Das etwas verstohlen vorgetragene Eingeständnis des Bürgermeisters von Kleinmachnow, Michael Grubert, auf einer Pressekonferenz am Freitag lautete: Die vermutete Löwin in Kleinmachnow existiert nicht, die tendiert „gen Wildschwein“. Mit anderen Worten: Die ganze Aufregung um eine Wildtierjagd in den Berliner und Brandenburger Wäldern war zwar für die Bevölkerung prickelnd, hatte aber mit der Realität nichts zu tun. Die Behörden gaben daher am Freitag Entwarnung und stellten ihre aktive Suche nach rund 30 Stunden ein. Später sagte Grubert:„ Es gibt keine Löwin.“
Es gebe keine „ernstzunehmenden Hinweise“ auf die Existenz einer Löwin oder eines anderen Raubtiers, sagte Michael Gruber nach einer erneuten Lagebewertung mit der Polizei. Es sei nicht von einer akuten Gefährdungslage auszugehen. Dafür würde er seine „Hand aufs Feuer, aber nicht ins Feuer legen“.
Zuvor waren die Einsatzkräfte von aufgeregten Hinweisgebern durch die Gegend gejagt worden. Das Tier soll auf einem Campingplatz, in einem Villenviertel, im Wald, bei einem Denkmal gesichtet worden sein. Einmal wurde die Polizei gerufen, weil jemand Löwengebrüll gehört haben will, doch es war ein Betrunkener, wie der RBB ganz nüchtern meldete. Fazit: „Alle Hinweise führten ins Leere“, sagte der Bürgermeister.
Den Durchbruch brachte schließlich laut Grubert die Firma CyperTracker, der die Behörden das einzige „Beweisstück“ vorlegten und die am Freitag zum Ergebnis kam: Eine Löwin macht einen „Katzenrücken“, wenn sie sich niederbeugt, beim Wildschwein bleibt der Rücken gerade. Eine Löwin hat einen anderen Schwanz und andere Läufe als ein Wildschwein, erklärte der Bürgermeister. Der zertifizierte Spurenleser Georg Messerer habe durch zwei unabhängige Experten Körperform und Haltung des auf dem Video abgebildeten Tieres analysieren lassen. Einer der Experten stammt aus Südafrika, wo zahlreiche Löwen leben. „Beide kamen zu dem Schluss, dass es sich keinesfalls um einen Löwen handelt.“
Der Bürgermeister hielt bei der Pressekonferenz zwei Fotos in die Höhe, die jeweils eine Löwin und ein Wildschwein in gebückter Haltung zeigten. Mit Farbstiften – gelb und rot – waren die Unterschiede zwischen Löwin und Wildschwein markiert. Man kennt dergleichen aus älteren Schulbüchern. Durch diese Erkenntnisse ergab sich für die Behörden eine „neue Gesamtbewertung der Situation“.

Auf die Frage, warum die Behörden eine derartige Großwildjagd veranstaltet hatten, ehe man noch geprüft habe, wie wahrscheinlich der Auftritt einer Löwin in Berlin sei, sagte der Bürgermeister: „Wissen Sie, ich spiele Lotto und habe leider noch nicht gewonnen. Trotzdem spiele ich weiter Lotto, weil ich es nicht ausschließen kann, dass ich trotzdem 21 Millionen gewinnen werde.“ Obwohl man im Grunde außer diesem einen Video nichts in Händen hielt, habe man sich entschlossen, „zum Schutz der Bevölkerung“ ein Großaufgebot an Polizisten in die Wälder zu schicken. Dasselbe gilt für die Berliner Polizei, die im Bezirk Zehlendorf am Freitagmorgen auf teils heitere Anfragen nach dem Verbleib der Löwin aus der Bevölkerung bereits ziemlich genervt reagierte.
Unklar blieb zunächst, wie hoch die Kosten für den Einsatz ausfallen werden und wer sie tragen muss. An der mehr als 30 Stunden langen Suche beteiligt waren neben Dutzenden Polizisten auch Veterinärmediziner und der Berliner Stadtjäger. Am Freitag waren Polizisten im Wald mit Maschinenpistolen und Schutzschilden unterwegs. Auch Hubschrauber, Drohnen und zahlreiche Wärmebildkameras wurden eingesetzt. Der Vize-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz,sagte der Bild-Zeitung: „Bei diesem Einsatz handelt es sich zweifelsfrei um die teuerste Safari, die es in Deutschlands Wäldern je gegeben hat!“
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen hat die Aktion am Samstag verteidigt. Die Maßnahmen seien „absolut angemessen“ gewesen, sagte Stübgen der dpa. Die Sicherheit der Bevölkerung habe „oberste Priorität“. Nach den ersten Hinweisen habe man nicht ausschließen können, dass es sich um ein Raubtier handle. „Es wäre auch nicht das erste gefährliche Tier gewesen, das in unserer Region ausgerissen ist“, sagte der Innenminister.
Man fragt sich, warum Politiker, Behörden und Experten mehr als zwei Tage gebraucht haben, das Naheliegendste herauszufinden: Im Süden gibt es Wildschweine, mit denen eine Begegnung nicht minder unerfreulich sein kann als mit einer Löwin. Bürgermeister Grubert sagte, man habe an der Videostelle Kot- und Haarproben genommen und festgestellt, dass diese definitiv nicht von einer Löwin stammten. Warum hat es nicht schon früher eine Auswertung des Videos gegeben? Immerhin räumte Bürgermeister Grubert am Freitag in der ARD ein: „Wir haben viel zu spät das Video gemeinsam ausgewertet.“

Aus dem Umfeld der Berliner Zeitung befragte Jäger hatten nach Ansicht des Videos umgehend gesagt, zu 95 Prozent müsse es sich um ein Wildschwein handeln, zu fünf Prozent um eine seltene Rinderart. Die Jäger hatten das Wildschwein an seinem Schwanz erkannt. „Kein anderes Tier hat einen solchen Schwanz, definitiv keine Raubkatze. Die unteren Läufe bei Wildschweinen sind schwarz, aber im Video verdeckt. Bei älteren Schweinen ist die Innenohrbehaarung wohl meist dunkler, aber es gibt offenbar definitiv nicht selten auch hellere Behaarung bei jüngeren Tieren, zudem spielt natürlich die Beleuchtung eine Rolle.“ Weitere Fragen der Jäger: Warum hat es keine Pfotenabdrücke gegeben, eine DNA-Analyse von gefundenem Fell, aufgebrochenes Wild – oder aber eine Begutachtung durch die Kreisjägerschaft?
Auch der Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Berlin, Rainer Altenkamp, war schon vor der Pressekonferenz überzeugt, dass es sich bei dem Tier um ein Wildschwein handelt, so der rbb. Er sagte: „Schon der kurze, herabhängende Schwanz mit etwa zehn Zentimeter langer, locker behaarter Quaste schließt eine Löwin aus.“
Bürgermeister Grubert räumte bei seinem Auftritt vor der Presse ein, man habe am Drehort des Videos „Kot- und Haarproben“ genommen, diese analysiert und sei zu dem Ergebnis gekommen: Es war keine Löwin. Aber um ganz sicherzugehen, wurden die „einzigen Proben, die wir gefunden haben“, an das Leibniz-Institut geschickt. Ein Ergebnis der Proben war am Freitagmittag noch nicht bekannt.
Man fragt sich: Hätte man diese hohe Wahrscheinlichkeit nicht schneller haben können, etwa durch Hinzuziehung von Jägern? Warum hat es zwei Tage gebraucht, um das verschwommene Video zu analysieren? Ist es nicht am Ende doch eine Blamage, dass im Zeitalter des Internets ein Wildschwein mit einer Löwin verwechselt werden kann – und eine ganze Stadt in wohliges Gruseln versetzt wird wie bei einem Horrorfilm?


