Kolumne „Nachtgesichter“

Hanna Lakomy: Meine Erfahrung mit dem Boys-Club-Netzwerk des Springer-Verlags

Über Don Alphonso, oder die grenzenlose Zuneigung des Springer-Verlags zu seinen Günstlingen.

Hanna Lakomy
Hanna LakomyUwe Hauth

Das Leitmedium

Springer-Journalisten schreiben wir und meinen Deutschland. Sie schreiben Deutschland und sprechen lediglich von sich privat. Es gehört zum Selbstverständnis des Springer-Verlages, deutsche Politik zu beeinflussen: auf Augenhöhe mit der Regierung, im Nutznießer-Verhältnis zum Rechtstaat. Als einziger deutscher Verlag ist Springer kampagnenfähig.

Prominente aus Politik und Kultur sind Spielzeuge, insbesondere solche, die Geschöpfe dieses größten Boulevardmediums Deutschlands sind. Spielsachen sind, wie der Name sagt, Sachen – seine eigenen Sachen darf man auch kaputt machen, aber wehe, sie werden einem weggenommen beziehungsweise entziehen sich der Berichterstattung.

Das Mittel zu diesem Zweck ist das berüchtigte Register. Das ist eine Kartei mit belastenden Informationen, eine akribische Sammlung geheimer Details: Wer hat was auf dem Kerbholz? Das Munitionslager, gezielt gesammelt, um jemanden bei Bedarf zu vernichten. Reporter und Redakteure bei Springer: eine ganz ordinäre Erpresserbande.

Auch die Leser sind bloße Mittel zum Zweck. Leser sind für die Zeitung da, nicht die Zeitung für die Leser. An dem Menschenbild, das man als Springer-Journalist hat, rüttelt keine Realität: Es ist das des egoistischen, gierigen, geilen, feigen und beschränkten Privatmannes, der keinerlei Subtilität besitzt. Von wegen, man vertrete die Position des Mannes von der Straße. Eine Zeitung, die so lautstark brüllt, kann gar nicht zuhören. Sie bedient sich der niedrigsten Affekte, benutzt ruchlos die künstliche erzeugte Erregung, beutet ihre Leser emotional aus, peitscht sie auf, hetzt sie und lässt sie nicht zur Ruhe kommen. Der Leser als Vieh, das für die Hiebe und Streiche auch noch bezahlt.

Die Konkurrenten der seriösen Leitmedien sind Idioten, die nicht verstanden haben, dass der Leser ein Vieh ist. Diese Konkurrenz lebt im Elfenbeinturm. Die Konkurrenz lügt, siehe Lügenpresse, siehe Relotius.

Alle Döpfner außer Mutti!

Was ist das Mindset, das solche Niedertracht rechtfertigen und ins Positive umdeuten kann? Es ist das Selbstverständnis der Herren der Welt und der Moral. Es gibt nach dieser Moral Winner und Loser, und sie, die Vertreter der freien Welt und der westlichen Werte, sind auch dann Winner, wenn sie losen.

Sieger forever – man hat den Kalten Krieg gewonnen. Dass man den leichten Sieg vielleicht nur dem Nachgeben des Klügeren (Gorbatschow) zu verdanken haben könnte, zählt nicht. In ihrer Welt bedeutet konsequenterweise nur Erfolg Qualität – Erfolg und Geld sind die einzigen Kriterien, um den Wert eines Menschen oder einer Idee zu beurteilen. Die Erfolglosen, Geld-und Arbeitslosen im Osten sind halt die Verlierer.

Das gilt übrigens nicht nur für Springer, viele Medienmenschen denken wie Döpfner, es döpfnert überall bei den Verlagen, die Mitglieder in Döpfners Verein deutscher Zeitungsverleger sind. Alle Döpfner außer Mutti!

Die Achillesverse dieser Supermenschen ist ihr Verhältnis zu Frauen. Das ist es, worüber sie immer wieder stolpern, was sie am Ende zu Fall bringt. Die tief verinnerlichte Überlegenheit macht es den Männern schwer, Frauen ernst zu nehmen. Insbesondere gegenüber freien Autorinnen herrscht ein Besitzdenken ihrer „Entdecker“ und „Förderer“. Man will sie besitzen, ist aber von ihnen besessen, man will sie kontrollieren, hat sich aber selbst nicht unter Kontrolle.

Der Don

Ich habe ja nichts gegen Skandale, vor allem nicht gegen Skandale der erotischen Art, sie amüsieren mich, und so amüsierte mich auch jener düstere Geselle, seinerseits ebenfalls Kolumnist im Feuilleton. Er war schon Feuilletonboy und Bereitschaftsschreiber beim großen Schirrmacher gewesen, bis er bei der FAZ in Ungnade fiel – vielleicht, weil er es mit seinen Provokationen am rechten Rand, seinem Flirt mit den Ultrarechten zu weit trieb.

Jedenfalls verdankte er diesem diabolisch-braunen Schillern eine große Fangemeinde, die er als Abonnenten mit zur Welt brachte, wo er sofort der Lieblingsautor der Chefs wurde. Das beste Pferd im Stall: aufsehenerregend, zugstark, überzüchtet-überdreht und seelenschwarz: ein gewisser Don Alphonso. Ich wusste nichts über ihn, als er anfing, sich als begeisterter Fan meiner Texte zu outen. Auch die Redakteure vom Kulturteil der Welt warnten mich nicht vor ihm. Sie hatten ihn gar nicht auf dem Schirm. Denn Don Alphonso schreibt unter der exklusiven Betreuung des Online-Chefs.

Der Don gab sich solidarisch mit Kollegen und treuen Gefährten auf dem Schlachtfeld des Tugendterrors. Monate, bevor ich eine eigene Welt-Kolumne bekam, was ja keiner wissen konnte, suchte er auf konspirativen Wegen (Twitter-Chat) meine Nähe und bot sich mir als hilfreicher Freund an. Er machte keinen Hehl aus seinen Verbindungen ganz nach oben, wo er sich dafür einsetzen wollte, dass man mich öfter schreiben ließ. Wie genau sein Einsatz aussehen würde, blieb dunkel. Doch das, was ihn auf mich zutrieb, waren gar nicht meine Texte, sondern, mehr oder weniger elegant verhüllt, etwas viel Roheres. Er tänzelte digital um mich herum und spielte den aggressiven Freier.

Suspekte Hexenjagd

Hat er mir öffentlich geschadet? Gegen Lob kann man sich nicht wehren. Ich hielt ihn aber für harmlos. Sein Plan war eigentlich, mich als seine Co-Autorin bei seinem Blog unterzubringen. Und dann waren wir plötzlich durch meine Kolumne theoretisch gleichberechtigte Kollegen, so ein Pech aber auch!

Was auch immer er sich von seinem Ränkespiel erhofft hatte – er hörte nicht auf. Es wurde zur Gewohnheit, täglich Nachrichten von ihm zu erhalten, und ich hatte immer eine Antwort parat, ich machte mit. Ich dachte wirklich, gut, dass du in dieser Redaktion einen einflussreichen Freund hast, der dir erklärt, was hinter den Kulissen vor sich geht, was Poschardt bei der Morgenandacht gesagt hat und wie die hohen Herren unter sich über die Texte des Kanarienvögelchens reden.

Dass ihm mein Einsatz für Sexarbeit so sehr imponierte, dass er am liebsten Geld dafür bezahlt hätte, tat ich als albernen Scherz ab. Unter anderen Umständen hätte mir so ein herrlich böser, rechter Intellektueller mit altem Geld und merkwürdigen Hobbys (Rennräder! Barockmalerei!) als Kunde vorzüglich gefallen, aber innerhalb des Kulturbetriebs fühlte ich mich einfach nicht parkettsicher genug, um so eine Kühnheit zu begehen.

Sexuelle Beziehungen mit altgedienten Kollegen– ist so was denn üblich? Wie steht man dazu so im Hause Springer? Wie sollte ich damit umgehen? Sollte ich vielleicht mit unserem Redakteur darüber sprechen, dem Online-Chef? Ich entschied mich für ein diskretes Telefonat. Doch Hilfe von oben konnte ich nicht erwarten, die Chefredaktion wollte von solchen Dingen nichts wissen, ich müsse mich hüten vor Beschuldigungen ohne eindeutige Beweislage, denn den Don, den schätzen sie bei der Welt als Menschen sehr, die Hexenjagd à la MeToo hingegen war ihnen suspekt.

Der Tod des Kanarienvögelchens

Dann machte ich noch einen weiteren Fehler, indem ich einen Talkshowmoderator angriff. Eine eklige Sache: Er hatte mich in seiner Sendung gefragt, ob ich in meiner Kindheit sexuell missbraucht worden sei – angeblich die Erklärung, warum eine Frau Prostituierte wird, also freiwillig. Dass er einen freundschaftlichen Draht zur Chefetage der Welt hatte, wusste ich nicht. Er rief bei Ulf Poschardt an. Auch er war Mitglied in diesem Boys-Club. Ich hatte ihn nicht korrekt zitiert, das war der Vorwand, mich umgehend rauszuwerfen. Man könne sich solche Fake News nicht erlauben. Man sei doch nicht der Lügen-SPIEGEL.

Irgendwie hatte ich schon gefürchtet, dass es zwischen mir und dem Hause Springer inhaltliche Differenzen geben könnte. Es kam darauf an, da heil wieder herauszukommen. Ohne deformiertes Rückgrat. Daher der Name meiner Kolumne für die Welt: Das Kanarienvögelchen, eine Anspielung auf das geflügelte Wort canary in a coal mine. Das Kanarienvögelchen in der Kohlenmine, das vor dem tödlichen Grubengas warnt. Wenn das Vögelchen zu zwitschern aufhört, rette sich, wer kann.

Und diese Pointe schenkten sie mir, als sie nach nur acht Monaten meine Kolumne beendeten.

Das Angebot, das man ablehnen kann

Natürlich bot mir der Don seine Hilfe an. Und nur er. Niemand sonst von der Redaktion reagierte auf Anrufe und Nachrichten. Der Don aber versprach: Ich regele das für dich, ich lege ein gutes Wort für dich ein.

Und das konnte er. Die Welt-Chefs lieben ihren Don und reden mit ihm ganz offen-menschlich. Nach Einschätzung von Don Alphonso tat es ihnen bereits leid, sie würden mich vielleicht – vielleicht – zurücknehmen. Aber wie, ohne Gesichtsverlust? Er hatte ihnen die rettende Idee bereits unterbreitet: indem ich seine Co-Autorin würde, bei seiner Kolumne Stützen der Gesellschaft, betreut von ihm. Er hatte sogar angeboten, mich großzügigerweise aus seinem monatlichen Pauschalisten-Honorar zu bezahlen. Allerdings müsste ich Besserung geloben, mich von nun an gewissen Regeln unterwerfen.

Vor allem müsse ich akzeptieren, dass ich nun nicht wie bisher einfach schreiben konnte, was ich wollte. Er würde mir die Themen vorgeben, inklusive der Intention, und meine Texte lektorieren, denn sonst sei es sein Kopf, der rollt – behauptete er. Und er sah sich wohl schon mit mir auf seiner Wohnzimmercouch in Gmund am Tegernsee Themen planen, ich nackt und auf seinen Wunsch mit Hornbrille, während er mich mit Pralinen fütterte. (Ich zitiere hier frei aus einer Liste von Wünschen und Andeutungen, ich habe alles schriftlich, alles aufgehoben, auch wenn ich nicht so weit gehen würde, das Material der Öffentlichkeit zu präsentieren).

Ich wäre erledigt gewesen. Reduziert auf den sexy Side-Kick eines sich eitel spreizenden Feuilletonboys. Und ich könnte mich nicht mal beschweren, wenn der Don, der rettende Ritter, mich nach und nach immer dringlicher mit seinen sexuellen Erwartungen konfrontierte. Ich wäre diesem schwanzschwenkenden Satyr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Die Drohung

Seine Drohung: Wenn ich da nicht mitmache, nimmt mich nie wieder eine andere Zeitung. Er sei meine einzige Chance, ob ich das nicht einsähe?

Ich sah es nicht ein.

Wie sähe das denn aus? Die junge Frau darf nur auf dem Schoß eines alten weißen Mannes weiterschreiben, der ihr das Händchen führt?

Ich legte mir diese Erklärung gegenüber der Redaktion jedenfalls zurecht, falls man mir tatsächlich dieses unsittliche Angebot einer Co-Autorenschaft machen würde. Der Don hatte schon das Placet von oberster Stelle. Er erlaubte es sich, es auf Twitter bereits als Tatsache bekannt zu geben, in einem pompösen Post: Salomé Balthus schreibt jetzt für die Stützen der Gesellschaft … Sollte er sich doch blamieren, wenn ich dann seinen Chefs meine Absage mitteilte.

Doch zu meiner Verblüffung wurde ich gar nicht gefragt. Online-Chef Michalsky retweetete Don Alphonsos Twitter-Announcement mit dem Kommentar Dreamteam.

Sie hatten mich, obgleich sie mir schon die Zusammenarbeit gekündigt hatten, ihm geschenkt. Ihrem gehätschelten Liebling, dem sie aber auch gar nichts abschlagen konnten. Natürlich war man tief gekränkt von meinem öffentlichen Dementi.

Es handelt sich um nachtragende Menschen. Sie meinten es offenbar völlig ernst: Wenn ich bei ihnen in Ungnade falle, wird sich niemand trauen, mir einen festen Platz anzubieten. Weder Zeitungs- noch Buchverlage. Sie hingen alle zusammen, ich würde schon sehen, prophezeite der Don in unserem letzten Telefongespräch.

Er schien recht zu behalten. In folgenden Jahren holte ich mir eine Absage nach der anderen, bei Zeitungen wie auch bei Buchverlagen und Agenturen mit meinem Romanmanuskript.

Ich glaube nicht so fest an meine Talentlosigkeit. Und auch nicht an irgendwelche veralteten moralischen Bedenken, die Ansichten einer Prostituierten zu veröffentlichen.

Ich kann nur spekulieren über Döpfners Macht: den Bund deutscher Zeitungsverleger. Wie weit geht die gegenseitige Abhängigkeit? Dass man nicht so genau weiß, was man fürchten muss, macht es besonders perfide. Man kann sich nicht schützen. Es gibt keine klar ausgesprochenen Regeln oder Verbote. Alles ist Günstlingswirtschaft. Die Devise lautet „vorauseilende Loyalität“. Wenn ich heute am Springer-Hochhaus vorbeifahre, denke ich jedes Mal daran.


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