Mobilität

Neue Verkaufszahlen: Warum Berlin die Hauptstadt des 9-Euro-Tickets ist

Das Sonderangebot für den Nahverkehr gilt als Marketingcoup ohne Beispiel. Jetzt hat die Nachfrage eine neue Höchstmarke erreicht. Was kommt danach?

Ein S-Bahn-Zug verlässt den Bahnhof Grunewald. Das 9-Euro-Ticket hat die Zahl der Fahrgäste erhöht. „Doch wir kriegen die Leute gut weg“, sagt S-Bahn-Chef Peter Buchner.
Ein S-Bahn-Zug verlässt den Bahnhof Grunewald. Das 9-Euro-Ticket hat die Zahl der Fahrgäste erhöht. „Doch wir kriegen die Leute gut weg“, sagt S-Bahn-Chef Peter Buchner.dpa/Christophe Gateau

Es fördere die Gratismentalität, es sei unökologisch und kein Beitrag zur Mobilitätswende: Bei der FDP, bei Verkehrsexperten und anderen steht das 9-Euro-Monatsticket in der Kritik. Doch bei vielen Bürgern kommt es sehr gut an. Gemessen an den Verkaufszahlen ist das Angebot ein großer Erfolg – ein Marketingcoup ohne Beispiel, wie aktuelle Daten aus Berlin und Brandenburg zeigen.

Demnach ist das Ticket in beiden Bundesländern bislang mehr als fünf Millionen Mal verkauft worden. Das teilte der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) auf Anfrage  mit. Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) setzt sich für ein Nachfolgeangebot ein. Ein neuer Vorschlag kommt von Kai Wegner, Landes- und Fraktionschef der CDU: Er hält ein 365-Euro-Jahresticket, das in der gesamten Region gelten soll, für sinnvoll.

Das 9-Euro-Ticket wurde in einer Nachtsitzung von der Ampelkoalition ersonnen, um ein Gegenstück zum Tankrabatt zu schaffen und weitere Bürger von steigenden Kosten zu entlasten. Das Ticket ermöglicht es bis Ende August, Deutschland preiswert mit Bahn und Bus zu bereisen. Seit dem Verkaufsstart Ende Mai wurde die Monatskarte, die bundesweit im Nah- und Regionalverkehr gilt, nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen mehr als 38 Millionen Mal erworben. Rund zehn Millionen Menschen, die bereits Stammkunden sind, dürfen die Vorteile ohne Aufpreis nutzen.

Wer schon Stammkunde ist, darf die Vorteile ohne Aufpreis nutzen

Ein überproportionaler Anteil entfällt auf Berlin, das sich damit als Hauptstadt der 9-Euro-Ticket-Nutzer rühmen kann. Hier wohnen 4,5 Prozent der Bewohner Deutschlands, doch der Anteil an den Verkäufen dieses Tickets erreicht 13 Prozent. Auch im Land Brandenburg sind die Zahlen beachtlich.

„Mit Stand vom 7. August wurden uns 4.832.179 Ticketverkäufe gemeldet“, sagte Joachim Radünz, Sprecher des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg. Die Organisation ist unter anderem für die Nahverkehrstarife in beiden Ländern zuständig. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) hätten bis dahin 3.017.284 Tickets verkauft, bei der S-Bahn Berlin hätten sich die bisherigen Verkäufe auf 1.097.199 summiert, so der VBB weiter. Aus dem Land Brandenburg stünden noch einige Meldungen aus, sodass man davon ausgehen könne, dass inzwischen die Fünf-Millionen-Marke überschritten worden ist.

Auch in Berlin dürfen bei dieser Rechnung nicht die Menschen vergessen werden, die Abonnements oder Jahreskarten besitzen und damit schon Stammkunden sind. Sie dürfen die Möglichkeiten, die das Ticket verschafft, automatisch ohne Aufpreis nutzen. Bei der BVG und der S-Bahn Berlin gibt es insgesamt über eine Million solcher Kunden.

Fahrgastaufkommen bei der S-Bahn Berlin wieder auf 100 Prozent gestiegen

Nachdem die Fahrgastzahlen während der Corona-Pandemie zurückgegangen waren, sind Bahnen und Busse wieder spürbar voller geworden. Schon im Juni, dem ersten Monat mit dem 9-Euro-Ticket, sprach die BVG davon, dass das Aufkommen wieder auf 96 Prozent des Vor-Corona-Niveaus gestiegen sei. „Wir sind inzwischen bei 100 Prozent angekommen“, sagte Peter Buchner, Chef der S-Bahn Berlin.

„Es gibt deutlich mehr Ausflugsreisende“, berichtete Robert Seifert von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Betriebsrat bei der S-Bahn. Anders als im Regionalzugverkehr, wo es etwa zwischen Berlin und der Ostsee immer wieder zu Überfüllungen kommt, sei der Andrang aber beherrschbar. „Unser System ist für eine solche Belastung ausgelegt“, so Peter Buchner. „Wir kriegen die Leute gut weg.“

Weiterhin werden teurere Tickets zum regulären Tarif verkauft

„Wir bewerben das 9-Euro-Ticket schon seit dem Bundesratsbeschluss Ende Mai massiv über alle Kanäle“, teilte BVG-Sprecher Jannes Schwentu mit. Trotzdem werden auch in Berlin weiterhin Fahrkarten zum deutlich höheren regulären Tarif erworben. So habe die BVG im Juni insgesamt knapp 4000 Monatskarten und Zehn-Uhr-Tickets verkauft, hieß es. „Im Juli waren es knapp 1000, die Tendenz im August ist ähnlich.“ Auch 24-Stunden-Karten werden weiterhin abgesetzt. Bei der BVG wurden im Juni und Juli jeweils rund 50.000 verkauft, im August waren es bisher rund 10.000.

Wie stark der Absatz bei den regulären Fahrkarten zurückgegangen ist, zeigt die Antwort des Senats auf eine aktuelle Anfrage der AfD. Demnach hatten die BVG und die S-Bahn im Mai noch rund 56.000 Monatskarten und Zehn-Uhr-Tickets verkauft. Bei den 24-Stunden-Tickets summierten sich die Verkäufe bei beiden Unternehmen auf 585.000. „Es steht zu befürchten, dass der große Erfolg des 9-Euro-Tickets die Steuerzahler teuer zu stehen kommt. Denn sie müssen die Einnahmeausfälle der ohnehin hochdefizitären BVG ausgleichen“, sagte der AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann.

Verkehrsverbund „grundsätzlich zur Umsetzung sinnvoller Ideen bereit“

„Das 9-Euro-Ticket hat die Diskussion über den Nahverkehr in Bewegung gebracht. Das ist das größte Verdienst“, sagte VBB-Sprecher Joachim Radünz. Aber wie geht es weiter, wenn das Angebot am 31. August endet? „Eine Fortführung eines bundesweiten Sondertickets zu einem Sonderpreis muss von der Bundesregierung in Absprache mit den Landesregierungen beschlossen und bezahlt werden“, so der Verkehrsverbund. Die Finanzierung der Verkehrsunternehmen müsse gesichert sein. „Der VBB und die Verkehrsunternehmen sind grundsätzlich zur Umsetzung sinnvoller Ideen bereit, wenn die angesprochene Finanzierung durch politische Entscheidungen gesichert ist.“

„Der Erfolg des 9-Euro-Tickets zeigt zweierlei: Attraktiv ist nicht nur ein günstiges Ticket – sondern zugleich ein einfaches“, sagte Berlins Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) der Deutschen Presse-Agentur. „Daher finde ich den Vorschlag der grünen Bundesebene, für den Nahverkehr in der Region ein 29-Euro-Ticket und bundesweit ein 49-Euro-Ticket anzubieten, einen sehr guten Vorstoß.“ Sie deutete an, dass sich das Land Berlin an der Finanzierung beteiligen könnte.

Kai Wegner, Landes- und Fraktionsvorsitzender der CDU, spricht sich ebenfalls für ein möglichst einfaches Nachfolgeangebot aus. Wichtig sei ein attraktives, leicht verständliches Preissystem, sagte er während eines Besuchs im S-Bahn-Werk Schöneweide. Wegener setzt sich für ein 365-Euro-Jahresticket ein. Es sollte nicht nur in Berlin, sondern auch im Land Brandenburg anerkannt werden. „Ein solches Angebot würde von vielen genutzt.“ Die bisherigen Tarifgrenzen seien nicht mehr zeitgemäß.