in enger Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Unternehmen. Damit wollen wir sie im System behalten und ihnen Brücken für den Übergang in die Arbeitswelt bauen. Dafür brauchen wir intensive Zusammenarbeit mit den beruflichen Schulen, den Oberstufenzentren. Aber wir brauchen auch mehr Fachpersonal für die Prüfungsfächer, um die Qualität der Abschlüsse zu erhöhen.
Berliner Lehrer sollen schneller studieren
Stichwort Fachpersonal: Die Pensionierungswelle rollt, wie kriegen wir genügend neue Lehrer?
Wir wollen das Lehramtsstudium attraktiver gestalten – zeitlich angepasst an die aktuellen Anforderungen. Wenn ich mit einem Bachelorabschluss in der Raumfahrt arbeiten und ein Vielfaches eines Lehrers verdienen kann, ist es nicht mehr zeitgemäß zu sagen: Ich brauche fünf Jahre plus zwei Jahre Referendariat, bevor ich an die Kids ran kann. Wir wollen zusammen mit den Universitäten einen Bachelor of Education entwickeln. Und wir wollen, dass der Master und das Referendariat gleich lang sind, wir damit also insgesamt kürzer werden.
Und kurzfristig?
Wir überlegen, ob wir auch eine Lehrbefähigung an Einfachlehrkräfte erteilen.
Was ist das?
Man kann als Diplom-Mathematiker als Seiteneinsteiger unterrichten. Aber man kann nicht später als reguläre Lehrkraft arbeiten. Diese Leute müssen bisher mindestens ein zweites Fach nachstudieren und dann ein Referendariat machen. Wir sagen: In den Mangelfächern wollen wir auch Einfachlehrkräfte in den Quereinstieg bekommen. Dabei reden wir auch über ausländische Lehrkräfte, seien sie aus der Ukraine, aus England oder dem osteuropäischen Raum. Momentan sind die Hürden für die Anerkennung ihrer Ausbildung sehr hoch. Viele scheitern an den Sprachanforderungen. Wir wollen nicht die Qualität des Unterrichts herabsetzen, aber wir brauchen diese ausländischen Pädagogen, um Teilungsunterricht zu ermöglichen, um die Gruppen zu verkleinern, Unterstützung durch eine Doppelsteckung zu haben. Das würde die anderen Pädagogen entlasten – eine zentrale Forderung aus Verbänden und Gewerkschaft.
Oha, die Gewerkschaften sind kampferprobt.
Ich auch.
Bildungssenatorin: Es werden künftig eher mehr Lehrer fehlen als weniger
Viel Glück, das hilft sicher. Korrigieren Sie mich: Im Moment haben wir ein Minus von 1000 Lehrern. Wann sind wir bei 500?
Ich korrigiere Sie, wenn ich mit allen Abteilungen hier gesprochen habe und die Zahlen für das kommende Schuljahr habe. Aber Sie alle wissen: Wir stehen deutschlandweit nicht nur bei den Pädagogen vor einem Fachkräftemangel, sondern wir stehen vor einer demografischen Krise. Das heißt, die Lücke, wie Sie sie beschrieben haben, wird auf gar keinen Fall kleiner werden. Und das gilt bundesweit.

Sie sprachen von Baustellen. Lassen Sie uns über Schulbauten sprechen, erst über die neuen, danach über den Bestand. Was ist beim Neubau zu tun?
Viel. Wir stellen mehr Geld zur Verfügung, damit wirklich alle Maßnahmen, die genehmigt wurden, jetzt auch durchgeführt werden können. Wir wollen Entscheidungen schneller treffen, damit Planungen nicht mehr fünf Jahre oder länger dauern. Außerdem soll es leichter werden, temporäre Lösungen zu finden.
Jetzt zum Bestand. Wie viele Baumaßnahmen werden bis zum Ende der Wahlperiode fertig?
Da kann ich pauschal nichts versprechen. Nehmen Sie den Fall der Anna-Lindh-Schule in Wedding.
Ein völlig verschimmeltes Gebäude, das jetzt abgerissen wird …
Da hat uns die Debatte um Sanierung oder Neubau fünf Jahre gekostet. Wir müssen schneller und klarer werden bei den Entscheidungsfindungen und am Ende auch bei den Zuständigkeiten zwischen den Bezirken und dem Land Berlin. Wir haben nun erstmals drei Staatssekretäre und mit Staatssekretär Torsten Kühne einen ausgewiesenen Experten, der sich genau um diese Themen kümmern wird.
Das sind dicke Bretter, die Sie in relativ kurzer Zeit bohren wollen. Das betrifft auch Ihr Haus, die Senatsbildungsverwaltung. Nach 27 Jahren SPD-Herrschaft – wie groß ist die Befürchtung, dass Sie einfach ausgebremst werden?
Das ist wie in jedem Unternehmen. Eine gute Führung sorgt dafür, dass auch Output produziert wird. Wir sind hier mit einer starken Mannschaft angekommen.
Wie viele Personen haben Sie mitgebracht?
Exakt zwei! Aber wir haben mit den Staatssekretären die Geschäftsbereiche gut aufgeteilt. Und jetzt wollen wir mit dem Haus arbeiten, nicht dagegen.
Katharina Günther-Wünsch über ihre Tattoos
Zum Schluss ein persönliches Thema: Man sieht auf Fotos, dass Sie Tattoos haben. Das ist ungewöhnlich in Ihrer Position.
Meine Vorgängerin hatte ja die Referendare nach Tätowierungen abgefragt. Das wird es bei mir natürlich nicht geben. Ich werde Ihnen aber jetzt nicht sagen, wie viele Tätowierungen ich habe.
Aber vielleicht haben Sie ein Beispiel?
Na gut, auf meinem Oberarm steht: Gebt mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde. Das ist nicht mein Sonntagsspruch, das ist von Archimedes: eines der Hebelgesetze.
Warum haben Sie das machen lassen?
Alle meine Tätowierungen sind nach bestimmten Lebensentscheidungen getroffen, aber ich sage Ihnen nicht, von welchen.








