Im Hinterraum des Friedrichshainer Techno-Labels Killekill stehen allerhand Synthesizer und Drum-Machines. Hier treffen wir Nico Deuster, den Betreiber des Labels. Deuster demonstriert die metallene Snare-Drum und die große Kick-Drum. Dann legt er noch Hi-Hats drauf. Auf dem Synthesizer klebt ein Etikett mit „Uwe“. Uwe arbeitet an diesem Synthesizer. Er ist Teil des inklusiven Musikprojekts „Ick Mach Welle“ für und mit Menschen mit Behinderung. Das Projekt betreibt Killekill gemeinsam mit dem Berliner Lebenshilfe-Verein.
Deuster spielt auf einem der Synthesizer und justiert die Filter nach. „Ziel ist es“, sagt er, „dass der Synthesizer-Sound nicht mehr nach langweiligen Sinuskurven klingt, sondern nach Mensch. Oder außerirdisch.“ Dann setzen wir uns auf die rot gepolsterten Sixties-Sessel, um darüber zu sprechen, was dran ist an der Story der angeblich so diversen Techno-Szene in Berlin.
Herr Deuster, Sie vom Techno-Label Killekill machen ein Projekt mit Menschen mit Behinderung: „Ick Mach Welle“.
Wir haben vor fünf Jahren damit angefangen. Ich wusste selbst nicht, wohin die Reise führen würde. Ich komme nicht aus dem sozialen Bereich, und ich hatte mich davor nicht viel mit Menschen mit Behinderung beschäftigt.
Was bedeutet eigentlich „Ick Mach Welle“?
Na: Ich errege Aufsehen. Und auf der zweiten Ebene sind die elektrischen Wellen gemeint.
Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee?
Wir machen ja auch das Krake-Festival. Das Musicboard hat uns damals gesagt, dass sie nur noch Festivals fördern werden, die auch Menschen mit Behinderung auf die Bühne bringen. Mein erster Impuls: Oh, wen können wir buchen? Mir fielen nur zwei Leute ein. Ich hab gedacht: Das kann doch nicht sein, das ist nicht hinnehmbar!

Was haben Sie also getan?
Ich dachte: Man müsste es mehr Menschen mit Behinderung ermöglichen, überhaupt Künstler zu werden. Ich habe mit Leuten von der Lebenshilfe gesprochen, die eine inklusive Party im Mensch Meier machen: „Spaceship“. Eine tolle Sache! So ist das Konzept entstanden vor fünf Jahren. Und dann haben wir gearbeitet. Phasenweise gab es Stillstand während der Lockdowns – weil viele unserer Acts zu den vulnerablen Gruppen gehören. Aber jetzt gibt es die Compilation, die die Musik aus unserem Projekt zusammenfasst: „Superbrains“.
Wie ist die entstanden?
Wir haben mit Workshops begonnen. Dort hat sich ein harter Kern gebildet. Daraus ist die Band entstanden: Wellen.Brecher. Die sind auch auf der Compilation und bringen noch einen Solo-Release heraus.
Insgesamt kommen vier Platten aus dem Projekt dieses Jahr.
Genau, wir beginnen mit der Compilation als Werkschau. Und dann kommen drei Solokünstler: Schrunzel ist ein Multimediakünstler, er malt auch und macht Computerkunst. Danach kommen dieses Jahr noch Wellen.Brecher und Bläck Dävil.
Aber es wollten nicht alle in der Band bleiben, die Sie anfänglich gegründet hatten?
In einer Band ist man zu Kompromissen gezwungen. Da ist nicht die volle Entfaltung für jeden möglich. Also sind andere Acts aus der Band herausgewachsen. Uwe aus der Band ist parallel noch House-DJ.
Auflegen kann man bei Ihnen auch lernen?
Ja. Das ist der Kern unseres Projekts: dass wir die Menschen, die zu uns kommen, als Künstler ernst nehmen.
So gesehen ist es von Vorteil, dass Sie kein Sozialarbeiter, sondern Labelchef und DJ sind.
Genau, und dass ich aus dem Kulturbereich komme. Ich mache auch nicht den ganzen Unterricht selbst, sondern suche Mentoren mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Ich hatte mir vorher auch keinen Kopf gemacht, welche Barrieren für jemanden existieren, der kognitiv eingeschränkt ist, in unserer angeblich so zugänglichen Musikszene.
Zum Beispiel dabei, überhaupt in einen Club zu gehen?
Es fängt eigentlich noch früher an: Oft wohnen sie im betreuten Wohnen und arbeiten in speziellen Werkstätten. Und sie sind extrem geprägt durch das, was ihnen die Betreuer nahebringen – oder überhaupt erlauben. Und dann kommen sie oft auch nicht in Clubs rein. Entweder haben sie das Geld nicht. Oder sie sehen auch nicht „cool“ aus auf die Art, wie sich das viele Türsteher vorstellen. Da besteht wenig Bewusstsein. Wir versuchen das anzustupsen in unserem Netzwerk.
Wie denn?
Auf dem Krake-Festival etwa machen wir dieses Jahr Inklusion zum großen Thema. Auch mit einem Panel. Dazu laden wir Veranstalter und Clubbetreiber ein.
Wie geht es den Leuten, wenn sie bei Ihnen ankommen?
DJ Locati zum Beispiel wusste gar nicht, was ihn erwartet. Aber er ist ein totales Genie musikalisch. Als er bei uns ankam, war er schon 48, aber hatte noch nie ein Musikgerät in der Hand gehabt. Als er zum ersten Mal losgelegt hat, sind alle still geworden. Ein richtiger Gänsehautmoment! Es geht hier nicht bloß um einen sozialen Akt, sondern das wäre auch kulturell ein großer Verlust, wenn wir diese Menschen außen vor lassen. Als Gesellschaft.
Nico Deuster vom Techno-Label Killekill: „Schrunzels Output ist großartig!“
Welche Behinderungen haben die Menschen bei Ihrem Projekt?
Das ist auch so ein Problem: Wenn man sagt, „Menschen mit Behinderung“, tut man schon so, als wären diese Menschen irgendwie gleich. Klar, sie haben ihre Einschränkungen, aber wer hat die nicht? Schrunzel spricht Arabisch und kennt sich aus mit Astrophysik – hat aber keinen Hauptschulabschluss. In der Werkstatt steckt er Metallteile ineinander. Absurd, was wir da für ein Potenzial nicht ausschöpfen als Gesellschaft. Klar, er braucht ein wenig Hilfe, aber sein künstlerischer Output ist großartig! Viel wichtiger, als technisch etwas beizubringen, ist aber bei manchen, sie dorthin zu begleiten, dass sie sich ausdrücken und vielleicht auch ihre Story erzählen können. So wie MC Franka auf der Compilation mit „Ich will glücklich sein“.
Und wie sieht das auf Ihrem eigenen Festival, dem Krake, aus?
Wir haben schon in den letzten Jahren dort Inklusion betrieben, haben Künstler mit Behinderung gebucht und haben versucht, Barrierefreiheit fürs Publikum zu gewährleisten.

Wie machen Sie das?
Wichtig ist schon mal die Wahl der Location. Im Urban Spree zum Beispiel gab es keine rollstuhlgerechte Toilette. Die haben wir dann gemietet. Dann haben wir eine ikonografische Beschilderung angebracht – für Leute, die keine Buchstaben lesen können. Und wir hatten Assistenten an der Tür – für den Fall, dass jemand hier oder da Hilfe braucht. Übersetzungen in leichter Sprache sind auch wichtig. Dieses Jahr werden wir unser Panel auch in Gebärdensprache dolmetschen lassen. Aber wissen Sie was, es gibt ein großes Problem.
Das da wäre?
Bei Barrierefreiheit wird meistens übers Publikum gesprochen. Das ist natürlich ein wichtiger Punkt. Aber mit „Ick Mach Welle“ liegt unser Schwerpunkt auf der Bühne. Auch dort wollen wir Menschen mit Behinderung haben. Wir haben diesmal 30, fast 40 Prozent Künstler mit Behinderung. Einige von der Compilation. Aber zum Beispiel auch ein ganz tolles Projekt aus England: Dragsyndrom. Dragqueens und Dragkings mit Downsyndrom.
Die Berliner Techno-Szene gibt sich gerne divers und inklusiv. Ist das eine Lüge?
Ich kann verstehen, wenn man das als verlogen empfindet. Bei einzelnen Leuten ist das wohl auch so. Aber im Großen und Ganzen würde ich sagen: Das ist einfach noch nicht abgeschlossen, sondern ein Prozess. Es wurde viel erreicht bei ethnischer und bei Geschlechterdiversität. Ich musste da auch dazulernen. Früher habe ich nicht verstanden, wozu es Quoten brauchen sollte. Natürlich beeinflusst einen das kuratorisch. Aber das muss ja nicht negativ sein. Wenn man in Berlin ernsthaft Kultur machen will und nicht nur Uffda-Uffda-Disco, muss das Line-up mindestens zu 50 Prozent weiblich sein. Aber trotz all dem gibt es zu wenige Menschen mit Behinderungen in den Line-ups.
Woran liegt das denn?
Sie haben es schwieriger, sich Sprachrohre zu verschaffen. Besonders wenn sie kognitiv eingeschränkt sind, ist es schwieriger, sich zu organisieren. Auch für uns ist es eine Gratwanderung bei dem Projekt: Wir wollen unterstützen, ohne zu bevormunden.
Sind Sie optimistisch, dass die Szene diverser wird, auch was Menschen mit Behinderung angeht?
Ja, denn bei den meisten spüre ich eine große Offenheit dafür. Wenn man sie erst mal darauf aufmerksam macht, sagen die meisten: Ja, stimmt eigentlich.
