Es war ein Erfolg, von Anfang an, und es hat den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) sowie der S-Bahn Berlin viele neue Stammkunden verschafft. Zahlreiche Berliner sagen, dass sie nur deshalb Bus und Bahn fahren, weil es das 29-Euro-Ticket gibt. Doch es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass dieses Abo-Angebot nicht mehr lange zu haben sein wird.
Das hat jetzt ein Gremium des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) bestätigt. Damit müsste sich die große Koalition von einem gemeinsamen Projekt verabschieden, noch bevor sie sich offiziell konstituiert hat. Doch was soll es stattdessen geben? Gibt es Chancen, dass das Ticketangebot später im Jahr oder 2024 neu aufgelegt wird?
Ganz Berlin für 29 Euro pro Monat: So funktioniert das neue Jahresabonnement, das es seit Anfang Oktober 2022 gibt. Die Berliner SPD hatte sich maßgeblich dafür eingesetzt, dass der Nachfolger des beliebten 9-Euro-Tickets in dieser Stadt so aussieht. Beide Sonderangebote haben dazu beigetragen, dass die Zahl der Stammkunden des öffentlichen Verkehrs in Berlin im vergangenen Jahr neue Rekordhöhen erklommen hat. Allein bei der BVG wuchs sie von 869.000 auf rund 1,061 Millionen.
Als Teil des größten deutschen Verkehrsverbunds hat sich die Hauptstadt einst dazu verpflichtet, sich mit dem Nachbarbundesland abzustimmen. Doch im VBB grummelte es schon bald vernehmlich. Pendler aus dem Berliner Umland kündigten ihre Abos, die sie bei Brandenburger Verkehrsbetrieben gekauft hatten und stiegen auf das deutlich billigere 29-Euro-Ticket um. Die Folge waren Einnahmeverluste in Größenordnungen, ohne dass wie in Berlin mit dem Senat ein solventer Geldgeber bereit stand.
„Wir müssen leider feststellen, dass einige Akteure in Berlin mit dem Feuer spielen und so die Sinnhaftigkeit des Verkehrsverbunds infrage stellen“, warnte Frank Wruck, Geschäftsführer der Barnimer Busgesellschaft. Es drohe die „Zerstörung des VBB“.
Beirat der Verkehrsunternehmen lehnt Verlängerung ab
Dessen ungeachtet versprach die SPD vor der Wiederholungswahl im Februar 2023, sich für eine dauerhafte Fortführung des 29-Euro-Tickets einzusetzen. Im gemeinsamen Sondierungspapier, das CDU und SPD zu Beginn der Koalitionsverhandlungen am 9. März verabschiedeten, ist von einem unbefristeten Angebot des 29-Euro-Tickets die Rede. Dabei hatte der Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds Ende 2022 beschlossen, dass es „längstens“ bis Ende April 2023 angeboten werden darf. Nun steht so gut wie fest: Eine weitere Verlängerung wird es nicht geben. „Ende April ist Schluss“, hieß es am Mittwoch. Damit wird immer wahrscheinlicher, dass das Angebot bald ausläuft.
Für eine Beendigung hat sich jetzt auch der Beirat der Verkehrsunternehmen, ein wichtiges Gremium des Verkehrsverbunds, ausgesprochen. Am Dienstag beschloss er, sich für eine Überarbeitung des Berlin-Brandenburger Tarifsystems einzusetzen. Anlass ist die Einführung des Deutschlandtickets, das zunächst monatlich 49 Euro im Jahresabo kosten und ab Mai bundesweit fast im gesamten Nah- und Regionalverkehr gelten wird.
Bestimmte regionale Tickets („Tarifprodukte“), die es bereits gibt, werden künftig „nicht mehr sinnvoll“ sein, teilte ein Beiratsmitglied der Berliner Zeitung am Mittwoch mit. „Insgesamt muss die Tarifsystematik einfacher werden. Bis dahin sollten jedoch keine anderen Tarifprodukte eingeführt werden. Auch eine Verlängerung des 29-Euro-Tickets oder die Einführung eines Zusatztickets wird in diesen Zusammenhang abgelehnt“, sagte der Chef eines Verkehrsunternehmens in der Hauptstadtregion.
Zuschussbedarf: rund 17 Millionen Euro pro Monat
Die BVG hatte bereits deutlich gemacht, dass ihre technischen und personellen Kapazitäten durch die Einführung des Deutschlandtickets ausgelastet seien. Darum sei es ihr nicht möglich, gleichzeitig eine Verlängerung des 29-Euro-Tickets zu stemmen. Eine Wiederaufnahme wäre frühestens Anfang 2024 möglich, so das Landesunternehmen. Auch von dieser Seite hat die Berliner SPD also unmissverständliche Signale bekommen.
Ohnehin wäre es längst zu spät, jetzt noch eine Weiterführung zu beschließen, hieß es in Verwaltungskreisen. Der rot-grün-rote Senat, der nun abtritt, hätte eine Entscheidung mit einer solchen Tragweite zuletzt nicht mehr treffen dürfen.
Zudem sei die langfristige Finanzierung nicht gesichert – was aber nötig sei, denn das 29-Euro-Tickets erfordere hohe Zuschüsse des Landes. Allein für die ersten drei Monate hat die BVG 40,7 Millionen Euro berechnet. Insgesamt ging man von 17 Millionen Euro pro Monat aus. Heute wird ein Zuschussbedarf von mindestens 300 Millionen Euro pro Jahr kalkuliert.
Für Berlin entstünde eine kaum tragbare Doppelbelastung. „Bund und Länder haben vereinbart, wie viel Geld sie beitragen, damit das Deutschlandticket angeboten werden kann“, erinnerte eine Insiderin. Das Land Berlin müsse den festgelegten Anteil auf jeden Fall tragen – die Subventionen für das 29-Euro-Ticket würden zusätzlich fällig. So mehren sich die Stimmen, trotz des Wahlversprechens den Stecker zu ziehen.
Senat will Fortführung des Sozialtickets bis Ende 2023 beschließen
Am neuen Berliner Sozialticket, das neun Euro pro Monat kostet, wollen die Berliner Verantwortlichen festhalten. Dazu brachte die Linke am Donnerstag einen Antrag ins Abgeordnetenhaus ein. „Am Dienstag berät der Senat über eine Vorlage, die eine Weiterführung bis Ende 2023 vorsieht“, sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).
In der Senatsvorlage steht: „Da mit einem Wirksamwerden des neuen Tarifgefüges nicht vor dem 1. Januar 2024 zu rechnen ist, wird das Angebot des Berlin-Ticket S zu einem monatlichen Preis in Höhe von 9 Euro bis vorerst 31. Dezember 2023 weiter bereitgestellt. Der VBB-Aufsichtsrat hat am 9. März 2023 mit dem folgenden Beschluss seine Zustimmung zu einer weiteren Preisreduktion erteilt.“
Das Deutschlandticket soll mit anderen Angeboten ergänzt werden, bekräftigte Franziska Giffey am Mittwoch. Was möglich wäre, soll nun am 30. März im Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds besprochen werden, wie die Berliner Zeitung erfuhr. Die Zeit drängt, denn die nächste Sitzung ist erst für Juni 2023 terminiert.
Dem Vernehmen nach könnte es am 30. März unter anderem um günstige Jobtickets für die Region gehen. Wie berichtet, sieht bereits die bundesweite Regelung für solche Tickets einen Monatspreis von 34,30 Euro vor. Wenn die Arbeitgeber einen Abschlag von mindestens 25 Prozent gewähren, geben der Bund und die Länder, einen weiteren Abschlag von fünf Prozent dazu. Arbeitnehmer könnten auf diese Weise das Ticket also für mindestens 30 Prozent weniger bekommen. In Berlin und Brandenburg könnten weitere Zuschüsse den Firmenticketpreis auf 29 Euro im Monat senken, hieß es in Berlin.
Happy-Hour-Ticket und Gratis-Ausflüge nach Brandenburg am Wochenende
Auch ein Berlin-Brandenburger Semesterticket für 29 Euro im Monat, das bundesweit gelten soll, steht auf der Liste. Attraktive Zusatzfahrkarten könnte es ebenfalls geben, so ein weiterer Hinweis aus Berlin. Ein Vorschlag von dort sieht vor, dass Abonnenten des Deutschlandtickets für nur zwölf Euro im Monat oder etwas mehr Geld zu bestimmten Zeiten ihre Familie ohne Aufpreis mitnehmen dürfen - und zwar in Berlin und ganz Brandenburg. Ein solches Ergänzungsticket für 12,50 Euro hatten Berliner Vertreter im Aufsichtsrat im vergangenen Sommer im VBB angeregt, erfuhr die Berliner Zeitung.
Im vergangenen Jahr war auch ein Happy-Hour-Ticket vorgeschlagen worden. Für wenige Euro sollte es Fahrgästen ermöglichen, ab 20 Uhr bis 3 Uhr des Folgetages in Berlin und Brandenburg unterwegs zu sein. In Berlin war ein Preis von vier Euro vorgeschlagen worden. Die Ertragsverluste würden dadurch aufgefangen, dass die Zahl der Fahrgäste in den Abend- und Nachtstunden um zehn Prozent steigen würde, hieß es.
Kritik aus der Branche: Das Deutschlandticket würgt die Kreativität ab
Doch die Verkehrsunternehmen in der Region bleiben skeptisch. So könne derzeit schwer eingeschätzt werden, ob und wie neue regionale Angebote zum Deutschlandticket passen, so ein Geschäftsführer vor Kurzem. „Das Deutschlandticket stellt einen grundsätzlich anderen Ansatz bei der Tarifgestaltung dar und führt zu einer großen Ungewissheit über das künftige Einnahmeniveau der Verkehrsbetriebe. Auch wenn es ein Ausgleichsverfahren für die Mindereinnahmen geben soll, ist unklar, zu welchen Liquiditätsverschiebungen es kommt und was am Ende wirklich bei den Unternehmen landet.“ So würge das Deutschlandticket die Kreativität der Tarifplaner ab.
„Es gibt viele Möglichkeiten für attraktive Angebote“, hieß es am Mittwoch in der Branche. Doch sie sollten mit Brandenburg abgestimmt werden.










