Mobilität

Neue Zahlen zum 9-Euro-Ticket: Ein günstiges Angebot reicht nicht

Das Ticket hatte keinen nachhaltigen Effekt auf das Klima. Die Käufer fuhren danach wieder so viel Auto wie vorher, ergab eine repräsentative Umfrage.  

Ein Regionalexpress der DB im Hauptbahnhof: Berlin war Hauptstadt des 9-Euro-Tickets.
Ein Regionalexpress der DB im Hauptbahnhof: Berlin war Hauptstadt des 9-Euro-Tickets.Christoph Soeder/dpa

Für manche war es ein Sommermärchen, für andere ein Albtraum – weil viele Züge übervoll waren. Jetzt hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) den Abschlussbericht zum 9-Euro-Ticket vorgestellt, das im vergangenen Sommer bundesweit verkauft wurde. Die Bilanz fällt zwiespältig aus. Zwar seien einige Neukunden dem öffentlichen Verkehr treu geblieben. „Doch einen nachhaltigen Effekt aufs Klima können wir nicht feststellen“, sagte VDV-Präsident Ingo Wortmann am Dienstag in Berlin. Trotzdem wird nun das nächste Tarifangebot vorbereitet, diesmal ein Abo: das Deutschlandticket für 49 Euro im Monat. „Die Branche steht für die Einführung zum 1. Mai bereit“, so Wortmann. Doch große Hürden müssen noch genommen werden.

Für neun Euro im Monat durch ganz Deutschland mit allen Bahnen und Bussen des Nah- und Regionalverkehrs: Das war im Juni, Juli und August des vergangenen Jahres möglich. Als Gegenstück zum Tankrabatt hatte der Bund das weltweit einzigartige Angebot möglich gemacht. Die rund zehn Millionen bereits bestehenden Abos, die es damals bundesweit gab, wurden auf den Niedrigpreis umgestellt. Zusätzlich wurden rund 52 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft. Berlin war ein wichtiger Schwerpunkt: Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) setzten 3,3 Millionen Tickets ab, die S-Bahn Berlin 1,2 Millionen.

Viele Nutzer des 9-Euro-Tickets sind dem Nahverkehr treu geblieben

Bereits im vergangenen Jahr stritten sich die Experten darüber, ob das mit 2,5 Milliarden Euro vom Bund hoch subventionierte Angebot ein Erfolg ist. Der Branchenverband VDV verwies darauf, dass im Sommer 17 Prozent der Nutzer von anderen Fortbewegungsarten wie dem Auto oder dem Fahrrad auf den öffentlichen Verkehr umgestiegen seien. Zehn Prozent verzichteten auf mindestens eine ihrer täglichen Autofahrten. Jeder fünfte Käufer sei ein Neukunde, der Bahnen und Busse zuvor normalerweise nie genutzt habe. Beobachter entgegneten, dass die positiven Effekte schwach waren. Das 9-Euro-Ticket, das zu übervollen Zügen führte und Pendler vergraulte, habe mehr geschadet als genutzt.

Am Dienstag hat der VDV die Ergebnisse des Abschlussberichts der bundesweiten Marktforschung zum 9-Euro-Ticket vorgestellt. Sie basieren auf einer repräsentativen Umfrage während des Zeitraums von September bis November 2022. „Positiv ist, dass viele Nutzer als Fahrgäste geblieben sind“, fasste Ingo Wortmann zusammen. Zwölf Prozent der Befragten gaben an, dass sie den Nahverkehr öfter nutzen. Fast 30 Prozent der Neukunden seien weiterhin mit Bahnen und Bussen gefahren. Weitere 1,6 Millionen Fahrgäste teilten mit, dass sie öfter mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs seien als früher.

Aber die Autofahrten haben früheres Niveau wieder erreicht

Doch gerade bei der Verlagerung vom Pkw zum Nahverkehr bleibt viel zu tun“, so der Verbandspräsident weiter. „Die Nachbefragung hat gezeigt, dass die Häufigkeit von Autofahrten inzwischen wieder das alte Niveau wie vor dem 9-Euro-Ticket erreicht hat.“ Davon, dass die Menschen auf tägliche Autofahrten verzichten, sei „nicht mehr viel übrig geblieben“, hieß es.

Das sei erwartbar gewesen, schließlich verändere kaum jemand sein Verhalten schon nach drei Monaten dauerhaft. Doch zur Bilanz gehöre trotzdem die Feststellung: „Ein nachhaltiger Klimaeffekt ist schlichtweg ausgeblieben“, so Wortmann. „Es reicht nicht aus, ein günstiges Ticket zu offerieren, wir brauchen auch ein besseres Angebot.“ Es müsse eine „Ausbau- und Modernisierungsoffensive“ geben, bekräftigte er.

49 Euro im Monat: Dieser Preis wird erst mal nur für zwei Jahre garantiert

Doch schon sind neue Fahrkartenangebote in Vorbereitung, die erneut die Einnahmen der Verkehrsbetriebe verringern und ebenfalls einer massiven ausgleichenden Förderung des Staates bedürfen. In Berlin setzt sich die SPD wie berichtet dafür ein, das 29-Euro-Aboticket dauerhaft anzubieten. Auf Bundesebene soll es das Deutschlandticket geben: ebenfalls im Abo für 49 Euro im Monat, gültig im gesamten Nah- und Regionalverkehr. Jeder Fahrgast ab sechs Jahren braucht ein eigenes Ticket, eine Übertragbarkeit ist nicht vorgesehen. Die kostenlose Mitnahme von Hunden und Fahrrädern ist in der Regel nicht möglich. Der Preis ist auf zwei Jahre festgelegt.

„Wir stehen bereit für einen Verkaufsstart im April und eine Einführung zum 1. Mai 2023“, sagte Oliver Wolff, der Hauptgeschäftsführer des VDV. Doch er wies darauf hin, dass nicht nur die Finanzierung noch zu regeln sei – worum Bund und Länder derzeit rangeln. Nicht minder wichtig sei es, dass die Europäische Kommission grünes Licht gebe. Denn das Geld, mit dem die Einnahmeausfälle der Verkehrsunternehmen ausgeglichen werden sollen, sei einer staatlichen Beihilfe vergleichbar. Es sei essenziell, dass die Betriebe rechtlich auf der sicheren Seite seien, so Wolff. „Denn sie wären es, die im schlimmsten Fall das Geld zurückzahlen müssten.“

Ein zweites Thema, über das derzeit diskutiert wird: Wer genehmigt den neuen Tarif? Eigentlich wären die 16 Bundesländer dafür zuständig, sagte Wolff. Doch die Gefahr bestünde, dass hier und da die Genehmigung versagt werde und damit bundesweit ein Flickenteppich entstehe. Der VDV setze sich dafür ein, dass zumindest für das erste Jahr die Genehmigung vom Bund erteilt werde – wie im Sommer für das 9-Euro-Ticket. „Je zentraler, desto besser.“

Das neue Ticket soll es bis Ende 2023 auch in Papierform geben

Auch die Frage, in welcher Form das Deutschlandticket angeboten werden soll, ist noch nicht entschieden. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) setzt sich dafür ein, dass es ausschließlich digital zu haben ist. Doch viele potenzielle Fahrgäste hätten kein Mobiltelefon, so Wortmann. „Bis Ende 2023 brauchen wir eine Zwischenlösung“ – zusätzlich zu einem Chipkarten- und Handyticket. Die Lösung könnte so aussehen, dass die Kundendaten zwar digital gespeichert werden, aber ein Ausdruck als Ticket genügt.

Aber wie viele Deutschlandtickets werden überhaupt verkauft? Dazu gebe es derzeit nur eine grobe Hochrechnung, hieß es am Dienstag. Danach erwartet der Verband 5,6 Millionen neue Abonnenten. Von den rund 14 Millionen Menschen, die bereits ein Abo besitzen, würden elf Millionen wechseln.

9-Euro-Ticket: Verkehrsleistungen dürfen nicht verramscht werden

Das neue Angebot fördere das Fernpendeln und begünstige Menschen, die mehr Geld für ihr Abonnement zahlen könnten und dies in vielen Fällen auch tun, sagen Experten. Dienstleistungen des öffentlichen Verkehrs dürften nicht verramscht werden, sagte VDV-Präsident Wortmann. Das 49-Euro-Abo führe dazu, dass Zahlungsbereitschaft nicht abgeschöpft werde. „Aber das ist politisch gewollt.“