Essay

Warum Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Ursula von der Leyen das Veto in der EU zu Unrecht abschaffen wollen

Die Abschaffung des Vetorechts in der EU soll mehr Effizienz schaffen und Mehrheitsentscheidungen ermöglichen. Doch wer hinschaut, sieht: Damit fangen die Probleme erst an.

Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg
Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburgdpa/Philipp von Ditfurth

Alle wollen sie: Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Ursula von der Leyen, die überwältigende Mehrheit der Europaabgeordneten und sehr viele Deutsche. Aber sie sind schwer zu bekommen, und wenn sie einer ergattert, hat er hinterher oft mehr Probleme damit, als er erwartet.

Die Rede ist von Mehrheitsentscheidungen im Rat der EU. Bei jeder Reformdiskussion, bei jeder Vorbereitung auf eine Vertragsänderung taucht die Idee auf. So auch jetzt: Wer genug hat von Blockaden einzelner Mitgliedsländer, wer möchte, dass die EU schneller entscheidet, der verlangt die Abschaffung des Vetos im Rat der EU und den Übergang zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit.

Bei ersterer Prozedur kann eine einzige Regierung den Rat blockieren, bei letzterer kann ein solches Land überstimmt werden, außer es bastelt sich eine Koalition aus genügend anderen Regierungen zusammen, die mit ihm gegen den betreffenden Vorschlag stimmen. Dann kann die Karawane weiterziehen und die Hunde können bellen, richten aber nichts mehr aus.

Kleine Staaten nicht beleidigen, sondern überstimmen

Doch die Bürger der 27 Mitgliedstaaten erwarten von der EU nicht nur, dass sie schnell und effektiv handelt, sondern auch, dass sie ihre nationalen, regionalen, weltanschaulichen Besonderheiten respektiert, wozu sie nach den EU-Verträgen ja auch verpflichtet ist. Und zu diesem Zielkonflikt zwischen Respekt und Effizienz gibt es in der EU unterschiedliche Haltungen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)dpa/Nicolas Maeterlinck

Kleinere Länder und Länder, die weiter im Osten der EU liegen, legen meist mehr Wert auf Respekt vor ihren Eigenheiten als große und weiter westlich gelegene Länder, deren Eigenheiten in der EU schon wegen ihrer Größe, Finanzkraft und ihrer muskelbewehrten Diplomatie respektiert werden. Solche Länder begeben sich aber nur ungern in eine Lage, in der sie hilflos dastehen, weil sie von einem politischen und wirtschaftlichen Zwerg blockiert werden. Den darf man übrigens keinesfalls Zwerg nennen, denn das würde auch gegen das Respektsgebot verstoßen. Weshalb die Großen in der EU stattdessen einfach mehr Mehrheitsentscheidungen im Rat fordern, dann müssten sie die Kleinen nicht beleidigen, sondern könnten sie überstimmen.

Für manche der kleineren Länder und für Länder mit einem gewissen Maß an Skepsis gegenüber der EU wirkt die Forderung daher auch wie ein rotes Tuch auf einen spanischen Corrida-Stier. Polens Regierung zum Beispiel lässt schon jetzt ihre Medien gegen Scholz’ Forderung Sturm laufen. Das könnte man mit dem Hinweis abtun, dass eine Regierung, die dem von ihr gesteuerten Verfassungsgericht regelmäßig aufträgt, EU-Recht für ungültig zu erklären, eigentlich keinen Grund hat, sich vor EU-Mehrheitsentscheidungen zu fürchten. Schließlich könnte sie von ihren Richtern nach jeder unangenehmen Mehrheitsentscheidung einfach ein entsprechendes Urteil verlangen, das die Entscheidung für verfassungswidrig erklärt. Das polnische Verfassungsgericht hat mit so etwas jahrelange Übung. Doch die Sache ist komplizierter.

Mehrheitsentscheidungen, die das Papier nicht wert sind

Tatsache ist nämlich, dass die nationalen Fachminister in der EU selbst da, wo sie Widerstand ganz legal überstimmen könnten, das oft gar nicht tun. Agrarminister können ein Lied davon singen: Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, gibt das Thema bekannt und verkündet dann erst mal eine Pause. Nach einiger Zeit trifft man sich wieder, der Vorsitzende macht einen Kompromissvorschlag, den alle annehmen, und alle gehen zufrieden auseinander und verkünden zu Hause in die Mikrofone und Kameras, was für einen überwältigenden Sieg sie in Brüssel erkämpft haben.

Was steckt dahinter? Es wurde alles in der Pause so geregelt, dass alle zufrieden waren und gar nicht abgestimmt werden musste. Das erforderte aber von allen mehr Zugeständnisse als eine Abstimmung, bei der die Überstimmten dann leer ausgegangen wären. Warum also machen die Minister das? Weil sie wissen, dass eine Mehrheitsentscheidung, bei der jemand überstimmt wurde, oft nicht funktioniert.

Eine Lektion für alle Beteiligten

Den spektakulärsten Fall erlebte die EU vor sieben Jahren, als der Rat der Innenminister per Mehrheitsentscheidung beschloss, einen Teil der Flüchtlinge in Griechenland und Italien mehr oder weniger gerecht auf die Mitgliedstaaten zu verteilen. Die überstimmten Regierungen weigerten sich, den Beschluss umzusetzen, und klagten dagegen, verloren aber genauso spektakulär vor dem Europäischen Gerichtshof (EUGH). Sie weigerten sich weiterhin.

Die Sache verlief im Sand, und selbst Polen, dessen Regierung damals für die Umverteilung gestimmt hatte, weigerte sich nach dem Regierungswechsel, noch Flüchtlinge aufzunehmen, weil das Land angeblich nicht auf die Aufnahme von 7000 muslimischen Flüchtlingen vorbereitet war. Von denen ist bis heute keiner in Polen angekommen, und auch Litauen nahm damals Flüchtlinge nur in homöopathischen Dosen auf.

Angeschmiert waren danach alle: Die Verteilung funktionierte nur in Ländern, die sowieso schon viele Flüchtende aufgenommen hatten, die Verweigerer wurden verurteilt, aber nie bestraft, der EUGH verhängte ein Urteil, das folgenlos blieb. Dann stieg der belarussische Diktator Aleksandr Lukaschenko ins Schleppergeschäft ein und Polen und Litauen bekamen ein Vielfaches jener syrischen und irakischen Flüchtenden, die ihnen 2015 die EU aufzwingen wollte. Auch von den drei Millionen Ukrainern, die seit Februar dieses Jahres vorübergehend oder permanent in Polen Zuflucht gefunden haben, sind manche Muslime. Seit Jahren wirbt Polens Regierung ohnehin Bürger von Indien, Pakistan und Bangladesch als Arbeitskräfte an, ohne das an die große Glocke zu hängen.

Das hätte eine Lektion für alle Beteiligten sein können: Mit Mehrheitsentscheidungen kann man keine zufriedenstellende Lösung erzwingen und mit einem Veto kein Problem lösen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Deutsche und französische Politiker wollen weiterhin jenes nationale Veto abschaffen, das den Gang der EU angeblich so behindert, und Polen, Ungarn und viele kleinere Länder sehen es als Garantie dafür an, dass sie von den anderen ernst genommen werden. Das kommt davon, dass beide Seiten auf das ominöse Veto blicken, als sei die EU ein Staat. Das tun sogar die, die auf keinen Fall wollen, dass sie einer wird.

Heiß gekocht und kalt gegessen

Ein Vetorecht für Einzelne würde jedes nationale Parlament blockieren. Niemand weiß das übrigens besser als Polen, dessen Adelsparlament in der Ersten Republik regelmäßig genauso blockiert wurde. In einem nationalen Parlament kann aber auch jede Mehrheitsentscheidung durchgesetzt werden.

Wenn Bundestag und Bundesrat ein Gesetz gegen die Interessen der CDU-Anhänger beschließen, gilt es hinterher auch für CDU-Anhänger. Dafür sorgen Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und notfalls auch die Justizvollzugsanstalten. Die vollziehen das dann. So etwas hat die EU nicht. Die ist darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten „loyal mit ihr zusammenarbeiten“, wie die Verträge das verlangen. Tun sie es nicht, kann sie ihnen zwar Daumenschrauben anlegen, aber die sind bei Weitem nicht so effektiv wie die, die Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte in den Mitgliedstaaten haben.

Die Hände von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, Albaniens Ministerpräsident Rama, Nordmazedoniens Ministerpräsident Kovacevski und Tschechiens Ministerpräsident Fiala vor einem Treffen am EU-Hauptsitz. 
Die Hände von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, Albaniens Ministerpräsident Rama, Nordmazedoniens Ministerpräsident Kovacevski und Tschechiens Ministerpräsident Fiala vor einem Treffen am EU-Hauptsitz. AP/Virginia Mayo

Geht es um juristische Mehrheitsentscheidungen, also das, was auf EU-Ebene Recht und Gesetz ist (aber aus Rücksicht auf die respektheischenden Länder nicht so heißen darf, sondern stattdessen Richtlinie und Verordnung genannt wird), so kann die EU-Kommission ein überstimmtes Land, das sich nicht an eine Mehrheitsentscheidung halten will, vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Der kann das Land dann dazu verurteilen, das ihm so verhasste Recht doch anzuwenden. Bei Weigerung erfolgt Geldstrafe. Bei Zahlungsverweigerung zieht die EU-Kommission die Strafe von den Überweisungen an das Land ab.

Man kann sich auch aus Wut die Ohren abfrieren

Die polnische Regierung ist gerade dabei, das durchzuexerzieren, und die EU-Kommission ist seit Monaten dazu übergegangen, Polen die EUGH-Strafen abzuziehen. Die Hardliner in Warschau verlangen jetzt, die Abzüge wiederum von den polnischen EU-Beitragszahlungen abzuziehen. Am Ende dieses Weges zahlt Polen dann nichts mehr in den EU-Haushalt ein und bekommt auch nichts mehr heraus.

Das ist aus polnischer Sicht gleich aus zwei Gründen wenig vorteilhaft: Erstens ist Polen bisher in absoluten Zahlen der größte Nettoempfänger von EU-Geldern, bekommt also viel mehr als es einzahlt und kann bei einem solchen tit for tat nur verlieren. Zum Zweiten würde eine Regierung, die kaum handlungsfähig ist und gerade einmal 20 Prozent der Bevölkerung repräsentiert, nicht nur ihre Wähler, sondern alle von den Geldern aus Brüssel abschneiden. So weit, so gut.

Länder wie Polen und Ungarn, die Nettoempfänger sind, können sich so, wie ein polnisches Sprichwort sagt, „aus Wut auf die EU nur selbst die Ohren abfrieren“. Aber was, wenn sich ein großer Nettobeitragszahler nicht an Mehrheitsentscheidungen hält und EUGH-Strafen ignoriert? Aus der EU werfen dürfte man ihn auch nicht, nicht einmal mit einer Mehrheitsentscheidung. Laut EU-Verträgen kann man die EU freiwillig verlassen, aber einen Gerichtsvollzieher, der säumige Mieter auf die Straße setzt, hat die EU nicht. Nach dem polnischen Szenario würde die EU-Kommission ihm dann die Mittel kürzen, er würde aufhören, Beiträge zu zahlen und wäre damit sogar noch finanziell fein raus. Man sieht: Jeder Provinzsportverein hat mehr Möglichkeiten, ein säumiges Mitglied loszuwerden, als die EU.

Schwarzfahren lohnt sich

Hinzu kommt, dass das alles, egal wie es ausgeht, jahrelang dauert. Und in dieser Zeit können diejenigen, in deren Interesse es ist, dass sich ihre Regierung nicht an eine Mehrheitsentscheidung hält, es richtig krachen lassen. Nehmen wir an, Tschechien hält sich nicht an eine EU-Richtlinie über den Einsatz von Rußfiltern in Kraftwerken. Alle anderen Mitgliedsländer zwingen ihre Kraftwerke, Filter einzubauen. Was, wenn die Filter entsprechend teuer sind, zu höheren Energiepreisen führt. Nur Tschechien weigert sich, wodurch es billigere Energie erzeugen und die dann auch noch – dem gemeinsamen Markt sei Dank – in andere Mitgliedstaaten exportieren und so deren Kraftwerken Konkurrenz machen darf.

Hält Tschechien das lange genug durch, kann es sogar passieren, dass deutsche, polnische und österreichische Energiebetriebe in Tschechien eigene Kraftwerke bauen. Die Luft wird dadurch nicht besser, die Richtlinie funktioniert nicht richtig, und der Effekt, den die EU damit erreichen wollte, verpufft buchstäblich. Und weil die EU-Minister das in der Regel wissen, achten sie im Vorfeld darauf, dass ihr tschechischer Kollege bei der ganzen Sache nicht auf der Strecke bleibt.

Natürlich könnten sie ihn überstimmen, aber sie wollen ja nicht recht haben, sondern ein Problem lösen. Und damit sie das auch tun, kann es sein, dass der tschechische Minister vor der Sitzung eine Menge Interviews gibt, in denen er betont, wie sehr die geplante Richtlinie Tschechien schadet, wenn sie erst einmal in Kraft tritt – damit die anderen Minister auch wissen, dass sie ihn mit an Bord holen müssen.

Wäre der Minister Pole, würde er stattdessen düstere Drohungen aussprechen und die geplante Richtlinie als Bedrohung für die nationale Souveränität, die Energiesicherheit oder als fünfte Teilung Polens bezeichnen. Auch das gehört zu den nationalen Besonderheiten, die man respektieren muss. Woran man sieht: Es wird auch in Brüssel nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Warum also so viel Aufregung um mehr Mehrheitsentscheidungen, wenn sie sowieso kaum angewendet werden?

Der lange Schatten der Abstimmung

Die Antwort ist: Weil alle sich so verhalten, als würden sie angewendet. Das funktioniert ein wenig wie der berühmte Revolver in einem Western: Wenn er in der ersten Szene an der Wand hängt, muss er in der letzten abgefeuert werden. Da EU-Experten aber keine Waffennarren sind, nennen sie das „den Schatten der Abstimmung“, der über den Ministern hängt wie ein Damoklesschwert. Jeder verhält sich so, als könne jeden Moment abgestimmt werden, und achtet bei den Verhandlungen in der Pause darauf, nicht in eine Position zu geraten, in der er überstimmt werden kann.

Dadurch sind die Minister gezwungen, Kompromisse einzugehen und Allianzen zu bilden, die groß genug sind, um das blockieren zu können, was sie verhindern wollen. Haben sie ein Vetorecht, weil die Verträge Einstimmigkeit vorsehen, müssen sie das alles nicht. Sie heben dann nur die Hand, wenn der Vorsitzende aus seiner Pause zurückkommt, und bleiben stur.

Allerdings kann auch das nach hinten losgehen. Das zeigte sich vor zwei Jahren, als der EU-Wiederaufbaufonds nach der Pandemie abgesegnet wurde und Polen und Ungarn mit einem Veto drohten, um zu verhindern, dass die Mittelfreigabe an rechtsstaatliche Bedingungen geknüpft wurde. Schnell fanden die Juristen in der EU-Kommission eine ganze Reihe von Auswegen, mit denen sie ein solches Veto umgehen konnten. Ungarn und Polen standen vor der Wahl, sich die Ohren abzufrieren oder zuzustimmen. Man weiß, wie es ausging, die Ministerpräsidenten Morawiecki und Orbán haben ihre Ohren noch.

Doch was, wenn das ein Land getan hätte, das in den Fonds mehr einzahlt als es herausbekommt, Deutschland oder die Niederlande zum Beispiel? Dann wären Orbán und Morawiecki jetzt beim Ohrenarzt und Olaf Scholz oder Mark Rutte hätten mehr Geld an Haushalte mit hohen Energierechnungen zu verteilen. Daraus ersieht man: Das Veto ist nur in der Hand der großen, finanzstarken Mitgliedsländer eine scharfe Waffe, und auch nur dann, wenn sie etwas verhindern wollen. Verwenden es Nettoempfänger, ist es ein eher stumpfes Schwert. Womit wir vor der einigermaßen überraschenden Erkenntnis stehen, dass Olaf Scholz womöglich etwas abschaffen möchte, was ihm nützen könnte, und Mateusz Morawiecki etwas beibehalten will, was ihm gar keine Vorteile bringt.

Wer mitmacht, darf auch mitbestimmen

Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man sich ansieht, wo genau die Bundesregierung den Gebrauch des Veto-Schwerts einschränken möchte: in der gemeinsamen Außenpolitik der EU. Dort gilt bisher weitgehend noch das Einstimmigkeitsprinzip, zum Beispiel bei Sanktionen. Deshalb kann beispielsweise Ungarn Sanktionen gegen Russland blockieren, wie das früher auch Zypern, Griechenland und Italien getan haben. Würde man die Einstimmigkeit abschaffen, könnte man Ungarn zwar überstimmen, aber es weder daran hindern, weiterhin russische Rohstoffe zu kaufen, noch, sie zu höheren Preisen an andere EU-Länder weiterzugeben. Ganz wie bei dem Beispiel mit den tschechischen Kraftwerken: Es wäre dann gewissermaßen die EU, die sich die Ohren abfrieren würde, und Ungarn wäre fein raus.

Wenn es wirklich hart auf hart geht, kann die EU sogar Truppen entsenden. Nicht nach Ungarn, sondern in die Krisengebiete dieser Welt, nach Mali, in die Demokratische Republik Kongo oder ins frühere Jugoslawien – mit Zustimmung der dortigen Regierung oder einem UN-Mandat. Dazu braucht es dann auch Einstimmigkeit, aber wenn die nicht zustande kommt, können die Länder, die unbedingt ihre Soldaten dahin schicken wollen, das auf eigene Faust tun, entweder als kleine Koalition in der EU oder außerhalb, im Rahmen von NATO oder UN.

Der Trick dabei: In die Leitungsgremien und an die Insiderinformationen kommt nur, wer auch mitmacht. Das ist der Hauptgrund, warum ein kleines Land wie Luxemburg, das nur von Freunden umgeben ist, überhaupt noch eine Armee hat. Die Soldaten werden auf EU-, Nato- und UN-Missionen geschickt, damit ihre Regierung jemanden in den Stab schicken kann und so mitbekommt, was dort passiert. Das Prinzip, dass, wer Soldaten schickt, auch mitbestimmen darf, sorgt meist besser dafür, die Mitgliedstaaten bei der Stange zu halten, als sie im Rat zu überstimmen. Zwingen, Soldaten zu schicken, kann sie sowieso niemand.

Das Einzige, was dann noch als Grund übrig bleibt, das Veto in der EU-Außenpolitik abzuschaffen, ist die Möglichkeit, Blockierer bei gemeinsamen Positionen und Stellungnahmen zu überstimmen, also da, wo es um Symbolik geht, wo die EU ein anderes Land oder eine Organisation entschieden und nachdrücklich verurteilen oder unterstützen will und eine einzige Regierung dagegen ist. Die Frage ist allerdings: Braucht man tatsächlich eine Vertragsänderung, die von den 27 nationalen Parlamenten und dem EU-Parlament ratifiziert werden muss, um das abzuschaffen?

Die EU hat es geschafft, rechtssicher den Wiederaufbaufonds zu schaffen, den Euro zu retten und die „härtesten Sanktionen je“ (von der Leyen) gegen Russland zu verabschieden, ohne die Verträge zu ändern. Offenbar steckt in den EU-Verträgen also deutlich mehr Potenzial, als die Veto-Gegner annehmen. Die Veto- Liebhaber dagegen sollten wissen: So ein Veto ist ein stumpfes Schwert. Wer glaubt, damit die nationale Souveränität verteidigen zu können, hat sich geschnitten. Wahrscheinlich aber an einem anderen Schwert.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de