Der Diplomat Rüdiger von Fritsch war deutscher Botschafter in Warschau (zwischen 2010 und 2014) und Moskau (zwischen 2014 und 2019). Während seiner diplomatischen Laufbahn bereitete er als Unterhändler die EU-Osterweiterung in Brüssel vor, war Leiter des Planungsstabes des Bundespräsidenten und Vizepräsident des BND. Der ehemalige Botschafter ist Autor mehrerer Bücher zum politischen Russland. Sein jüngstes Werk „Zeitenwende: Putins Krieg und die Folgen“ erschien kürzlich. Wir trafen Rüdiger von Fritsch in einem Café in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs.
Herr Botschafter, die Invasion in der Ukraine läuft schlecht für Wladimir Putin. Das sagen selbst Experten, die Verständnis für manche Beschwerden der russischen Regierung aufbringen. Nun ist der russische Präsident de facto Alleinherrscher, kann seinem Land über die gesteuerte Presse erzählen, was er will. Wieso beendet Putin den Krieg nicht einfach und behauptet, er habe gewonnen?
Putin muss diesen Krieg aus drei Gründen fortsetzen. Erstens ist es sein Ziel, die Ukraine zu unterjochen, nicht nur territorial Gewinne zu erzielen, sondern darüber bestimmen zu können, welchen Weg die Ukraine in Zukunft nimmt. Das ist der Kern des Konfliktes mit der Ukraine, und das macht ihn so schwer lösbar. Zweitens verfolgt er, wie er uns im Dezember sehr deutlich mitgeteilt hat, weiterreichende geostrategische Ziele, von denen er gehofft hatte, dass er sie durch eine sehr schnelle Unterwerfung der Ukraine, wie es mit dem Angriff auf Kiew versucht wurde, erreichen würde. Also ein schneller, „sauberer“ Krieg und Sieg. Anschließend, so war sein Plan, würde er erneuten Druck auf den Westen mit diesen massiven Forderungen ausüben, die darauf zielten, die europäische Friedensordnung zu ändern und uns insgesamt zu schwächen. Und inzwischen kommt ein dritter Grund hinzu, warum in der Ukraine weitergekämpft wird, und das macht den Krieg auch so dramatisch: Wladimir Putin kämpft in der Ukraine um seine eigene Macht. Weil dieser Krieg so blamabel für ihn verläuft, ist er unter Druck, zu Hause Erfolge vorweisen zu können, die seine Legitimität stärken.

Und wie versucht Putin das nach der gescheiterten Einnahme Kiews und den stockenden Fortschritten im Osten des Landes zu erreichen?
Er versucht internationalen Druck auf den Westen aufzubauen, indem er auf zynische Weise die Nahrungsmittelversorgung von Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas blockiert, indem er ukrainische Exporte blockiert. Er hofft, dass es dadurch zu Migrationswellen kommt und der Westen in einer ganz neuen Entscheidungssituation ist.
Bedeutet das auch, dass der Westen die gesichtswahrende Lösung für Putin, die ja immer wieder angesprochen worden ist, suchen muss? Sind die jüngsten Telefonate von Präsident Macron als auch Kanzler Scholz mit Putin so zu verstehen?
Diplomatie ist nie am Ende. Sie sollte auch in dieser Situation, so schwer das ist, einen Blick auf die Frage werfen: „Wie könnte dieser Krieg zu einem Ende geführt werden, sodass es der Ukraine gelingt, als selbständiger souveräner Staat zu überleben und ihren Weg selbst zu bestimmen?“
Und was ist mit dem Weg des russischen Präsidenten?
Um ein Bild zu benutzen: Er hat das Schachbrett umgeworfen. Was jedoch weder die Regeln des Schachspiels falsch macht noch unsere vergangenen Züge. Putin hat den über Jahrzehnte erfolgreichen Versuch, Sicherheit in Europa gemeinsam zu gestalten, auch unter Mitwirkung der Sowjetunion und Russlands, abrupt beendet. An die Stelle dieses Versuches, die Zukunft gemeinsam im Dialog, im Austausch durch Vernetzung, durch Verflechtung zu erreichen, hat er die Konfrontation gesetzt. Insofern ist Diplomatie nicht gescheitert, aber Wladimir Putin hat sie an ihre Grenzen geführt.
Sehen Sie Konfliktpotenzial zwischen den Zielen der ukrainischen Regierung und ihren Unterstützern im Westen? Wünscht man sich in Paris und Berlin einen Frieden, bei dem auch die Ukraine Russland entgegenkommen muss?
Ausschließlich die Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen über ihre Zukunft entscheiden. Es ist ihr legitimes Recht, für die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Landes, für ihre Souveränität, für die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen zu kämpfen. Es kann nicht sein, dass im Europa von heute jemandem, der aggressiv droht, hier und da ein paar territoriale Häppchen mit allen furchtbaren Folgen hingeworfen werden, nur damit er Ruhe gibt. Das darf auf gar keinen Fall von westlicher Politik forciert werden. Ich nehme das Beispiel Deutschland. Das Letzte, was Ostmitteleuropa braucht, sind Vorschläge zur territorialen Neugliederung Ostmitteleuropas, die Deutsche und Russen verabreden. Das ist mit 1945 vorbei.
Die Sowjetunion hat den Kalten Krieg verloren. Jetzt will Putin wieder Einflusszonen wie vor 1990, vielleicht sogar wie zu imperialen Zeiten. Ist Putin einfach ein schlechter Verlierer?
Wladimir Putin will nicht die Sowjetunion wieder errichten. Das würde verlangen, dass er sich eine Region wieder zurückholt, in der längst China das Sagen hat: Zentralasien. Oder das Baltikum – Staaten, die inzwischen der EU und der Nato angehören. Nein, es geht ihm neben seinen geopolitischen Ambitionen um die Wiederherstellung alter großrussischer Träume. Ein imperialer Reflex ist wieder gewachsen, der es nicht zulassen kann, dass das Herz des alten Russlands, das, was man die alte Rus nennt, verloren geht, also jener Raum, aus dem vor mehr als 1000 Jahren Russland, Belarus und der Osten der Ukraine hervorgegangen sind. Belarus hat Putin bereits unter seiner Kontrolle, jetzt muss er auch zumindest einen Teil der Ukraine für sich zurückerobern.
Wieso muss er das?
Das hat damit zu tun, dass Russland mit seinen Verlusten nicht umgehen kann. Es hat seine Geschichte nicht aufgearbeitet. Dies zu tun, halte ich für eine der wichtigsten Voraussetzungen, um erfolgreich internationale Beziehungen zu gestalten. Sehr viele Länder haben das geschafft. Aber in Russland hat man sich davon verabschiedet, nach sehr guten Versuchen, die in der Sowjetunion bereits einsetzten, mit der Organisation Memorial zum Beispiel. Dabei hatte Putin selbst, in seiner Rede im Deutschen Bundestag 2001, gesagt: „Wir müssen unsere Geschichte aufarbeiten.“ Stattdessen hat man sich ganz seinem Trauma hingegeben. Und das knallt man die ganze Zeit der Welt auf den Tisch und sagt: „Damit müsst ihr umgehen.“ Man tut so, als sei Russland das einzige Land, das traumatisiert ist.
Es fällt auf, dass es einen Unterschied zwischen allen Staaten des ehemaligen Ostblocks und Ostdeutschland gibt. Während osteuropäische Regierungen eine klare Haltung zu Putin haben und schwere Waffen in die Ukraine liefern, zieht Sachsens Ministerpräsident Kretschmer Sanktionen in Zweifel und Manuela Schwesig kann sich trotz Kreml-Kungelei auf breite Unterstützung in der Bevölkerung stützen. Woran liegt es, dass man überall dort, wo die Russen bis 1990 herrschten, sehr kritisch auf sie blickt – außer in Ostdeutschland?
In der ehemaligen DDR hat es eine viel größere Nähe zur Sowjetunion und Russland gegeben als bei uns im Westen. Und daraus ist sehr viel Kenntnis und auch sehr viel Sympathie für Kultur und Menschen entstanden, die ich für richtig und gut halte. Das sind menschliche Begegnungen gewesen, das Erlernen der russischen Sprache, eine Vertiefung in russische Kultur, in Lebensweise und anderes mehr. Und das schwingt fort und das, finde ich, sollte man niemandem vorwerfen. Allerdings darf man eben nicht die Sowjetunion und Russland gleichsetzen. Die Erfahrungen der Menschen im Osten Deutschlands sind natürlich ein Stück weit andere gewesen als jene dort, wo die Sowjetunion in jüngerer Zeit mit Gewalt Freiheitsbewegungen unterdrückt hatte.
Hierzulande wird viel über die Lieferung schwerer Waffen diskutiert. Tatsache ist: An Tag 83 des Krieges hat die Bundesregierung trotz Bitten der Ukraine, trotz Beschlusses des Bundestags, trotz Zusagen es nicht geschafft, eine einzige schwere Waffe in die Ukraine zu liefern.
Mark Twain hat mal gesagt: Wagners Musik ist besser, als sie klingt. Das kann man ein Stück weit für deutsche Außenpolitik sagen. Manchmal haben wir uns vielleicht nicht gut verkauft, aber wir haben viel getan und tun einiges. Denken wir doch nur daran, dass in der Zeit nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine 2014 Deutschland das Land gewesen ist, das weltweit unter allen, einschließlich der USA, am meisten bilaterale Hilfe für die Ukraine geleistet hat. Unmittelbar sind mehr als zwei Milliarden Euro geflossen und über unsere Beiträge zur Europäischen Union noch einmal mehr. Es hat viele Hilfsprogramme gegeben. Ich finde, das darf nicht in Vergessenheit geraten. Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir unsere scheinbar unverrückbaren außenpolitischen Grundsätze über Nacht dramatisch verändert haben. Wir unterstützen die angegriffene Ukraine bei ihrem Bemühen, ihre Freiheit zu bewahren, auch mit Waffenlieferungen. Es läuft an und wird funktionieren.
Am Dienstagabend stellen Sie Ihr neues Buch „Zeitenwende: Putins Krieg und die Folgen“ gemeinsam mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann vor, der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses. Sie beurteilt das Vorgehen der Bundesregierung im Ukraine-Krieg deutlich kritischer als Sie. Man kann zwar sagen, Deutschland schickt der Ukraine viel Geld, aber die Summen sind ja nichts im Vergleich zu dem, was wir Putin täglich für russisches Gas bezahlen.
Wenn wir ehrlich mit uns sind, muss jeder, der in den vergangenen Wahlen Parteien unterstützt hat, die für die Energiewende stehen, sich eingestehen, dass er diese Abhängigkeit mitgetragen hat. Für die Energiewende brauchen wir sehr viel Gas – und wenn wir dies nicht aus Russland beziehen würden, woher käme es dann? Ein Stück weit aus Norwegen, doch die großen Produzenten sind China, Iran, Katar, Russland. Außerdem noch die USA und Kanada mit Fracking-Gas. Man stelle sich mal vor, im letzten Bundestagswahlkampf hätte eine Partei sich hingestellt und gesagt: „Also das mit der Abhängigkeit von unseren Gaslieferungen aus Russland ist blöd. Wir steuern um, wir kaufen jetzt in Peking und Teheran. Und wenn das nicht reicht, fahren wir Kohle und Kernkraft noch mal hoch.“
Gerhard Schröder hat mit der Agenda 2010 eine Politik durchgesetzt, die er gegen alle Widerstände für richtig hielt. Am Ende hat sie ihn das Kanzleramt gekostet. Heute sind sich fast alle außerhalb der SPD einig, dass die folgenden 16 Jahre Wachstum maßgeblich auf seine unpopulären Entscheidungen zurückgehen. Hätten Politiker auch bei der Energiepolitik auf eine Diversifizierung bestehen müssen, obwohl es sie Wählerstimmen gekostet hätte?
Die grundsätzliche Entscheidung, die Energiewende zu vollziehen, war und bleibt richtig. Wir müssen das zum Schutz der Umwelt und des Klimas tun. Man hätte natürlich sagen können: „Wir bauen LNG-Terminals und kaufen im Übrigen in Ländern ein, von denen wir genauso wenig wissen, ob sie morgen vielleicht aggressiv werden.“ Es liegt eben in der Natur unseres politischen Systems, dass wir uns mit bestimmten Entscheidungen über große nationale Infrastrukturen schwertun. Und wenn es einen entschlossenen Widerstand gegen den Bau von Häfen gegeben hat, dann ist das Teil unserer demokratischen Wirklichkeit. Wir müssen uns alle an die eigene Nase fassen.
Muss auch die deutsche Diplomatie sich an die eigene Nase fassen? Hat das Auswärtige Amt Politiker nicht klar genug vor dem gewarnt, was in Russland vor sich geht?
Was die Arbeit der Botschaft, die ich habe leiten dürfen, angeht, so glaube ich, zuverlässig sagen zu können, dass sie immer ein sehr präzises und realistisches Bild der Wirklichkeit Russlands und der Politik und Absichten seiner Regierung gezeichnet hat. Auf dieser Grundlage und mithilfe anderer Erkenntnisse und Quellen muss eine Regierung dann Politik gestalten. Die Bundesregierung hat sich an jene große Verabredung gehalten, die wir in Europa – und eben auch mit der Sowjetunion und Russland – getroffen hatten: dass wir in einem Konflikt entschlossen reagieren, aber zugleich versuchen, ihn im Dialog zu lösen. Das ist übrigens keine Besonderheit der deutschen Politik gewesen. Ich erinnere an die Begegnung von Joe Biden und Wladimir Putin im letzten Juni in Genf, wo Biden genau das Gleiche getan hat. Er hat in aller Deutlichkeit die Defizite benannt und zugleich Bereiche aufgezeigt, in denen mit Russland Zusammenarbeit möglich ist.
Weil Sie die Amerikaner ansprechen: Nach übereinstimmenden Einschätzungen der amerikanischen Geheimdienste hat Russland sich massiv in den US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 eingemischt. Jetzt ist ein Politiker der Partei, die damals verloren hat, an der Macht. Haben die Amerikaner noch eine Rechnung mit den Russen offen?
So funktioniert amerikanische Politik nicht. Das ist keine Politik der Rache und Vergeltung. Die USA sind eine Großmacht, die ihre internationalen Beziehungen nach ihren spezifischen Interessen und Vorstellungen gestaltet, aber nicht in einer kleinlichen Rechnerei. Interessant in dem Zusammenhang ist ja die Frage: Warum hat Putin eigentlich nicht noch zwei Jahre gewartet und versucht, zunächst einmal das zu tun, was er in der Vergangenheit nicht nur in den USA getan hat, sondern beispielsweise auch im vorletzten französischen Präsidentschaftswahlkampf: sich massiv einzumischen und in diesen zwei Jahren dafür zu sorgen, dass im Westen Politiker an der Macht sind, die ihm viel freundlicher, gesonnener sind als die jetzigen? Das zeigt uns, unter welchem enormem Zeitdruck Wladimir Putin handelt. Das antiquierte russische Wirtschaftsmodell, das von Einnahmen aus Rohstoffexporten abhängig ist, statt eine wirkliche freie Wirtschaft zu entfesseln, freies Unternehmertum zu erlauben, Produktivität zu ermöglichen, wird absehbar an seine Grenzen kommen. Gerade weil so viele Länder planen, auf regenerative Energien umzusteigen, funktioniert dieses Modell nicht mehr lange. Aus dieser Schwächeposition heraus nutzt Putin das einzige Mittel, das er hat, um sich international Gehör zu verschaffen: militärische Gewalt.
Der derzeit prominenteste Botschafter in Deutschland ist Andrij Melnyk, der Vertreter der Ukraine. Wie schätzen Sie, als ehemaliger Botschafter, Melnyks oft unorthodoxes, manchmal undiplomatisches Vorgehen ein?
Die Aufgabe eines Botschafters ist es, bestmöglich die Interessen seines Landes in einem anderen Land zu befördern und daneben das andere Land natürlich zu verstehen, der eigenen Regierung zu erklären und zu vermitteln. Ein Botschafter muss dabei auch darauf achten, dass er tatsächlich Ergebnisse erzielt. Botschafter Melnyk hat zweifellos bei uns entscheidende Debatten angestoßen und sehr viel in Gang gesetzt. Er muss andererseits darauf achten, dass sein Vorgehen öffentliche Zustimmung behält und das, was er sagt, akzeptiert bleibt.
In einem Fernsehinterview Anfang März richteten Sie auch einen sehr eindringlichen Appell an den russischen Botschafter, sich vom Krieg in der Ukraine zu distanzieren. Er hat das offensichtlich unterlassen. Was würde eigentlich passieren, wenn der russische Botschafter sich öffentlich gegen die russische Invasion positionieren würde?
Wir sind in einer so dramatischen historischen Situation, dass man erwarten darf, dass sich wichtige Entscheidungsträger eines Landes, dessen Regierung so aggressiv handelt, öffentlich distanzieren. Wir selbst haben uns nicht immer mit Ruhm bekleckert, aber 1933 hat der deutsche Botschafter in Washington sich in den Ruhestand versetzen lassen, der deutsche Botschafter in Moskau auch. Ein solch öffentlicher Widerspruch von einer Reihe von Führungspersönlichkeiten würde einen großen Unterschied machen.
Das deutsch-russische Verhältnis wird häufig in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg gesehen, als Nazideutschland die Sowjetunion überfiel. 27 Millionen Tote hatte die Sowjetunion zu beklagen. Doch dabei geraten andere historische Tatsachen in den Hintergrund: Die Verabredung zwischen Hitler und Stalin, Polen aufzuteilen, der Angriff Russlands auf Finnland und die totalitäre Herrschaft Moskaus über Osteuropa während des Kalten Kriegs. Russland wird gern mit der Sowjetunion gleichgesetzt, obwohl Ukrainer und Belarussen relativ zu ihrer Bevölkerung im Krieg sogar höhere Verluste zu beklagen hatten. Verklären die Deutschen Russlands Rolle auf Kosten der Osteuropäer?
Wir sind ein demokratisches Land mit einem großen Meinungsspektrum. Es gibt nicht nur eine „deutsche Haltung“ dazu. Natürlich hat es in Deutschland immer jene gegeben, die bereit waren, über Verstöße der russischen Führung gegen internationale Vereinbarungen hinwegzusehen. Sie nannten das „Russland verstehen“. Aber man darf „verstehen“ nicht mit „billigen“ gleichsetzen. Das ist der große Fehler.
Stichwort Buch. In einer Rezension Ihres Buches aus der Süddeutschen Zeitung werden Sie als Russlandversteher bezeichnet. Spätestens seit dem 24. Februar ist der Begriff als Kritik gemeint. Ist es aktuell falsch, zu versuchen Russland zu verstehen?
Es ist nie falsch, zu versuchen zu verstehen. Dies ist die Aufgabe von Politik und Diplomatie. Es ist entscheidend, zu versuchen sich dabei auch in den Kopf des anderen hineinzuversetzen. Ich versuche auch, den russischen Präsidenten zu verstehen. Denn wir müssen uns eines klarmachen: Wladimir Putin ist weder verrückt noch irrational. Er handelt nur nach einer anderen Rationalität und Logik als wir. Diese müssen wir versuchen zu verstehen und nur dann kann es uns gelingen, erfolgreich Politik zu gestalten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Rüdiger von Fritsch wurde 1953 in Siegen geboren. Nach seinem Studium der Geschichte und Germanistik trat er 1984 in den Auswärtigen Dienst ein. Die ersten Stationen führten ihn nach Warschau und Nairobi. Später bereitete er als Unterhändler die EU-Osterweiterung in Brüssel vor. Von 1999 bis 2004 leitete der Diplomat den Planungsstab des Bundespräsidenten und von 2004 bis 2007 war von Fritsch Vize-Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Von 2010 bis 2014 war der Diplomat erneut in Warschau, diesmal als deutscher Botschafter. Bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Juli 2019 war von Fritsch Botschafter in Moskau, der größten Auslandsvertretung der Bundesrepublik. 2020 wurde er Partner in der Consultingagentur Berlin Global Advisors.














