Verzögerungen, fehlende Wagen, Überfüllung – und dann gibt es im Speisewagen nichts zu essen. Wer mit der Deutschen Bahn (DB) unterwegs ist, bekommt das Gefühl, dass die Qualität der Leistungen schon mal höher war. Daten des Bundesunternehmens, die der Berliner Zeitung vorliegen, zeigen jetzt, dass der subjektive Eindruck richtig ist.
Danach wurden im Juni und Juli bundesweit lediglich 59 Prozent der Fernzugfahrten als pünktlich registriert. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es 73,2 Prozent. Immer öfter fallen Fahrten aus, fehlen Zugteile. Die Zahl dieser Vorfälle stieg um 15 Prozent auf durchschnittlich fast hundert pro Tag. Im Regionalverkehr haben die Zugverspätungen ebenfalls deutlich zugenommen. Ist dort das 9-Euro-Ticket daran schuld?
„Da stimmt kein Fahrplan mehr“
„Das 9-Euro-Ticket ist ein gutes Angebot“, sagt Volker Krombholz, der bei der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) seit drei Jahren den Bezirk Nordost leitet. „Doch mit dieser Eisenbahn geht das nicht. Es fehlen Fahrzeuge, und es fehlt Personal. Solange man diese Grundvoraussetzungen nicht schafft, sollte man ein solches Ticket nicht einführen.“
Auf den Regionalexpresslinien von und nach Berlin seien viele Züge überlastet. „Da stimmt kein Fahrplan mehr“, so der Gewerkschafter. Fahrzeiten hätten angepasst werden müssen. Aber das geschah nicht – und so nahmen die Verspätungen zu.
Die internen Daten der Bahn zeigen, dass im Juni und Juli bundesweit noch 89,1 Prozent der Fahrten bei DB Regio als pünktlich gewertet wurden. Für denselben Zeitraum des Vorjahres wurde der Anteil für ganz Deutschland noch mit 94 Prozent beziffert. Mehr als vier Prozent der geforderten Leistung, gemessen in gefahrenen Kilometern, wurden nicht erbracht. Im Gebiet Regio Nordost, zu dem Berlin und Brandenburg gehören, ging die Pünktlichkeitsquote sogar von 92,7 auf 85,1 Prozent zurück, wie aus den Zahlen hervorgeht. Die S-Bahn Berlin wurde in dieser Rechnung nicht berücksichtigt.
Güterzüge stehen auf dem Abstellgleis
Im Fernverkehr steht der Regionalbereich Ost mit Berlin traditionell besser da. Experten begründen dies damit, dass die Streckenbelastung etwas geringer als anderswo sei. Aber auch in diesem Bereich, zu dem die Hauptstadt-Region gehört, ist der Anteil pünktlicher Fernzugfahrten gesunken. Den Zahlen zufolge betrug die Quote im Juni und Juli 68,2 Prozent. Im selben Zeitraum des Vorjahres erreichte sie 80,7 Prozent.
Auch hier gilt, dass kleinere Verzögerungen in der Statistik nicht negativ zum Tragen kommen. Generell werden Fern- und Regionalzugfahrten als pünktlich gewertet, wenn sie exakt nach Plan oder maximal fünf Minuten, 59 Sekunden verspätet stattfinden.
Dass im ICE-, Intercity- und Eurocity-Verkehr die Verspätungen zugenommen haben, zeigt deutlich, dass es hier nicht nur um das 9-Euro-Ticket geht. Denn das Sonderangebot, das Ende August ausläuft, gilt nicht in Fernzügen. Die schlechten Daten zeigten, dass die Bahn tiefergehende Probleme habe, so Volker Krombholz. „Wenn nicht einmal 60 Prozent der Fernzüge als pünktlich gelten, stimmt etwas Grundsätzliches nicht. Das System Schiene ist kaputt, und wir haben einen Vorstand, der keine Eisenbahn kann“, bemängelte der Gewerkschafter, der selbst als Lokführer gearbeitet hat. Darunter leide auch der Güterverkehr. Die Zahl der Züge von DB Cargo, die Tag für Tag wegen Problemen an die Seite gestellt werden müssen, hat sich ungefähr verdoppelt.
Die Infrastruktur sei ein wichtiger Faktor, sagte er. Zwar gebe es viele Baustellen, die dazu dienen sollen, Mängel zu beheben. Doch aus Sicht der Eisenbahner lasse die Bauplanung oft zu wünschen übrig. „Zu Reichsbahn-Zeiten wurde auch viel gebaut. Aber damals wurden die Fahrpläne dem Baugeschehen angepasst und nicht umgekehrt.“
Viele Eisenbahner haben sich in die innere Emigration zurückgezogen
Baubedingungen führen oft dazu, dass zusätzliche Schichten zu besetzen sind. Zwar bilde die Bahn Lokführer und inzwischen auch wieder Kundenbetreuer aus. „Aber das neue Personal kommt in vielen Fällen an der Basis noch nicht an“, so Krombholz. „Es reicht einfach nicht.“ Die Folge: Zugfahrten fallen aus – nicht selten sehr kurzfristig.
Hinzu komme, dass viele Eisenbahner „innerlich aufgegeben“ hätten, sagte der Gewerkschafter. Darum gelinge es oft nicht, entstandene Lücken zu schließen und Dienste zu besetzen. Corona habe den Prozess der „inneren Ablösung“ beschleunigt. „Lokleiter, Disponenten, Fahrpersonale waren auch zu Beginn der Pandemie im Einsatz. Doch von dem Rest der Mannschaft haben sie nichts gesehen, die saßen alle zu Hause.“ Von der „Eisenbahner-Ehre“, die es früher gegeben habe, sei kaum noch etwas zu spüren, berichtete Krombholz. Stattdessen ärgerten sich viele DB-Mitarbeiter über hohe Ausgaben für interne und externe Imagepflege, Berater und Auslandsengagements, sagte einer von ihnen. „Der Bund nimmt seine Aufgabe als Eigentümer nicht wahr.“
Die Zahl der Störungen von Toiletten und in der Bordgastronomie steigt
Dass sich die Qualitätsprobleme nicht nur auf den Sommer beziehen, machen Zahlen für die Zeiträume von Anfang Januar bis Ende Juli 2021 und 2022 deutlich. Danach sank der Anteil von Fernzugfahrten, die als pünktlich registriert wurden, bundesweit von 78,4 auf 68,2 Prozent. Im Regionalzugverkehr ging die Quote von 95,1 auf 92,6 Prozent zurück.




