Steckt Julian Reichelt dahinter?

Döpfner-Leaks: Die Zeit ist Deutschlands größte Boulevard-Zeitung

Die WhatsApp-Enthüllungen der Zeit sind kein mutiger Journalismus, sondern genau das, was das seriöse Hamburger Medium Springer immer vorgeworfen hat. Ein Kommentar.

Bild oder Zeit? Egal, Hauptsache, es gibt was zu gucken.
Bild oder Zeit? Egal, Hauptsache, es gibt was zu gucken.Berliner Zeitung

Die Wochenzeitung Die Zeit ist heute Deutschlands größte Boulevard-Zeitung. Witwenschütteln oder Verdachtsberichterstattung bis tief ins Privatleben hinein – bis vor kurzem waren die Bild-Zeitung und die Medien des Springerverlages noch die unangefochtenen Könige dieses manchmal zweifelhaften journalistischen Genres. Doch inzwischen hat der ehrwürdige und sonst so gutmenschliche Zeit-Verlag, die ethische Instanz aus Hamburg, mit seiner Döpfner-Enthüllung der Bild-Zeitung den Rang abgelaufen. Es ist die pure Doppelmoral.

In den Leitlinien betont man: „Alle Redaktionen von ZEIT und ZEIT ONLINE sind unabhängig. Unser Journalismus ist weder politischer noch wirtschaftlicher oder anderer äußerer Einflussnahme unterworfen. Auf dieser Unabhängigkeit sowie auf der Seriosität und Unvoreingenommenheit unserer Recherchen beruht die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit.“

Gegen ein solches Leitbild ist natürlich nichts einzuwenden, wenn man sich denn daran halten würde. Die jüngsten Enthüllungen über den Springer-Chef Mathias Döpfner – verfasst von den Autoren Cathrin Gilbert und Holger Stark – verlassen diesen Korridor seriöser Berichterstattung allerdings.

Guter Draht zur Macht: Mathias Döpfner (li.) mit Bundeskanzler Olaf Scholz.
Guter Draht zur Macht: Mathias Döpfner (li.) mit Bundeskanzler Olaf Scholz.imago images

Nachrichten an Julian Reichelt, Friede Springer und Manager

Ohne weiter ins Detail der großspurigen Recherche zu gehen, handelt es sich um nichts weiter als die Veröffentlichung von aus dem Zusammenhang gerissenen WhatsApp-Nachrichten von Döpfner, unter anderem an Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, Verlegerin Friede Springer und ein paar weitere Manager. Nachrichten, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind und die Die Zeit dennoch veröffentlichte. Als würde die Wochenzeitung Unterstützerin eines Rachefeldzugs gegen Döpfner sein. 

Zugegeben: Das Spektrum der Nachrichten reicht von bösartig, manchmal zutreffend, über dumm und lustig bis hin zu menschenverachtend. Und natürlich muss man kein Medienprofi sein, um zu checken, dass dieses unbedachte nächtliche Rumgechatte eines Vorstandsvorsitzenden nicht ganz klug war.

2019 veröffentlichten Hacker ja mal viel Intimes über den Grünen-Politiker Robert Habeck, darunter private Chats mit seiner Frau und seinen Söhnen, Rechnungen und E-Mail- Adressen und sogar Kreditkartennummern der Kinder. Das war damals ziemlich unangenehm für den heutigen Wirtschaftsminister.

Rachsüchtig und einsam? Hat Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt der Zeit die Nachrichtenschnipsel zugespielt?
Rachsüchtig und einsam? Hat Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt der Zeit die Nachrichtenschnipsel zugespielt?imago images

Anders als Döpfner ist der schluffige Habeck Medienprofi

Ein Kübel voll mit Dreck, der instrumentalisiert werden könnte wie jetzt im Falle der veröffentlichten Nachrichten von Mathias Döpfner, fand sich aber offenbar nicht. Anders als Döpfner scheint der sonst so schluffige Habeck hier ein Profi zu sein. Aber rechtfertigt es die Dummheit von Mathias Döpfner schon, den Topf voll Jauche über seinem Kopf auch auszuschütten?

Nein, denn wir alle schreiben, betrunken oder nüchtern, so manche unüberlegten Dinge in unser Handy. Würde man meine eigenen Chatverläufe veröffentlichen, man fände von kriminellen Fantasien über politisch völlig unkorrekte Aussagen bis hin zu Beleidigungen alles. Doch kann und muss man so etwas immer ernst nehmen? Die Zeit tut es jedenfalls. 

Dabei ist die ganze Recherche ziemlich unsauber. Es gibt große Leerstellen und Fragen drängen sich auf. Aus welcher Quelle kommen die Nachrichten? Wer hat sie an Die Zeit übermittelt und was haben die beteiligten Personen im Zusammenhang der Äußerungen von Döpfner von sich gegeben? Wie ist der Kontext? Darüber schweigt sich der Text der beiden Autoren aus. Das ist mindestens intransparent.

Nicht immer nur sauber: das Gebäude der Zeit in Hamburg.
Nicht immer nur sauber: das Gebäude der Zeit in Hamburg.imago images

Auch Die Zeit ist nicht frei von „äußerer Einflussnahme“

Hört man ein wenig in die Journalisten-Bubble hinein, liegt der Verdacht nahe, Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt könnte die Nachrichtenschnipsel an Die Zeit übermittelt haben, um sich an seinem ehemaligen Chef Mathias Döpfner zu rächen. Hinweis: Cathrin Gilbert führte Ende 2021 das erste große Interview mit Reichelt nach seinem Rausschmiss bei Springer.

Man fragt sich: Wenn es denn so wäre - wäre das noch seriöser Journalismus, wenn man sich als Helfershelfer an einer Fehde zweier politisch einflussreicher Figuren beteiligt? Nur die Autoren des Textes können die Fragen zu den Hintergründen und Motiven des Textes beantworten.

Die Posse zeigt, wie sich der Journalismus in Deutschland verändert hat. Herrschte zwischen den großen, immer noch sehr hierarchisch und inhabergeführten Verlagen bis vor einigen Jahren noch eine Art Burgfrieden, treten Konflikte heute im Angesicht des wirtschaftlichen Bedeutungsverlustes durch sinkende Auflagen offener zu Tage.

Spiegel-Patron Rudolf Augstein. Sein Lieblingszitat war angeblich: „Die Hand, die den Wechsel fälscht, darf nicht zittern.“
Spiegel-Patron Rudolf Augstein. Sein Lieblingszitat war angeblich: „Die Hand, die den Wechsel fälscht, darf nicht zittern.“imago images

Augstein, Springer, DuMont und Holtzbrinck: Compliance aus der Hölle

Von Rudolf Augstein über Axel Cäsar Springer und Christian DuMont Schütte bis hin zu Dieter von Holtzbrinck: Jeder lokale Medienzar konnte bis vor kurzen noch seine Leichen unbehelligt im Keller verscharren. Die Delikte beinhalten frisierte Bilanzen, vertuschte Märchenberichte, eine verhinderte Berichterstattung über einen befreundeten Warburg-Banker durch Zeit-Herausgeber Josef Joffe, wohlwollende Berichterstattung über eigene Unternehmensbeteiligungen und natürlich das gemeinsame Hochhalten der Auflagenzahlen (IVW) durch fiktive Sendungen eigener Presseerzeugnisse an die Konkurrenz.

Ein älterer bekannter Spiegel-Journalist* erzählte mir vor Jahren mal den Lieblingsspruch von Rudolf Augstein: „Die Hand, die den Wechsel fälscht, darf nicht zittern.“ Oberflächliche Kritik gegen die Konkurrenz äußerten höchstens mal ein paar Redakteure der Medienseiten, während sich die Verleger bis heute gern zum Mittagessen treffen. Compliance aus der Hölle nennt man so etwas. Oder: Die eine Krähe hackte der anderen kein Auge aus.

Und so musste erst die New York Times mit ihrer Reichelt-Enthüllung dafür sorgen, dass Julian Reichelt überhaupt gefeuert wurde und der ehemalige BDZV-Präsident Döpfner endgültig seinen Welpenschutz verlor. Das Tier ist in die Falle gegangen, aber der Fallensteller kam aus Übersee. Und jetzt kommen die vorher noch ängstlichen Ratten aus ihren Löchern und machen sich über die Beute her.

Herdentrieb empörter Hauptstadtjournalisten

Die Döpfner-Enthüllung löste gestern natürlich prompt den Herdentrieb empörter, nachdenklicher und vor allem angepasster Hauptstadtjournalisten aus. Der von Chefredakteur Marc Felix Serrao geführte deutsche Ableger der eigentlich liberalen Schweizer Zeitung NZZ nannte Döpfner in einem Kommentar einen „schrillen Charakter“. 

Die Schriftstellerin Nora Bossong behielt gestern als eine der wenigen Mutigen den Durchblick und sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Ich finde, dass Die Zeit da der Pressefreiheit einen Bärendienst erwiesen hat.“ Sie empfinde solche Veröffentlichungen schon durch Privatpersonen problematisch, „aber doppelt problematisch, wenn es Journalisten sind“.

Hat den Durchblick: Schriftstellerin Nora Bossong (re.).
Hat den Durchblick: Schriftstellerin Nora Bossong (re.).imago images

Nora Bossong hat den Durchblick

Bei der Zeit und anderen Verlagen gäbe es schließlich auch offene „politische Agenda-Themen“ und „Aktivismus“, zumal an manchen Aussagen Döpfners zur AfD und der Corona-Politik auch „was dran“ sei. „Ich polemisiere auch mal in privaten Nachrichten“, gestand die Schriftstellerin.

Als sich das Lüftchen dann ein bisschen zu drehen begann am Freitag, fiel auch der deutsche NZZ-Statthalter Serrao auf Twitter um. Er postete einen kritischen Artikel des Cicero zur Zeit-Enthüllung. Und schrieb, der Artikel in Die Zeit sei seiner Meinung nach „kein guter, fairer Journalismus“.

* Name der Redaktion bekannt

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