Das europäische Nachtzugnetz wächst langsam, aber es wächst. Vom kommenden Frühjahr an soll es wieder wie früher möglich sein, im Schlaf und ohne Umsteigen von Berlin in die Niederlande sowie nach Belgien zu reisen. Das niederländische Unternehmen European Sleeper teilte am Mittwoch mit, dass die neue Nachtzugverbindung nach Amsterdam und Brüssel Ende Mai 2023 den Betrieb aufnimmt. Weitere Routen sollen folgen.
Zunächst wird der Zug dreimal pro Woche verkehren, hieß es. Den Angaben zufolge soll er in Berlin sonntags, dienstags und donnerstags um 22.56 Uhr im Hauptbahnhof starten. Nach Stopps in Hannover und Bad Bentheim wird Deventer als einer von zwei Verkehrshalten in den Niederlanden laut Fahrplan um 5.17 Uhr erreicht. In Amsterdam Centraal soll der Zug um 6.31 Uhr eintreffen, in Rotterdam Centraal um 7.32 Uhr. Über Rosendaal geht es nach Antwerpen Centraal (8.47 Uhr) und zum Südbahnhof in Brüssel (9.27 Uhr). Dort besteht unter anderem Anschluss nach London.
Von Brüssel soll es montags, mittwochs und freitags wieder zurückgehen: um 19.22 Uhr, wie das Unternehmen mitteilt. Der Stopp in Antwerpen ist für 20.01 Uhr geplant. Nach Rosendaal stehen Abfahrten in Rotterdam (21.21 Uhr), Den Haag (21.42 Uhr), Amsterdam (22.34 Uhr), Amersfoort (23.13 Uhr) und Deventer (23.49 Uhr) auf dem Plan. Über Bad Bentheim und Hannover wird der Berliner Hauptbahnhof um 6.48 Uhr erreicht.
Fahrräder können mitgenommen werden
Der neue Ost-West-Nachtzug wird mehrere Komfortklassen bieten – je nachdem, wie viel Geld die Fahrgäste ausgeben wollen. Wer im Sitzwagen reisen will, ist ab 49 Euro pro Person und Weg dabei. Ein ganzes Abteil für bis zu sechs Personen soll ab 179 Euro zu haben sein. Im Liegewagen kostet eine Liege im Sechserabteil ab 79 Euro, im Viererabteil ab 99 Euro. Auch hier gibt es ganze Abteile: ab 319 Euro. Für Reisen im Schlafwagen beginnt die Preisskala bei 109 Euro. Der Ticketverkauf soll am 20. Februar starten.
Die erste Fahrt des neuen Drei-Hauptstädte-Nachtzugs ist für den 25. Mai 2023 geplant und sie soll in Berlin beginnen, berichtet European Sleeper. So bald wie möglich soll es täglich eine Fahrt pro Richtung geben. Zehn Wagen stehen zur Verfügung: jeweils ein Sitz- und Schlafwagen sowie acht Liegewagen. Es gibt Frühstück für die Fahrgäste. „Weitere Verpflegungsoptionen sind verfügbar“, so das Unternehmen. Fahrräder werden befördert, was in Nachtzügen nicht selbstverständlich ist, und zwar für 24 Euro pro Weg. Auf der Website heißt es aber auch: „Leider kann European Sleeper derzeit keine Einrichtungen für Personen mit eingeschränkter Mobilität (zum Beispiel Personen im Rollstuhl) bereitstellen.“
Europäische Nachtzüge – ein schwieriges Geschäft
Wie berichtet, hatte European Sleeper schon mehrmals angekündigt, dass die neue Nachtzugverbindung in absehbarer Zeit aufgenommen werden soll. Erst sollte es im April 2022 so weit sein, dann war von Sommer 2022 die Rede. Doch jedes Mal musste das Unternehmen wieder zurückrudern – was in der Szene Unmut auslöste und die Frage aufwarf, ob es jemals klappen wird. Auch diesmal gibt es Skepsis, wie bei Twitter nachzulesen ist.
Die Niederländer verwiesen auf Schwierigkeiten, die den internationalen Zugverkehr im Allgemeinen und neue private Initiativen im Besonderen erschweren. So müssen mit jedem nationalen Schienennetzbetreiber Trassen gefunden und Vereinbarungen abgeschlossen werden. Zudem ist der Markt für Fahrzeuge, insbesondere für Schlaf- und Liegewagen, so gut wie leer gefegt. Und wenn solche Wagen zur Verfügung stehen, kann es sein, dass einzelne Staaten zusätzliche Zulassungsprozeduren verlangen. Das musste die schwedische Staatsbahn SJ, Betreiberin der neuen Nachtzugverbindung Stockholm–Hamburg, mit Dänemark erleben.
Hohe Trassenkosten – und immer wieder nationale Hürden
Wo European Sleeper die Wagen mietet, will das Unternehmen noch nicht verraten. „Wir sind noch mit mehreren Unternehmen im Gespräch, um zusätzliche Wagen zu bekommen“, sagte Chris Engelsman, Mitgründer von European Sleeper. Unklar bleibt auch, wer die Lok und das Fahrpersonal stellt. Dafür war anfangs das tschechische Unternehmen RegioJet im Gespräch. European Sleeper kündigte an, dass die Berlin-Route im Dezember 2023 nach Dresden und Prag verlängert wird. Ursprünglich sollte der neue Nachtzug von Anfang an nach Tschechien fahren – als Vier-Hauptstädte-Verbindung. Doch dem Vernehmen nach gibt es auf einem Teil der Strecke, die im Elbtal von Bauarbeiten betroffen ist, Trassenkonflikte mit anderen Fernzügen. Fahrgäste nach Dresden–Prag müssen umsteigen.
European Sleeper bekräftigte, dass aus der geplanten Strecke ein Netz von Nachtzügen werden soll, die in Belgien und den Niederlanden beginnen. „Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Verfügbarkeit von Nachtzugwagen derzeit das Haupthindernis ist, um diese Ziele zu verwirklichen“, so das Unternehmen. Deshalb sei weiterhin geplant, in eigene Wagen zu investieren – „mit noch mehr Komfort, mehr Privatheit und einem modernen Aussehen“. Über Online-Plattformen hat die Genossenschaft in kurzer Zeit eine sechsstellige Euro-Summe gesammelt.
„Borealis“, „Perseus“ und „Andromeda“ verschwanden 2014
European Sleeper bezeichnet sich als „einzigartige private Initiative“, die sich Nachtzügen verschrieben hat. Eine internationale Gemeinschaft finanziere diese Initiative. „Wir erleben eine breite Unterstützung für die Wiedereinführung des Nachtzugs als eine nachhaltige, wirtschaftliche und komfortable Alternative zum Luftverkehr.“
Auch zwischen Berlin und den Niederlanden sowie Belgien konnte man einst im Schlaf- und Liegewagen reisen. Doch die Deutsche Bahn stellte die Wagengruppe nach Amsterdam („Borealis“) im Dezember 2014 ein. Zum damaligen Fahrplanwechsel verschwand auch die CityNightLine über Brüssel nach Paris („Perseus“/„Andromeda“) aus dem Fahrplan.

Hohe Trassen- und Betriebskosten, anstehende Investitionen und nationale Regulierungen trugen zum Niedergang des Nachtzugs bei. Zusätzliche Belastungen verschärfen die Nachteile im Vergleich zu Fernbussen und Flugzeugen. So fallen anders als im Luftverkehr Energiesteuern an, und in Deutschland werden Fernzugfahrkarten mit Mehrwertsteuer belegt, während internationale Flugtickets befreit sind.
Ab 2023 vielleicht wieder über Nacht von Wien nach Paris
Allerdings haben es Fahrgastverbände wie Pro Bahn und Back on Track sowie Politiker, vor allem von den Grünen, inzwischen geschafft, dass Nachtzüge wieder ins Blickfeld gerückt sind. Weiterhin kann man mit Schlaf- und Liegewagen in die deutsche Hauptstadt reisen – und meist sind sie sehr gut gebucht. Marktführer in Europa sind die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), deren Nightjets Berlin täglich mit Wien sowie Zürich verbinden. Nach Budapest gibt es durchgehende Wagen.
Von Ende 2023 an könnte es auch wieder eine Verbindung Berlin–Paris geben. Snälltåget aus Schweden verbindet Berlin Anfang Januar und dann wieder ab Ende März 2023 sechsmal wöchentlich mit der Hauptstadtregion Kopenhagen, Malmö und Stockholm. Allerdings wurde mit der Kurswagengruppe nach Krakau und Przemyśl auch eine neue Nachtzugroute wieder eingestellt.






