Mobilität

27,50 Euro im Monat: Bekommen die Berliner bald ein neues Billigticket?

Noch darf nur ein eng begrenzter Personenkreis das Sozialticket kaufen. Das könnte sich nach dem Ende des 9-Euro-Tickets ändern, heißt es in der Koalition.

Sie werden jetzt wieder gebraucht: Ticketautomaten. Von diesem Donnerstag an gelten auch in Berlin und Brandenburg wieder die regulären Fahrpreise.
Sie werden jetzt wieder gebraucht: Ticketautomaten. Von diesem Donnerstag an gelten auch in Berlin und Brandenburg wieder die regulären Fahrpreise.Berliner Zeitung/Benjamin Pritzkuleit

Das Sommermärchen ist vorbei. Nur noch an diesem Mittwoch kann man mit dem 9-Euro-Ticket fahren, von Donnerstag an gelten wieder die früheren Fahrpreise. Doch der Billigfahrschein, der 52 Millionen Mal gekauft wurde, soll einen Nachfolger bekommen. „Wir werden den Druck auf den Bund erhöhen“, sagte Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) im Mobilitätsausschuss des Abgeordnetenhauses. Ziel sei es, dauerhaft ein „bezahlbares Abo“ einzuführen. Doch daneben gerät ein weiterer Vorschlag immer weiter ins Blickfeld: In der Koalition wird darüber nachgedacht, ob mehr Berliner als heute künftig Anspruch auf ein Sozialticket für 27,50 Euro pro Monat bekommen sollten.

Es geht um das Ticket Berlin S, ein bewährtes Angebot. Menschen, die nicht viel Geld haben, können damit den gesamten Nahverkehr im Stadtgebiet nutzen, ein Hund darf kostenlos mitgenommen werden. Doch der Kreis der Berechtigten, die das Sozialticket erwerben dürfen, ist begrenzt. Nur wer Hartz IV, Sozialhilfe, Wohngeld, Grundsicherung und bestimmte andere Leistungen erhält, darf die persönliche Monatskarte kaufen. Wer Arbeitslosengeld I bezieht oder seinen Lebensunterhalt mit Arbeit verdient, ist davon ausgeschlossen. Solche Geringverdiener müssen ein Ticket zum Normaltarif kaufen.

Bettina Jarasch: Gute Sozial-, Energie- und Verkehrspolitik

Hier müsse nachjustiert werden, heißt es nun in der rot-grün-roten Koalition in Berlin. Angesichts steigender Energiepreise und hoher Inflation müsse die Politik an die Arbeitnehmer denken, die unter dem Kostenanstieg besonders leiden, so das Argument. „Für uns ist es wichtig, dass wir vor allem zielgenau jene Menschen entlasten, die von der Krise am meisten betroffen sind. Der Berechtigtenkreis des Sozialtickets sollte deutlich ausgeweitet werden“, sagte Werner Graf, Vorsitzender der Grünen-Fraktion, der Berliner Zeitung. „Ich würde eine Ausweitung des Kreises der Berechtigten für geringe Einkommen begrüßen“, so der Linke-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg.

Die Berliner Mobilitätssenatorin hält es ebenfalls für sinnvoll, das Sozialticket weiteren Gruppen zugänglich zu machen. Wenn auch Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen die Monatskarte für 27,50 Euro erwerben könnten, wäre das gute Sozial-, Energie- und Verkehrspolitik, erklärte Jarasch. Schließlich beträfe die Krise nicht nur Empfänger von Transferleistungen.

Einnahmeausfälle von 60 bis 70 Millionen Euro pro Monat

Was die praktische Umsetzung anbelangt, sei es denkbar, den Kreis der Berechtigten auf Berliner zu erweitern, die Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) haben. In Berlin werden je nach Einkünften des Antragstellers unterschiedliche WBS ausgestellt. Welche Varianten auch zum Erwerb des Sozialtickets berechtigen könnten, müsse noch diskutiert werden, so die Grünen-Politikerin.

Ein Vorteil dieser Lösung wäre, dass Berlin anders als bei anderen Tarifen allein bestimmen könnte, sagte Jarasch. Das Land arbeite zwar mit Brandenburg zusammen, aber es sei Konsens, dass das Berliner Sozialticket zum Berliner Zuständigkeitsbereich gehöre. Die Änderung könnte zudem relativ schnell kommen, während für Neuerungen auf Bundesebene offensichtlich ein längerer Vorlauf erforderlich wäre. Sie könnte Teil eines Entlastungspakets auf Landesebene werden, das auch andere Themen umfasst.

„Wir brauchen ein dauerhaftes gutes Angebot, mindestens für die, die es am dringendsten brauchen“, fasste Bettina Jarasch im Mobilitätsausschuss zusammen. Allerdings gehe sie weiterhin davon aus, dass sich Bund und Länder in den kommenden Wochen auf ein Nachfolgeangebot zum 9-Euro-Ticket einigen werden. Neun Euro pro Monat werde das künftige Ticket für den Nahverkehr aber sicher nicht mehr kosten, sagte die Senatspolitikerin. Allein in Berlin mussten die Verkehrsunternehmen auf Fahrgeldeinnahmen von monatlich 60 bis 70 Millionen Euro verzichten.

Grünen-Fraktionschef: „Der Bund ist nun in der Pflicht“

„Das 9-Euro-Ticket war ein voller Erfolg, gerade auch hier in Berlin“, sagte Grünen-Fraktionschef Graf. Die Menschen wollen günstige und vor allem einfache Tarife. Das zeigen schon die 5,5 Millionen verkauften Tickets hier in Berlin.“ Nötig sei eine Nachfolgeregelung, die einfach und günstig ist, betonte der Fraktionschef. „Der Bund ist nun in der Pflicht, schnell zu klären, wie ein solches Nachfolgeticket aussehen wird. Erst dann können wir als Land klären, wie eine gute Übergangslösung für Berlin aussehen kann. Aber eines ist klar: Wir stehen zum Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Eine gemeinsame Lösung, zusammen mit Brandenburg, ist daher zentral.“

Berlin allein könne das 9-Euro-Ticket nicht stemmen, so Kristian Ronneburg von der Linken. „Berlin kann Vorschläge für den Tarifbereich Berlin AB machen, doch wir sind eine Metropolregion. Abstimmungen mit Brandenburg im Rahmen des Verkehrsverbunds sind dringend notwendig.“ Pendler in beiden Bundesländern sollten profitieren. Die Linke hoffe jetzt auf konstruktive Gespräche mit Brandenburg, damit von Oktober bis Dezember 2022 eine Übergangslösung für Berlin und Brandenburg in Kraft treten kann, die hoffentlich im Januar 2023 von einer bundesweiten Lösung abgelöst wird. Ronneburg: „Unser Vorschlag als Linke ist die Einführung eines 365-Euro-Tickets bundesweit“ – ab Januar 2023 ein Euro pro Tag für ganz Deutschland.

CDU: Neues Ticket kostet hoffentlich nicht mehr als 49 Euro pro Monat

Wünschenswert wäre ein günstiges Ticket für den gesamten deutschen Nahverkehr, das der Bund wesentlich bezahlt, sagte der CDU-Verkehrspolitiker Oliver Friederici. „Ich vermute und wünschte mir, dass es dann nicht mehr als 49 Euro im Monat kostet“ – als planbares dauerhaftes Angebot. Wichtig sei, dass „konzertierte Maßnahmen zur Erweiterung des Angebots ergriffen werden“ – neue Fahrzeuge, mehr Personal, neue Linien, dichtere Taktung. Das sei leider unterblieben, kritisierte der Christdemokrat.

„Eine Lehre deutet sich an: Der Tarif-Dschungel muss weg“, so Felix Reifschneider, verkehrspolitischer Sprecher der FDP. „In Zeiten der Krise und Inflation muss ein Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket zweierlei leisten: Erstens muss es diejenigen zielgerichtet entlasten, die von der Inflation besonders betroffen sind, beispielsweise durch günstigere Sozialtickets, und zweitens muss es einen relevanten Beitrag bringen, Verkehr von der Straße auf den Nahverkehr zu verlagern.“ Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen habe einen Vorschlag für ein bundesweites 69-Euro-Ticket unterbreitet. „Eine gute Grundlage für eine spätere Entscheidung“, lobte Reifschneider.

Auch fürs Taxi? Gute Idee!

Ein Konzept stieß parteiübergreifend auf Zustimmung. Der Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie spricht sich dafür aus, in ein künftiges bundesweites Ticket außer dem Nah- und Fernverkehr auch das Taxis aufzunehmen – damit Fahrgäste die letzte Meile nach Hause bequem bewältigen können und auch auf dem Lande gut vorankommen.

„Wir stehen für einen modernen Verkehrsverbund, der alle Potenziale nutzt und einbindet. Nur so erhöhen wir die Attraktivität, das eigene Auto auch abzuschaffen“, sagte der Grünen-Politiker Werner Graf. „Deshalb ist es langfristig sinnvoll, wo möglich auch Taxiunternehmen im ÖPNV-System mit einzubinden.“ Taxis seien eine „sinnvolle Ergänzung und können das Angebot im öffentlichen Auftrag ergänzen“, so Kristian Ronneburg. Auch CDU und FDP äußerten sich positiv.