Sollten E-Scooter auch in Berlin verboten werden? Fast 2000 Menschen haben die vor kurzem gestellte Frage der Berliner Zeitung beantwortet. Das Votum der Leserinnen und Leser ist klar: Fast zwei Drittel befürworten ein Verbot wie in Paris. Dort dürfen von September an keine E-Scooter mehr vermietet werden. Doch wäre eine solche Maßnahme auch in Berlin möglich? Was sagen Juristen, Verbände, Politiker?
So viel steht fest: Es handelt sich um ein kontroverses Thema. Nicht wenige Menschen sind schon einmal auf einem elektrischen Tretroller durch die Stadt geglitten – wenn nicht in Berlin, dann als Tourist im Ausland. Dagegen berichten andere von unangenehmen Erfahrungen mit E-Scooter-Fahrern. Nicht nur alte Menschen fühlen sich belästigt oder bedroht, wenn jemand auf einem der flinken Zweiräder im Millimeterabstand vorbeizischt. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei in Berlin 1144 Unfälle mit E-Scootern, im Vergleich zu 2021 ist das ein Anstieg um 41 Prozent.
Dass sich die Grundstimmung gegen die E-Scooter-Vermieter und ihre Kundschaft in Berlin von anfänglicher positiver Neugier ins Negative gedreht hat, zeigt sich auch bei der Umfrage der Berliner Zeitung. 1272 Menschen, rund 65 Prozent der Teilnehmer, gaben zu Protokoll, dass sie ein Verbot wie in Paris befürworten würden. „Nein, die brauchen wir“, entgegneten 406 Umfrageteilnehmer. Das entspricht einem Anteil von 21 Prozent. „Mir egal“, teilten dagegen 291 Abstimmende mit – knapp 15 Prozent.
Kai Wegner lehnt ein generelles Verbot von E-Scootern ab
In Berlin scheint es also Sympathie dafür zu geben, wie die französische Hauptstadt nun gegen diesen Teil der Sharing-Mobilität vorgeht. Rund 100.000 Bewohner von Paris haben am Sonntag an einer Bürgerbefragung zu dem Thema teilgenommen. 89 Prozent sprachen sich dafür aus, die Mietroller zu verbieten. Elf Prozent stimmten dafür, weiterhin die Vermietung zu erlauben. Allerdings beteiligten sich nur 7,46 Prozent der rund 1,3 Millionen in die Wählerlisten eingetragenen Einwohner an der Abstimmung. Trotzdem bezeichnete Bürgermeisterin Anne Hidalgo das Ergebnis als „Sieg der lokalen Demokratie“. Ab September werden Miet-E-Scooter, von denen es 15.000 gibt, verbannt.
Dass die Probleme so radikal wie in Paris gelöst werden, ist in Berlin nicht zu erwarten. In einem Interview mit RTL und n-tv sprach sich Kai Wegner, der die Koalition als Regierender Bürgermeister anführen will, gegen ein generelles Verbot von E-Scootern aus. Der Verkehr müsse ordentlich und ordnungsgemäß organisiert werden, vor allem beim Abstellen und beim Umgang mit den Rollern. „Wenn das nicht richtig funktioniert, dann muss es sanktioniert werden“, sagte der CDU-Politiker. Er könne sich auch Tempobegrenzungen vorstellen. Bei Missbrauch müsse es Strafen geben, die wehtun. E-Scooter gehörten allerdings zu einer modernen Mobilität, so Wegner.
„Ein vollständiges Verbot dieser Mobilitätsdienstleistung in Berlin dürfte nach unserer Einschätzung aber rechtmäßig sein, weil eine solche absolute Entscheidung nicht die notwendige Verhältnismäßigkeit wahren würde“, sagte Jan Thomsen, Sprecher der Senatsverwaltung für Mobilität, der Berliner Zeitung.
„Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit“
Wäre ein Verbot in Deutschland überhaupt rechtlich möglich? Juristen sind skeptisch, das bezieht sich auch auf die Volksbefragung in Paris. „Eine Versagung einer Erlaubnis aufgrund eines Bürgervotums wäre nicht möglich“, sagte Diplom-Jurist Jörg Niemann. Er leitet das Kompetenz-Center Mobilität von Rödl & Partner in Berlin.
Vielerorts, auch in der Hauptstadt, wird es als Sondernutzung angesehen, wenn auf öffentlichen Straßen zum Zwecke der Vermietung Fahrzeuge aufgestellt werden. Wird dem Vermieter die Sondernutzungserlaubnis entzogen oder verweigert, stelle dies einen „Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit“ dar. Den Anbietern wäre es dann nicht möglich, ihren Beruf auszuüben. „Solche Eingriffe in grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen können zum Schutz öffentlicher Interessen gerechtfertigt sein“, so Niemann. „Unklar ist aber, ob allgemeine verkehrliche Argumente den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügen. Hier wird es weiterer schützenswürdiger Interessen bedürfen.“ Anders gesagt: Es würde schwierig.
Das Verbot in Paris sei ein „Rückschritt für die Mobilitätswende“, sagte Alexander Jung von der Plattform Shared Mobility. Er warnte davor, das Ergebnis der Volksbefragung in der französischen Hauptstadt überzubewerten. „Mit einer Wahlbeteiligung von nur 7,46 Prozent hat eine kleine Minderheit an Einwohner:innen einen überproportionalen Einfluss auf das gesamte zukünftige Verkehrssystem der Pariser:innen. Es kann weder von einem Stimmungsbild der Pariser:innen noch von einer klaren Positionierung gegen E-Scooter gesprochen werden“, gab Jung zu bedenken. Zum Vergleich: „400.000 Pariser:innen nutzen die geteilten Mikromobilitätsangebote monatlich.“
Anstelle von Verboten würden „klare und möglichst einheitliche Rahmenbedingungen“ benötigt, forderte der Sprecher. Untersuchungen wie die des Fraunhofer-Instituts zeigen, dass E-Scooter und andere Angebote dieser Art im Zusammenspiel mit dem öffentlichen Verkehr eine „nachhaltige und sozial ausbalancierte Alternative zum eigenen Auto darstellen“. Diesen Beitrag wollen E-Scooter auch in Zukunft leisten, so Jung. Allerdings müsse der Platz auf Straßen gerechter aufgeteilt werden.
Auch die Senatsverwaltung für Mobilität betonte die positiven Aspekte. „Die Chancen für diese nach wie vor neuen Mobilitätsform, deren Platz im Verkehrsmix noch nicht geklärt ist, bestehen darin, dass die E-Tretroller auch als Sharingmobilität das Potenzial haben, Autoverkehr zu ersetzen und bessere Anbindungen zum öffentlichen Nahverkehr zu gewährleisten“, so Jan Thomsen. „Das wäre ein Beitrag zur Verkehrswende, der lohnt. Berlin arbeitet daran, dieses Potenzial mit klaren Auflagen und technischen Lösungen zu heben – und zugleich die bestehenden Probleme zu lösen.“
Fußgängerlobby warnt vor „nervigen und gefährlichen Spaßfahrern“
Dagegen freut sich der Fachverband Fußverkehr Deutschland, kurz Fuss e.V., über das Ergebnis der weltweit ersten Volksabstimmung zu E-Scootern. „Die Pariser haben klargemacht, dass sie ihre Boulevards nicht an eine Minderheit von nervigen und gefährlichen Spaßfahrern verlieren wollen“, sagte Vorstand Roland Stimpel. „Das ist auch die vorherrschende Stimmung in Berlin. Die neue Koalition kann jetzt ihr Versprechen einlösen, einen Irrweg des alten Senats zu beenden und Verkehrspolitik für die Mehrheit der Menschen zu machen.“
Nur 0,7 Prozent der Pariser Wahlberechtigten hätten bei der Volksbefragung deutlich gemacht, dass sie die Miet-E-Scooter behalten wollen. Das zeige erneut, dass sie keinen Beitrag zur Alltagsmobilität leisten, sondern vor allem Spaßfahrzeug für Touristen und sehr junge Leute sind, erklärte Stimpel.
„Das ist in Deutschland genauso wie in Paris. Dagegen sind Millionen Menschen zu Fuß behindert und gefährdet. Vor allem für alte und blinde Menschen sind die Leih-E-Scooter unsoziale Mobilitätskiller, wegen denen viele nicht mehr allein das Haus verlassen“, sagte Roland Stimpel. „Darum müssen jetzt auch bei uns die Städte alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, die Gehwege, Plätze und Parks von Leih-E-Scootern befreien. Damit machen sie Verkehrspolitik für die Mehrheit. Und sie geben vor allem den Schwächsten ihre gestohlene Sicherheit und Freiheit zurück.“
Rund 41.000 elektrische Tretroller können in Berlin gemietet werden
Berlin hat im vorigen Jahr mit einer Sondernutzungsregelung die Grundlage geschaffen, um das Anbieten von Miet-E-Tretrollern auf öffentlichem Straßenland unter Auflagen zu erlauben, sagte Verwaltungssprecher Thomsen. Damit sollte Ordnung in die Praxis gebracht, also insbesondere die Gehwege freigehalten werden – was, wie bekannt, noch nicht überall zufriedenstellend gelingt, wie er eingestand.
„Die Erlaubnisse zur Sondernutzung sind zunächst bis Ende 2023 befristet, die Evaluierung dazu läuft“, erklärte der Sprecher von Senatorin Bettina Jarasch. „Dass bereits Wirkungen erzielt werden, lässt sich zum Beispiel daran erkennen, dass aktuell mehr als die Hälfte, nämlich 22.000, der vorhandenen rund 41.000 E-Tretroller von den vier Firmen Lime, Bolt, Voi, Tier außerhalb des S-Bahn-Rings angeboten werden.“ J
Vor kurzem kündigte die Senatsverwaltung gemeinsam mit Vermieterfirmen an, dass E-Scooter in Teilen von Mitte nur noch auf ausgeschilderten Stellflächen zurückgelassen werden können. Doch das klappt nicht, wie Fuss-Sprecher Roland Stimpel nach einem Rundgang vor Ort erklärte.
Polizeigewerkschaft fördert höhere Bußgelder
„Die Anbieter sind verpflichtet, das wilde Abstellen im Umkreis von hundert Metern um die Stationen technisch zu unterbinden. Aber auch diese Pflicht erfüllen sie nicht“, bilanzierte der Fußgängerlobbyist. „Am Tag der Pariser Abstimmung waren am Anfang der Straße Unter den Linden Gehwege und Mittelstreifen so versperrt wie eh und je. Wir zählten 30 Fahrzeuge legal in der Station und 87 wild hingestellte ringsherum. Nicht besser sah es am Holocaust-Mahnmal aus: 15 Fahrzeuge legal in der Station, 54 ringsum auf den Wegen und am Rand des Tiergartens.“













