Wer in diesen Tagen das Fernsehzentrum des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) betritt, muss am Eingang erst einmal einen schroffen Hinweis entgegennehmen. „Dies ist eine Scheibe. Durch diese kann man nicht reden“, steht auf dem weißen Blatt am Fenster des Pförtnerhauses. Den richtigen Schluss daraus zu ziehen, wird den Besuchern selbst überlassen. Erst ins Haus eintreten, dann links halten, so findet man den Schalter, an dem der Pförtner dann angesprochen werden darf.
Die leichte Gereiztheit, die aus dem Hinweisschild ohne Anrede oder Bitte und Danke spricht, herrscht im gesamten Haus seit Jahren. In den letzten Wochen hat sie aber noch mal deutlich zugenommen. Beim RBB liegen die Nerven blank. Der Sender hat kein Geld, keine auf Dauer angelegte Führung und schon gar keine Strategie, wie man aus dem Jammertal herausfindet. Höfliches Miteinander? Das ist was für bessere Zeiten.
Das musste jüngst auch der neue Chef des RBB-Verwaltungsrates, Benjamin Ehlers, feststellen. Der Cottbusser Steueranwalt ist erst kurz im Amt, hat aber in der vergangenen Woche schon mal Bekanntschaft mit dem Umgangston im Sender machen dürfen. Staunend erlebte er, wie ihn ausgerechnet der Vertreter des Personalrates anfauchte, weil der Verwaltungsrat das Gehalt des neuen Intendanten deckeln will. Dass Personalräte, die ja eigentlich für die einfachen Beschäftigten zuständig sind, für die außertarifliche Bezahlung von Spitzenkräften streiten, ist nur eine bizarre Wendung in der Geschichte der vergangenen Monate.
Der Skandal, der mit dem Namen der fristlos entlassenen Intendantin Patricia Schlesinger verbunden ist, ist jetzt ein knappes Jahr her. Am 23. Juni 2022 berichtete zuerst das Magazin Business Insider über Vorwürfe gegen Schlesinger. In den folgenden Tagen konnte man dann unter anderem von einem Geheim-Bonus aufs ohnehin üppige Intendantinnen-Gehalt lesen, von frisierten Spesenabrechnungen, der luxussanierten Chefinnenetage im Fernsehhaus und einem vom Sender bezahlten Chauffeur für Schlesingers Ehemann. Dieser hatte außerdem Beraterverträge mit der Messe Berlin, deren Aufsichtsratschef Wolf-Dieter Wolf praktischerweise auch den RBB-Verwaltungsrat leitete.
So richtig aufgeklärt sind diese Mauscheleien noch nicht. Stattdessen verheddert sich der RBB gerade in neue Probleme. Die Aufklärung ist bisher nicht nur nicht gelungen, sie ist bereits selbst zum Problem geworden, vielleicht auch zum Skandal im Skandal. Mehr als zwei Millionen Euro kostet die Compliance-Untersuchung der Kanzlei Lutz/Abel bereits. Ein vorläufiger Bericht wird vielleicht Ende Juni vorgelegt, vielleicht auch nicht.
Klar ist nur, dass es eine gewaltige Finanzlücke beim Sender gibt. 49 Millionen Euro müssen eingespart werden, um das Missmanagement der vergangenen Jahre auszugleichen. Das wird die Aufgabe des neuen Senderchefs oder der neuen Senderchefin sein, der beziehungsweise die am Freitag vom Rundfunkrat gewählt werden soll. Doch selbst das ist nicht ganz sicher.
Die Neuwahl steht zwar auf der Tagesordnung, es gibt drei Kandidatinnen und einen Kandidaten. Ob es am Ende aber ein eindeutiges Votum gibt und ob der neue Chef auch einen Vertrag erhält, das ist tatsächlich offen. Das Verfahren um die Besetzung der Top-Personalie ist inzwischen ein Sinnbild dafür geworden, was alles nicht funktioniert im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Berlin und Brandenburg. Beschäftigte, Senderleitung und Gremienvertreter – jeder kämpft hier gegen jeden, meist mit eigener Agenda im Hinterkopf.

Besonders prägnant hat das Juliane Leopold beschrieben. Sie ist Chefredakteurin Digitales bei ARD aktuell und hat sich beim RBB als Intendantin beworben. Sie ist eine von drei Frauen in der engeren Auswahl und durfte in den vergangenen Tagen erleben, wie kaltschnäuzig man beim RBB mit Bewerberinnen umspringt, die einem nicht unbedingt ins Konzept passen. Aber dazu später. Juliane Leopold hat ihre Bewerbung am Donnerstagabend zurückgezogen und dies in einer Stellungnahme begründet.
Sie habe erst in den vergangenen Tagen verstanden, dass es im RBB gerade Fragen gebe, die mit größerer Priorität im Fokus stehen, als journalistische Angebote kritisch auf Zukunftsfähigkeit zu prüfen, schreibt die 40-Jährige und nennt auch gleich ein paar Beispiele: „Fragen wie: Wie wollen wir eigentlich zusammenarbeiten? Welche Spielregeln gelten, wenn große Entscheidungen anstehen? Und bei einigen nicht zuletzt: Wie bleibt am ehesten alles so, wie es ist?“
Man übertreibt wohl nicht, wenn man die Erfahrung von Juliane Leopold als maximale Ernüchterung beschreibt. Der RBB ist ein Sender, der vor allem um sich selbst kreist und lieber auf Nummer sicher geht, als die Zukunft anzupacken. Nach einem Jahr Dauerkrise ist das eine niederschmetternde Erkenntnis.
Dabei gab es so gute Vorsätze. Der neue Intendant oder die neue Intendantin sollte von möglichst viel Zustimmung getragen werden, um die Reform des Senders angehen zu können. Inhaltlich und organisatorisch. Um größtmögliche Transparenz zu schaffen, war für die Intendantensuche eine eigene Findungskommission ins Leben gerufen worden. Ihr gehörten die Vorsitzenden von Rundfunkrat und Verwaltungsrat ebenso an wie Vertreter des Personals – Festangestellten wie Freien. Die jedoch rebellierten bereits nach der ersten Runde.
Die Kommission hatte sich auf drei Frauen geeinigt, die sich – so das vorabgesprochene Verfahren – erst im Rundfunkrat und dann auch noch bei der gesamten Belegschaft vorstellen sollten. Zu ihnen gehörten neben Leopold noch die 50-jährige Heide Baumann, die früher Mitglied in der Geschäftsleitung von Vodafone war, sowie die ehemalige stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung Ulrike Demmer, ebenfalls 50 Jahre alt.
Doch sie alle nehmen bisher lediglich Statistenrollen in dem Verfahren ein, das schon nach der ersten Runde aus dem Ruder lief. Nachdem der Rundfunkratsvorsitzende Oliver Bürgel die Namen der Kandidatinnen bekannt gegeben hatte, gab es sofort Ärger. Personalrat und Freienvertretung beschwerten sich öffentlich, dass diese Liste keineswegs einvernehmlich zustande gekommen sei. Im Gegenteil: Die Findungskommission wolle dem Rundfunkrat nicht alle geeigneten Kandidaten vorstellen.
Als Schuldigen nannten sie den Verwaltungsratsvorsitzenden Benjamin Ehlers, weil der „plötzlich eine absolute Gehaltsobergrenze als Ausschlusskriterium vorgab“, so wörtlich in der Erklärung der Beschäftigtenvertretungen. Und weiter: „Konsequenz dieser eigenmächtigen Vorgabe: Der – unserer Meinung nach – qualifizierteste Bewerber verschwand von der Kandidatenliste, da er die Bedingungen nicht akzeptierte. Er erscheint Teilen des Gremiums als ‚zu teuer‘. Seine Qualifikation als profilierter Programm-Macher und Manager spielt dabei leider keine Rolle.“
Damit war Jan Weyrauch gemeint, der als Programmdirektor des kleinen Senders Radio Bremen mehr als 200.000 Euro pro Jahr verdient und für die 180.000 bis 230.000 Euro, die der Verwaltungsrat als Bandbreite angibt, gar nicht zur Verfügung steht. Dennoch wurde Jan Weyrauch nach der Solidaritätsadresse für ihn noch schnell zur Shortlist hinzugefügt. Rundfunkratschef Oliver Bürgel verfügte das, um die Wogen zu glätten. Es nutzte nichts. Die Rundfunkratssitzung in der vergangenen Woche geriet zu einem Schauspiel bemerkenswerter Dysfunktionalität.
Dafür sorgte nach dem Schlagabtausch zwischen dem Personalratsvertreter auch die Interims-Intendantin Katrin Vernau. Sie war nach dem Rausschmiss von Schlesinger vom WDR nach Berlin gekommen, um den Skandal aufklären zu helfen und den Sender wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen. Dazu gehört vor allem ein rigides Sparprogramm, dessen Umsetzung ihr bisher offensichtlich gelungen ist – wenn auch unter Schmerzen für die Beteiligten. So hat der RBB mittlerweile aus Kostengründen die Produktion des prestigeträchtigen „Mittagsmagazins“ an den Mitteldeutschen Rundfunk abgeben müssen. Weitere Programmeinschnitte sind zu erwarten.
Katrin Vernau hätte ihre Arbeit beim RBB gerne fortgesetzt. Das hat sie mehrfach öffentlich erklärt. Das Wohlwollen des Personalrates hatte sie auch dafür. Dieser betrieb in den vergangenen Wochen unverhohlene Lobbyarbeit für die amtierende Chefin. So schildern es verschiedene Gremienmitglieder in Gesprächen mit der Berliner Zeitung. Immer wieder habe es Bestrebungen gegeben, Vernau auf die Kandidatenliste zu setzen, obwohl diese sich offiziell nicht bewerben mochte.
Kritik daran hört man aber nicht gern. So schrieben die Personalräte Dörte Thomählen und Lutz Oehmichen der Berliner Zeitung einen Leserbrief, in dem sie in harschem Ton darauf hinwiesen, dass die Darstellungen alle falsch seien und dass der Rundfunkrat ein unabhängiges Gremium sei, in dem der Personalrat nur eine beratende Stimme habe.
Schlacht um den Chefposten: Das Manöver von Interims-Intendantin Katrin Vernau schlägt fehl
Genutzt hat Vernau die Fürsprache letztlich nichts. Ein Manöver, sich per Antrag durch eine Rundfunkrätin noch in letzter Minute auf die Kandidatenliste setzen zu lassen, schlug fehl. Katrin Vernau scheidet im September, wenn ihr auf ein Jahr befristeter Vertrag endet, beim RBB aus. Nun gilt in der Belegschaft offenbar Jan Weyrauch als Favorit. Dort hatte sich der ARD-Mann selbst als Kandidat mit der größten Empathie bezeichnet. Das kommt bei Festen und Freien im RBB offenbar gut an.
Und so hat mittlerweile auch die Freienvertretung ihre Taktik geändert. Während man in der Vergangenheit noch gegen die mehr als üppige Bezahlung für Spitzenkräfte zu Felde gezogen war, will man sich in Bezug auf Weyrauch nicht mehr offiziell äußern. Inoffiziell hört man, dass man auch weiterhin gegen außertarifliche Gehaltszulagen sei, nur halt im Fall von Weyrauch nicht. Der Mann käme eben von der ARD und sei ein hohes Gehalt gewohnt. Bei seiner Vorstellung vor den Beschäftigten hatte er erklärt, dass er bei seiner Gehaltsforderung bleibe, die über der Spannbreite liegt, die der Verwaltungsrat vorgibt. Etwas anderes könne er seiner Familie nicht zumuten, versicherte er treuherzig.
Dazu muss man sagen, dass die Gehaltsobergrenze für den RBB-Chefposten keineswegs so plötzlich ins Spiel kam, wie die Kritiker glauben machen möchten. Im Grunde wurde in den vergangenen Wochen über nichts anderes geredet. Die Landesrechnungshöfe Berlin und Brandenburg wiesen mehrfach darauf hin, dass das Gehaltsgefüge – nicht nur – der Spitzenleute beim RBB dringend nach unten reformiert werden müsse, schon allein wegen der Glaubwürdigkeit des klammen Senders. Für das Jahresgehalt des Intendanten schlagen sie 180.000 Euro vor. Ein Personalratsvertreter kritisierte die Festlegung in der jüngsten Rundfunkratssitzung dagegen lautstark als „private Meinungsäußerung“ des Verwaltungsratsvorsitzenden.
Diesen beeindruckt das wenig. Für ihn ist die Sache klar: Nur wer sich mit dem gedeckelten Gehalt zufriedengibt, kann damit rechnen, einen Vertrag für den RBB-Spitzenjob zu bekommen. „Wir bleiben hart“, sagte Benjamin Ehlers der Berliner Zeitung. Die Findungskommission habe das allen Kandidatinnen und Kandidaten für die engere Wahl aufgezeigt. „Bei drei von ihnen hat es da kein Problem gegeben.“
Vielleicht ist es ein Zufall, dass die drei, bei denen es mit den Gehaltsforderungen kein Problem gegeben hat, ausgerechnet Frauen sind. Vielleicht auch nicht. Es dürfte aber keiner von ihnen gefallen haben, dass sie im Drama um dem ARD-Mann derart an den Rand gedrängt wurden. Was man aus den Vorstellungsrunden der Kandidatinnen hört, rechtfertigt jedenfalls nicht, dass ihnen bisher nur eine Nebenrolle zugestanden wurde.









