Der Start war ein Desaster für Schwarz-Rot in Berlin. Schon jetzt ist sicher: Das bisher geplante Zusammenspiel beider Parteien in Zukunft wird hochinteressant. Das Politikspektakel, das nach der so katastrophal missratenen 2021er-Wahl begonnen hat, geht weiter.
Als hätte es nicht ausgereicht, dass Berlins oberstes Gericht eine komplette Wiederholung der Wahl verfügte. Als hätte es nicht ausgereicht, dass nach einem bitterkalten Winterwahlkampf die CDU einen sensationell deutlichen Wahlsieg holte. Als hätte es nicht gereicht, dass es zwischen SPD und Grünen nur einen Mini-Abstand von gerade einmal 50 Stimmen gab. Dass die bisherige rot-grün-rote Koalition darüber zerbrach, Franziska Giffey ihr Amt als Regierende Bürgermeisterin abgab und CDU-Mann Kai Wegner Nachfolger werden sollte.
Probleme waren zu erwarten, aber nicht solche
Dass Wegner nicht komplett problemlos Regierungschef werden würde, war keine Überraschung. Zu umstritten war in der SPD die Entscheidung, Wegner ins Rote Rathaus zu verhelfen. Natürlich hat Wegner auch unter seinen eigenen Leuten nicht nur Freunde. So mancher wird ihm die Wandlung vom rechten Scharfmacher zum bürgerlichen Versöhner nicht abgenommen haben.
Auch sein harscher Umgang mit innerparteilichen Gegnern – genannt sei nicht zuletzt Generalsekretär Mario Czaja – verschreckt einige. Doch die Aussicht auf den Einzug in das Rote Rathaus nach sechseinhalb Jahren Opposition und 22 Jahren Abstinenz sollten diszipliniert haben. Sehr wahrscheinlich waren es also Sozialdemokraten, die Kai Wegner die Gefolgschaft verweigerten. Okay.
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Aber es war frappierend, wie klar Wegner im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit von 80 Stimmen verpasste. Die 71 Stimmen kamen einer Ohrfeige gleich. Noch mal zur Erinnerung: Schwarz-Rot hat 86 Abgeordnete.
Noch schlimmer für ihn war jedoch das, was danach passierte, im zweiten Wahlgang: 79 Stimmen. Schon wieder zu wenig! Wenn auch knapp.
Dass dann stundenlange Beratungen folgten, bewies, wie nervös alle waren. So recht hat keiner eine Antwort auf die Frage: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn es auch im dritten Wahlgang nicht reichen sollte?
Es reichte. Mit 86 Stimmen. Die anschließende tückische Mitteilung der AfD, sie habe Wegner mitgewählt und ihm so zum Sieg verholfen, macht es noch schlimmer. Egal, ob sie stimmt oder nicht.
Tiefe Kratzer für das schwarz-rote Projekt
Es ist natürlich nicht nur Kai Wegner, der abgestraft wurde. Dem offenbar eine Mehrheit im Parlament nicht abnahm, den Streit zwischen Autofahrern mit Radfahrern, den Gegensatz von Außenbezirken und Innenstadt zu heilen. Das gesamte schwarz-rote Konstrukt hat tiefe Kratzer erhalten, noch ehe es begonnen hat. Der Schaden ist riesengroß.
Die Turbulenzen im Parlament lassen noch – mindestens – zwei weitere Berliner Spitzenpolitiker beschädigt zurück: Franziska Giffey und Raed Saleh. Die SPD-Parteispitze hat den Wechsel zu den Schwarzen forciert, gegen den Willen großer Teile ihrer in Berlin so besonders linken Partei, die trotz Niederlage in der zuvorderst von der eigenen Partei zu verantwortenden Wiederholungswahl mit Rot-Grün-Rot allen Ernstes weitermachen wollte.
Am Ende half offenbar nicht einmal mehr das Mitgliedervotum der Partei, das mit 54,3 Prozent Zustimmung deutlich genug ausfiel.
Bemerkenswert ist vor allem, was danach folgte. Da meldete sich ein Kritiker nach dem anderen zu Wort, um zu erklären, dem Votum der Mitglieder werde selbstverständlich entsprochen. Am Ende blieb eine verschwindend kleine Gruppe von Dissidenten, die zu ihrem Nein standen.
Die Hauptstadt-SPD ist unberechenbar geworden
Und nun? Was ist davon zu halten, dass offenbar noch mehr Sozialdemokraten gegen Schwarz-Rot stimmten? Quasi aus der inneren Emigration, schließlich hatten sich bei einer internen Probeabstimmung zwischen erstem und zweitem Wahlgang nur zwei Sozialdemokraten zu ihrem Nein bekannt. Um dieses Bekenntnis wenige Minuten später in der Wahlkabine – ja, was? – vergessen zu haben?
Die Weigerung, den Frontleuten Giffey und Saleh zu folgen, wirft viele Fragen zum Zustand der Hauptstadt-SPD auf. Wenn die beiden es nicht schaffen, die Wahl ihres neuen Partners wenigstens annähernd gesichtswahrend über die Bühne zu bringen, spricht das Bände. Und es verspricht jede Menge Verwerfungen für die nahe Zukunft.
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