Erinnern Sie sich noch an Till Lindemann? Das war doch … Entschuldigung, das war die falsche Taste.
Erinnern Sie sich noch an Benjamin von Stuckrad-Barre? Der Schriftsteller, der mit seinem kürzlich erschienenen Roman „Noch wach?“ den Eindruck erweckt, beinahe alles über den Springer-Konzern und dessen ins Schlingern geratene Führungskultur zu wissen. Das Buch, so die vielfach geteilte Hoffnung des Augenblicks, liefert eine schonungslose Innenschau der Medienbranche.
Angesichts der voyeuristischen Aufmerksamkeit, die zuletzt auf den Sänger der Rockband Rammstein verwandt worden ist, fällt auf, wie rasend schnell das öffentliche Interesse an Mutmaßungen aus der intimen Nähe zu Matthias D. und den Seinen wieder verflogen war. Faszinierender als die Betriebsgeheimnisse eines Konzerns war ohnehin die Inszenierung des Schriftstellers Benjamin von Stuckrad-Barre als vorläufig letzter deutscher Dandy. Hohlwangig und stilbewusst gab er das Selbstbild eines bald 50-Jährigen ab, der die Spuren des Alterns nicht mehr verwischte, aber noch kein adäquates Verhältnis zu ihnen gefunden zu haben schien. Ist es das, was die beiden sehr unterschiedlichen Mannsbilder verbindet?
Verzicht auf die Formulierung „toxische Männlichkeit“
Ohne in der Endlosschleife über strafrechtlich relevante Handlungen und deren Beziehung zu künstlerischer Bedeutung zu spekulieren, könnte man Benjamin von Stuckrad-Barre und Till Lindemann als Protagonisten zweier aufeinanderfolgender Generationserzählungen betrachten, in denen nichts markanter hervortritt als das Bedürfnis, die drohende Spießigkeit abzuwehren. An beiden jedenfalls lassen sich auf unterschiedliche Art und Weise dramatisierte Gefühlslagen festmachen, die mit dem Stichwort prekärer Männlichkeit beschrieben werden könnten. Ich verzichte dabei ausdrücklich auf die Formulierung „toxische Männlichkeit“, weil dies nach einer schlimmen Vergiftung klingt, gegen die nun einmal nichts zu machen ist.
Der Parcours für die Akteure prekärer Männlichkeit ist weitläufig abgesteckt. Exzentrik mit Verfallsdatum, Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt wurden mit enervierender Detailfülle beschrieben, dichterisch angedeutet oder als verführerischer Grenzbereich mit Überschreitungspotenzial in Aussicht gestellt. Dass die Genannten als popkulturelle Attraktion beachtliche Gefolgschaft rekrutieren, sagt weit über den jeweiligen Kontext hinaus etwas aus über die Zustände performativer Strategien im Zeitalter auf Dauer gestellter Adoleszenz.
Während Benjamin von Stuckrad-Barre mit seiner sprunghaften Intellektualität und fluid wirkenden Nahbarkeit seit jeher Welpenschutz-Instinkte ausgelöst hat, setzte Till Lindemann auf die Erzeugung von Angstlust, gegenüber der es viele offenbar nicht fertig bringen, den neugierigen Blick von den Fratzen des Bösen abzuwenden. Männliche Dominanz und Vergewaltigungsfanasien wurden im Rammstein-Universum seit langem als dionysisches Spektakel inszeniert. Exzess, Maskierung und Rausch – alles scheint jeder Zeit möglich oder möchte doch nur anspielungsreich vorgetäuscht sein.
Wenn man es nicht dabei belassen will, das Gebaren der Kunstfigur Lindemann als Ausdrucksform individueller Psychopathologie zu betrachten, dann fällt auf, dass das dröhnende Beharren auf Gier, Exzess und sexueller Zügellosigkeit im Gestus permanenter Überbietung daherkommt, die durch Mehrfachcodierung zugleich karikiert wird. In der Bilderwelt Rammsteins dominieren Verfall und Entropie. Lindemann kokettiert schon länger damit, sich als alternder Mann zu präsentieren. Als Spektakel des vorweggenommenen Todes korrespondiert seine Show dabei mit popkulturellen Codes, die seit jeher im Dienst des Bemühens standen, irreversible Alterungsprozesse stellvertretend zu bannen.
Für eine Kultur des Nachlassens
In einem Beitrag für seine Facebook-Seite hat der Schriftsteller Jakob Hein anlässlich der Rammstein-Debatte über die Entstehung von Männerbildern und deren hartnäckiges Überdauern nachgedacht. „Vielleicht wäre es gut“, schreibt Hein, „wenn eine Debatte entstünde, in der weitere Korrekturen des Bildes von Männlichkeit möglich würden, um die fragilen, häufig gewaltorientierten und problematischen Implikationen des Begriffs weiter verändern und verschieben zu können.“




