Debatte

Anlässlich der Rammstein-Debatte: Welche Rolle spielen Künstler in der Gesellschaft?

Tomas Kafka ist der tschechische Botschafter in Berlin. Hier schreibt er, was er über die Rammstein-Diskussion denkt und welchen Nutzen sie haben könnte.

Rammstein-Sänger Till Lindemann
Rammstein-Sänger Till LindemannImago

Der Monat Juni ist nicht nur der Monat der traditionell disruptiven Mittsommernächte. Er steht im Zeichen für viele andere Trendwenden wie zum Beispiel für die sich im Kulinarischen vollziehende Wachablösung vom Spargel durch Pfifferlinge. Aber die steigenden Temperaturen können sich auch in anderen Bereichen auswirken. Einen solchen Bereich stellt die Kulturkritik dar. Falls man im Mai noch dabei war, über die Möglichkeiten der Kunst zu sprechen, die Gesellschaft zum Besseren zu wenden und dafür auch entsprechende Maßnahmen wie etwa das Gendern einzusetzen, steht der Juni in einem völlig anderen Zeichen. Es geht um etwas viel Raueres – nämlich um Rammstein!

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Zapotocky Ales/Imago
Zur Person
Tomas Kafka (58) ist seit 2020 Botschafter Tschechiens in Berlin. Ende der 1980er-Jahre gehörte er zu den Mitbegründern der Zeitschriften Dolmen und Kvašňák.

Keine Angst, ich möchte mich nicht in die primär deutsche Diskussion über die Verführungs- bzw. Vergewaltigungskräfte, die der Rammstein-Ästhetik innewohnen, einmischen. Rammstein ist ja seit Jahren der wesentlichste Exportschlager Deutschlands im Bereich der modernen Popkultur. Als Tscheche hier mitmischen zu wollen, käme der Anmaßung gleich, in Bayreuth Wagners Werke aus der nachbarschaftlichen Perspektive zu interpretieren. In beiden Fällen ist man höchstens ein akzeptierter Zaungast. Nach dem Ausbruch des Skandals um Till Lindemann ist es wohl auch gut so.

Ich muss eingestehen, dass ich erleichtert bin, dass aus meiner Korrespondenz mit den Vertretern der Band vor circa zwei Jahren nichts geworden ist. Damals hatte man höflichst bei mir nachgefragt, ob Rammstein eventuell das Interieur der tschechischen Botschaft in Berlin als Set für ein Fotoshooting im Zusammenhang mit dem neuen Album nutzen könne. An sich eine harmlose Geschichte. Doch die Zeiten und mit ihnen auch die Wahrnehmung können sich ändern.

Das übrigens ist auch das, worauf ich als Zaungast in Bezug auf Rammstein eigentlich hinauswill. Der krasse Unterschied zwischen dem, wie man Rammstein und ihre Ästhetik vor und nach dem Skandal wahrnimmt. Davor ging es eigentlich wohl nur um postmodernen Pop, wo Provokation die Antriebskraft der sonst eher spießigen Fantasie ist und Verspieltheit als Mutter der Courage diente. Mit dem Skandal wird sich jedoch alles ändern. Was früher Spiel war, könnte nun als Ernst wahrgenommen werden. Was als Kunst und Rollenspiel genossen wurde, könnte nun auf die persönliche Haltung hinweisen. Während vor dem Skandal galt, dass der Künstler ein Spieler ist, der seine Fans an seinen Fantasiebildern teilnehmen lässt, entsteht nach dem Skandal eine Atmosphäre, in der man als Fan möglicherweise auf Distanz dazu gehen möchte.

Beispiel Rammstein: Was erwartet die Gesellschaft von den Künstlern?

Ob die Wahrnehmung von Rammstein vor oder nach dem Skandal der Realität näherkommt, ist schwer zu sagen. Es wäre jedoch merkwürdig, wenn man nur die eine Seite der Medaille betrachten wollte. Nicht nur, weil es weder Rammstein noch deren Fans gerecht würde. Es wäre schade, würde man das Beispiel Rammstein nicht als Gelegenheit nutzen würde, um über ein anderes Kunstverständnis nachzudenken: Darüber, was die Gesellschaft von den Künstlern erwartet.

Man hört gerade in Deutschland sehr häufig die Klage, dass es an der Zeit sei, endlich über die Kunst und deren Rolle in der Gesellschaft nachzudenken. Jüngere Kritiker möchten, dass Künstler zugleich radikal und belehrend sind. Ältere gelassenere Kritiker sind wiederum froh, wenn die Kunst vor jeder Form der ideologischen Vereinnahmung geschützt wird und die Künstler allein anhand ihrer Kunstfertigkeit und nicht der gesellschaftlichen Nützlichkeit beurteilt werden. Mit der Rammstein-Debatte hat dieser, sagen wir, Generationsstreit zwar nichts zu tun. Doch vielleicht wird man ihr dankbar sei, weil sie einen für große Disputationen darüber, welche Rolle die Künstler in der Gesellschaft spielen sollen, vorbereitet.

Der Schriftsteller Oscar Wilde hat einst gesagt, dass die Kunst das einzig Ernsthafte auf der Welt ist, und der Künstler der einzige Mensch, der nie ernsthaft ist. Vielleicht wird man nach dem Skandal um Rammstein und deren Sänger eines Tages zu einer ähnlichen generationsneutralen Kompromissperspektive finden und daraus dann auch für sich entsprechende Lehren ziehen, wie man der Kunst und den Künstlern am besten begegnen kann, um weder die Kunst noch sich selbst zu ruinieren. Und wenn man schon beim Ruinieren ist: Straftaten gehören nicht zum Thema Trendwende. Sie gehören in jeder demokratischen Gesellschaft vor Gericht gebracht.