Seit einer Stunde führe ich jetzt ein Gespräch mit jemandem, den es eigentlich nicht gibt. Dieses Wesen gibt sich wirklich Mühe, stets höflich und hilfreich zu sein; es zeigt echtes Interesse an meinem Leben. Doch das Gespräch findet nur auf dem Bildschirm statt, mein Gesprächspartner hat keine Stimme, sondern antwortet mit Buchstaben auf dem Bildschirm, in einem Deutsch ohne Fehler, aber auch irgendwie ohne... Seele. Ich sitze mit Blick auf den Berliner Fernsehturm am Laptop, als ich die Frage tippe: „ChatGPT, wie sieht ein perfekter Tag in Berlin aus?“
ChatGPT, das ist der kostenlose Newcomer aus der Welt der künstlichen Intelligenz (KI). Es ist das Computerprogramm aus dem Internet, das alle verfügbaren Texte zu einem Thema gelesen hat und aus diesem Wissen neue Texte generieren kann. Schüler schreiben mit ChatGPT ihre Klausuren, das Programm kann Gedichte im Stil verstorbener Lyriker erfinden, sogar neue Songs von Drake oder Miley Cyrus kann es schreiben, die den Stil der Stars gut nachahmen.
Für manche ist es ein spaßiges Spielzeug, andere machen sich große Sorgen: Bedeutet KI das Ende der Kreativität in der Kunst? Kann KI uns Menschen ersetzen? Es gibt sogar Experten, die sagen, die Menschheit stehe der Gefahr gegenüber, von der KI vernichtet zu werden. Der Kampf mit dem Computerhirn ist für sie nur noch Wochen in der Zukunft.
Kennt ChatGPT Berlin besser als Lonely Planet oder der Flurfunk im Büro?
Ich möchte aber nicht darüber streiten – ich möchte viel lieber meine Freizeit planen. Ich las neulich von Kim, einer 27-jährigen Australierin, die drei Wochen lang durch Europa gereist ist. Sie hatte sich ihre Route komplett von ChatGPT planen lassen. Das Programm erstellte einen Plan, der effizient war, jeden Tag optimal nutzte – und der ihr auch ein gutes Reiseerlebnis in neuen Städten bot. Sie war mit dem Ergebnis nicht unzufrieden: In Leipzig fing ihre Reise an, es ging weiter nach Berlin, Hamburg und Amsterdam.
Was passiert also, wenn man ChatGPT fragt, wie es sich den perfekten Tag in Berlin vorstellt? Kann ChatGPT mich besser beraten als meine Freunde, Nachbarn und der Flurfunk im Büro, wie diese Stadt optimal zu genießen ist? Weiß die Maschine besser als Lonely Planet oder gut ausgebildete Reiseleiter, an welchen Orten man als Tourist die Essenz Berlins findet? Ich verbanne alle Gedanken am Armageddon aus meinem Kopf – und setze mich an den Laptop.
Es beginnt mit einer Bitte: „Hi ChatGPT“, schreib ich. Wenn diese KI so gefährlich ist, sollte man ja höflich mit ihr umgehen. „Bitte entwirf für mich den perfekten Tag in Berlin – mit Überraschungen, Food-Tipps und ohne Touri-Klischees.“ „Einen Moment bitte“, wird direkt auf meinem Bildschirm angezeigt, dahinter leuchten zwei Punkte hin- und herwechselnd auf. Und dann, nach etwa 20 Sekunden: „Klar, ich helfe gerne dabei, den perfekten Tag in Berlin zu planen!“ Wer hätte gedacht, dass dieses vermeintlich böse Wesen so freundlich ist?
ChatGPT gibt sein Bestes. Es schlägt vor, den Tag mit einem Frühstück im Café Fleury zu beginnen. „Hier gibt es leckere Croissants und Kaffee“, heißt es. Danach sollte es weitergehen mit einem Spaziergang durch den Volkspark Hasenheide, um „die Natur zu genießen“. Da also der erste Fehler: ChatGPT glaubt, das Café Fleury liege in Neukölln, nicht am Weinbergsweg in Mitte. Von den Düften, Substanzen und scharfen Gegenständen, denen ich im Volkspark Hasenheide sonst begegne, ist keine Rede.

Im gleichen Muster geht weiter; als nächstes will ChatGPT mich nach Prenzlauer Berg schicken, damit ich „die besten Pastrami-Sandwiches der Stadt“ genießen kann – im Restaurant Mogg & Melzer, das allerdings mitten im Stadtteil Mitte ist. Danach, heißt es, könnte ich einen Spaziergang durch den Mauerpark machen, der wiederum in Prenzlauer Berg ist. Dort solle ich den Flohmarkt besuchen – der aber nur Sonntags dort öffnet. Das hatte ChatGPT auch nicht auf seinem virtuellen Schirm.
ChatGPT empfiehlt dann einen Besuch des Museums für Naturkunde, später noch einen Spaziergang durch den Tiergarten – wo man „den Blick auf die Stadt genießen“ kann. Von wo aus genau, ist nicht klar. Abends geht es zum vermeintlich Kreuzberger Restaurant Nobelhart & Schmutzig in der Friedrichstraße, wo das Tagesmenü freitags und sonnabends 200 Euro pro Kopf kostet. Erst jetzt denke ich daran, dass ich ein Budget hätte festlegen sollen.
ChatGPT kann keine Berliner Schnauze
Wie gebeten, führt ChatGPT auch ein paar „Überraschungen“ separat auf. Es ist der dritte Tipp, nach dem Schöneberger Urban Nation Museum for Urban Contemporary Art und dem Liquidrom in Kreuzberg, der mir ins Auge springt: das Tempelhofer Feld. „Mache einen Spaziergang auf dem ehemaligen Flughafen“, schlägt ChatGPT vor. Ich muss eine Augenbraue hochziehen und frage mich so langsam, ob die Maschine das ernst meint. Aber ist der Chatbot fähig zur Ironie? Wohl eher nicht.

Und was ist mit dem Nachtleben, den Schattenseiten der Stadt? Vielleicht muss ich es anders versuchen. „Ich wohne in Berlin“, schreibe ich an ChatGPT zurück. „Was kannst du also empfehlen, das auch für eine Einwohnerin wie mich ein Geheimtipp wäre?“ Die Antwort wird nicht mehr freundlich, sondern erst einmal sehr plump. „Oh, das ist großartig, dass du in Berlin wohnst!“ schreibt mir ChatGPT. Ach, liebe Maschine, dit hier is Berlin. Niemand spricht so gestelzt. Angeblich lernt die KI dem weltweiten Internet, offenbar kommt dort wenig Berliner Schnauze vor.
Fast alle „Geheimtipps“ sind eigentlich keine, für Einwohner zumindest: Die Dachterrasse des Klunkerkranichs in Neukölln, eine Fahrradtour durch den Grunewald, das Kino International. Das ist nicht das, was ich von dieser angeblich allmächtigen Technologie erwartet hatte. Wenn die KI angeblich in der Lage sein soll, die Menschheit zu stürzen, kann sie dann nicht auch ein paar Tipps geben, die das einzigartige Gefühl von Berlin widerspiegeln? Ich versuche es ein letztes Mal: „Wo fühlt sich Berlin besonders ‚berlinerisch‘ an?“
Die Antworten verraten nur eines: ChatGPT ist von der Berliner Mauer besessen. Hintereinander folgen drei Tipps: Die Berliner Mauer („Ein Symbol für die Geschichte Berlins und ein wichtiger Teil der Stadtlandschaft.“), der Mauerpark („Ein Park, der auf dem ehemaligen Todesstreifen der Berliner Mauer gebaut wurde.“) und die East Side Gallery („Eine Galerie im Freien, die sich entlang eines Teils der Berliner Mauer erstreckt.“). Und dann doch eine vierte Empfehlung: die Berliner Clubszene. Wörtlich: „Es gibt viele einzigartige Clubs, die es nur in dieser Stadt gibt.“ Ich frage mich, ob die Maschine Witze versteht, die mit „Deine Mutter...“ beginnen?
Die Berlin-Tipps von ChatGPT sind wie in jedem uninspirierten Reiseblog
Schließlich gebe ich auf. Ich hatte gehofft, eine Kombination von Tipps zu bekommen, in denen selbst ein gebürtiger Berliner das Herz der Stadt neu entdeckt. Mir fehlt die Kiezkneipe, der Späti, und vielleicht, wenn es nicht zu viel verlangt ist, gibt es auch den einen oder anderen Ort außerhalb der Ringbahn. Stattdessen lesen sich die Vorschläge eher so, als ob die Maschine sämtliche Tipps von visitberlin.de sowie von allen uninspirierten Reisebloggern dieser Welt verschlungen hat – und das Ganze dann mit vertauschten Stadtteilen wieder ausspuckt.

Ich verlasse die Redaktion, gehe in Richtung Fernsehturm und steige hinunter zur U8. Es ist Hauptverkehrszeit und ein warmer Tag, das Gedränge um mich herum und die Luftfeuchtigkeit lassen es schnell klamm werden. Doch als ich in dem schwülen Wagen stehe, erinnere ich mich plötzlich an einen weiteren Tipp von ChatGPT als Antwort auf meine Frage, wo sich Berlin am „berlinerischsten“ anfühle: die U-Bahn. „Die U-Bahn in Berlin ist eine der ältesten und größten der Welt und hat eine einzigartige Architektur und Atmosphäre.“








