CDU und SPD haben bei ihren Koalitionsverhandlungen die Zielgerade fast erreicht. Am Freitag wollen die Mitglieder der Hauptverhandlungsgruppe, die sogenannte Dachgruppe mit Kai Wegner und Stefan Evers (beide CDU) sowie Franziska Giffey und Raed Saleh (beide SPD), den Koalitionsvertrag fertig bekommen.
Am Mittwoch berieten sie bei ihrem mittlerweile siebten Treffen noch einmal wichtige Themen wie Schule und Bildung, aber auch die seit langem geforderte und seit Jahrzehnten diskutierte Reform der Berliner Verwaltung. Ob’s diesmal klappt?
Das Jahr 2022 war auch parlamentarisch ein besonderes Jahr. Je näher die Wiederholungswahl rückte, desto strenger legte sich das Parlament Zurückhaltung auf. Dennoch wurden insgesamt 33 Gesetze erlassen. Darunter Wortungetüme wie das „Gesetz zum Staatsvertrag über die Errichtung und den Betrieb des elektronischen Gesundheitsberuferegisters als gemeinsame Stelle der Länder zur Ausgabe elektronischer Heilberufs- und Berufsausweise sowie zur Herausgabe der Komponenten zur Authentifizierung von Leistungserbringerinstitutionen“.
Und auch das Jahr 2023 ist durch die monatelangen Verhandlungen über eine neue Landesregierung schon jetzt ein ganz besonderes. Am Jahresende wird das Parlament nur einige Handvoll Gesetze und Verordnungen erlassen haben. Aber spätestens 2024, wenn alles wieder normal läuft, geht es wieder los: Gesetze, Verordnungen, Gesetzesänderungen, Nivellierungen … Selbst die Verwaltung des Abgeordnetenhauses weiß nicht, wie viele davon aktuell gültig sind.
50 Gesetze weniger? Kein Problem, sagt ein CDU-Politiker
Christian Gräff ist diese Regelwut ein Graus. Der Wildwuchs sei längst unüberschaubar, überfordere jede Verwaltung, bremse die Wirtschaft aus, sagt er. Der 44-Jährige ist Vorsitzender des Berliner Ablegers der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) in der CDU. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung sagt Gräff: „50 Gesetze und Verordnungen können sofort ersatzlos gestrichen werden, ohne dass sich dadurch etwas verschlechtern würde.“
Der 44-Jährige weiß wovon er spricht. Er sitzt selbst im Abgeordnetenhaus, wo er sich für seine Partei vor allem um Wirtschaftspolitik kümmert. Sein Vorschlag: Für jedes neue Gesetz, jede neue Verordnung, soll ein bestehendes gestrichen werden. Er nennt das Prinzip „One in – One out“.
Gräffs radikaler Vorschlag ist bewusst in die schwarz-roten Koalitionsverhandlungen platziert, bei denen es auch um eine Verwaltungsreform geht. Er selbst hat seinen Vorschlag in eine der vielen Facharbeitsgruppen eingebracht, die die Details zum Koalitionsvertrag erarbeiten sollen. „Die Dachgruppe hat ihn natürlich gleich gestrichen“, sagt Gräff.
Wirklich frustriert klingt Gräff dabei nicht. Er weiß, dass solche radikalen Lösungen lange Zeit brauchen, dass der Leidensdruck erst so groß sein muss, dass alle handeln wollen. Verwaltungen haben die Eigenschaft, sich permanent zu vergrößern, auszubreiten, zu wuchern, sich vor allem selbst zu verwalten.
Seit 103 Jahren hadert Berlin mit seiner Verwaltungstruktur
Diese zu lösen, kann dauern, sehr lange dauern. Land gegen Bezirk, Hauptverwaltung gegen Kommunalbehörde – diese Auseinandersetzung gibt es in Berlin seit der Gründung Groß-Berlins im Jahr 1920. Vor 103 Jahren kamen große, selbstbewusste preußische Städte wie Cöpenick, wie es damals noch hieß, Charlottenburg oder Spandau hinzu.
Nachvollziehbar, dass sich die dortige Bürgerschaft nicht von einer Zentralverwaltung vorschreiben lassen wollte, was ihre Beamten zu tun oder zu lassen hätten. So ist es – auch nach unzähligen Reformrunden – auch heute noch. Gleichzeitig warten die Berlinerinnen und Berliner monatelang auf einen Termin beim Bürgeramt, haben Mühe ihr Auto anzumelden, Unterlagen wie Geburtsurkunden zu bekommen. Fachleute sprechen von organisierter Verantwortungslosigkeit. Und eigentlich wissen alle: Eine Reform muss her. Jetzt ist es wieder mal so weit.
Die schwarz-rote Facharbeitsgruppe Verwaltung hat sich offenbar darauf geeignet, die noch vom scheidenden rot-grün-roten Senat definierten Eckpunkte für eine solche Reform zu übernehmen. Dazu gehört eine Stärkung des Rates der Bürgermeister, das bisher vor allem beratend tätige Gremium der Bezirksbürgermeister. Zentral ist aber eine Neuregelung der Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken.
CDU und SPD wollen die Verwaltung reformieren - und streiten sich
Und dann ist da noch der Streit um ein „politisches Bezirksamt“, ein Dauerbrenner des schier ewigen Umbauprozesses. Die SPD will, dass die Bezirksämter nicht mehr nach Proporz besetzt werden, sondern nach dem Mehrheitsprinzip in den Bezirksverordnetenversammlungen – vergleichbar mit der Situation eine Ebene darüber mit Senat und Abgeordnetenhaus.
Die CDU lehnt ein „politisches Bezirksamt“ ab, schlägt stattdessen eine Direktwahl der Bezirksbürgermeister, die dann mit mehr Legitimation gegenüber der Landesregierung agieren könnten. Das wiederum lehnt die SPD ab. Ende offen.
Bauen geht schneller als die dafür nötige Genehmigung
Im Wahlkampf wollte die FDP die Bezirksämter ganz abschaffen, und das gelte bis heute, sagt der Landesvorsitzende Christoph Meyer. Denn es sei doch so: „Die Verwaltung der Hauptstadt ist dysfunktional. Selbstverständlichkeiten funktionieren einfach nicht: Termine beim Bürgeramt sind Mangelware, das eigentliche Bauen geht schneller, als die Erteilung der dafür notwendigen Baugenehmigung.“ Jetzt drohe ein „Weiter so“, was die Stadt in den nächsten Jahren noch tiefer ins Chaos stürze.
Strittig ist in der Koalition offenbar auch noch, wer für was zuständig wird: Bleibt die Senatsinnenverwaltung für die Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung verantwortlich? Das befürwortet die SPD, die das Innenressort weiter für sich beansprucht. Die CDU will Digitalisierung hingegen wieder in der Senatskanzlei ansiedeln – so wie es schon unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller üblich war.





