Es gehört zu den zentralen Projekten der großen Koalition. Auch in Zukunft soll es möglich sein, alle Busse und Bahnen in Berlin für nur 29 Euro pro Monat zu nutzen. Doch nun zeichnet sich immer klarer ab, dass die dauerhafte Fortführung des 29-Euro-Abotickets den Landeshaushalt enorm belasten würde.
Pro Jahr müsste Berlin zwischen 309 Millionen und 470 Millionen Euro aufbringen. Weitere Ticketsubventionen für 309 Millionen kämen hinzu. Das geht aus einer Kalkulation hervor, die der Berliner Zeitung vorliegt. Die Senatsverwaltung für Mobilität hat die Zahlen zusammengetragen.
So viel ist klar: Das 29-Euro-Aboticket ist beliebt. Das Angebot für Stammkunden, das im vergangenen Oktober auf Initiative der SPD aufgelegt wurde, gilt als Erfolg. Es habe „zu einer deutlichen Steigerung der Abonnementzahlen um schätzungsweise rund 175.000 geführt“, steht in der Vorlage der Verwaltung für Senatskanzlei und Koalition.
„Es ist aber davon auszugehen, dass dies weitgehend Gelegenheitskunden sind, die aus dem Bartarif ins Abonnement gewechselt sind.“ Anders formuliert: Wer bislang Einzelfahrausweise oder Tageskarten erworben hat, stieg auf das neue Ticket um.
Dagegen dürfte die Zahl der Ticketkäufer, die wegen des 29-Euro-Abotickets vom privaten Auto auf den öffentlichen Verkehr umgeschwenkt sind, überschaubar sein, heißt es in dem Papier weiter.
„Es gibt bislang noch keine Anhaltspunkte, dass durch das Angebot in signifikantem Umfang Kunden von anderen Verkehrsmitteln in den ÖPNV gewechselt sind“, stellt die Verwaltung fest. „Ähnliche Effekte sind auch aus der Stadt Wien bekannt.“ Nachdem dort das 365-Euro-Jahresticket eingeführt wurde, sei der Marktanteil von Bus und Bahn lediglich um einen einzigen Prozentpunkt gestiegen.
In wenigen Wochen wird das beliebte Angebot erst einmal enden. Das ist seit Monaten absehbar. Im Dezember hat der Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) beschlossen, dass es das 29-Euro-Aboticket längstens bis Ende April 2023 gibt.
Nicht genug Chipkarten für eine kurzfristige Fortführung
Könnte das seit Oktober 2022 angebotene Ticket nicht einfach im Programm bleiben? Eine nahtlose Weiterführung wäre unmöglich, entgegnet die Senatsverwaltung. So hätten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die S-Bahn Berlin und die anderen Unternehmen diese Abos bereits aus ihren Vertriebssystemen getilgt.
Ein kurzfristiges erneutes Einpflegen der Daten wäre „nicht umsetzbar“, betonen die Autoren des Papiers. Schließlich hätten die Verkehrsbetriebe schon alle Hände voll damit zu tun, die Tariferhöhung zum 1. April sowie die Einführung des Deutschlandtickets einzuarbeiten. Mit dem neuen Deutschlandticket wird es wie berichtet von Mai an möglich sein, für 49 Euro im Monat bundesweit fast den gesamten Nah- und Regionalverkehr zu nutzen.
Damit nicht genug, so die Tarifexperten der Verwaltung. Es würde auch schwierig, so schnell viele Kunststoffkarten zu besorgen. Eine kurzfristige Fortführung des 29-Euro-Abos würde „zu einem starken Mehrbedarf an Chipkarten“ führen, heißt es dazu in der Stellungnahme. Die Datenträger stünden „aufgrund eines schon seit einiger Zeit bestehenden, eklatanten Chipkartenmangels am Markt“ momentan nicht ausreichend zur Verfügung. Zu diesem Mangel trage die Einführung des Deutschlandtickets bei. „Hier ist erst im Herbst 2023 mit einer Entlastung zu rechnen“, so die Einschätzung.
Koalitionskreise: „Das Ticket wird finanziell gerade fest eingeplant“
Inzwischen ist die Botschaft zumindest im Grundsatz auch in der neuen CDU/SPD-Koalition angekommen. Dort geht man jetzt ebenfalls davon aus, dass eine nahtlose Weiterführung des Angebots nicht mehr möglich ist. Doch nach Informationen der Berliner Zeitung arbeitet man dort daran, eine Wiederaufnahme noch in diesem Jahr zu ermöglichen. Ziel ist es, dass das 29-Euro-Ticket von diesem Sommer an erneut in Berlin angeboten wird. Das wäre sinnvoll und richtig, wurde am Dienstag bekräftigt. „Das Ticket wird finanziell gerade fest eingeplant“, hieß es aus Koalitionskreisen.
Doch mit welchen Kosten müsste das Land unterm Strich rechnen? Dazu ist ein Blick auf die Seite 15 der Verwaltungsvorlage aufschlussreich. Direkte Aufwendungen und Folgeeffekte addiert, müsste Berlin nach jetzigem Preisstand jährliche Ausgaben zwischen 309 Millionen und 470 Millionen Euro stemmen, heißt es dort.
Langfristig wäre das 29-Euro-Ticket also eine kostspielige Wohltat für die Berliner. Die Kalkulation wird ergänzt von „weiteren Lasten“ in Höhe von 309 Millionen Euro pro Jahr. Unterm Strich würde dieser Komplex den Etat mit einem Minimum von 618 Millionen und einem Maximum von 779 Millionen Euro belasten, geht aus der Rechnung hervor.
Auch Senioren und Studierende würden große Preisnachlässe verlangen
Da sind zum einen die direkten Kosten für die Fortführung des 29-Euro-Tickets. Sie entstehen, weil in Berlin dauerhaft Zuschüsse zu Umweltkarten-Abos fällig würden. In der Schlussrechnung wird dies eher konservativ kalkuliert: Das errechnete Minimum würde 276 Millionen Euro pro Jahr betragen, das Maximum 302 Millionen Euro, heißt es auf Seite 15 des Verwaltungspapiers. Preisstand: 2023.
Auf Seite 7 machen die Autoren aber deutlich, dass die direkten Kosten aller Voraussicht nach höher liegen werden. Das liege daran, dass die Haushälter des Landes eventuellen weiteren Finanzbedarf einrechnen müssten, heißt es dort. Angesichts dessen wären für 2024 rund 320 Millionen Euro einzukalkulieren. 2027 würden es dann schon 365 Millionen Euro sein.
Das ist aber nur der erste Posten der Rechnung. Den zweiten Posten mit mehreren Positionen bilden die Folgeeffekte, wenn das preisreduzierte Stammkundenangebot dauerhaft wiederaufgenommen würde. Denn als reguläres unbefristetes Angebot wird das 29-Euro-Ticket bei anderen Kundengruppen natürlich zu Begehrlichkeiten führen, erwartet die Verwaltung. Schließlich sind die Zeitkarten, die Senioren, Azubis, Studierenden und Empfängern von Transferleistungen bisher angeboten werden, heute noch deutlich teurer als 29 Euro.
Der Senat käme also nicht darum herum, auch diese Tickets in Berlin dauerhaft billiger zu machen. Je nachdem, in welchem Maße das Land den Forderungen nachgibt und die Preise senkt, würden die jährlichen Kosten für das Land zwischen 33 Millionen und 168 Millionen Euro betragen, heißt es.
Berlin zahlt fürs Deutschlandticket 136 Millionen Euro pro Jahr – so oder so
Der Vollständigkeit halber müsste die Rechnung, wie viel Geld das Land in Zukunft für Ticketsubventionen aufwenden müsste, zusätzliche Positionen enthalten, geht aus dem Senatspapier weiter hervor. Grund sei, dass Berlin heutige Ausgleichszahlungen natürlich auch weiterhin leisten muss.
Ein Beispiel: Damit Schüler im Stadtgebiet gratis Bus und Bahn fahren können, finanziert der Senat für 52 Millionen Euro im Jahr kostenlose Schülertickets. Ab Mai käme in dieser Liste noch ein Posten hinzu: Damit das Deutschlandticket bundesweit eingeführt werden kann, zahlen neben dem Bund auch die Länder in eine gemeinsame Kasse ein. Berlins Landesanteil wird mit 135,7 Millionen Euro pro Jahr beziffert. Auch diesen Betrag müsste Berlin auf jeden Fall zahlen – obwohl damit zu rechnen wäre, dass nur wenige Berliner das 49-Euro-Ticket erwerben würden.










