Flucht

Seenotretter von Sea-Eye rufen Baerbock um Hilfe: Jetzt reagiert das Auswärtige Amt

Die italienischen Behörden haben das deutsche Rettungsschiff „Sea-Eye 4“ festgesetzt. Grüne und Linke protestieren – und das Außenministerium schaltet sich ein.

Außenministerin Annalena Baerbock
Außenministerin Annalena BaerbockJanine Schmitz/photothek/Imago

Der Hilferuf erreichte das Auswärtige Amt am vergangenen Sonntag. Zu diesem Zeitpunkt lag die „Sea-Eye 4“ bereits im Hafen der süditalienischen Stadt Ortona. Die italienische Küstenwache hatte das deutsche Schiff am Freitagabend festgesetzt, nachdem die Seenotretter im Mittelmeer zwei Flüchtlingsbooten geholfen hatten.

Der Vorwurf: Die „Sea-Eye 4“ habe nach der ersten Rettungsaktion nicht sofort den Hafen von Ortona angesteuert, sondern sei weitergefahren zu einem zweiten Einsatz. Insgesamt, so die Seenotretter, seien 49 Geflüchtete an Bord genommen worden.

Anfang des Jahres hatte die italienische Regierung die Aktivitäten von Seenotrettern eingeschränkt. Demnach müssen Rettungsschiffe die Behörden informieren, sobald ein Boot gerettet wurde – und einen von den Behörden zugewiesenen Hafen anlaufen. Allerdings liegt dieser oft weit entfernt, weshalb die Retter keinen weiteren Einsatz fahren können. Das deutsche Schiff soll nun für 20 Tage festgehalten werden. Der Hilfsorganisation Sea-Eye droht eine Geldstrafe.

In einer E-Mail fordert Sea-Eye jetzt Unterstützung vom Auswärtigen Amt und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). „Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass die Festsetzungen der Sea-Eye 4 und der Mare*Go (ebenfalls deutsche Flagge) sofort aufgehoben werden und von Bußgeldern abgesehen wird“, heißt es darin. Das Schreiben liegt der Berliner Zeitung vor. Die „Mare*Go“ war laut Küstenwache aus ähnlichen Gründen gestoppt worden.

Außenministerium kontaktiert italienische Regierung

Aus dem Auswärtigen Amt heißt es auf Anfrage, man verfolge den Einsatz der privaten Seenotretter mit großer Aufmerksamkeit und stehe mit den Organisationen zu den aktuellen Entwicklungen in Kontakt. „Es ist wichtig, dass die festgesetzten Schiffe schnell wieder ihre lebensrettende Aufgabe wahrnehmen können“, sagt ein Ministeriumssprecher der Berliner Zeitung. „Dafür setzen wir uns gegenüber der italienischen Seite ein.“

Grundsätzlich gelte: „Menschen vor dem Ertrinken und aus Seenot zu retten, ist eine rechtliche, humanitäre und moralische Pflicht. Zivile Seenotrettung im Mittelmeer leistet dazu einen wichtigen Beitrag und darf nicht behindert werden.“

Außenministerin Baerbock war am Sonntag für eine mehrtägige Auslandsreise nach Südamerika aufgebrochen. In den vergangenen Jahren hatte sie wiederholt die Bedeutung von Seenotrettung betont. Auch darauf verweist die Hilfsorganisation in ihrem Schreiben ans Auswärtige Amt. Im Juli 2019 hatte Baerbock, damals noch Grünen-Chefin, den deutschen Außenminister Heiko Maas (SPD) dazu aufgefordert, im Fall der in Italien verhafteten Kapitänin und Seenotretterin Carola Rackete aktiv zu werden.

Das Rettungsschiff „Sea-Eye 4“
Das Rettungsschiff „Sea-Eye 4“Maik Lüdemann

Grüne und Linke erwarten Reaktion der Bundesregierung

„Ich erwarte von der Bundesregierung und insbesondere dem grün-geführten Auswärtigen Amt, dass sie Druck auf die italienische Regierung ausüben, damit diese die ‚Sea-Eye 4‘ freigibt“, sagt die Sprecherin für Fluchtpolitik der Linke-Fraktion, Clara Bünger, der Berliner Zeitung. In ihrem Koalitionsvertrag hätten die Ampel-Parteien erklärt, dass die zivile Seenotrettung nicht behindert werden dürfe.

Die jüngsten Gesetzesverschärfungen in Italien bezeichnet die Linke als vorläufigen Höhepunkt einer „perfiden Politik“, bei der zivile Seenotretter „überwacht, behindert und kriminalisiert“ würden. „Die Zehntausenden Toten im Mittelmeer sind nicht Folge einer unerwarteten Katastrophe, sondern politischer Entscheidungen, für die alle EU-Staaten verantwortlich sind“, sagt Bünger.

Für die Grünen ist das Thema brisant. In den vergangenen Jahren hatten sie sich für eine humanere Flucht- und Migrationspolitik eingesetzt. Nicht zuletzt wegen der von der EU-Kommission angestrebten Asylreform dürften der Partei nun aber auch intern schwierige Debatten bevorstehen.

Nachdem sich die Bundesregierung grundsätzlich auf Asylverfahren an den EU-Außengrenzen geeinigt hat, pochen vor allem die Grünen auf Ausnahmen für Kinder und Familien. Grundsätzlich zeigt sich Außenministerin Baerbock jedoch offen für entsprechende Grenzverfahren. Das sehen nicht wenige Parteifreunde anders.

Umso wichtiger für Baerbock, dass bei der Seenotrettung kein weiterer Unmut entsteht. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke bezeichnet die Seenotrettung als zivilisatorische Errungenschaft, die im Internationalen Recht klar geregelt sei. „Ich bin Organisationen wie Sea-Eye dankbar, dass sie dieser Pflicht nachkommen und Menschen aus Seenot retten“, sagt Pahlke der Berliner Zeitung.

Dass sie für Rettungsaktionen bestraft würden, sei ein Skandal. „Die Organisationen mit ihren vielen Freiwilligen verdienen den Schutz, gerade auch der deutschen Bundesregierung“, so Pahlke weiter. Solange sich die EU nicht auf ein gemeinsames Seenotrettungsprogramm einigen könne, müssten zivile Rettungsorganisationen unterstützt werden. „Eine Kriminalisierung humanitärer Arbeit verbietet sich.“

Wie eng die Grünen mit der privaten Seenotrettung verbunden sind, zeigt das Beispiel des Abgeordneten Pahlke selbst: Der 31-Jährige war für mehrere Hilfsorganisationen aktiv – vor seinem Einzug in den Bundestag 2021 arbeitete er als Sprecher für Sea-Eye.