Interview

Kida Khodr Ramadan: „Was ist denn Integration – und wer bestimmt das eigentlich?“

Der Berliner Schauspieler und Regisseur Kida Khodr Ramadan über die Gefängnisserie „Asbest“ und das Leben und Arbeiten im Spannungsfeld zwischen deutscher und arabischer Kultur.

Kida Khodr Ramadan: „Ick bin 'n original Kreuzberger Libanese.“
Kida Khodr Ramadan: „Ick bin 'n original Kreuzberger Libanese.“Talent Republlic

Kida Khodr Ramadan ist ein gefragter Mann. Und es braucht eine kleine Schnitzeljagd, ehe wir ihn treffen. Erst sieht es über Tage so aus, als gäbe es gar keinen Termin. Dann klingelt plötzlich früh um neun das Telefon, ob man in einer halben Stunde in einem Barbershop in Kreuzberg sein könne, was leider unmachbar ist. Anderntags geht wiederum gar nichts, aber vielleicht doch, am späten Nachmittag im Wedding.

Und da ist er dann tatsächlich. Entschuldigt sich für den Stress, nimmt sich einen Espresso und im Anschluss fast eine Stunde Zeit, um über sein neuestes Projekt zu reden, die fünfteilige Gefängnisserie „Asbest“, in der er nicht nur als der „Kurde“ genannte Knast-Pate zu sehen ist, sondern überdies auch Regie geführt hat.

Er sieht jünger und viel drahtiger aus als im Fernsehen und neigt sich bei jeder Antwort ganz nah zum Reporter hin, wobei er so leise redet, dass es fast konspirativ wirkt.

BERLINER ZEITUNG: Herr Ramadan, sind Sie eigentlich streng mit sich, wenn Sie sich selbst inszenieren?

KIDA KHODR RAMADAN: Nein, ehrlich gesagt will ich die Szenen mit mir selber möglichst schnell durchhaben, damit ich mich auf die Schauspieler konzentrieren kann.

Man merkt aber nicht, dass Sie geschlampert hätten, wenn Sie selbst eine Szene spielen.

Das ist nett von Ihnen. Ich bin ein Perfektionist, müssen Sie wissen, und deshalb muss ich bei mir selbst natürlich genauso präzise sein wie sonst auch. Aber es strengt an, man will sich nicht mit sich selbst beschäftigen, man ist ja der Captain auf dem Schiff. Deshalb versuch ich künftig allenfalls Kurzauftritte haben, wenn ich Regie führe.

Kommen Sie eigentlich generell mit sich selbst gut klar, oder gibt es auch Momente, wo Sie sich überhaupt nicht mögen?

Sie meinen beruflich?

Nein, so überhaupt.

Na ja, ich bin ein sehr spezieller Mensch. Ich bin auch ein sehr interessanter Mensch. Ich bin also ein sehr spezieller interessanter Mensch. Sagen wir, ich bin ein bisschen anders.

Sie sind berühmt dafür, dass Sie so sind, wie sie sind, nicht?

Ich bin vom Volk und vergesse nie, wo ich herkomme. Aber ich bin auch ein bisschen Choleriker.

Ach was!

Aber in positivem Sinn. Also wenn ich meine Ausraster habe, und die habe ich, dann habe ich die Stärke, mich zwei Minuten später zu entschuldigen. Ich bereue mein Verhalten oft, ich bin dann unter Strom und raste aus. Ich hab ADHS.

Ist das diagnostiziert?

Ich brauch keinen Arzt, der mir sagt, was ich hab. Entweder weiß ich das oder nicht. Aber nichtsdestotrotz musst du die Stärke haben dazu zu stehen und einzusehen, dass du Fehler gemacht hast.

Wovon reden Sie eigentlich?

Ich bin im Modus, wenn ich drehe, ich will hundert Prozent haben. 

Hört sich nach einer schwierigen Geburt an.

Na ja, es ist jetzt nicht die ganze Zeit so, jeden Tag und jede Sekunde. Bei allem Respekt, wir reden schon darüber, dass wir hier was ziemlich Gutes auf die Beine gestellt haben.

Szene aus der Serie „Asbest“
Szene aus der Serie „Asbest“ARD Degeto/Pantaleon Films GmbH/Mirza Odabasi

„Asbest“ heißt die Serie, eine Gefängnisserie. Wie kamen Sie an das Projekt?

Katja Eichinger hatte die Idee, aber irgendwie kam das Ganze nicht weiter. Ein Produzent erzählte mir davon, dann kam Juri Sternburg ins Boot, ein Autor, mit dem ich schon zusammengearbeitet habe …

… ein Spross der Berliner Theater-Dynastie Langhoff.

Genau der, zuletzt haben wir den Film „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ zusammen gemacht. Und dann wurde ein schönes Projekt daraus. Ich hab das dann sehr schnell an die Degeto verkaufen können, und jetzt läuft’s in der ARD-Mediathek.

Das ging dann ganz schnell?

Ganz schnell! Ich warte nicht. Die Kohlensäure darf nicht raus.

Die Hauptfigur ist Momo, ein Junge aus einer arabischstämmigen Familie, der unschuldig in den Knast geht – auch aus falsch verstandener Loyalität zu seinen Onkels und Cousins – und dort erst zum Kriminellen wird. In einer Szene sagt er: „Ihr wolltet einen Gangster, jetzt habt ihr einen Gangster.“

Das ist eine sehr authentische Aussage. Es ist wie ein Tsunami, der sich aufbaut. Und irgendwann rollt er über, und alles strömt aus.

Und das muss so sein? Der Junge will ja eigentlich Profifußballer werden und mit dem ganzen Gangstermist nichts zu tun haben.

Ja, aber es geht ums Überleben. Es geht ja sowieso immer ums Überleben. Und er stellt eben fest, dass es für einen wie ihn ab einem gewissen Punkt schwer bis gar nicht möglich ist, sich von seinem Schicksal zu emanzipieren und zu überleben, ohne kriminell zu werden. Gangster, das ist ja ein weites Spektrum vom Kleindealer bis zum Mörder, aber er muss irgendwas machen, um seine Familie zu ernähren. Das ist die einzige Chance, die er sieht.

Sie lassen offen, ob er von der weißärschigen Mehrheitsgesellschaft dahin gedrängt wird, die gar nichts anderes von ihm erwartet, oder von der arabischen Mafia, die ihm die Geborgenheit und Bestätigung gibt, die er sonst nicht bekommt.

So, jetzt wissen Sie, wo ich herkomme.

Im Abspann von „Asbest“ wird „dem echten Momo“ gedankt.

Na ja. „Asbest“ ist zunächst mal eine lose Adaption des Buchs „Fair Play mit Mördern“ von Gerhard Mewes, der jahrelang ehrenamtlich als Fußballtrainer für die Gefangenen der „Santa Fu“ genannten Hochsicherheitsstrafanstalt Fuhlsbüttel gearbeitet hat. Aber „Asbest“ spielt in Berlin. Und natürlich kenne ich „Momo“. Der ist anonym und möchte nicht genannt werden. Ich kenne aber einige Momos, viele sogar. Mein Sohn heißt Momo. (lacht)

Zur Person
Kida Khodr Ramadan wurde 1976 in Beirut geboren. Der libanesische Bürgerkrieg zwang die Familie Ende der 70er-Jahre zur Flucht nach Deutschland. Ramadan wuchs in Kreuzberg auf und verließ die Schule ohne Abschluss. Nach etlichen kleineren Rollen , etwa in „Kebab Connection“(2005) und „Knallhart“ (2006), gelang ihm 2017 als Neuköllner Pate Toni Hamady in der Serie „4 Blocks“ der Durchbruch. Seit dem 20. Januar ist er in der ARD-Mediathek in der fünfteiligen Gefängnisserie „Asbest“ zu sehen, die er auch inszeniert hat.

Sie selbst haben mal über Ihre Jugend gesagt, Ihre Lebenswelt habe darin bestanden, „irgendwie durchs Leben zu kommen, ohne kriminell zu werden“.

Früher war Kreuzberg ein anderes Pflaster. Man hatte nicht das Geld, das heute jeder hat. Und dann fing das an mit einem schönen Paar Schuhe oder einer Jacke, wissen Sie, so einer Baseballjacke. Und dann war das schon so: Shit, können wir uns nicht leisten, müssen wir schon ein paar Dinge dribbeln, um das zu kriegen. Aber ich hatte Geduld, irgendwie wollte ich das auch meinen Eltern nicht antun, da was Krasses zu machen und am Ende erwischt zu werden, die hatten ohnehin schon so ein hartes Leben. Ich hab dann lieber Breakdance gemacht, und obwohl ich es nicht sonderlich gut konnte, kam da ein bisschen Geld zusammen. Ich hab also erfolgreich so getan, als könnte ich es – das war praktisch mein Einstieg in die Schauspielerei. (lacht)

Was haben Ihre Eltern gearbeitet?

Im Libanon?

Kida Khodr Ramadan: „Ich bin vom Volk.“
Kida Khodr Ramadan: „Ich bin vom Volk.“Talent Republic

Nein, in Deutschland.

Mein Vater war erst in einer Textilfirma, später hat er Steakhäuser gemanagt. Meine Mutter war zu Hause und hat sich um uns gekümmert, sieben Kinder.

Ihre Mutter lebt noch?

Ja. Immer noch in Kreuzberg, immer noch in derselben Wohnung, in der ich aufgewachsen bin.

Was hat sich da zu Silvester eigentlich entladen in Kreuzberg?

Ich glaube, ziemlich simpel, der Umstand, dass man zwei Jahre lang nicht feiern durfte. Dass es zu dieser Eskalation kam, ist natürlich nicht schön – im Nachhinein habe ich allerdings gelesen, dass im Zusammenhang mit den Ausschreitungen nicht, wie ursprünglich berichtet, 145 Leute verschiedenster Nationalitäten festgenommen worden sind, sondern lediglich 38, und dass das mehrheitlich Deutsche waren.

Sie meinen, 38 vorläufige Festnahmen in einer auf Exzess angelegten Nacht in einer Millionenmetropole ...

… ist auch nicht doll, wir wollen das jetzt auch nicht schönreden. Und ob das jetzt Finnen waren, Neuseeländer oder sonst wer – es ist grundsätzlich eine Scheißidee, Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte zu attackieren und zu gefährden, Menschen, die jeden Tag im Einsatz sind, um unseren Arsch zu retten.

Schon wird wieder über „gescheiterte Integration“ geredet …

Was ist denn Integration? Und wer bestimmt das eigentlich? Integration, das ist nicht Sprache oder so, sondern Respekt. Dort, wo Menschen einander Respekt und Anerkennung zollen, da ist Integration gelungen. Das ist überall auf der Welt so.

… und über die von Friedrich Merz beschworenen „kleinen Paschas“.

Ach, ich hab diesen Typen noch nie ernst genommen. Er braucht erst mal einen guten Imageberater, dann braucht er einen guten Kostümbildner, und in Istanbul kann er sich für 3000 Euro Haare einpflanzen lassen.

Sehen Sie es eigentlich auch als Ihre Aufgabe an, eine gewisse Erziehungsarbeit zu leisten – und sei es, dass Sie durch Ihre Arbeit die Konflikte benennen, mit denen es insbesondere Einwanderer oder deren Kinder zu tun haben?

Na klar bin ich inzwischen auch ein Sprachrohr. Die Menschen mögen und respektieren meine Arbeit, und die Arbeit steht auch für was. Und ich stehe auch für was.

Die Lebenswirklichkeit von arabischen Einwanderern beziehungsweise von deren Kindern war vor „4 Blocks“ kein Thema, zumindest keines jenseits der Polizeiberichte.

Ja, aber warum wird ein Mensch kriminell? Das ist doch eine interessante Frage. Wissen Sie, die kommen in dieses Land, werden alle in ein Getto gesteckt, dürfen nicht hier arbeiten, sind nur geduldet. Natürlich trägt das alles nicht dazu bei, dass sie hier am Leben teilhaben. Sie suchen sich andere Wege, und vor allem suchen sie die Anerkennung, die sie sonst nicht bekommen, in der Familie. Und dann heißt es Clan. Ja, die berühmten arabischen Clans in Berlin. Dabei gibt es das in Skandinavien genauso und in Afrika auch. Und der größte Clan in Deutschland ist sowieso die Politik.

Haben Ihre Eltern ein sentimentales Verhältnis zum Libanon, oder haben sie damit abgeschlossen?

Mein Vater ist leider schon tot. Er dachte lange, er würde irgendwann zurückkehren. Und ich muss immer wieder daran denken, wie er sagte: „Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir in diesem Land, in das wir geflohen sind, auch sterben würden.“

Und Sie?

Ich habe da meine Wurzeln, und ich bin auch immer wieder mal da. Zuletzt hab ich da gedreht, so vor einem Jahr, und es tut gut, dass einen die Leute da kennen und feiern und als einen der ihren sehen. Das ist sehr bewegend. Man fühlt auch so eine Verbundenheit, wissen Sie? Obwohl die Leute eigentlich ganz anders sind, sind sie doch wie du.

Klar.

Aber länger als 14 Tage hab ich’s da noch nie ausgehalten. Ick brauch die Berliner Luft, weeßte, ick bin ‘n Berliner Junge. Ick bin ‘n original Kreuzberger Libanese.

Und Ihre Kinder wachsen zweisprachig auf?

Klar, Arabisch und Deutsch. Jede Sprache ist ein neues Leben, sagt man bei uns.

Ihre Kinder Momo und Dunja haben kleine Rollen in „Asbest“. Hatten Sie denn das letzte Wort beim Casting?

Ich habe die Verantwortung, also habe ich natürlich das Sagen. Ich bin der, der für das Projekt entweder gerupft oder gefeiert wird. Also will ich das auch mit Leuten machen, für die ich meine Hand ins Feuer lege.

„Der größte Clan in Deutschland ist sowieso die Politik“, findet er.
„Der größte Clan in Deutschland ist sowieso die Politik“, findet er.Talent Republic

Frederick Lau ist wieder dabei. Ohne den geht bei Ihnen nichts, richtig?

Natürlich nicht. Stellen Sie sich einen Regisseur wie einen Fußballtrainer vor – der würde auch nicht nein sagen, wenn er Ronaldo haben könnte. Das wäre doch Schwachsinn, wenn er sagen würde: „Den will ich nicht, lass uns lieber einen Abwehrspieler holen.“ Freddy ist mein Ronaldo, er ist mein bester Freund, ich weiß, den brauch ich nicht zu inszenieren, der rockt das Ding runter.

Wer sind Ihre Vorbilder?

Ein großes Vorbild ist Angela Merkel. Und dann noch Klaus Lemke, Manfred Krug, Klaus Kinski und Harald Juhnke. Das waren Männer mit Eiern. 

Und Ihr Lieblingsregisseur?

Mein verstorbener Vater. Wie der sein Leben inszeniert hat und wie er mir beigebracht hat, mein Leben zu leben. Und wissen Sie, ich komme von ganz unten, ich hatte keinen Pfennig Geld, sondern bin mit einem Karton zum Asylantenheim, da hat man dann Äpfel, Käse, Butter reingetan, das mussten wir uns dann zu Hause teilen. Später war ich der, der nie mitkonnte auf Klassenfahrt, weil meine Eltern nicht das Geld dazu hatten, und dann hatte ich nicht mal frei, sondern musste in die 3b! Aber ich hatte trotzdem die schönste Freude am Leben.

Das hat Ihnen Ihr Vater vermittelt?

Ja, und deshalb dreh ich jetzt auch nicht durch, wo ich ein sogenannter Star bin und Geld habe und eine gewisse Macht, die ich im Übrigen gar nicht will, und mir all die Leute, die mich früher nicht mit dem Arsch angeschaut haben, auf die Schulter klopfen. Oder zumindest versuche ich, nicht durchzudrehen. Das ist nicht leicht. Ich brauch nur irgendwo reinzukommen, und alle stehen auf, sogar die Stühle stehen auf.

Haben Sie nicht endlich mal den Skiurlaub gemacht, von dem Sie schon als kleiner Junge geträumt haben?

Nein, manche Träume sollen für immer Träume bleiben. Und jetzt gibt’s auch gar keinen Schnee mehr.

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Asbest. Fünfteilige Serie, seit dem 20. Januar in der ARD-Mediathek