Berliner Entlastungspaket

9-Euro-Ticket: So viel Populismus ist unschlagbar

Regierungschefin Franziska Giffey setzt mit der Idee eines Berliner Billigtickets vor allem ihre Koalitionspartner unter Druck. 

Nahverkehr in Berlin
Nahverkehr in BerlinBenjamin Pritzkuleit

„Das ist ziemlich einzigartig. Da kann man sich auch mal ne Runde darüber freuen, dass das gelungen ist.“ Wer hat’s gesagt? Richtig, so spricht Franziska Giffey, Berlins Regierende Bürgermeisterin und Chefoptimistin.

Mit ihren ganz eigenen Worten bewirbt die SPD-Politikerin das Berliner Entlastungspaket, mit der die Hauptstädter zumindest ein wenig durch die drohende Energiekrise gebracht werden sollen. Ein Entlastungspaket für die untere und die Mittelschicht soll es, aber auch eines zur Stützung der sozialen Infrastruktur in der Stadt sowie eines für notleidende Unternehmen.

Und da sich solche Geschenkpakete besser verkaufen, wenn ihnen ein echtes Überraschungsbonbon beiliegt, gibt es in diesem Fall: ein eigenes Berliner 9-Euro-Ticket, gültig für die Tarifzonen A und B in der Stadt.

Seit Monaten fahren Millionen Deutsche für fast kein Geld quer durchs Land. Die meisten von ihnen tun’s zum Vergnügen, nur wenige brauchen es wirklich. Sei es ihnen gegönnt, hat die Bundesregierung gedacht. Aber eben nur für drei Monate. Nächsten Mittwoch läuft die Geldverbrennungsmaschine aus.

Sehr zum Ärger der vielen Nutzer. Das Billigticket gilt in jedem Fall als ökologischer, sympathischer, besser als der Tankrabatt. Eine Nachfolge sollte her. Koste es, was es wolle.

Diese Rufe hat die Berliner SPD gehört und sich jetzt den Nachfolger ausgedacht. Vom 1. Oktober bis 31. Dezember soll es gelten. „Eine temporäre Anschlusslösung“, hieß es. Danach könnte ja der Bund wieder ran. So die Idee.

In Wahrheit geht genau so klassischer Populismus. Nun spricht prinzipiell nichts gegen populäre Entscheidungen. Schließlich wählt das Volk Politiker, die ihm zumindest ab und zu vordergründig etwas Gutes tun.

Doch ist das 9-Euro-Ticket wirklich eine gute Idee? Das sehen zumindest nicht alle so. Protest gibt’s genug. Und er zeigt auch die Gegensätze zwischen Berlin und Brandenburg, zwischen Großstadt und plattem Land schonungslos auf. So schäumt zum Beispiel der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Kein Wunder, plant er doch gerade so ziemlich genau das Gegenteil eines 9-Euro-Tickets – nämlich eine Tariferhöhung. Diese sei nötig, sagt der VBB, weil die Verkehrsdienstleister mehr Geld brauchen. Schon das 9-Euro-Ticket des Bundes, das am Mittwoch ausläuft, galt dem VBB als Teufelszeug. Züge und Personal wurden verschlissen für (fast) nichts.

Auch das Land Brandenburg ist deshalb gegen ein Billigticket. Und daran ändert nichts, dass in Potsdam ebenfalls SPD und Grüne mit in der Regierung sitzen. Im Flächenland Brandenburg gehen die ÖPNV-Uhren eben ganz anders. Dort sind Millionen Menschen auf das Auto angewiesen. Daran ändert ein 9-Euro-Ticket gar nichts.

In weiser Voraussicht haben die Berliner Sozialdemokraten von Anfang nur die Tarifbereiche AB in den Blick genommen. Zone C ist Brandenburg.

Und das ist ein Problem, schließlich werden so Hunderttausende Tagespendler aus dem Speckgürtel nicht erreicht. Das ist weder sozial noch ökologisch, moniert dann auch der DGB. Berlin und Brandenburg müssten jetzt eine gemeinsame Mobilitätsoffensive starten.

Dabei übersehen die Gewerkschafter einen wichtigen Faktor. Das 9-Euro-Ticket ist bisher kein Berliner Ticket, sondern nur ein Berliner-SPD-Ticket. Wer am Freitag bei Franziska Giffeys Verkündigung den Vertretern der Grünen und Linken genau zugehört hat, hat aus ihrem Munde eines nicht gehört: 9 Euro.

Linken-Chefin Katina Schubert sprach von einer Notlösung, „nicht das, was wir uns gewünscht hätten“. Vor allem der Grünen-Chef Philmon Ghirmai fremdelte. Kein Wunder, schließlich muss er seine Parteifreundin, Vizeregierungschefin und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch schützen.

Von Bettina Jarasch weiß man, dass sie ein bezahlbares ÖPNV-Ticket für alle möchte, ebenso einen erleichterten Zugang zum Sozialticket. Sie möchte alles, nur kein Billigangebot für alle.

Zwei Wochen hat die Fachsenatorin Jarasch jetzt Zeit, ein Konzept vorzulegen. Dann muss sie liefern. Schon jetzt deutet sich an, dass sie es schlucken wird, dass sie zustimmen wird. Zu so viel Populismus kann man manchmal einfach nicht Nein sagen.