Verkehr

Fahrgäste hilflos in Berlin: Nachtzug fährt über eine halbe Stunde zu früh ab

Bei der neuen Direktverbindung nach Stockholm häufen sich die Pannen. Wieder stranden Reisende am Gesundbrunnen. Die DB erklärt, wo das Problem liegt.

Vor der Reise durch die Nacht. Der Nachtzug nach Stockholm wartet in Hamburg auf die Abfahrt. Zum 1. April wurde der Laufweg des Euro Night EN 345/346 nach Berlin verlängert.
Vor der Reise durch die Nacht. Der Nachtzug nach Stockholm wartet in Hamburg auf die Abfahrt. Zum 1. April wurde der Laufweg des Euro Night EN 345/346 nach Berlin verlängert.Florian Danker/BOT

Dass sich Züge verspäten, sind Bahnkunden gewohnt. Dass Züge mehr als eine halbe Stunde zu früh abfahren, ist ungewöhnlich – aber noch nerviger. Beim neuen Nachtzug nach Stockholm ist dies nun schon zum zweiten Mal passiert. Am Montagabend waren es rund 30 Fahrgäste, die im Bahnhof Berlin Gesundbrunnen strandeten, berichtete Peter Cornelius vom Fahrgastverband Pro Bahn. Niemand habe sie darüber informiert, dass sich ihr Zug auch am 3. April vor der mitgeteilten Zeit nach Schweden aufmacht. „Die Reisenden standen hilflos auf dem Bahnsteig“, so Cornelius. Es war nicht die erste Panne. An diesem Dienstag fiel der Nachtzug zwischen Berlin und Hamburg aus. Die Deutsche Bahn (DB) entschuldigte sich und kündigte Besserung an.

Der Euro Night EN 346 nach Stockholm sollte um 18.37 Uhr im Bahnhof Gesundbrunnen abfahren. So ist es im Internet zu lesen, etwa bei der DB oder bei der schwedischen Staatsbahn SJ, die für den Nachtzug verantwortlich ist und ihn vom privaten Unternehmen RDC betreiben lässt. 18.37 Uhr stand auch auf den Tickets der Fahrgäste. Doch es sollte anders kommen – wie schon am Tag zuvor. Grund: Bauarbeiten.

„Wieder wurde der Zug im Bahnhof mit einer anderen Zugnummer angezeigt: EN 95400. Wieder stand 18.37 Uhr auf den Anzeigetafeln“, so Cornelius. Aber wieder informierte eine schmale Laufschrift, dass die Fahrt 35 Minuten früher beginnen würde. Ungefähr so kam es dann am Montag auch, berichtete der Fahrgastvertreter: „Die Einfahrt auf Gleis 8 erfolgte gegen 17.55 Uhr, die Abfahrt etwas verspätet gegen 18.05 Uhr. Fahrgäste, die früh da waren, haben den Nachtzug noch bekommen, obwohl sie es erst nicht glauben konnten, dass der Zug schon abfuhr.“ Die meisten Reisenden kamen allerdings zu spät.

Es gibt schönere Orte als der zugige Fernbahnhof in Wedding

Ratlos standen sie am leeren Gleis 8. Es gibt schönere Orte als der zugige Bahnhof in Wedding. „Auch nach der Abfahrt wurde der Nachtzug nach Stockholm weiterhin angezeigt“, berichtete Cornelius. Doch die Fahrgäste, nach seinem Bericht waren es zuletzt rund 30, warteten vergeblich. „Ihnen ist es natürlich schwergefallen, mir zu glauben, dass der Zug schon abgefahren ist.“ Aber es war so. Längst nicht jeder schien die Laufschrift, die wie alle anderen Angaben im Bahnhof in deutscher Sprache verfasst war, zu verstehen. Durchsagen, in welcher Sprache auch immer, gab es keine.

Der Bahnhof Gesundbrunnen, 2006 eröffnet, ist an den meisten Tagen Start- und Endpunkt des Nachtzugs der schwedischen Staatsbahn SJ. An einigen Tagen allerdings auch nicht.
Der Bahnhof Gesundbrunnen, 2006 eröffnet, ist an den meisten Tagen Start- und Endpunkt des Nachtzugs der schwedischen Staatsbahn SJ. An einigen Tagen allerdings auch nicht.Jörg Carstensen/dpa

Weil kein Bahnpersonal sichtbar war, übernahm der Pro-Bahn-Mann die Aufgabe, die Gestrandeten zu informieren. Er riet ihnen, vom Hauptbahnhof nach Hamburg zu fahren, wo sie den Nachtzug wahrscheinlich noch erreichen könnten. „Ich habe alle Fahrgäste, die mich natürlich sehr, sehr ungläubig angesehen haben, zur DB-Information gesandt, um Auskünfte zu bekommen. Dort hieß es: ‚Es ist nicht unser Zug, es sind nicht unsere Fahrgäste, es liegt ein Systemfehler vor.‘“

Weil sich die Mitarbeiter am Infoschalter offenbar genervt fühlten, kamen schließlich zwei andere DB-Leute auf den Bahnsteig. Aber nicht, um Cornelius zu danken: „Einer dieser Mitarbeiter verwies mich des Bahnsteigs und drohte mir an, dass er DB Sicherheit rufen würde, berichtet der Fahrgastvertreter. Einige Fahrgäste machten sich auf nach Hamburg – um dort festzustellen, dass der Nachtzug anders als angekündigt keinen Schlafwagen hat. Eine Reisende kündigte an, nach Stockholm zu fliegen, sagte Cornelius.

Nachtzüge gelten als klimafreundliche Alternative zum Flugzeug. Abends abfahren, morgens ankommen: Dieses Konzept stößt inzwischen wieder auf mehr Interesse. Zwar sind Schlaf- und Liegewagen weiterhin ein Nischenmarkt. Doch nachdem das Netz über Jahre immer weiter gestutzt wurde, wächst es inzwischen wieder – auch in Berlin. Jüngster Zugang ist der Nachtzug der schwedischen Staatsbahn SJ. Bislang verkehrte er zwischen Stockholm und Hamburg, doch zum 1. April ist der Laufweg von und nach Berlin verlängert worden. Dafür gab es viele Vorschusslorbeeren.

Doch obwohl die neue, vom schwedische Staat subventionierte Direktverbindung von Berlin in den Norden erst wenige Tage alt ist, häufen sich die Pannen. „Dass internationale Reisende oft ein Fahrgastabitur brauchen, um die richtige Website für die Buchung zu finden und mit den fremdsprachigen Anweisungen zurechtzukommen, ist bekannt“, sagt Peter Cornelius. „Dass sie aber auch eine Einzelkämpferausbildung absolviert haben sollten, ist neu.“ Damit meint er natürlich keine Kampfausbildung. Doch Orientierung im Gelände und in Gebäude sollte man schon beherrschen.

Erst Hauptbahnhof, dann Gesundbrunnen, dann Hauptbahnhof

Wie berichtet, gab es schon zum Start gravierende Probleme. So war am 1. April erst wenige Stunden vor Abfahrt klar, in welchem Berliner Bahnhof die Premierenfahrt nach Stockholm beginnt. Wurde zuvor lange Zeit der Hauptbahnhof genannt, war am Freitag von Gesundbrunnen die Rede. Am Sonnabend war es wieder der Hauptbahnhof. Jedoch erhielten Fahrgäste, die der SJ ihre Mailadresse überlassen hatten, kurz hintereinander unterschiedliche Angaben aus Schweden. Erst sollte der Nachtzug um 17.07 Uhr irgendwo am Gleis 1 bis 8 starten, dann um 18.02 Uhr an Gleis 4. Angezeigt wurde der Zug nirgendwo, DB-Mitarbeiter zeigten sich unwissend. „Wir haben uns umgesehen und den Zug dann im Untergeschoss entdeckt“, so Cornelius.

Im eigenen Abteil nach Norden – oder nach Berlin: ein Schlafwagencoupé im Nachtzug der SJ
Im eigenen Abteil nach Norden – oder nach Berlin: ein Schlafwagencoupé im Nachtzug der SJDaniel Bockwoldt/dpa

Die DB machte deutlich, dass sie die Vorgänge bedauert. „Die Nachtzüge Berlin–Stockholm werden so schnell wie möglich auf den Anzeigetafeln der Abfahrt- bzw. Ankunftsbahnhöfe angezeigt. Wir bedauern, dass dies in den ersten Tagen noch nicht erfolgen konnte“, sagte ein Bahnsprecher der Berliner Zeitung. „Es waren mehrere Gründe, die dazu führten, dass die Fahrgastinformation zum Start nicht so war, wie sie Reisende zu Recht erwarten. Für die Unannehmlichkeiten entschuldigen wir uns und versichern, dass alle Beteiligten aufseiten des Nachtzugbetreibers und der DB sehr partnerschaftlich und mit Hochdruck daran arbeiten, das Problem gemeinsam zu lösen.“

Fahrplan wegen Bauarbeiten zwischen Hannover und Berlin geändert

Voraussetzung sei, dass der Betreiber SJ die Fahrplandaten dem Europäischen Fahrplanzentrum, der DB-Koordinierungsstelle für Fahrplandaten, übermittelt. „Über diesen Weg ist die einheitliche Information der Reisenden über alle Kanäle wie Anzeigetafeln oder www.bahn.de sichergestellt“, erklärte der Bahnsprecher. „Der Datenabgleich erfolgt zweimal die Woche mittwochs und freitags. Sofern die Daten im Laufe des heutigen Tages eingepflegt sind, ist mit dem Datenabgleich am morgigen Mittwoch die einheitliche Information zu dem Zug gewährleistet.“

Bei der DB hat man den Fall inzwischen analysiert. „Nachdem die Züge für den Fahrplan 2023 angemeldet wurden, hat der Betreiber im Zuge der Netzfahrplanerstellungsphasen Anpassungen vorgenommen, was unter anderem veränderte Zugnummern zur Folge hatte“, teilte der Sprecher mit. „Eine weitere Fahrplananpassung erfolgte vor rund drei Monaten.“ Anlass war diesmal, dass DB Netz an der Strecke zwischen Hannover und Berlin baut. Für den Stockholm-Zug hatte das zur Folge, dass der Start am 1. April im Hauptbahnhof von der oberen auf die untere Ebene verlagert wurde.

Deutsche Bahn: Zahlendreher hat Zuordnung erschwert

Vorgesehen war zunächst, dass der Zug im Bahnhof die Richtung wechselt. Erst am Sonnabend sei DB Netz mitgeteilt worden, dass sich die Zugkonfiguration geändert hat, hieß es weiter. Der dafür notwendige Steuerwagen, ein Wagen mit Führerstand, sei nicht mehr vorhanden, habe die Bahn erfahren. Damit wurden neue Fahrpläne nötig, weil der Zug nun anders in den Hauptbahnhof eingefädelt werden musste. „Die Bestellungen hierfür gingen allerdings erst am 1. April ein – leider auch mit einem Zahlendreher, was die Zuordnung zusätzlich erschwerte. In der Folge standen die benötigten Daten für die Anzeigetafeln am Bahnsteig leider nicht zur Verfügung“, so die Bahn.

Auch Back-on-Track Germany, ein Pro-Nachtzug-Verband, hat die Pannen analysiert. Danach wurde der Fahrplan für den 1. April erst wenige Stunden vor Abfahrt erstellt. In mehreren Versionen - so habe die DB einen Richtungswechsel im Berliner Hauptbahnhof eingeplant, für den nur zehn Minuten zur Verfügung standen.

Im Hamburger Hauptbahnhof konnte am selben Abend ein Chaos wie in Berlin vermieden werden, weil ein engagierter DB-Mitarbeiter alle Fahrgäste persönlich einsammelte. Lautsprecherdurchsagen gab es wieder nicht. Ab Hamburg verkehrt der SJ-Zug seit September täglich, wird jedoch von der DB nicht auf den Aushangfahrplänen erwähnt: Es sei ein Gelegenheitsverkehr, so Back-on-Track.

Oberleitungsschaden bei der DB stoppt Nachtzug nach Berlin

Am Dienstagmorgen tauchte woanders ein Problem auf. „Wir stehen seit etwa zweieinhalb Stunden an der Grenze zu Dänemark. Grund ist angeblich eine defekte Oberleitung in Flensburg“, schrieb eine Reisende, unterwegs im EN 345 von Stockholm nach Berlin. „Es bleibt also spannend!“ Ein Güterzug hatte die Fahrleitung beschädigt. Gegen 13 Uhr, mit rund sieben Stunden Verspätung, endete die Reise aus Schweden in Hamburg. Die Weiterfahrt nach Berlin sparte sich der Euro Night.

Folge war, dass auch die Rückfahrt am Abend erst in Hamburg begann. Doch diesmal wurden die Fahrgäste in Berlin besser organisiert. An einer Informationsstele im Bahnhof Gesundbrunnen war eine Laufschrift zu lesen, die Reisende nach Hamburg verwies. Ein Mitarbeiter von RDC übernahm die Aufgabe von DB Station & Service: Er sprach Fahrgäste an und lotste sie zum Zug zum Hauptbahnhof. Von dort aus brachte ein ICE die Schweden-Fahrer nach Hamburg. Es geht also auch anders.


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