Rammstein

Till-Lindemann-Gegnerin zur Beweislage: „Das ist für mich schon Machtmissbrauch“

Die Rammstein-Konzerte in Berlin stehen an. Britta Häfemeier startete eine Petition dagegen, wird von Lindemanns Anwälten angegriffen. Kann sie die Auftritte der Band stoppen?

Till Lindemann wehrt sich gegen die Onlinepetition. Kann diese die Rammstein-Auftritte in Berlin dennoch verhindern?
Till Lindemann wehrt sich gegen die Onlinepetition. Kann diese die Rammstein-Auftritte in Berlin dennoch verhindern?Gonzales Photo/imago

Die Missbrauchsvorwürfe gegen Till Lindemann hören nicht auf – erst recht nicht in Berlin, denn hier hat der Rammstein-Frontsänger am Wochenende gleich drei Konzerte im Olympiastadion. Betreiber ist die Olympiastadion Berlin GmbH; das Land Berlin ist alleiniger Gesellschafter der Betriebsgesellschaft. Nicht nur eine Demonstration vor dem Olympiastadion soll die Auftritte verhindern: Auch Britta Häfemeier sagt mit ihrer Petition „Keine Bühne für Rammstein“ auf der Petitionsplattform WeAct von Campact der scharf kritisierten Band den Kampf an. Sie fordert die Absage der Konzerte in Berlin. Doch Lindemann hat Macht, wie die 34-Jährige im Interview mit der Berliner Zeitung feststellt – der Mann wehrt sich, geht juristisch gegen ihre Unterschriftensammlung vor. Hat die Petitionsinitiatorin deshalb jetzt Angst? Keineswegs: „Ich habe keine Angst, ich lasse mich nicht einschüchtern.“

Lindemann wird von der Kanzlei Schertz Bergmann rechtlich vertreten, die die Organisation für Onlinekampagnen und Petitionen Campact in einem Anschreiben auffordert, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Die Dokumente vom 6. Juli sowie die Reaktion von Campact liegen der Berliner Zeitung vor. Die Kanzlei schreibt: „Es bleibt Ihnen unbenommen, sich mit der Band Rammstein (…) auseinanderzusetzen.“ Das rechtfertige jedoch nicht „das Aufstellen und Verbreiten unwahrer und schwer ehrverletzender Tatsachenbehauptungen“, heißt es in dem Schreiben. Und wie reagiert die Kampagnenorganisation Campact, bei der Häfemeier als Social-Media-Redakteurin arbeitet? Gelassen. Man unterschreibt die Erklärung nicht, hält am „Täter“- und „Missbrauch“-Wortlaut fest.

Initiatorin der Petition: „Ich will, dass die Konzerte abgesagt werden“

Wir haben Häfemeier, die sich auch im Vorstand des Vereins Gender Equality Media gegen medialen Sexismus einsetzt, mit den Vorwürfen konfrontiert und sie nach der Beweislage gefragt, denn: Die Unsicherheit nach der ersten Aufregung existiert. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt die Unschuldsvermutung, und Lindemann beteuert weiter, die sexuellen Handlungen seien im Einvernehmen der betroffenen Frauen geschehen. Unsere Gesprächspartnerin sieht das anders – sie glaubt den Frauen. Ist damit aber die Petition lediglich die Gefühlshandlung einer feministischen Aktivistin?

Frau Häfemeier, Ihre Petition hat mittlerweile schon mehr als 71.000 Unterschriften. Dennoch wird Campact und damit indirekt Ihnen in dem Schreiben der Kanzlei Schertz Bergmann vorgeworfen, falsche Aussagen getroffen zu haben. Sie schreiben: „Unser Mandant hat keine jungen Frauen sexuell missbraucht.“ Soweit es zu sexuellen Handlungen mit Frauen gekommen ist, sei dies mit Einverständnis der Frauen geschehen. Auf welcher Basis beruhen Ihre Ansichten?

Die zahlreichen Erfahrungsberichte von den verschiedenen Frauen, die Anschuldigungen gegen Lindemann erhoben haben, sprechen für sich. Ich habe gedacht, dass wir hier in Deutschland mediale Aufmerksamkeit dafür brauchen – deswegen habe ich die Petition bei Campact gestartet und will natürlich immer noch, dass die Konzerte abgesagt werden.

Was werfen Sie Till Lindemann beziehungsweise der Band Rammstein konkret vor?

Ich glaube den Frauen, die über die Geschichten mit Till Lindemann berichtet haben. Für mich kann das kein Zufall sein, dass sich so viele Frauen äußern, ähnliche Geschichten erzählen. Ich bin mir aber auch sicher, dass Rammstein und Till Lindemann kein Einzelfall sind. Man merkt, ganz gleich, ob es MeToo-Fälle oder andere Fälle sind: Es ist ein Symptom. Wir leben in einer sexistischen Gesellschaft und sehen immer wieder mächtige Männer mit richtig viel Geld. Die haben die Macht und nutzen diese Macht auch aus. Und das ist da passiert.

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Gender Equality Media
Britta Häfemeier
Britta Häfemeier hat Journalistik, Medienmanagement und Online-Kommunikation studiert. Heute arbeitet sie nicht nur als Social-Media-Redakteurin bei der Organisation für Onlinekampagnen und Petitionen Campact, sondern setzt sich auch bei dem Verein Gender Equality Media gegen Sexismus in der medialen Berichterstattung ein. Außerdem arbeitet sie als freie Journalistin – ein Herzensprojekt ist dabei ihre Webdoku Voice of Mother India

Bei Gender Equality Media analysieren Sie nicht nur die sexistische Berichterstattung in Deutschland, Sie wollen sie bekämpfen. Was sagen Sie zur Rammstein-Berichterstattung – machen die Medienvertreter ihren Job hier richtig?

Jein! Viele Medien berichten objektiv und ordnen die Geschehnisse ein. Die öffentliche Diskussion aber ist eine andere. Viele Frauen trauen sich, sie stehen auf und erzählen ihre Geschichten – das ist nicht einfach, und dennoch wird ihnen nicht geglaubt. Es wird sich lediglich gefragt, warum sie einen kurzen Rock anhatten oder überhaupt auf solche Partys gehen. Die Täter hingegen machen einfach so weiter und werden durch ihr Umfeld systematisch geschützt.

Dennoch gibt es beispielsweise unter den Rammstein-Fans auch zahlreiche Frauen, die Lindemann und nicht den Frauen glauben. Auch repräsentieren 71.000 Unterschriften noch nicht ganz Deutschland. Überspitzt der Feminismus lediglich die Anschuldigungen gegen Lindemann?

Feministische Menschen sind schon sensibler gegenüber diesem Thema. Wenn Frauen noch zu Rammstein-Konzerten gehen, dann kann ich das keinem verbieten. Das ist auch gar nicht mein Ansatz. Es ist schön, wenn ihnen nichts passiert, aber genug Frauen berichten von Vorfällen. Man sollte diese Machtstruktur dahinter verstehen, weil das passiert nicht einfach nur so. Sexismus ist keine Naturgewalt. Es ist auch klar und logisch, dass die Macht einer Person über das Leben anderer Menschen bestimmt und ausgenutzt wird. Da hängen Berufe dran. Da hängt Geld dran. Da hängt ein ganzes Erfolgskonzept dran.

Rammstein-Konzerte im Berliner Olympiastadion: Wird die Landesregierung sie absagen?

Glauben Sie, dass die insgesamt zwei Petitionen diese Machtstruktur aufbrechen könnten und die Konzerte am 15., 16. und 18. Juli im Berliner Olympiastadion stoppen?

Ich vermute, dass die Konzerte nicht abgesagt werden, weil die Berliner Politik das wahrscheinlich aussitzen möchte. Wir haben am 27. Juni vor dem Innenministerium versucht, Innensenatorin Iris Spranger die Petitionen zu überreichen. Sie erschien nicht zum Termin; sie hat sich nicht blicken lassen. Ich habe meine Petition trotzdem bei der Pförtnerin hinterlassen. Frau Sprangers Mitarbeiterin schrieb mir daraufhin per E-Mail, dass sie die Petition erhalten haben und an den Berliner Petitionsausschuss weitergeleitet haben. Das ist eine Aussitzpolitik. Das hätte ich auch selbst machen können, aber ich habe bewusst bei Campact eine Petition gestartet, damit ich schnell Unterschriften zusammenbekomme und die sich unabhängig von dem Petitionsausschuss damit beschäftigen sollen. Bis Samstag ist nicht mehr viel Zeit.

Sie wirken enttäuscht über die Reaktion von Frau Spranger. Was hätte sie besser machen können?

Es ist ihr Job, sich das anzuschauen. Es sind ihre Bürger, die nicht wollen, dass das passiert. Ich würde mir wünschen, dass die Politik auf Petitionen reagiert, denn das ist ein wichtiges Instrument für uns normale Bürger, um mitzumischen. Spranger hat zwar gesagt, sie stellt die Sicherheit von Frauen an erste Stelle, und hat die Aftershowpartys abgesagt – aber das reicht nicht, weil die vermeintlichen Missbrauchsfälle nicht auf der offiziellen Abschlussparty passiert sind. Frauen wurden sozusagen auf Afteraftershowpartys eingeladen, wo nichts offiziell war. Deshalb bringt Sprangers Aktion nichts. Sie könnte viel mehr Druck auf die Betreiber des Olympiastadions ausüben.

Berlin als Vorbild – hat die Landesregierung den Mut, den Frauen zu glauben?

Mit welchen Argumenten würden Sie die Landesregierung überzeugen, die Konzerte abzusagen?

Das könnte jetzt unser Moment sein, dass wir etwas ändern. Berlin könnte ein Vorbild sein für viele andere später, wenn die Landesregierung den Mut hätte, den Frauen und auch der öffentlichen Wahrnehmung zu glauben.

Wenn die Landesregierung die Konzerte aber ohne Beweislage absagt, ist das ein Eingriff in die Demokratie. Sind ihr hier nicht die Hände gebunden?

Es sagt doch keiner, dass Lindemann ohne Prozess, ohne Anwalt, ohne Gericht ins Gefängnis gesteckt werden soll. Meiner Meinung nach müssen die Konzerte so lange abgesagt werden, bis wir alle wissen, was da passiert ist. Und es muss alles dafür getan werden, dass diese Dinge aufgeklärt werden. Die Unschuldsvermutung gilt genauso für die Frauen.

Dennoch würde die Absage der Konzerte für Rammstein einen Nachteil bedeuten für etwas, für das es noch keine Beweise gibt. Wer soll diesen Ausfall zahlen?

Ich bin keine Juristin. Das macht unser juristisches System. Ich finde, es kann nicht sein, dass ein Mensch, der gerade diese Anschuldigung an sich haften hat, dreimal das Olympiastadion in Berlin vollmacht. Das ist auch eine moralische Sache. Für mich sind das glaubwürdige Anschuldigungen. Ich finde nicht, dass er diese Plattform bekommen sollte.

Lindemanns Anwälte: „Keine hinreichenden Beweistatsachen“ falsche Aussagen der Frauen?

Wie reagieren Sie darauf, dass die Kanzlei klar darauf hinweist, dass „für den Verdacht sexueller Übergriffe keine hinreichenden Beweistatsachen vorliegen“? Haben die Frauen unwahre Aussagen getroffen und Sie die Situation in der Petition etwa überspitzt?

Das sind meiner Meinung nach keine falschen Aussagen. Das hat auch der Rechtsanwalt von Campact schon bestätigt. Er schreibt, dass ich „lediglich eine wertende Zusammenfassung eines unstreitigen Sachverhalts“ vornehme. Auch er ist der Auffassung, dass hier von Missbrauch gesprochen werden kann und ich „keinerlei konkrete Tatsachen“ verbreite. Till Lindemann ist ein vermeintlicher Täter – weil er die Macht ausgenutzt hat; und das lassen wir so stehen.

Ist es aber nicht Aufgabe der Gerichte, erst einmal herauszufinden, was an den Vorwürfen dran ist – denn ohne Urteil ist es theoretisch eine Vorverurteilung?

Die Staatsanwaltschaft in Berlin ermittelt bereits gegen Till Lindemann, das tut sie ja nicht umsonst. Am Ende wird das Gericht entscheiden. Aber das heißt auch nicht, dass bei so einer erdrückenden Last der Indizien die Veranstalter und die Politik stillhalten müssen. Es ist ihre Verantwortung, und es wäre falsch, die vielen Berichte und Vorwürfe der Frauen nicht ernst zu nehmen und zu ignorieren.

Haben Sie dennoch Angst – auch wenn die Unterlassungserklärung rechtlich die Petitionsplattform WeAct von Campact betrifft –, dass es bei einem Nichtunterschreiben vor das Gericht geht?

Ich habe keine Angst, die unterstützen mich und haben es mit ihrem Anwalt geklärt. Hinter diesen Unterlassungserklärungen steckt ein System, das vor allem Frauen, die sich zu so etwas äußern, mundtot machen will. Till Lindemann und die ihn vertretende Anwaltskanzlei sollten ihre Energie und Arbeit lieber in die transparente Aufklärung der Missbrauchsanschuldigung stecken – da wäre wahrscheinlich allen mehr geholfen als mit der Abmahnung aller, die den Mund aufmachen.

Lindemann Frauen „als Sexobjekt oder als möglichen Sexualpartner“ vorstellen

Shelby Lynn machte im Mai als Erste den Mund auf, indem sie von ihren angeblichen Erfahrungen mit Rammstein bei einem Konzert in Vilnius berichtete. Sie dementierte, von Lindemann angefasst oder vergewaltigt worden zu sein – vermutet aber die Verabreichung von K.o.-Tropfen durch die Rammstein-Crew. Das klingt alles andere als handfest, finden Sie nicht?

Wir reden hier von Missbrauchsfällen, von denen auch viele andere Frauen mittlerweile berichten. Lynn gilt aber immer noch als Vorreiterin und berichtet täglich auf ihren Social-Media-Kanälen über Lindemann. Viele Medien haben es anfangs falsch aufgenommen, aber sie hat klargestellt, dass es bei ihrem Fall nicht um eine Vergewaltigung ging – das finde ich richtig. Nicht richtig ist aber die Rekrutierung junger Mädchen per Instagram und Facebook, um sie schließlich als Sexobjekt oder als möglichen Sexualpartner Lindemann vorzustellen. Das ist für mich schon Machtmissbrauch.

Haben sich diese Frauen vielleicht selbst oder gar absichtlich in diese Gefahr gebracht?

Alle Nachrichten, die ich gelesen habe, lassen mich ein System dahinter erkennen. Wenn Frauen zu Partys eingeladen werden, dann denken sie wahrscheinlich, sie gehen zu einer stinknormalen Feier, und nicht, dass sie dort aufgereiht und ausgesucht werden. Für manche ist es schwer, Nein zu sagen, für andere ist Lindemann ein Idol, das sie nicht enttäuschen wollen. Wir sollten aber nicht darüber reden, was die Frauen hätten anders machen sollen, sondern wir müssen darüber reden, was die Täter anders machen müssen. Victim Blaming ist falsch, und die Frau hat keine Schuld daran, wenn ein Mann sie sexuell missbraucht. Ganz einfach.

Künstler und Mensch trennen: „Diese Trennung funktioniert nicht“

Also schließen Sie aus, dass Frauen wie Lynn, die damit auch viel Reichweite generieren, solche Aussagen treffen, um das Machtspiel umzudrehen?

Ich kenne keine Frau, die durch einen sexuellen Missbrauch berühmt geworden ist oder Geld verdient hat. Ein ganz kleiner Prozentsatz erfindet Vergewaltigungsfälle. Die Prozentzahl, wo Missbrauchs- oder Vergewaltigungsfälle nicht angezeigt werden, ist immens höher. Und was hat die Frau davon, wenn sie sich traut? Nichts.

Aber hätte der Aufschrei nicht schon vor Lynns Anschuldigungen kommen müssen – immerhin kursierten diverse kritische Videos über Lindemann schon viel länger im Netz?

Man hat auch vorher schon gesehen, dass Rammstein sexistische Texte hat. Sie spielen auch mit einer gewissen Symbolik – allein über das rollende R und den Leni-Riefenstahl-Style in ihren Musikvideos. Es gab zwar mehrere Aufreger, jedoch sagten viele Menschen, man müsse Künstler und Mensch beziehungsweise das künstlerische Ich sozusagen von der Person trennen. Die aktuelle Debatte ist aber ein perfektes Beispiel dafür, dass diese Trennung nicht funktioniert. Wenn man Gedichte über K.o.-Tropfen schreibt, die man gerne Frauen verabreichen will, dann wird das wahrscheinlich auch in der Realität zutreffen.

Glauben Sie, dass Lindemann – falls die Vorwürfe stimmen sollten – aus den Vorwürfen gelernt hat und es ihn abschreckt?

Na ja, gerade profitieren er und seine Band davon. Rammstein ist wieder in den Charts, es wird viel Merch verkauft, alle reden über sie – das hat was mit der Fankultur zu tun. Verstehen tue ich das nicht.

Interview: Chiara Maria Leister

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