Bundeskanzler Olaf Scholz bricht heute zu einem nur elfstündigen Antrittsbesuch nach Peking auf. Kurz vor seiner Abreise kündigte er in der FAZ einen Kurswechsel gegenüber China an und begründete das mit den Ergebnissen des Parteitags der Kommunistischen Partei des Landes vor zwei Wochen. Aus Anlass des Chinabesuchs von Olaf Scholz haben wir über die deutsch-chinesischen Beziehungen und die weiteren Herausforderungen mit der Chinaexpertin Genia Kostka gesprochen.
Frau Kostka, Bundeskanzler Olaf Scholz ist heute zu Gesprächen in China geladen. Was erwarten Sie sich davon? Ist die Reise zu diesem Zeitpunkt eine gute Idee?
In der momentanen geopolitischen Weltlage gibt es viele Themen, warum es gerade jetzt wichtig ist, mit China in Verhandlungen zu treten – sei es der Klimawandel, die Covid-19-Pandemie und vor allem der Krieg in der Ukraine. Ich erwarte vom Bundeskanzler, dass er klare Worte spricht. Aus meiner Sicht sollte Olaf Scholz seinen Besuch dafür nutzen, um China zu überzeugen, dass auch China dringend das Ende des Ukraine-Krieges benötigt. Die Zeiten, wo bestimmte Themen mit China nicht angeschnitten werden dürfen, sind vorbei. Aus meiner Sicht sollte sich Scholz in diesem Zusammenhang darauf konzentrieren, einen neuen Ton anzugeben: Einen, der Offenheit für Dialog und Zusammenarbeit in wichtigen Fragen signalisiert – das ist wichtig, weil die US-China-Politik in Richtung Eindämmung (Containment) geht. Es ist gefährlich, riskant und kontraproduktiv, China zu isolieren, wenn es so entscheidend für die Lösung so vieler Probleme ist, mit denen die Welt konfrontiert ist. Gleichzeitig sollte Deutschland klar kommunizieren, wo sich die chinesische Politik ändern muss. Hier gilt es, die dringendsten Probleme zu priorisieren, anstatt eine lange Wunschliste zu erstellen. Und ja, es gab heftige Kritik an dem Zeitpunkt der Reise – es gibt die Angst, dass direkt nach dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Xi Jinping den Besuch für die eigene Propaganda nutzen könnte. Der Zeitpunkt ist vielleicht nicht optimal, aber man darf die Chance auch nicht ungenutzt lassen, dem Alleinherrscher Xi klare Botschaften zu kommunizieren und zu schauen, ob es bei wichtigen Themen irgendwo Lösungsoptionen gibt.

Bundeskanzler Scholz muss einen Spagat leisten: Er will einerseits die Wirtschaftsbeziehungen mit China aufrechterhalten, andererseits Menschenrechtsverletzungen anprangern. Geht beides zusammen?
Es ist viel komplexer geworden, als einen Spagat zwischen Wirtschaftsbeziehungen mit China zu erhalten und die schweren Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, Tibet und der Inneren Mongolei anzuprangern. Interessant ist, dass im Vorfeld die chinesische Staatspresse es deutlich gemacht hat, dass man erwartet, dass Scholz sich auf eine „pragmatische Kooperation“ konzentriert und nicht auf Geopolitik. Diesem Wunsch sollte Scholz nicht folgen. China muss in der Weltpolitik Verantwortung übernehmen und internationales Recht anerkennen – Geopolitik nicht anzusprechen wäre fatal. Scholz muss klare Forderungen kommunizieren, damit China in wichtigen Fragen wie zum Ukraine-Krieg Verantwortung übernimmt. Hier glaube ich weiterhin, dass eine realpolitische Linie hilfreich ist, die die Chinabeziehungen auf die Interessen Deutschlands und Europas gründet.
Es wurde vielfach Kritik geübt, dass sich Scholz für eine Investition der Chinesen am Hamburger Hafen ausspricht. Dafür wird er gerade von den US-Amerikanern schwer kritisiert. Wie bewerten Sie die Haltung von Scholz bezüglich des Hamburger Hafens?
Scholz hat zugestimmt, dass das chinesische Staatsunternehmen Cosco sich mit 24,9 Prozent an einem Containerterminal des Hamburger Hafens beteiligt. Es ist gut, dass verschiedene Ministerien Druck ausgeübt haben, damit die ursprüngliche Beteilung von 35 Prozent verringert wurde. Durch die Verringerung des Beteiligungsanteils hat Cosco keine Mitsprache bei strategischen Geschäfts- oder Personalentscheidungen. Aber eigentlich sind solche Beteiligungen an Terminals nicht unüblich in der Containerlogistik – Cosco hat in vielen anderen europäischen Häfen auch Anteile, die teils viel höher sind. Insgesamt muss man auch betonen, dass in der Vergangenheit viele chinesische Investitionen in Europa getätigt wurden, wo es keine anderen potenziellen Investoren gab, die in unrentable Unternehmen investieren wollten, um die in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen zu „reparieren“. Das Untersagen von chinesischen Investitionen wäre also wahrscheinlich schädlich für die europäische Wirtschaft. Insgesamt ist die Diskussion sehr wichtig, ob und wie man ausländische Beteiligungen an kritischen Infrastrukturen erlauben will in Deutschland. Hier sollte es aber nicht nur um Hafenbeteiligungen gehen, sondern generell um kritische Schlüsselindustrien und auch digitale Infrastruktur und es sollte Anpassungen im Außenwirtschaftsrecht geben.
Die Grünen mit Annalena Baerbock plädieren für eine werteorientierte Außenpolitik. Mit Blick auf China kann so eine Politik auf Grenzen stoßen. Wo sehen Sie Chancen, wo Risiken? Wo ist Härte in Wertefragen angebracht, wo Dialog?
Den Ansatz der werteorientierten Außenpolitik finde ich in der Theorie schön, aber leider in der Praxis nicht sehr hilfreich. Natürlich ist es gut, auf liberale Werte und eigene Freiheits- und Demokratieideale zu achten. Aber Fakt ist, dass viele autoritäre Staaten wie China diese Werte nicht immer teilen. Effektive Außenpolitik sollte von unterschiedlichen Interessenslagen ausgehen, wo man hart verhandelt und sich auf Regeln einigen muss. Werte zu verhandeln geht nicht und am Ende führt es zu einer ideologischen Verhärtung, wie wir sie gerade momentan erleben. Dann heißt es, wir, die Europäer und die USA, sind „die Guten“ und autoritäre Staaten wie Russland und China „die Bösen“. Außenpolitik sollte Konflikte vermeiden und nicht einen Systemwettkampf herbeiführen oder unterstützen. Deutschland sollte wieder zu einer interessenorientierten Außenpolitik gehen – aber die Interessen mit Selbstbewusstsein und Klarheit kommunizieren und einfordern. Dazu gehört auch, mal auf einen Wirtschaftsdeal mit China zu verzichten, wenn dadurch andere wichtige Interessen erreicht werden können.
Momentan wird oft der Vergleich mit Russland gezogen. Es wird gesagt, die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland konnten den russischen Ukraine-Krieg nicht aufhalten. Stichwort: Wandel durch Handel. Sind die deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit China ähnlich kritisch zu bewerten und neu zu prüfen? Insbesondere mit Blick auf eine mögliche Invasion bezüglich Taiwan?
Wandel durch Handel hat in der Tat nicht die Ziele erreicht, die man sich erhofft hat, aber vielleicht war da auch ein wenig Arroganz oder Naivität von der deutschen Seite dahinter. Jetzt sind wir schlauer, müssen aber neue Ideen und Strategien entwickeln, wie wir mit China konstruktiv umgehen. China ist selbstbewusster geworden, hat mehr Durchsetzungsvermögen auf internationaler Ebene. Und China hat jetzt einen Alleinherrscher. An diese fundamentale politische Verschiebung in der Weltordnung muss man sich erst mal gewöhnen, ob man es will oder nicht. Die letzten politischen Personalentscheidungen beim 20. Parteitag in China sind sehr besorgniserregend. Staats- und Parteichef Xi Jinping hat China in ein „XIna“ verwandelt. Er ist nur noch von Loyalisten umgeben, und die Geschichte zeigt, dass dies nicht gut endet. Xi betont, dass er noch in seiner Lebenszeit Taiwan wieder „zurück nach Hause“ holen will. Meine Einschätzung ist, dass er dies auch umsetzen wird, friedlich oder mit Gewalt, wenn es hier nicht klare Gegenfronten gibt – speziell heißt das, es muss eine klare Abschreckungspolitik geben vonseiten Europas und der USA. Deutschland muss in diesem Kontext natürlich kritische wirtschaftliche Abhängigkeiten überprüfen – was aber nicht heißt, China zu isolieren und nicht in die Verhandlung zu gehen. Leider liegt die China-Strategie der Bundesregierung bisher noch nicht vor. Ich befürchte, dass ohne diese Scholz keine klaren Worte bei seinem Besuch finden wird. Aber genau das ist es, was wir brauchen – Deutschland sollte kein Blatt vor den Mund mehr nehmen.
Vielen Dank für das Gespräch.








