Warschau Calling

Von Berlin nach Warschau: Wie ich mich durch eine Zugfahrt in die Polen verliebte

Am Wochenende reiste ich mit dem Zug von Berlin nach Warschau. Erwartungen an meinen Polen-Aufenthalt hatte ich keine. Wie die Zugreise aber mein Interesse weckte. 

Zugschaffner der Polnischen Bahn PKP.
Zugschaffner der Polnischen Bahn PKP.ZUMA/imago

Komm, wir fahren nach Warschau – eine Reise, die sich für mich wie Butter für die Seele erwies. Warum ich mich schon auf der Zugfahrt entgegen meiner Erwartungen in die Polen verliebte.

Menschen aus ganz Polen reisten am vergangenen Wochenende an, um auf den schönen Straßen Warschaus ihre Stimme zu erheben. So demonstrierten Hunderttausende gegen die polnische PiS-Regierung. Auch ich war dabei, doch war dieser Punkt für mich lange nicht so aufregend wie die Zugfahrt von Berlin nach Warschau. 

Es war nicht das erste Mal, dass ich in Polen und seine Kultur eintauchte. Bereits vor etwa zehn Jahren verbrachte ich gemeinsam mit meinen Eltern einen Tag in Danzig. Das Ergebnis: schön, aber zu touristisch und irgendwie gar nicht polnisch. Vielleicht hatte ich deshalb für meinen zweiten Aufenthalt im sogenannten Paris des Ostens keine großen Erwartungen – das ist bekanntlich aber am besten, denn wie heißt es so schön: Hast du keine Erwartung, hast du keine Enttäuschung. Für mich hat sich diese „Weisheit“ nicht nur bestätigt; sie wurde vielmehr übertroffen. 

Sechs Stunden mit dem Zug nach Warschau – wie die Zeit vergeht

Angekommen am Berliner Hauptbahnhof hatte ich eine sechsstündige Zugfahrt vor mir – von Motivation war noch keine Spur. Eher hatte ich vor, im Zug zu arbeiten und damit den Uhrzeiger zuwider physikalischer Gesetze schneller ticken zu lassen. Bis nach Frankfurt (Oder) funktionierte dieser Plan auch: Doch dann kam Zofia R. in mein Abteil. 

„Witam, czy może mi Pan pomóc z moją walizką?“, fragte mich die 68-Jährige Polin. Ich begegnete ihr nur mit: „Sorry, do you speak English?“, woraufhin mir Zofia zu verstehen gab, dass sie lediglich Polnisch und Deutsch spreche. Und schon war die Freude groß.

Sie fragte mich erneut, ob ich ihr mit ihrem Gepäck helfen könnte. Ich ärgerte mich, dass mir selbst nicht aufgefallen war, wie bepackt sie war – immerhin klebte ich an meinem Laptop. Als wir dann gemeinsam ihre Sachen verstaut hatten, wollte ich mich gerade wieder an die Arbeit setzen, da machte Zofia mir einen Strich durch die Rechnung.

Gemeinsam mit Zofia probierte ich verschiedene polnische Suppen im Restaurant des Zuges aus. 
Gemeinsam mit Zofia probierte ich verschiedene polnische Suppen im Restaurant des Zuges aus. Chiara Maria Leister

„Es war damals schwierig in Polen; es ist heute schwierig in Polen.“

„Kommen Sie auch aus Berlin“, fragte sie mich höflich. Ich war verwirrt, denn sie stieg in Frankfurt ein. Nachdem ich ihr von meinem Beruf in Berlin erzählte und meinen Laptop gänzlich verstaut hatte, erzählte sie mir, was sie in die deutsche Hauptstadt verschlagen hat. 

Seit 30 Jahren wohnt sie schon in Deutschland, die letzten zehn davon in Berlin. Aber warum war Zofia hergekommen? „Es war damals schwierig in Polen und es ist noch heute schwierig in Polen.“ Das Studium ihrer zwei Töchter konnte sie nicht mit dem polnischen Lohn finanzieren. So ging sie nach Deutschland; lebte und arbeitete in einem Ferienlager im brandenburgischen Ferch und später arbeitete sie als Pflegekraft in Berlin.

Mittlerweile lebt Zofia in Charlottenburg. Ihre erste Tochter hat erfolgreich Pädagogik und Architektur studiert, die zweite Polytechnik und Germanistik. Ihr Sohn hingegen, weiß noch immer nicht, was er machen möchte. Auch wenn ihre ganze Familie in Polen lebt, will Zofia nicht mehr in ihre Heimat zurück. Sie hat in Berlin Fuß gefasst, Freunde gefunden – dennoch fühlt sie sich seit der Trennung von ihrem Mann vor sieben Jahren oft allein. Wahrscheinlich freut sie sich auch deshalb über meine Bekanntschaft und den Beginn einer neuen Freundschaft. 

Wie im Hogwarts-Express: Waggon mit kostenlosem Angebot

Ich fühlte mich plötzlich wie Harry Potter im Hogwarts-Express: Während wir über Zofias Exmann und ihre fünf Enkelkinder plauderten, fuhr ein Waggon vorbei. Der Schaffner bot uns aber keine Bertie-Botts-Bohnen an, sondern neben Snacks kostenloses Wasser, mit oder ohne Sprudel. „Das ist im Ticket enthalten“, sagte Zofia.

Das sollte aber noch nicht der Höhepunkt unserer Zugfahrt sein, denn die Polin wollte mich unbedingt noch in das Bordrestaurant des polnischen Zuges einladen. Ich habe schon Hunderte Zugreisen hinter mir, aber ins Bistro ging ich nie. In Polen gehöre das aber dazu, wie mir Zofia erklärte. Immerhin gibt es ein großes Angebot an regionalen Gerichten. Und so sollte auch mir die kulinarische Erfahrung nicht verwehrt bleiben. 

Kultur pur: Wie mich die polnische Küche auf Warschau einstimmte

Ich probierte das erste Mal in meinem Leben Żurek (saure Mehlsuppe) und war positiv überrascht. Viel mehr noch überraschte mich aber die polnische Offenheit, die ich nicht nur durch Zofia zu spüren bekam, sondern ebenso durch all die anderen Menschen im Restaurant. Langsam, lustig und laut speisten sie dort zusammen und stimmten sich auf das bevorstehende Wochenende ein.

Insgesamt verbrachten Zofia und ich mehr als zwei Stunden im Bordbistro und im Nu erreichten wir Warschau. Ich hätte gern noch länger Zeit mit ihr verbracht, doch sie reiste noch weiter in den Süden zu ihrer Familie. Und was machte ich? Ich war dank dieser Begegnung bereit und motiviert, mich auf Warschau einzulassen. 

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