Es klingt nach einer Lappalie, einer kleinen Umwidmung im Haushalt des Auswärtigen Amts. Doch für das Seenotretterbündnis United 4 Rescue ist es mehr als das. Am vergangenen Montag teilte der Verein mit, dass er, anders als erwartet, kein Geld vom Ministerium erhalten werde. Stattdessen müssten sich Organisationen des Bündnisses erstens selbst darum bemühen; und zweitens seien die Fördergelder nicht ausschließlich für zivile Seenotretter, sondern auch für humanitäre Projekte an Land gedacht.
„Damit bleibt offen, ob und wieviel Geld tatsächlich in die Seenotrettung fließt!“, schrieb United 4 Rescue auf Twitter. Es sei „ein Skandal“, dass das Außenministerium von Annalena Baerbock (Grüne) dafür nicht mal zwei Millionen Euro pro Jahr bereitstellen wolle.
Wo heute Enttäuschung ist, war vor wenigen Monaten noch Hoffnung. Im vergangenen November hatte der Bundestag beschlossen, dass die zivile Seenotrettung zum ersten Mal überhaupt mit staatlichem Geld unterstützt werden soll. Demnach sollten von 2023 bis 2026 jährlich zwei Millionen Euro an United 4 Rescue fließen.
Der Verein wurde von der evangelischen Kirche initiiert, er unterstützt Rettungsschiffe von deutschen Nichtregierungsorganisationen wie SOS Humanity und Sea-Eye. Bislang finanziert sich das Bündnis durch Spenden. Diese sind laut Angaben von Seenotrettern seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges jedoch spürbar eingebrochen.
Der Beschluss des Haushaltsausschusses im Bundestag geht auf einen Antrag von SPD und Grünen zurück. Das Papier liegt der Berliner Zeitung vor, zuletzt hatte der Evangelische Pressedienst darüber berichtet. Demnach sind die insgesamt acht Millionen Euro ausdrücklich für United 4 Rescue gedacht. Das Bündnis, so die Idee, würde sie dann an andere Organisationen weitergeben, zum Beispiel an Sea-Eye.
Das Geld soll aus dem Budget des Außenministeriums kommen, aus dem Haus von Annalena Baerbock. Doch dort hat man offenbar andere Pläne. Bereits vor einigen Wochen hatte der Spiegel recherchiert, dass das Ressort die Mittel noch nicht freigegeben hat.
Baerbocks Ministerium will auch Projekte an Land fördern
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es nun, man arbeite „weiter mit Hochdruck daran, dass die vom Bundestag festgelegte Förderung so schnell wie möglich umgesetzt wird, sobald alle rechtlich erforderlichen Schritte erfolgt sind“. Gekürzt würden die Haushaltsmittel nicht. Ziel sei es, und da liegt der Konflikt, „sowohl zivile Seenotrettung auf See als auch Projekte an Land für aus Seenot Gerettete finanziell zu fördern“.
Dazu, so hört man, habe das Ministerium sehr viele Gespräche mit United 4 Rescue und einzelnen Organisationen geführt. „Es ist vorgesehen, bei der Förderung unmittelbar einzelne Seenotrettungsorganisationen zu unterstützen“, heißt es weiter aus dem Auswärtigen Amt. Man erwarte, schon bald Konkretes mitteilen zu können.
United 4 Rescue: „Bei uns stieß das auf Irritation“
Dass viel gesprochen wurde, darüber immerhin scheint Einigkeit zu herrschen zwischen Außenministerium und United 4 Rescue. Seit Januar habe man miteinander verhandelt, sagt die Geschäftsführerin des Bündnisses, Vera Kannegießer, der Berliner Zeitung. Anfangs sei man wohl auch auf einem guten Weg gewesen, zumindest in Verwaltungsfragen.
„Von Beginn an wurden wir jedoch darauf hingewiesen, dass möglichst keine Schiffskosten beziehungsweise ebenfalls Landprojekte gefördert werden sollten“, sagt Kannegießer. „Bei uns stieß das auf Irritation, da die Gelder für die Unterstützung der Seenotrettung angekündigt wurden und wir als Verein nun mal schwerpunktmäßig die zivile Seenotrettung unterstützen.“ Laut Kannegießer sind in den vergangenen Jahren lediglich rund fünf Prozent der eigenen Mittel in Projekte an Land geflossen.
Im März habe das Ministerium die Gespräche dann auf Eis gelegt, mit dem Verweis auf die ungeklärte Frage der Verteilung. „Auf mehrfache Nachfragen zwischen März und Juni unsererseits erhielten wir bis zuletzt nur die Antwort, es gebe noch keine Klärung.“ Von der endgültigen Entscheidung, dass die Organisationen direkt und auch Projekte an Land gefördert werden sollen, habe United 4 Rescue am vergangenen Freitag erfahren.
All das bedeute einen deutlich größeren Aufwand für die Organisationen, sagt Kannegießer, und deren finanzielle Lage sei sowieso angespannt. „Dass außerdem von diesen Geldern ein noch unbekannter Teil in Landprojekte fließen soll, ist für uns angesichts der überschaubaren Gesamtsumme unverständlich.“
Grünen-Politikerin Bayram: Beschluss des Bundestags respektieren
Nun könnte man meinen, dass zwei Millionen Euro ein verschwindend geringer Betrag sind, eine Petitesse. Immerhin kursieren seit Monaten ganz andere Summen: das Sondervermögen für die Bundeswehr, die Kindergrundsicherung, riesige Entlastungspakete. Für das kommende Jahr plant Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit insgesamt 445,7 Milliarden Euro.
Davon abgesehen, dass zwei Millionen Euro einen Unterschied für die zivile, auf Spenden angewiesene Seenotrettung machen würden, könnte der Streit ums Geld aber auch zum Problem für die Grünen werden. Sie stehen seit Jahren im engen Austausch mit Seenotrettern, einige Grüne waren selbst aktiv in den Organisationen. Flucht und Migration gehören zu den Herzensthemen der Partei.
Es ist dieser Tage nicht leicht, Grünen-Politiker für ein Gespräch über United 4 Rescue, das Geld und das Auswärtige Amt zu gewinnen, geschweige denn für ein zitierbares Statement. Abgeordnetenbüros antworten mit Absagen, aus terminlichen Gründen, heißt es. Eine Ausnahme ist die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram, Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost, sie gehört dem linken Parteiflügel an.
„Ich erwarte, dass das Auswärtige Amt die Beschlüsse des Parlaments respektiert“, sagt Bayram der Berliner Zeitung. „Wir haben das Haushaltsrecht. Der Bundestag hat beschlossen, dass den zivilen Seenotrettern zwei Millionen Euro zugutekommen, diese sind auf das Geld angewiesen.“ Die Organisationen übernähmen dort Verantwortung, wo Staaten sich „wegducken“, sagt sie. „Es würde mich sehr befremden, wenn sich die Regierung nicht an den Beschluss halten würde.“
Die CSU witterte schon vor Monaten „Vetternwirtschaft“
Darüber, warum sich das Auswärtige Amt so schwertut in der Frage, lässt sich derzeit nur mutmaßen. Womöglich will man das Verhältnis mit Italien nicht belasten. Die Seenotretter sind der italienischen Regierung ein Dorn im Auge, und das schon ohne staatliches Geld aus Deutschland. Erst vor wenigen Monaten hatte Italien ein Gesetz verschärft, das die Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer einschränkt.
Zudem, das berichtete der Spiegel, könnte die Zurückhaltung des Ministeriums mit Thies Gundlach zu tun haben. Er sitzt im Vorstand von United 4 Rescue und ist der Lebensgefährte von Katrin Göring-Eckardt, einer prominenten Parteifreundin Baerbocks. Ein grün geführtes Ministerium, ein paar Millionen Euro, familiäre Verbindungen? Schon im November, kurz nachdem der Haushaltsausschuss den Antrag von SPD und Grünen beschlossen hatte, sprach die CSU von „Vetternwirtschaft“.
Vor allem in der Grünen Jugend sind viele gefrustet
Der Ärger der Seenotretter kommt zu einer Zeit, in der die Grünen ohnehin schon um ihren Kurs in der Migrationspolitik ringen. Erst vor kurzem hatte die Partei hitzig über die geplante EU-Asylreform diskutiert. Dass einige ihrer Spitzenleute, darunter auch Baerbock, Asylkontrollen an den EU-Außengrenzen grundsätzlich zustimmen, sorgt für Frust an der Basis, im linken Flügel. Ein kleiner Parteitag brachte vorerst Ruhe in die eigenen Reihen. Man erwartet nun Ausbesserungen, will das Ergebnis abwarten, danach neu bewerten.
Doch der Streit um den Kurs in der Flucht- und Migrationspolitik ist damit keinesfalls beigelegt. Es geht um Grundsätzliches, um die Ideale der Partei, die auf die Grenzen des Regierens treffen. In Hintergrundgesprächen mit Grünen aus Bund und Ländern heißt es, dass viele linke Parteimitglieder sich zwar aktuell zurückhielten, aber mitnichten besänftigt seien.
Gorden Isler ist nicht nur Vorsitzender der Hilfsorganisation Sea-Eye, sondern auch Grünen-Mitglied. Noch im Juni hatte er öffentlich über einen Parteiaustritt nachgedacht. In den vergangenen Wochen, sagt Isler der Berliner Zeitung, habe er in Gesprächen mit Parteifreunden viel Enttäuschung über die aktuelle Migrationspolitik wahrgenommen. „Die Grünen sind nicht nur eine Klimapartei, sie stehen auch für die Einhaltung von Menschenrechten. Dazu gehört das Recht auf Asyl.“
Sea-Eye, so Isler, sei solidarisch mit United 4 Rescue, „gerade weil wir aus dem Bündnis so viel Solidarität erfahren haben und dem Ganzen ein Beschluss des Bundestags vorausgegangen ist“. Das Geld sei klar an das Bündnis adressiert worden.
Auch Sea-Eye habe an den Gesprächen mit dem Auswärtigen Amt teilgenommen, sagt Isler. Man habe zu erklären versucht, weshalb das Geld über United 4 Rescue verteilt werden sollte. Einerseits sei es nicht einfach, Mittel beim Auswärtigen Amt zu beantragen. Andererseits müssten die Organisationen nun aber voraussichtlich selbst schnell Anträge stellen, damit das Geld überhaupt noch in diesem Jahr fließen könne.
Vor allem der Parteinachwuchs der Grünen dürfte ein Auge darauf haben, wie das Auswärtige Amt in der Sache weiter vorgeht. Viele von ihnen seien in den Jahren nach 2015 beigetreten, unter dem Eindruck der Migrationskrise, sagt ein führendes Mitglied der Grünen Jugend der Berliner Zeitung. Gerade für junge Parteimitglieder gehörten Flucht, Asyl und Seenotrettung zu den wichtigsten Themen.








