So viel steht fest: Im neuen Berliner Senat wird die CDU die Spitze der Verwaltung für Umwelt, Mobilität und Klimaschutz besetzen. Wer Senator oder Senatorin wird, hat die nun entstehende große Koalition bisher nicht mitgeteilt.
Aber noch bevor die Personalie feststeht, werden schon Wunschzettel geschrieben. Jetzt hat sich auch Andre Illmer zu Wort gemeldet. Er ist Deutschland-Chef von Swapfiets, dem niederländischen Mobilitätsanbieter, bei dem man Fahrräder mit blauem Vorderreifen abonnieren kann. „Berlin muss aufpassen, dass es nicht den Anschluss verliert“, sagte Illmer der Berliner Zeitung. „Die Berliner Verwaltung und die neue Koalition müssen sich anstrengen, damit die Stadt attraktiv bleibt.“ Dabei hat er natürlich vor allem die Radfahrer im Blick.
Der Firmenname sagt, worum es geht. „Swap“ ist das englische Wort für tauschen, „fiets“ das niederländische Wort für Fahrrad. Tatsächlich wurde das Unternehmen vor neun Jahren in der Fietsen-Hochburg Niederlande gegründet. Drei Studenten der Technischen Universität Delft hatten die Idee, ein Fahrrad-Abonnement anzubieten. Heute hat Swapfiets in acht europäischen Ländern insgesamt rund 270.000 Kunden. Zweitstärkster Markt für die Abo-Räder mit den blauen Vorderreifen ist Deutschland mit mehr als 70.000 Nutzern. Und hierzulande ist Berlin der wichtigste Standort.
Dabei sind Unternehmen, die neue Mobilität anbieten, hier schon ziemlich reichhaltig vertreten. Ob E-Scooter, Elektroroller, Mietwagen, Mietfahrräder – die Berliner haben eine Auswahl, die im Vergleich zu den meisten Städten riesig ist. „Warum in Berlin so viele Anbieter neuer Mobilität verhältnismäßig gut nebeneinander bestehen können, ist nicht einfach zu erklären“, sagt Illmer. „Es ist wahrscheinlich so, dass in Berlin viele junge Menschen wohnen, die dafür aufgeschlossen sind. Noch dazu kommt ein großer Teil aus dem Ausland, die meisten von ihnen kennen Sharing-Mobilität bereits.“
Neue Koalition in Berlin will Standards für neue Radwege senken
Nicht zuletzt sei der Motorisierungsgrad in Berlin niedrig. Auf jeweils tausend Einwohner kommen weniger als 350 private Pkw, das ist weltweit ein Minusrekord. „Die Berliner brauchen und nutzen Alternativen zum Auto“, folgert der Swapfiets-Manager. „Berlin ist ein gutes Pflaster für moderne Mobilität. Das ist vielen Berlinern möglicherweise nicht bewusst. Aber das zeichnet diese Stadt aus.“
Wenn das so ist, warum liegt Berlin in vielen Bereichen, etwa in den Außenbezirken, beim Radwegenetz trotz mancher Fortschritte immer noch zurück? Die neue Koalition will zwar Radwege bauen und bestehende sanieren, aber auch die Standards für neue Anlagen senken. „In Amsterdam und Kopenhagen wurde schon vor vier Jahrzehnten damit begonnen, die Fahrradinfrastruktur massiv auszubauen“, sagt Illmer. „Seit einigen Jahren ziehen andere Städte wie London und Paris nach, die Hochlaufkurve ist steil und beeindruckend.“ Berlin müsse sich anstrengen, damit es nicht zurückbleibt.
Autostellplätze zu Fahrradstellplätzen
„Es gibt viele gute Vorstöße, aber nun muss Berlin weitermachen, die Stadt darf nicht stehen bleiben.“ Autostellplätze sollten in Fahrradstellplätze umgewandelt werden – zum 1. April hat Swapfiets das neben dem Bundesverkehrsministerium in Berlin-Mitte demonstriert. Ein weiteres gutes Beispiel ist für Illmer der geschützte Radfahrstreifen, der in der Holzmarktstraße in Mitte entstanden ist. „Klare Trennungen vom Autoverkehr machen diese Anlage sicher“, analysiert er. Doch nach dem, was von der neuen Berliner Koalition bekannt ist, wird sich auch der Bau von „Protected Bike Lanes“ verlangsamen.
Andre Illmer, in Leipzig geboren und in Budapest aufgewachsen, ist 2018 von Tui zu Swapfiets gewechselt. Der 45-Jährige, der in Ungarn Betriebswirtschaft studiert hat, ist einer von rund 20.000 Swapfiets-Kunden in Berlin. Er beschreibt sich als typischen Mobilitätsnutzer: Er besitzt ein Auto, ist aber häufig auch mit dem Fahrrad unterwegs. In der Freizeit fährt er Rennrad. Zum Gespräch kommt Illmer von Heiligensee, hoch im Norden von Berlin gelegen, mit einem Swapfiets-E-Bike nach Mitte.
„Wir sagen nicht: Autos sind böse, Autos müssen raus den Städten. Ich habe selbst ein Auto“, sagt Illmer. „Aus unserer Sicht sollte es darum gehen, den Straßenraum so aufzuteilen, dass alle profitieren. Straßen müssen so gestaltet werden, dass auch Radfahrer sicher ans Ziel gelangen.“ Gerecht gestaltet, ergänzt der General Manager.
„Wir richten uns nicht an Touristen, die nur kurz in der Stadt sind“
In Berlin betreibt Swapfiets zwei Läden, in Mitte und Charlottenburg. „Wenn dort das technische Problem nicht innerhalb von zehn Minuten behoben werden kann, dürfen sich die Kunden ein anderes Rad desselben Modelltyps aussuchen und es gleich mitnehmen“, erklärt Illmer. „Wir bieten unseren Kundinnen und Kunden eine Mobilitätsgarantie. Wir garantieren ihnen, dass ihnen jederzeit ein funktionierendes gutes Fahrrad zur Verfügung steht.“ Das ist das Geschäftsmodell.
Swapfiets grenzt sich von den Unternehmen ab, die Mietfahrzeuge nach dem Prinzip „Free Floating“ auf Straßen und Plätzen aufstellen. „Wir richten uns nicht an Touristen, die nur kurz in der Stadt sind, sondern an Menschen, die hier leben“, so Illmer. „Weil Swapfiets-Kunden pfleglicher mit den Fahrrädern umgehen, verzeichnen wir weniger Schäden als „Free Floating“-Flotten. Dass Räder durch Vandalismus beschädigt oder sogar in die Spree geworfen werden, kommt bei uns nicht vor.“
Swapfiets, Teil des europäischen Fahrradgiganten PON aus den Niederlanden, bietet vier Typen von Zweirädern an. Die Fahrzeuge werden nicht in China montiert, sondern in Litauen, zuvor fand die Montage in Bulgarien, Portugal und im niedersächsischen Cloppenburg statt. In Berlin sind erst zwölf Prozent der Swapfiets-Räder E-Bikes. „In Österreich ist das Verhältnis bereits 50:50“, berichtet Illmer. Und auch in Berlin nimmt der Elektro-Anteil immer weiter zu – mit dem Durchschnittsalter der Kundschaft.
Dank E-Bikes: Anteil der Senioren nimmt auch in Berlin immer weiter zu
In Berlin sind zwischen 16 und über 80 Jahre alle Altersklassen vertreten. Die dominierende Gruppe ist 25 bis 45 Jahre alt. Doch der Anteil von Senioren nimmt immer weiter zu, weiß der Manager. „E-Bikes ermöglichen es auch älteren Menschen, mit dem Fahrrad mobil zu sein.“
Richard Burger, Dirk de Bruijn und Martijn Obers, die an der Technischen Universität Delft Schiffsmaschinenbau studierten, hatten einst die Idee mit dem Fahrrad-Abo. Wie viele Fahrradbesitzer mussten sie erleben, wie kompliziert, langwierig und manchmal auch kostspielig es sein kann, Schäden und Defekte in Werkstätten beheben zu lassen. Anders formuliert: Rad fahren ist schön und sinnvoll – ein Fahrrad zu besitzen, kann lästig sein. Wie wäre es, Fahrrad-Abos anzubieten?
So wurde 2014 Swapfiets gegründet. Los ging es mit rund 150 gebrauchten Fahrrädern, die sie sich aus verschiedenen Quellen zusammenkauften. Die meisten von ihnen kamen von der Stadt Delft.
Erfolg in Berlin und Münster – Abschied von Karlsruhe und Freiburg
„Weil es sich um Fahrräder unterschiedlicher Typen handelte, wurde nach einer Methode gesucht, wie man sie kennzeichnen könnte. So kam man auf den blauen Reifen“, erklärt Andre Illmer. Blau deshalb, weil das die Farbe der Delfter Tonwaren ist, mit denen die niederländische Stadt im 17. Jahrhundert weltbekannt wurde. Eine Marketing-Idee, für die keine Agentur bezahlt werden musste. Die Farbe ist im Gummi, sie wird nicht von außen aufgetragen. Weil es aufwendig ist, Hinterräder zu wechseln, beschränkten sich die Gründer von Anfang an darauf, blaue Vorderreifen zu montieren. Die Mäntel kommen von der Firma Schwalbe, inzwischen auch von Vittoria in Italien.








