Debatte

Vertreterin der Plattform #musicmetoo: „Die Rammstein-Konzerte sollten verboten werden“

Die Initiative #musicmetoo sammelt Fälle von Machtmissbrauch im deutschen Musikbetrieb. Wir haben mit einer ihrer Gründerinnen gesprochen, auch über die Causa Rammstein.

Eine der Gründerinnen der Plattform #musicmetoo, Susann Hommel
Eine der Gründerinnen der Plattform #musicmetoo, Susann HommelJasmin Zwick

Die Plattform #musicmetoo hat innerhalb weniger Wochen mehr als 37.000 Follower allein auf Instagram gewonnen. Präsentiert werden dort gesammelte Fälle von Machtmissbrauch im Musikbetrieb. Wir haben mit Susann Hommel von #musicmetoo über ihre Plattform und die Causa Rammstein gesprochen.

Frau Hommel, wann haben Sie #musicmetoo gegründet?

Das geschah eine Woche, bevor wir die Plattform am 19. Juni 2023 online gestellt haben.

Und spielten die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann da eine Rolle?

Ja, das war ein Anlass. Die Idee für unsere Plattform kursierte aber schon vorher. Im Juni wurde uns dann klar: Jetzt ist der Moment dafür.

Zur Person
Susann Hommel aus Leipzig ist Vorständin von Music S Women*, einem sächsischen Netzwerk für Chancengleichheit in der Musikbranche. Dieses hat die Plattform #musicmetoo mit aufgebaut mit dem Team von #deutschrapmetoo, Music Women* Thüringen, der Awareness-Agentur Safe the Dance aus München und dem Queer-Cheer-Kollektiv aus Berlin.

Die Initiative #deutschrapmetoo gab es da schon seit einigen Jahren, aber mit dem Fokus auf HipHop.

Genau, und wir hatten mitbekommen, dass sie wahrscheinlich ihre Aktionen auch über den Deutschrap hinaus ausdehnen möchten. Musik allgemein. Deshalb haben wir sie kontaktiert, um uns zusammenzutun.

Welche Menschen kommen auf Sie zu, um ihre Fälle zu schildern?

Alle Akteur:innen, die man im Zusammenhang mit Musik vermuten würde: Fans und Besucher:innen von Konzerten. Aber auch Leute, die in der Musikbranche beschäftigt sind, auch Marketing und PR. Alle Bereiche, die notwendig sind für Live-Events, also auch Rettungssanitäter:innen.

Haben die Fälle, mit denen Menschen an Sie herantreten, Sie schockiert? Oder hatten Sie damit gerechnet, dass es schlimm ist?

Sowohl als auch. Ich hatte zwar damit gerechnet, aber natürlich schockiert mich jeder einzelne Fall. Da wäre ich ziemlich abgebrüht, wenn das nicht mehr so wäre. Die Fälle sind alle auf ihre Weise sehr berührend und schockierend. Auch wenn wir uns viel damit beschäftigen und Aktivismus in dem Bereich betreiben, kommt bei uns immer wieder die Frage auf: Wie kann das sein, dass so was passiert?

Darauf haben Sie keine Antworten gefunden?

Natürlich könnten wir versuchen, das kultur- und gesellschaftshistorisch zu erklären, wie diese Strukturen gewachsen sind. Und wie diese strukturelle Diskriminierung gewachsen ist. Aber rein menschlich kann ich es schwer nachvollziehen, wie Menschen so zueinander sein können.

Worum konkret geht es in den von Ihnen gesammelten Fällen eigentlich?

Zum einen um Dinge, die nun im Zusammenhang mit Rammstein auch aufgekommen sind: Das Ansprechen von Fans, um sie ins Backstage einzuladen; erst mal um zu feiern, aber dann gerät die Situation außer Kontrolle. Das wird geschildert, aber auch, dass weiblich gelesene Personen in Musikunternehmen gewisse Rollen erfüllen oder Dinge tun müssen, um eine bessere Position zu bekommen.

Sammeln Sie auch Fälle von Männern als Opfern?

Ja, wir haben auch schon Erfahrungsberichte von Männern bekommen. Unsere Mission ist, den MeToo-Begriff nicht nur auf sexualisierte Gewalt und sexuelle Belästigung zu begrenzen, sondern es geht uns um alle Diskriminierungsformen. Vieles davon ist miteinander verschränkt und sollte zusammen betrachtet werden. Theoretisch können alle Menschen davon betroffen sein.

Werden auch Frauen als Täter beschrieben?

Ja, das wurde in einem Fall so beschrieben, dass es sich da um eine Täterin handelt.

„Wurde so beschrieben“ ist auch ein wichtiger Punkt: Sie können die Fälle ja nicht überprüfen. Wie gehen Sie damit um?

Wir arbeiten mit Expert:innen zusammen. Die haben uns einen Leitfaden zur Verfügung gestellt. Da wird auch deutlich, in welchen Grenzen wir uns bewegen müssen – damit das rechtlich unbedenklich ist, sowohl für uns als auch für die Menschen, die uns die Fälle schildern.

Worauf müssen Sie achten?

Dass nicht erkennbar wird, um wen es geht: Weder Personen noch Unternehmen werden beim Namen genannt. Auch anhand der Schilderungen sollte man sich nicht zusammenreimen können, um wen es sich handelt.

Und Sie vertreten die Linie, dass man allen Personen, die Ihnen MeToo-Fälle schildern, glauben sollte?

Ja, und das ist auch die Message, die wir transportieren wollen: dass wir Betroffenen, die ihre Erlebnisse schildern, grundsätzlich Vertrauen zeigen. Das ist auch ganz wichtig in der aktuellen Debatte, dazu eine klare Position zu haben.

Sehen Sie denn keine Gefahr von Vorverurteilung, wenn jemand als Täter bezeichnet wird, der nicht juristisch verurteilt ist?

Die Gefahr besteht natürlich immer. Das können wir nicht ausschalten. Wenn wir ein Sprachrohr für Betroffene sein möchten, halten wir uns natürlich an die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die sehen vor, dass die Betroffenen und wir nichts zu befürchten haben – aber auch diejenigen nicht, über die geschrieben wird.

Susann Hommel von #musicmetoo: „Sexismus gibt es auch in der Klassik“

Welche Hoffnungen und Ziele haben Sie dann überhaupt mit Ihrer Plattform? Solange alles anonym bleibt, kann ja nicht gezielt ermittelt werden.

Wir wollen das Ausmaß des Problems sichtbar machen: dass sich Diskriminierung in der Musikbranche durch alle Professionalisierungsgrade und durch alle Genres und Berufsfelder zieht. Und wir hoffen, dass andere Betroffene, die die Berichte lesen, dabei ermutigt werden, sich nicht selbst die Schuld zu geben für das, was ihnen widerfahren ist. Sie können erkennen, dass sie mit ihren schlimmen Erlebnissen nicht alleine sind. Und dass das ein strukturelles Problem ist.

Quer durch alle Genres, sagen Sie. Gerade dem HipHop haftet ja ein besonders sexistisches Image an. Dem würden Sie widersprechen?

Sexismus gibt es nicht bloß im HipHop. Das merken wir auch an den Schilderungen, aber auch in den einzelnen Organisationen, in denen wir tätig sind: dass Sexismus vor keinem Genre Halt macht. Er ist überall präsent und überall Thema. Und da ist auch kein Genre weiter voraus, schon besser, achtsamer oder irgendwie aufgeklärter.

Bei Rammstein sagen nun viele: Die Musik war eh schon immer aggressiv. Aber Sie sehen MeToo-Fälle auch im Schlager und im Kuschelpop?

Ja, und auch in der Klassik. Die Musikhochschule München war mit so einem Fall konfrontiert. Aber leider herrscht in der Musikbranche oft Schweigen dazu, wenn solche Fälle ans Tageslicht kommen.

Warum hüllt sich die Musikbranche in Schweigen?

Weil das Thema an die Substanz geht. Wir müssten grundsätzlich überlegen: Nach welchen Prinzipien arbeiten wir? Wer profitiert davon und wer darf nicht teilhaben? Machtgefälle und Machtmissbrauch werden durch solche Fälle sichtbar. Viele haben davor Angst, diese Themen anzupacken – manche würden sicherlich auch ihre Privilegien verlieren. Die Art, wie wir in der Musikbranche arbeiten, müsste einen Wertewandel erfahren. Ich weiß nicht, ob das alle so gut finden würden.

Susanne Hommel: „Natürlich gibt es Fälle, bei denen alle ihren Spaß hatten“

Ist die Musikbranche denn besonders prädestiniert für Machtmissbrauch? Auch wegen der Stars?

Ich glaube, wenn man sich mit einer anderen Branche beschäftigt, meinetwegen der Tech-Branche oder der Abfallwirtschaft, würde man ähnliche Mechanismen finden. Aber es gibt schon auch die Theorie, dass es etwas mit diesem Geniekult zu tun hat: mit den Ikonen, die als unantastbar gelten. Das gilt für die Musikbranche definitiv, aber beispielsweise auch für die Kunst oder fürs Theater oder für andere Kulturbereiche. In anderen Branchen geht es vielleicht nicht so sehr um Geniekult, aber um die Führungsperson, die sich eine unantastbare Rolle geschaffen hat. Ich glaube, das Problem ist größer als die Musikbranche.

Oft wird behauptet, Musik-Groupies wollen ihren Stars nahekommen, mitunter auch sexuell. Wie stehen Sie dazu?

An der ganzen Debatte merkt man, dass wir mit Vereinfachungen nicht weiterkommen. Die Situationen sind komplex. Und von Fall zu Fall unterschiedlich. Aber auch wenn etwas scheinbar freiwillig geschieht, lässt sich doch fragen: Haben sich diese Fans oder Groupies nicht doch unter Druck gesetzt gefühlt? Das wurde uns oft so beschrieben, und wir glauben das auch. Andererseits gibt es natürlich auch Fälle, bei denen alles einvernehmlich war und alle ihren Spaß hatten. Andere wollen aber wirklich nur mit ihren Stars auf der After-Show-Party feiern und was trinken. Wenn jemand das ausnutzt, haben wir eine ganz andere Situation.

Rammstein: Nun äußert sich die Plattenfirma

Von Stefan Hochgesand

15.06.2023

Ist denn der Fall Till Lindemann vergleichbar mit dem Fall Harvey Weinstein? Könnte es ein Kick-off für die MeeToo-Bewegung werden? 

So hat sich das am Anfang angefühlt. Aber jetzt habe ich den Eindruck, dass das Thema nach der großen Welle wieder abebbt. Nun befürchte ich, dass es anders kommt: dass vielleicht ein paar nebensächliche Verträge aufgekündigt werden, aber dann nichts weiter passiert. Es wird sich zeigen, wie die Branche damit umgeht. Wird das Thema weiter diskutiert und auf Programme gesetzt? Oder geht es back to normal?

Es gibt Petitionen gegen die Rammstein-Konzerte. Sollten sie aus Ihrer Sicht verboten werden?

Aus meiner Sicht, ja. Es bedarf einer allumfassenden Aufklärung dieses Falls. Dazu muss man auch zu einer gewissen Einkehr kommen. Da ist ein ganzer Apparat am Wirken. Dahinter steckt unfassbar viel Geld. Diesen Apparat müsste man mal anhalten, um sich ein Bild zu machen – und nicht mit neugeschaffenen Konzertmomenten einfach darüber hinwegzubügeln. Für die Betroffenen fühlt sich das auch sehr schmerzvoll an, wenn einfach so weitergemacht wird, als wäre nichts gewesen. Jetzt lässt sich die Band feiern – und kommt, von außen betrachtet, ganz gut weg. Das ist ein fatales Zeichen an alle, die sich getraut haben, mit ihrer Geschichte rauszugehen.

Aus dem Berliner Senat heißt es, es gebe keine juristischen Hebel, um die Berliner Rammstein-Konzerte zu stoppen.

Das glaub ich sogar, dass das eine schwierige Angelegenheit ist.

Kommen Sie zur Gegendemo am Rande der Berliner Rammstein-Konzerte?

Aus unserem Team sind auf jeden Fall Leute da.

Anmerkung der Redaktion: Unsere Gesprächspartnerin hat zur Sichtbarmachung aller Geschlechter im Interview gegendert. Wir geben dies hier originalgetreu wieder.