Bus und Bahn

Berliner Nahverkehr: Die nächste Fahrpreissenkung steht bevor!

Erst die Umweltkarte, jetzt das Sozialticket: Es soll zwischen neun und 19 Euro kosten. Das neue 29-Euro-Abo ist schon 100.000-mal erworben worden. Doch längst nicht alle Käufer sind Neukunden.

U-Bahn fahren unterm Sternenhimmel: Eine U5 fährt in die Station Museumsinsel in Mitte ein.
U-Bahn fahren unterm Sternenhimmel: Eine U5 fährt in die Station Museumsinsel in Mitte ein.imago/Jürgen Ritter

Für Bus- und Bahnfahrgäste in Berlin gibt es eine weitere gute Nachricht. Der Tarif des Sozialtickets soll von 27,50 Euro auf einen Betrag zwischen neun und 19 Euro pro Monat sinken. Das teilte Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus mit. Sie bezog sich auf einen Beschluss, den der Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) in der vergangenen Woche gefasst hatte. Im Gespräch ist auch, dass künftig mehr Berliner als heute das Berlin-Ticket S erwerben dürfen. Unterdessen hat der Absatz des neuen 29-Euro-Abos eine neue Höchstmarke erreicht. Die neue Jahreskarte für das Berliner Stadtgebiet ist mittlerweile rund 100.000-mal erworben worden. Doch die Bilanz ist nur mit Einschränkungen positiv.

Es war ein Sommermärchen, an dem viele Menschen teilhaben wollten. Für nur neun Euro im Monat durfte man im Juni, Juli und August in ganz Deutschland den Nahverkehr nutzen. Die Koalition auf Bundesebene hatte das Sonderangebot als Ergänzung zum Tankrabatt ersonnen, um auch Bus- und Bahnfahrgäste von steigenden Lebenshaltungskosten zu entlasten. Das 9-Euro-Ticket, das der Bund mit 2,5 Milliarden Euro sponserte, wurde 52 Millionen Mal gekauft. In Berlin fand die konkurrenzlos preiswerte Netzkarte reißenden Absatz: Hier wurde sie 4,5 Millionen Mal erworben.

Vertriebspersonal arbeitet „am Limit“

Während Bund und Länder schon vor dem Ende des 9-Euro-Tickets damit begannen, sich über ein deutschlandweites Nachfolgeangebot zu streiten, ersann man in Berlin eine lokale Lösung – gedacht als Überbrückung. Maßgeblich von der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und den Berliner Sozialdemokraten unterstützt, kam das 29-Euro-Abo auf den Markt. Wer jetzt ein Jahresabonnement der Umweltkarte für Berlin erwirbt, zahlt im Oktober, November und Dezember lediglich 29 Euro pro Monat. Normalerweise werden monatlich rund 63,40 Euro abgebucht.

Die Nachfrage ist gut – um es zurückhaltend zu formulieren. Vor den Verkaufsstellen der BVG und S-Bahn stehen die Menschen Schlange. Um den Andrang zu bewältigen, wurde das Vertriebspersonal aufgestockt. Auch online ist der Absatz groß, obwohl es für Interessierte nicht einfach ist, sich auf den Internetseiten zurechtzufinden. „Es ist wirklich Wahnsinn, was gerade in Berlin passiert“, schrieb BVG-Chefin Eva Kreienkamp im Karrierenetzwerk LinkedIn, nachdem sie in dieser Woche zwei Kundenzentren besucht hatte. „Die Resonanz auf das 29-Euro-Abo ist wirklich riesig. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass viele unserer Kolleg:innen am Limit arbeiten.“

Mehr als eine Million Stammkunden bei BVG und S-Bahn

Bis Mittwochmorgen sind bei der BVG insgesamt rund 90.000 29-Euro-Abos gekauft worden, sagte Jannes Schwentu, Sprecher des Landesunternehmens, der Berliner Zeitung. „Der Onlinekauf überwiegt, aber es gibt noch keine genauere Auswertung.“ Dabei war die Zahl der Stammkunden schon vor Beginn der Aktion groß. So hatte die BVG im August rund 860.000 Abonnenten. Davon besaßen 285.000 eine Umweltkarte und 77.000 ein Seniorenticket, das VBB-Abo 65 plus.

„Die S-Bahn Berlin kann im Vergleich zum September bereits am Monatsanfang Oktober einen Anstieg von mehr als 10.000 Abonnements verzeichnen“, berichtete eine Bahnsprecherin auf Anfrage. Außerdem wurde die Möglichkeit, in diesem Monat in das Abo einzusteigen, bis zum 20. Oktober verlängert. Bei dem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn verteilt sich der Absatz jeweils zur Hälfte auf die Internetseite abo-antrag.de und auf die Verkaufsstellen. Auch dort war die  Stammkundenkartei bereits vorher gut gefüllt. Ende September hatte die S-Bahn Berlin rund 210.000 Abonnenten. Davon besaßen 137.000 eine Umweltkarte und 33.000 ein Seniorenticket.

BVG-Chefin Kreienkamp: „Eine gute Nachricht für das Klima“

Inzwischen dürfte die Zahl der 29-Euro-Abos die 100.000-Marke sogar überschritten haben. Die große Nachfrage ist eine „gute Nachricht für das Klima“, so BVG-Chefin Kreienkamp. Dass das neue, auf Berlin begrenzte Angebot ein Verkaufsschlager ist, freut auch die Berliner Sozialdemokraten. Nachdem absehbar ist, dass die September-Wahlen wegen gravierender Pannen teilweise wiederholt werden müssen, läuft nun langsam der Wahlkampf an. Die SPD hofft, dass ihr das neue Sonderangebot Wählerstimmen verschafft. Die Kosten für das Land, das Einnahmeausfälle bei den Verkehrsunternehmen ausgleichen muss, werden auf 105 Millionen Euro beziffert.

Doch wie groß ist der Erfolg wirklich? Es fällt auf, dass die Branche vorerst keine weitergehende Einschätzung abgeben möchte. Wie viele Neukunden für den Nahverkehr gewonnen werden konnten, lasse sich noch nicht sagen, sagte ein Mitarbeiter. Klar sei, dass Berliner, die schon Stammkunden waren, teurere Tickets gegen das preiswertere 29-Euro-Abo umtauschen. „Das betrifft insbesondere Inhaber der Seniorentickets“, sagte ein anderer Insider. Das VBB-Abo 65 plus kostet 52 Euro im Monat, es gilt nicht nur für Berlin, sondern auch für ganz Brandenburg. „Doch viele Senioren nutzen das Ticket fast nur in der Stadt. Da bietet sich ein Umtausch geradezu an.“ Für die Verkehrsbetriebe bedeutet das einen hohen Aufwand – und den Verlust weiterer Einnahmen.

Dürfen künftig mehr Menschen als heute das Berliner Sozialticket kaufen?

Ungewiss ist, wie Neukunden reagieren werden, wenn ihnen ab Januar der reguläre Umweltabo-Tarif abgebucht wird – 34 Euro mehr als derzeit. Das könnte für einige ein Argument sein, das Abo zu kündigen. Angesichts des andauernden Bund-Länder-Streits erwarten Beobachter nicht mehr, dass es zu Beginn des neuen Jahres nahtlos ein Nachfolgeangebot in Form eines neuen bundesweiten Billigtickets geben wird. „Frühestens im Februar 2023“, hieß es. „Wenn überhaupt.“ Sicher ist dagegen, dass die Nahverkehrstarife in Berlin und Brandenburg im April 2023 steigen – um 5,62 Prozent.

Kritik gibt es, weil mit Einführung des 29-Euro-Abos bisherige Relationen zu anderen Tarifangeboten aufgehoben worden sind. So wirkt das Berliner Semesterticket mit etwas mehr als 33 Euro pro Monat teurer – obwohl es auch für den Umlandtarifbereich Berlin C gilt und zur kostenlosen Mitnahme eines Fahrrads berechtigt. Das Berliner Sozialticket kostet 27,50 Euro pro Monat. Doch das wird sich ändern. In der kommenden Woche berät der Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds, auf welchen Betrag zwischen 9 und 19 Euro der Preis zum 1. Januar 2023 sinken soll – zunächst bis zum 31. März 2023. 

Warten auf das 29-Euro-Abo: Kunden stehen vor einer Verkaufsstelle der BVG Schlange.
Warten auf das 29-Euro-Abo: Kunden stehen vor einer Verkaufsstelle der BVG Schlange.Emmanuele Contini

Wie berichtet, wird derzeit auch darüber gesprochen, den Kreis der Nutzungsberechtigten zu erweitern. Nur wer Hartz IV, Sozialhilfe, Wohngeld, Grundsicherung und bestimmte andere Leistungen erhält, darf die persönliche Monatskarte derzeit kaufen. Wer Arbeitslosengeld I bezieht oder seinen Lebensunterhalt mit Arbeit verdient, ist davon ausgeschlossen. Dem Vernehmen nach wird nun ausgelotet, was im Rahmen des Nachtragshaushalts machbar wäre. Der Senat legt am 8. November den Etatentwurf vor. Am Ende entscheidet das Abgeordnetenhaus.