Verkehr

Brandenburg warnt Berlin: 29-Euro-Ticket ist ein Spiel mit dem Feuer

Das Angebot bricht bei der BVG alle Rekorde, die SPD will die dauerhafte Fortführung. Doch es könnte den Verkehrsverbund zerstören, so Berlins Nachbarn.   

Ein Zug der Linie U5 fährt in den U-Bahnhof Museumsinsel ein. Im vergangenen Jahr wurden die Bahnen und Busse der BVG für rund 952 Millionen Fahrten genutzt.
Ein Zug der Linie U5 fährt in den U-Bahnhof Museumsinsel ein. Im vergangenen Jahr wurden die Bahnen und Busse der BVG für rund 952 Millionen Fahrten genutzt.dpa/Christoph Soeder

So viel steht fest: Das 29-Euro-Aboticket für Berlin ist ein Erfolg. Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) ist die Zahl der Stammkunden auf ein Rekordhoch gestiegen. Obwohl es in der Praxis zuweilen Probleme gibt, scheint das Sonderangebot einen Nerv getroffen zu haben. Kein Wunder, dass die Berliner Sozialdemokraten mit der Forderung, das 29-Euro-Ticket dauerhaft anzubieten, in den Wahlkampf ziehen. Doch die Berliner spielten mit dem Feuer, warnt Frank Wruck, Vorsitzender des Beirats der Verkehrsunternehmen im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). Der VBB, der auch zahlreichen Berliner nützt, werde infrage gestellt, so der Brandenburger.

Der Geschäftsführer der Barnimer Busgesellschaft in Eberswalde findet deutliche Worte. „Wenn vonseiten der Berliner Politik weiterhin ohne vorherige Abstimmung mit den Partnern im VBB in den Medien verkündet wird, wie die Berliner Beförderungstarife zu sein haben, wird dies über kurz oder lang zur Zerstörung des VBB führen“, so Wruck zur Berliner Zeitung. „Wir müssen leider feststellen, dass einige Akteure in Berlin mit dem Feuer spielen und so die Sinnhaftigkeit des Verkehrsverbunds infrage stellen.“

Es ist klar, dass der Unternehmenschef aus Brandenburg die Berliner Sozialdemokraten meint, die sich die dauerhafte Fortführung des Ticketangebots auf die Fahnen geschrieben haben. „29-Euro-Ticket für alle“, so steht es weiß auf rot auf Plakaten, mit denen die SPD für die Wiederholungswahl am 12. Februar um Stimmen wirbt.

Allein bei der BVG kamen im vergangenen Jahr 163.000 Stammkunden dazu

Zwar soll in diesem Frühjahr das Deutschlandticket eingeführt werden. Mit diesem Abo wird man für 49 Euro im Monat bundesweit den gesamten Nah- und Regionalverkehr nutzen können. Doch das jetzige lokale Berliner Angebot soll es weiterhin geben, stellt die SPD klar. „Wir möchten zusätzlich das erfolgreiche 29-Euro-Ticket für Berlin weiterführen. Darüber hinaus wollen wir eine Lösung für günstige Tickets für Azubis, Studierende und Senior:innen finden. Das 29-Euro-Ticket ist Teil unseres Berliner Entlastungspakets und des Nachtragshaushalts“, heißt es bei den Sozialdemokraten.

Raed Saleh, Chef des Landesverbands und der Fraktion im Abgeordnetenhaus, betont bei jeder Gelegenheit die Bedeutung dieses Angebots. Das 29-Euro-Ticket sei ein Beitrag zur Mobilitätswende in Berlin und auch sozialpolitisch richtig, sagt der SPD-Politiker. Ernsthafte Probleme mit den Brandenburgern sieht er nicht. Schließlich gebe es schon separate Berliner Angebote wie das kostenlose Schülerticket für den Tarifbereich AB.

Die Zahlen der BVG geben den Fans des im Oktober eingeführten 29-Euro-Abotickets recht. Zusammen mit dem 9-Euro-Ticket, das im Sommer drei Monate lang bundesweit angeboten wurde, hat es die Stammkundenzahl auf ungekannte Höhen getrieben. Ursprünglich hatte die BVG in ihrer internen Planung damit gerechnet, dass die Zahl der Abonnenten im vergangenen Jahr allenfalls leicht steigt – von 869.000 auf 890.000. Stattdessen schoss dieser Wert um ein sattes Fünftel in die Höhe und erreichte 1,045 Millionen. Dazu gehörten nicht weniger als 163.000 Abo-Neukunden.

Brandenburger wandern zu Berliner Unternehmen ab und zahlen weniger

Doch das Sonderangebot hat auch eine Schattenseite: Allein für die drei Monate im vergangenen Jahr beziffert die BVG die ausgebliebenen Einnahmen mit 40,7 Millionen Euro. Zwar hat der Senat angekündigt, in Berlin die Differenz zum regulären monatlichen Abopreis, der bei etwas über 60 Euro liegt, mit Landesgeld auszugleichen. Der Berliner Teil des Fahrgeldpools, dessen Inhalt später an die Verkehrsunternehmen in Berlin und Brandenburg verteilt wird, soll also nicht kleiner werden. Trotzdem wirkt sich das Sonderangebot auch auf die Verkehrsbetriebe im Nachbar-Bundesland aus – die von ihrer Landesregierung ohnehin traditionell kurz gehalten werden.

„Was im Rahmen des Verfahrens nicht erfasst und ausgeglichen werden kann, sind Wanderungen von Kunden“, erläuterte Wruck. Ein Beispiel sei, wenn Bewohner des Berliner Umlands bei ihrem Brandenburger Verkehrsunternehmen das Abo für den Tarifbereich ABC kündigen und stattdessen bei der BVG ein 29-Euro-Aboticket kaufen. Damit sparen sie mindestens 52 Euro im Monat – auch wenn sie die Teilstrecke über die Stadtgrenze hinweg nach Berlin dann anders zurücklegen müssen.

Die Brandenburger Bus- und Straßenbahnbetreiber befürchten, dass über kurz oder lang weniger Fahrgeld im Topf landet – und damit auch weniger Geld bei ihnen ankommt. „Einseitige Festsetzungen zu den Berliner Beförderungstarifen haben Auswirkungen auf das gesamte Tarifgefüge im VBB“, so Wruck. „Die damit verbundenen Mindereinnahmen müssen auch von den Brandenburger Partnern im VBB getragen werden können.“

Während der jüngsten Sitzung des VBB-Aufsichtsrats am 15. Dezember haben die Brandenburger zugestimmt, dass das 29-Euro-Aboticket in Berlin bis zum 30. April 2023 verlängert werden kann – allerdings „letztmalig“, wie es unmissverständlich hieß. „Sie haben deutlich gemacht, dass es eine weitere Zustimmung dieser Art nicht geben wird“, bekräftigte Frank Wruck. „Diese deutliche Formulierung im Beschluss soll Berlin aufzeigen, dass es die Mitglieder im Aufsichtsrat ernst meinen.“

Tarif soll weiterentwickelt werden

Ob der seit mehr als zwei Jahrzehnten bestehende Verbund bleibt oder nicht, sei keine akademische Frage, so die Mahnung. „Auch Berliner profitieren vom Verkehrsverbund, zum Beispiel wenn sie ins Land Brandenburg pendeln oder Ausflüge unternehmen“, stellte Wruck klar. Früher war es so, dass für Verkehrsmittel unterschiedlicher Betreiber unterschiedliche Tickets gelöst werden mussten. Mit dem Tarifverbund fielen solche Probleme weg – ein Rückfall in frühere Zustände würde der Mobilitätswende schaden.

„Was wir uns als Brandenburger von den Berlinern wünschen, ist Sensibilität für die Brandenburger Rahmenbedingungen. Wir wollen einen gemeinsamen, attraktiven und möglichst einfachen Beförderungstarif im VBB, den müssen wir aber gemeinsam entwickeln“, sagte der Eberswalder. „Gleichzeitig muss aber auch die Finanzierung des Nahverkehrs für alle Aufgabenträger im VBB leistbar sein. Ist dies nicht gegeben, wird zumindest der Tarifverbund zerstört, mit allen Nachteilen für den Fahrgast.“

Wie berichtet setzt sich Berlins Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) für eine gemeinsame Lösung mit Brandenburg ein. Ausgehend vom Deutschlandticket für 49 Euro im Monat wurde auf Arbeitsebene damit begonnen, Ideen für eine Veränderung des gemeinsamen Tarifs zu erarbeiten. Wruck: „Ein diskutierter Lösungsansatz ist die Einführung von Zusatztickets, um Mitnahmeregelungen oder die Nutzung der ersten Klasse im VBB-Gebiet zu ermöglichen. Ein anderer Ansatz ist eine grundsätzliche Überarbeitung des VBB-Tarifsystems mit einer deutlichen Vereinfachung der Struktur.“

Fahrpreise sollen im Frühjahr spürbar steigen – auch in Berlin

Klar sei aber auch: Die für dieses Frühjahr geplante Fahrpreiserhöhung muss kommen, forderte Wruck. Der Aufsichtsrat des Verbunds hat Ende September beschlossen, die Tarife zum 1. April 2023 um durchschnittlich 5,62 Prozent anzuheben. „Die Verkehrsunternehmen haben deutliche Kostensteigerungen bei den Energiekosten zu verzeichnen“, so der Chef der Barnimer Busgesellschaft. „Wir sind darauf angewiesen, dass diese Tarifanpassung umgesetzt wird und die Fahrpreise angepasst werden.“ Auch das dürfte bei Berliner Politikern auf Kritik stoßen. Weiterer Streit ist in Sicht.